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Nr. 551

48.3abrgans

1. Beilage des Vorwärts Mittwoch, 25. November

1931

Alarm am Wedding  !

Bier- Feier mit Zwischenfall.

SA.- Nester auf dem Gesundbrunnen  / Arbeiter, seid wachsam! täglich, fein Rolleg, zudem sich an seinem 70. Geburtstage viele

Vor einigen Wochen überfiel frühmorgens gegen 4 Uhr ein nationalsozialistischer Sturmtrupp zwei zur Fabrik gehende Arbeiter und schlug sie nieder. Das war in der Schererstraße, ein paar Schritte vom Nettelbeck­plak entfernt. Also im Herzen des proletari: schen Wedding  . Die Nazis konnten diesen frechen Neberfall wagen, weil sie sich auch auf dem Wedding   eine eine ganze Anzahl von Stükpunkten geschaffen

haben. Geld hat ihnen dazu verholfen.

Es ist bekannt, daß der Großgrundbesiz 3000 3entner Kar toffeln nach Berlin   überwiesen hat, von denen zwei Drittel die Nazis und ein Drittel der Stahlhelm bekommen haben. Da mar es feine große Schwierigkeit mehr, allerorten Küchen zu er­richten, mit denen man sich seine Leute köderte. Hier ist die Liste der SA.- Stützpunkte am Wedding  :

Schererstraße 4, 4 Treppen( Kaferne), Kameruner Straße 5( Kneipe), Tegeler Straße 39( Kneipe),

Usedomstraße( 3ur alten Post),

Schönwalder Straße( Cofal Penser), Bolfaftraße 15( Kaserne).

Am zugespizteften find die Dinge vielleicht in der Schön. walder Straße. Hier befand sich in den Kellerräumen unter dem Restaurant Benser ein ausgebautes SA. Ne st für 50 Mann. Das ist inzwischen geschlossen worden. Die Kneipe ist geblieben. Von hier zogen in der Sonnabendnacht vor Braunschweig   die SA.. Leute mit ihrem Uniformpafet unter dem Arm zum Bahnhof. Neu­lich ging ein Reichsbannermann mit Abzeichen in das Lokal. Da fagte der Wirt zu ihm: Sie wissen wohl nicht, daß Sie in einem nationalsozialistischen Lokal sind, hier friegen Sie fein Bier!" Aber der Schreck, daß ein Reichsbannermann sich in die Nazihöhle begeben hatte, mar so groß, daß sofort ein fremder SA- Sturm alarmiert wurde, der dann auf Lastwagen prompt angerollt fam. Wegen des einen Reichsbannermanns.

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Es gibt Kneipen auf dem Gesundbrunnen  , nebenbei gesagt, auch in der Barfusstraße, mo Reichsbannerfameraden fein Bier mehr ausgeschenkt wird. Wenn die Nazis zum Arbeitsamt in der Bankstraße 47 fommen, sind sie besonders frech. Wer Unter­ftügung holt, muß bekanntlich vorher seine Stempelfarte abgeben. In diesen Stempelkarten lassen die Nazis dann einen Zettel liegen, wo drauf steht: Mitglied Sowieso heute zum Empfang von Unter­mäsche. Solche oder ähnliche Zettel lassen sie in den Stempelfarten liegen, damit die Arbeitsamtsangestellten sich diese Scherze ver bitten. Dann hätten die Nazis den gewünschten Konflitt. Die Nazis werden lange warten fönnen, bis die Angestellten auf diese Albernheiten hereinfallen.

Proleten werden gekauft.

Die SA.- Leute fizen natürlich nicht in ihren Behausungen, um Karten zu spielen. Sie bereiten vielmehr den Bürgerkrieg vor. Der Beweis ist vorhanden. Neulich passierte einem EA.- Mann ein Unglück, er ,, Derlor" seine Aktentasche. Darin lag seine Stempel­tarte und in der Stempelkarte ein Zettel, der ihn aufforderte, am Donnerstag, dem 22. Oktober, zum Ausbildungsband seines Sturmtrupps in die Gastwirtschaft von Penser, Schönwalder Straße, Dabei brauchen die Leute so etwas nicht einmal umsonst zu machen. Es ist bekannt, daß ein Sturmtruppführer täglich 8,50 Mark erhält, die SA.- Leute nicht so viel, auch nicht täglich, aber immerhin etwas.

zu kommen.

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Familie Soviet

Roman von Else Mobus

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Germaine nickte. ,, Darum habe ich auch so manchesmal gerudert, ſtatt ins Kolleg zu gehen ich habe da immer meinem Körper nachgegeben, der nach Bewegung verlangte." Hör mal, Germaine", nachdenklich sah Walter zu der Schwester hinüber, du mußt doch in diesen Tagen Gramen

haben, du schriebst doch so was."

Germaine lachte in sich hinein. Na, und wenn ichs nun schon bestanden hätte, wenn deine Schwester heute als Dr. phil  . vor dir fäße..?"

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,, Germaine!". Beinahe hätte Walter den ganzen Tisch umgestoßen. Schwesterle! Du hast promoviert und das fagst du jetzt erst! O Gott, ist das heute ein schöner Tag! Was freue ich mich, Germaine!"

Auch Weigelt streckte ihr freudig die Hand entgegen. ,, Sie rudern so gern, Fräulein Doktorja, so müssen Sie sich jetzt schon nennen lassen darf ich mir erlauben, Sie beide zur Feier des Tages zu einer Kahnpartie auf dem Waldsee ein­zuladen?"

*

Rasch verflogen die Stunden. Der Abend brach herein. Langsam gingen die drei jungen Menschen durch den Park der Sadt zu. Walter hatte seinen Arm in den der Schwester gelegt, er sah aus wie ein großer Junge, der sich nach außen bemüht, erwachsen auszusehen, der vor Glück aber am liebsten wie ein aind fingen und jubeln möchte.

,, Ach, daß du hier bist, Germaine, mas freue ich mich!" Aber plöglich schlug er sich mit der Hand vor die Stirn. Herrgott, ich habe ja heute Stubendienst! Das hatte ich ganz vergessen! Ich muß zurück in die Kaserne ich habe ja alles vergessen vor Freude! Kannst du denn nicht hier übernachten, Germaine! Dann fönnen wir uns doch morgen noch einmal sehen!"

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Germaine aber schüttelte den Kopf. Das wird zu teuer, Walter, außerdem habe ich Mama versprochen, heute abend zurück zu sein. Sie wartet ungeduldig auf Nachricht von dir!

Jetzt sind die Banden drauf und dran, sich Stützpunkte am Ge­ sundbrunnen   und in dem ehemaligen kommunistischen   Barrikaden­viertel zu schaffen. In der Grünthaler Straße wollten sie

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sich einen Keller als Kaserne herrichten, das ist ihnen nicht gelungen. Dagegen dürften sie in der Wiesenstraße oder in der Weddingstraße also Ecke Kösliner Straße! eine Kneipe als Sturmlofal erhalten. Ueber die Kommunistenhochburg in der Kösliner Straße behaupten die Nazis frank und frei, daß ihr Anhang dort start und sie auch zu halten. Die Nazis kaufen sich auf dem Wedding  genug wäre, selbst in der Kösliner Straße eine Kaserne aufzumachen Proleten für einen Anzug, für ein paar Mittagessen und einige Groschen.

Mitten im Wedding   liegt die bekannte Brotfabrik von Wittler. Dieser Betrieb wird von den Nazis fast unter Trommel­feuer genommen, um ihn zu erobern. Neulich war Flugblatt­verbreitung an die Bäcker. Zwei Mann( Nazis) standen frühmorgens vor dem Betrieb und gaben jedem Arbeiter ein Blatt. Und rund 500( 1) Nazis waren auf die Zugangsstraßen( Anton, Adolf, Mar­und Schererstraße) verteilt in jedem Hausflur dieser Straßen 3 Mann, um die Flugblattverbreitung zu decken! Die Weddinger   Arbeiter müssen sehr wachsam fein!

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Die Alte dort im weißen Haar.

Wer diese alte Dame als Händlerin an ihrem Kramwagen fizen sieht, ist jedenfalls sofort geneigt, in ihr ein soziales Opfer der Not und der Zeitlage zu sehen. In Wirklichkeit handelt es sich um

ein bekanntes Original in einem westlichen Vororte. Frühmorgens ist sie schon mit dem Wagen unterwegs, und ebenso fann man sie oft noch nachts um 11 Uhr vor einem Hause fizend finden. Die Alte treibt ewige Unraft, obwohl sie ein ordentliches Heim besitzt. Jedermann in der Gegend und besonders die Kinder, die sie mit Süßigkeiten beschenkt, kennen die Alte gut.

Aber wir kommen beide im nächsten Monat zu dir, sobald Mama die Miete von oben eingenommen hat. Das ist schon fest ausgemacht!"

,, Wenn wir dann noch hier sind", meinte Weigelt unbe­dacht, aber er verbesserte sich sofort, als er sah, daß das junge Mädchen erblaßte. Aber natürlich sind wir dann noch hier -wir sind ja erst vier Wochen ausgebildet."

Walter sah hastig auf die Uhr. Ich muß los- Ger­maine, liebes Schwesterchen, auf Wiedersehen! Grüße Mama! Hans, du begleitest sie zur Bahn, du hast doch noch eine Stunde Zeit."

,, Walter, Wälti!" sie flammerte sich an ihn ,,, nicht wahr, wir sehen uns wieder!" Angstvoll sah sie in sein Gesicht. Aber Walter lachte fröhlich. Aber selbstmurmelnd, Schwesterchen, nächsten Monat ganz bestimmt, und bis dahin friegst du noch viele Briefe. Da kommt die Straßenbahn, da fpare ich eine Viertelstunde." Er sprang auf und warf übermütig eine Kußhand zurück.

,, Auf Wiedersehen, Fräulein Doktor!"

,, So froh habe ich ihn schon seit Jahren nicht mehr ge= fehen! Das hätte ich nie für möglich gehalten!" Germaine schritt neben ihrem Begleiter die breite Chaussee entlang.

,, Ja, für ihn ist das Militär eine Art Erlösung aus seinen vier Pfählen, geistig und förperlich. Außerdem be­Außerdem be­trachtet er das alles als Dienst an einer großen Idee!" er­widerte Weigelt.

,, Sie scheinen seine Begeisterung nicht ganz zu teilen, Herr Doktor? Es klingt so etwas Skeptisches in Ihrem Tonfall!"

Weigelt zögerte. Dann sah er das junge Mädchen voll an. Ich glaube, vor Ihnen brauche ich feine Geheimnisse zu haben, Ihnen fann ich auch die Wahrheit sagen. Nein, ich teile diesen Glauben nicht, aber ich freue mich an diesem jugendlichen Idealismus und werde niemals den Versuch machen, ihn zu erschüttern. Ich bin eingezogen worden, frei willig hätte ich mich niemals gemeldet.

Germaine legte ihre Hand auf seinen Arm. Sie können mir gegenüber ganz offen sprechen, Herr Weigelt. Auch ich habe diesen Glauben nicht. Ich habe mich niemals für diesen Krieg begeistert. Denn ich halte ihn für eine Kulturschande, für ein Berbrechen, an dem alle Länder gleichmäßig beteiligt find."

Weigelt erfaßte ihre Hand. Sie sprechen das aus, was ich denke, worunter ich leide. Es sind nicht nur die Strapazen,

Vertreter des Kultusministers spricht vor Hakenkreuzfahne. Morgens um 8 Uhr begann gestern Professor Bier, wie all­Hunderte von Medizinstudierenden und Aerzten eingefunden hatten. Professor Israel   überbrachte die Glückwünsche der Assistenten. Bon 10 bis 13 Uhr dauerte die große Feier im Langenbeck­Birchow- Hause. Die Festrede hielt der Münchener Chirurg Professor 2eger, im Namen des preußischen Kultusministers gratulierte Ministerialdirektor   Richter. Dann sprachen u. a. Professor von Bergmann als Defan der medizinischen Fakultät, Professor Goldscheider, Professor Klapp- Marburg und Professor Sauerbruch  .

Ueberraschung bereitete das Erscheinen dreier Hitler- Studenten, die Die Reden waren frei von politischen Anklängen. Um so größere mit einer großen Hakenkreuzfahne kamen und neben den Reihen der Ehrengäste Aufstellung nahmen. Der Zufall fügte es übrigens, daß sie sich unmittelbar neben Professor Hermann Zondek   und Pro­fessor Umber aufstellten...

Während die Hakenkreuzfahne im Saale flatterte, hielt der Ber­treter des preußischen Kultusministers seine Rede, saßen zahl­reiche Beamte und Sanitätsoffiziere im Auditorium. Eine folche Situation ist für jeden Republikaner unerträglich. Wer hat die Hakenkreuzabordnung zugelassen? Die Geschäftsführung des Testausschusses lag in der Hand des Oberarztes der Chirurgischen Universitätsklinik Professor Marthin, der um Auskunft ersucht werden sollte. Der Vorfall gibt aber ganz allgemein Veranlassung dazu, die Teilnahme von Beamten und Offizieren an Beranstal= tungen, in denen die Hakenkreuzfahne gehißt wird, erneut energija) zu verbieten. Republik   werde hart! Sehr hart! Aber bald!

Motorradfahrer verbrannt.

Furchtbares Unglück bei Adlershof  .

Bei einem Verkehrsunglück in Adlershof   fam gestern der 42 Jahre alte Kaufmann Karl Tietz   aus der Sedanstraße 3 in Karlshorst   auf furchtbare Weise ums Leben. T. wollte mit seinem Motorrad eine geschäftliche Besorgung machen und fuhr in flottem Tempo die Oberspreestraße hinauf. In der Nähe der Kolonie ,, Wendenheide" stieß Tietz mit einem städtischen Müll­abfuhrmagen zusammen, der gerade eine Wendung machen wollte. Der Anprall war so heftig, daß die Maschine zertrinnmert. wurde. Zu allem Unglück entstand ein Vergaserbrand und der Benzintant explodierte. Tietz, der schwere Brüche erlitten hatte, fonnte sich nicht rechtzeitig genug befreien, und im Nu stand seine Kleidung in Flammen. Die Müllfutscher kamen dem Verunglückten sofort zur Hilfe und erstickten die Flammen durch lleberwerfen von Decken. Die alarmierte Feuerwehr brachte Tiez ins Köpenicker  Krankenhaus, wo aber bei seiner Einlieferung mur noch der in­zwischen eingetretene Tod festgestellt werden konnte.

24 Tote bei einem Dampferunglück.

Djambi( Sumatra  ), 24. November. Bei einem Zusammenstoß zwischen einem Personen­dampfer und einer Dampffähre sind 24 Personen ums Leben gekommen.

Hakenkreuzler und Kommunisten.

In Charlottenburg  , an der Ecke Dantelmann- und Potsdamer Straße  , kam es gestern abend zu einer schweren Schlägerei zwischen Kommunisten und Hakenkreuzlern. Etwa 40 Mann schlugen aufeinander ein. Als das lleberfallkommando anrückte, flüchtete der größte Teil der Burschen; acht Nazis fonnten noch fest­genommen und der Politischen   Polizei übergeben werden.

| der Drill. Nein, es ist vor allem der Gedanke, mich für einen Unsinn, für einen Wahnsinn zu opfern. Ja, zu opfern. Es mag Einbildung sein, ich weiß es nicht, aber ich habe das feste Vorgefühl, aus diesem Krieg nicht mehr zurückzukehren."

,, Sie dürfen diesem Gedanken niemals Raum gewähren." Ich muß ihm Raum gewähren, ich fann ihn nicht mehr verdrängen, und ich fürchte mich auch nicht vor ihm. Ich bin innerlich ganz darauf eingestellt. Aber eines muß ich Ihnen noch sagen. Germaine, als ich ein zwölfjähriger Junge war, da saßen Sie als kleines Mädchen in Sexta. Ich werde nie­

mals den. Eindruck vergessen, den dieses kleine Mädchen mit den braunen Zöpfen und den lebhaften, hellen Augen auf diesen Zwölfjährigen gemacht hat. Sie sind meine Jugend­liebe gewesen, Germaine. Und als ich Sie heute wiedersah, da ist dieses Gefühl wieder erneut in mir wachgeworden, nur viel tiefer und bewußter wie damals. Und heute leide ich deshalb viel mehr als sonst unter diesem Krieg, der mein Schicksal so gewaltsam umformen will. Heute möchte ich leben, leben, Germaine!"

,, Sie werden auch leben, Sie werden zurückkommen aus diesem Krieg, Sie müssen nur daran glauben", sagte Germaine ergriffen.

Aber der junge Mensch schüttelte heftig den Kopf. Und dann schlang er plöglich unvermittelt und unbeherrscht seine beiden Arme um das Mädchen.

,, Ich liebe dich, ich liebe dich so sehr, Germaine!" Germaine aber machte sich heftig frei. Erregt wandte sie sich ab. ,, Es ist gemein von Ihnen, daß Sie mich auf diese Weise überrumpeln wollen, sagte sie böse. Ich verstehe nicht, daß Walter Sie nur einen Augenblick für seinen Freund halten fonnte!"

Weigelt war leichenblaß geworden. Er biß die Zähne aufeinander. Jede Leidenschaft war plöglich aus seinem Ge­ficht verschwunden. Er sah todmüde und verzweifelt aus. Sch kann Sie nur um Berzeihung bitten, Fräulein Loriot, denn es liegt nicht in meiner Macht, diesen Augenblick, in dem ich mich hinreißen ließ, ungeschehen zu machen. Ich will mich auch nicht entschuldigen mit der entsetzlichen Zerrissenheit, in der ich mich feit Wochen befinde. Aber meine Freundschaft zu Walter dürfen Sie nicht anzweifeln--"

Germaine antwortete nicht. Schweigend gingen sie den letzten Teil des Weges auf der dunklen Chaussee nebenein­ander her. ( Fortsetzung folgt.)

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