Beilage
Donnerstag, 26. November 1931
hoqe ishallDer Abend
Kirche undArbeiter in England
Ein Querschnitt
Der gute Doktor ist rührend in seiner Fürsorge für den young german friend. Kaum hatte ich ihm doch meine Vorliebe für alte Kirchen und Bauwerke gestanden und meinen Wunsch, auch in England welche zu sehen, als er mir den Vorschlag machte, mich an einem der folgenden Tage mit seinem kleinen Auto in die Umgebung zu fahren. Und an einem schönen Tage fuhren wir los, besuchten einsame kleine Flecken mit alten Kirchen und Häusern; verträumte Städtchen, wo die Häuser im Schatten der Kirche stehen wie Küten um die Henne. Viele alte Kirchen, oft mit interessanten Einzelheiten aus den verschiedenen Epochen der englischen Geschichte. Und überall fiel mir an der Kirchentür ein Platat auf, das etwa fagte: Der Krieg als ein Mittel der Auseinandersetzung zwischen den Völkern widerspricht der Lehre und dem Leben unseres Herrn Jesus Christ ."
Den deutschen Besucher überraschte diese Friedenspropaganda an einem Orte, mo man sie eigentlich ja am ehesten erwarten sollte. Aber der deutsche Besucher erinnerte sich nicht, je in einer deut schen Kirche ein ähnliches Plakat gesehen zu haben. Er meiß nur zu gut, daß man von den Vertretern besonders der evange lischen Kirche in Deutschland auch heute noch eher das Gegenteil dieser Friedenspropaganda hört und daß der nationalistischen und friegervereinlichen Feldgottesdienste" kein Ende ist. Der deutsche Besucher sieht sich um und findet hier und dort und überall im öffentlichen Leben Englands Zeugnis und Ausdruck kirchlicher und religiöser Tätigkeit, die den persuchten Vergleich zwischen beiden Ländern unmöglich macht.
Die Verschiedenartigteit englischen Lebens vom deutschen zeigt sich auf diesem Gebiete mit am deutlichsten. Sowohl in der Organisation wie in der Stellung zur Politik. In den Parteien find die verschiedenen Glaubensbekenntnisse nebeneinander vertreten, das Parteileben bleibt vom Religiösen unberührt. Aber Einfluß auf die Politik wird ausgeübt auf dem Wege über das Oberhaus, in dem 24 Bischöfe und zwei Erzbischöfe vertreten sind. Auf der einen Seite aktives Eingreifen, andererseits die völlige Trennung von politischer und religiöser Ueberzeugung. Auch hier wieder die inpisch englischen Merkmale: feine Entscheidung, Abwarten, Kompromiß.
Die Organisation des firchlichen Lebens ist ungleich vielgestaltiger als bei uns. In Deutschland spielen neben den beiden großen Kirchen, der evangelischen und der katholischen, andere Organisationen eine verschwindende Rolle. In England dagegen bestehen neben der
großen anglikanischen Staatskirche und der unbedeutenderen katholischen Kirche in England leben etwa drei Mil
bunden find
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lionen Katholiken, die jedoch meist sehr eng mit ihrer Kirche ver eine Unzahl von kleineren Kirchen, den Dissenterkirchen und Seften, die alle sehr eifrig sind und heftig mit chander tonturrieren. In den flassischen Lande des Liberalismus ist das freie Spiel der Kräfte heute vielleicht am reinsten noch im religiösen Leben zu finden. Der Konkurrenzkampf um die Seelen beschränkt sich nicht nur auf den Raum in der Kirche selbst, sondern wird auf die Straße getragen. Häufig sieht man Straßenredner religiöser Organisationen, nicht nur in fleinen Städten, sondern mitten im Verkehr der Großstadt. An einer ge schützten Stelle ist eine primitive Rednerkanzei aufgebaut, bald sammeln sich Menschen an und es wird mit Ernst und Sachlichkeit über religiöse Fragen diskutiert, die bei uns im gleichen Falle dem Fluche der Lächerlichkeit verfallen würden.
Im Leben der Massen und vor allem der Arbeiterschaft spielt die Kirche heute nicht mehr die Rolle von ehedem. Doch fie versucht wieder Fühlung zu bekommen und verlorene Positionen zurückzuerobern. Sie treibt Opportunitätspolitik und macht meit gehende Zugeständnisse an das veränderte moderne Leben. In erster Linie war es da der Sport, mit dem sich die Kirche auseinander sezen mußte. In den letzten fünfzig Jahren ist der Sport in Eng land demokratisiert worden und bietet den Massen Ersatz für verIoren gegangene Werte. Der heilige englische Sonntag hat unter der Spielfreude des Volkes schon gelitten, obwohl auch heute noch fein großes repräsentatives Sportfest am Sonntag stattfindet. In den Großstädten sind die Sportplätze auch an den Sonntagen bevölkert, aber in den fleinen Städten und auf dem Lande zählt das Spiel am Sonntag zu den verpönten Dingen. Sonst ist die Kirche dem Sport gegenüber in weiser Zurüdhaltung tolerant, fie hat ihren
- Von Richard Junge
Frieden mit ihm geschlossen und sogar ein neues Feld der Betätigung darin gefunden. Biele Geistliche sind attiv im sport lichen Leben tätig, oft geben sie die Organisatoren a b. Und die Vermietung von Sportplätzen auf Kirchengrundstücken ist ein nicht zu verachtendes Geschäft. Aber die Toleranz geht oft noch weiter. Wenn die Menschen nicht mehr allein durch die seel forgerische Tätigkeit an die Kirche gefesselt werden können, ist man weitherzig genug, ihnen auch in den weltlichen Gelüsten entgegenzukommen. Klubs sind der Kirche angegliedert, in denen nicht nur Theater gespielt und Musik getrieben wird, sondern auch Gelegenheit zu einem unheiligen Tänzchen geboten ist und von Zeit zu Zeit vergessen wird, daß Whist eigentlich zu den teuf lischen Kartenspielen gehört.
Ja, auch in England muß sich die Kirche anstrengen, um ihre Schäflein unter ihrer Obhut zu behalten. Sie tut es mit Geschick und zumindest mit dem Erfolg, daß man zwar einzelne absolute Atheisten und Kirchengegner findet, in der breiten Masse des Volkes zwar auf Gleichgültigkeit, doch selten, fast nie auf eine feind felige Haltung stößt. Auch innerhalb der organisierten Arbeiterschaft nur ganz selten. Denn in England hat man die moderne Arbeiterbewegung nicht von der Kanzel herunter befämpft. Go findet man auch als eine Selbstver: ständlichkeit in derselben Gewerkschafts- oder Parteigruppe Mitglieder, die evangelisch, katholisch oder religionslos find. Die Mitgliedschaft wird von Religionsunterschieden nicht berührt, die ein zelnen Mitglieder fümmern sich nicht um das Glaubensbekenntnis der anderen, da dieser Gesichtspunkt überhaupt keine Rolle spielt in der Organisation. Es war ein Einzelfall, daß einmal ein Labourgenosse, mit dem ich näher bekannt wurde, die Frage nach meiner Konfession stellte. Er stammte aus einer irischen Familie, und man
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Das neile Buch
Zur Einführung in die Soziologie
In der im Verlag Quelle u. Meyer erscheinenden Sammlung Wissenschaft und Bildung" veröffentlicht der Leipziger Soziologe Hans Freyer eine„ Einleitung in die Soziologie", die weitesten Kreisen nachdrücklich empfohlen werden kann. Die Soziologie ist eine Wissenschaft, die heute weit über die Fachkreise hinaus in ihrer Bedeutung anerkannt wird. Aber man kann feineswegs behaupten, daß sich mit der Anerkennung eine ebenso flare und eindeutige Kenntnis ihres Wesens, ihrer Probleme, ihrer wissenschaftlichen Ziele verbindet Freyer versteht es, die geschichtliche Entstehung der europäischen Soziologie und ihren systematischen Aufbau in anschaulicher, gedrängter, aber nicht zu schwieriger Sprache dar zustellen. Die Soziologie als Wissenschaft der Gesellschaft ist von der geschichtlichen Entwicklung der europäischen Völker nicht loszureißen; die französische Soziologie ist in der großen Revolution von 1789 verwurzelt; Turgot , St. Simon und Auguste Comte begründen die Soziologie als Gegenwartswissenschaft. Die deutsche Soziologie be ginnt in Hegels Rechtsphilosophie; Lorenz von Stein und Karl Marg bilden die Hegelschen Ansäge selbständig meiter. Benn Stein die dialektische Spannung von Proletariat und Bürgertum durch ein soziales Königtum für auflösbar hält, erkennt Marg, daß nur eine höhere Gesellschaftsordnung, der Sozialismus, die Freiheit und Gleichheit der Menschen herstellen kann. So begründet Marg die Soziologie als Kampfwissenschaft, als Wissenschaft von den notwendigen Entscheidungen in der industriellen Gesellschaft. Hier schließt Freyer einen Ueberblick über die gegenwärtigen Richtungen der europäischen Soziologie an, der in der Einsicht mündet, daß heute die Soziologie im Rüdgang auf die großen tlajfischen soziologischen Systeme und namentlich im Rückgang auf die kritische Soziologie von Marg wiederum als Gegenwartswissenschaft gefaßt und aufgebaut werden muß. Im Schlußkapitel des Bänd chens gibt Freyer dann noch einige Hinweise auf den systematischen Aufbau einer solchen, auf die Gegenwart zielenden Gesellschaftswissenschaft, die im Rahmen einer gedrängten Einleitung nur frag mentarisch sein fönnen.
Spalausgabe des Vorwärts
erklärte mir später, menn ich Katholik gewesen wäre, hätte er mich sicher, bevor mir zum Tanzklub gingen, in eine katholische Kirche geführt: als ein eifriger Labourfunktionär sei er ebenso eifrig in der Pflichterfüllung seiner Kirche gegenüber. Man betrachtet das als durchaus miteinander vereinbar. Viele Führer der Labour Party haben als Straßenredner für eine kirchliche
Organisation ihre öffentliche Tätigkeit begonnen, Artur - Henderson
, der jetzige Vorsitzende der Labour Party , ist aktiv in der Heilsarmee tätig gewefen. Man kann da beinahe von einer gewissen Tradition sprechen. Heute jedoch ist der Entwicklungsgang über eine kirchliche Organisation für den jungen Führernachwuchs nicht mehr typisch. Früher bildeten die Dissenterkirchen und die Setten, in denen meist Kleinbürgertum und Arbeiterschaft vertreten find im Gegensatz zur Staatskirche, die mehr in den aristokratisch- konservativen Voltsteilen ihren Stützpunkt hat-, vielfach die Ventile für das Tätigkeitsbedürfnis, den Aktionsboden und das Arbeitsfeld derer, die dann die ersten Führerschichten der Partei bildeten. Heute kommt der Nachwuchs vom Rustin College und wird auf den Sommerschulen der Gewerkschaften und der Partei ausgebildet.
Die englische Arbeiterbewegung ist zum Unterschied von den tontinentalen Bruderorganisationen gänzlich unorthodox von Beginn an, und seit ihren Anfängen religiös beeinflußt gewesen. Die sozialistische Bewegung machte sich dem englischen Arbeiter in einer religiösen Terminologie, die seiner Begriffsmelt entgegenkam, verständlich. Die religiöse Färbung und Tonart ist auch heute noch zu beobachten; gerade der linke Flügel der Partei meist einen starf religiösen Einschlag auf. Man kann es durchaus als eine Kuriosität betrachten, menn von einem sozialistischen Pamphlet berichtet wird, das sagt:„ Christus ist der Feind des Sozialismus". Typischer und selbstverständlicher ist der Ausfpruch Lehre Christi." Die Verbindung von Christentum und Sozialismus von C. G. Ammon: Sozialismus ist der praktische Ausdruck der ist lebendig in der englischen Arbeiterbewegung, und es wird von der Stellung der Kirche gegenüber der sich ständig vergrößernden und ihre Aktionsbasis auf immer weitere Gebiete ausbreitenden sozialistischen Bewegung abhängen, wie sich dieses Verhältnis in der Zukunft gestaltet.
In der gleichen Sammlung erscheint das 31. bis 35. Tausend: des bekannten ,, Abrisses der Sozialpolitik" von Ludwig Heyde. der sich als zuverlässiger und fachlicher Führer durch die weiten Bezirke der Sozialpolitif, mie schon die Auflagehöhe zeigt, einen Plaz im deutschen Schrifttum erobert hat. Die neue Auflage berüdsichtigt die bis 1931 eingetretenen sozialpolitischen Wandlungen. Hendes Buch wird durch das Jahrbuch für Sozialpolitif: 1931", das vom Staatssekretär des Reichsarbeitsministeriums, Dr. Geib, herausgegeben ist, wirksam ergänzt. Das Jahrbuch gibt einen aus gezeichneten Ueberblick über die sozialpolitische Gesetzgebung und Rechtsprechung des Jahres 1930; unter den übrigen Beiträgen finden wir Arbeiten von Leipart, Tarnow, E. Heimann u. a., die alle zentrale Probleme der Sozialpolitik behandeln.
M.
Dr. Elenspoek: Mord und Tolschlag
Buch aus der Feder Dr. Elwenspoets im Verlage Died u. Co. Mit dem Untertitel Polizei greift ein" erscheint dieses Hervorragende Kriminalisten haben dem Autor bei seiner Arbeit zur Seite gestanden, ein Polizeipräsident schrieb das Vorwort. Das Ganze soll uns mit der neuzeitlichen Arbeit der Kriminalpolizei ver.. traut machen.
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Keinem Kriminalisten fann man es vorwerfen, wenn ihm das Gefühl dafür verloren geht, daß Schilderungen wie die einer Leichenzerstückelung oder der Wiederherstellung" einer vier Wochen alten Wasserleiche widerlich find Borwerfen kann man das nur dem Autor, der nicht Kriminalist, sondern Schriftsteller ist. Dieser Schriftsteller gibt uns einen Ueberblick über die Bluttaten der letzten Jahrzehnte und ihre Aufklärung. Das fönnte verdienstvoll sein trotz der Unerfreulichkeit des Themas-, menn man die Angelegenheit mit der scharfen Sachlichkeit des Wissenschaftlers behandelt. Elmenspoef aber will ein spannendes Buch" schreiben und das geschieht etwa so: Nachdem uns mitgeteilt worden ist, wie, wo und in welchem Verwesungsstadium die einzelnen Leichenteile der Opfer des Massenmörders Großmann aufgefunden wurden, folgt der Zusatz: Die Wurstfabrikanten zahlten gute Preise für Schwarzgeschlachtetes" an jener Zeit. triegt! ,, Die Braut auf der Stulle." So geht das Seite für Man ißt, was man Geite. Um aber das Arbeiten der Kriminalpolizei zu zeigen- und diese Aufgabe hatte sich der Autor gestellt eine derartig ins einzelne gehende Schilderung notwendig, das ist an feiner Stelle lo' meiste hätte ganz wegbleiben können. Peter Elmann.
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