Morgenausgabe
Nr. 577
A 290
48.Jahrgang
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Der Borwärts" erscheint mochentag lich zweinial, Sonntags und Montags einmal, bie Abenbausgabe für Berlin und im Handel mit dem Titel„ Der Abend", Juustrierte Gonntagsbeilage Bolt und Zeit".
Donnerstag 10. Dezember 1931
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Vorwärts Verlag G. m. b. H.
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Vorbereitung von Gegenmaßnahmen.
Die Zeitung Paris Midi" berichtet:..Da cin An gebot Frankreichs an England, über Milderung der jüngsten Zollerhöhung zu verhandeln, erfolglos geblieben ift, bereitet die französische Regierung Gegenmaßnahmen im Einvernehmen mit Handel und Industrie, besonders Einfuhrkontingentierung, vor."
Eine Regierungsvorlage auf Erhöhung der Einfuhr ft euer von zwei auf vier Prozent für Halbfertigfabritate und auf sechs Prozent für Fertigfabritate, die aus dem Ausland und den Kolonien nach Frankreich eingeführt werden, ist von der Kammer nach langer Debatte als über protettionistische Maßnahme auf Vorschlag des Sozialisten Lafont mit 325 gegen 261 Stimmen an die Ackerbautommiffion zurüdver= wiesen worben.
Redeschlacht im Unterhaus. Labour fritisiert Regierungsschwäche.
Condon, 9. Dezember. ( Eigenbericht.) Im Unterhaus hat die große Auseinandersetzung über die bis herige Tätigkeit der nationalen" Regierung begonnen. Zugrunde liegt ein Mißtrauensvotum der Labour- Party, der der Regierung Dormirft, daß fie in den fünf Wochen der zu Ende gehenden
laffe,
die
Barlamentsfeffion teine einzige der dringenden Aufgaben in Angriff genommen hat. Den Antrag begründete Abgeordneter Sir Stafford Cripps ; er führte aus, daß die Regierung die Währung verfallen Balancierung der Handelsbilanz mit lächerlichen geringfügigen Einzelmaßnahmen, wie den Zöllen auf Frühgemüse, behandle, daß sie diese Fragen, die nur durch internationale Zusammenarbeit gelöst werden könnten, aus nationaler Enge betrachte und sich alle handelspolitischen Chancen entgehen lasse. Man wolle der Regie rung feinen Profektionismus vorwerfen, denn Protektionismus wäre noch eine entschiedene Politik, was man auch gegen ihn ein wenden möge. Die Regierung habe aber überhaupt keine Politit, sondern schwanke unentschlossen zwischen Freihandel und Schutz. 3öllen hin und her.
In beredter Weise schilderte der Redner die drohende Not des tommenden Winters und alle Sorgen, die einen großen Teil der englischen Bevölkerung erfülle. Die Arbeitslofenunter stügung sei vermindert worden, die Löhne würden herabgelegt, gleichzeitig stiegen aber die Preise und besonders die Mieten und das Parlament gehe in Ferien, ohne daß nur der dringendste Versuch unternommen worden wäre, diefer dringenden Not zu begegnen.
Die Entgegnung des Premierministers Macdonald war schwach. Er stellte zwar ein Mietegefeß in Aussicht, doch gab er meder einen Zeitpunft, noch eine Richtlinie dafür an. Im übrigen beschränfte er sich, auf die Antworten hinzuweisen, die die zuständigen Minister im Laufe der weiteren Debatte geben werden.
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Am Scheidewege.
Rettung durch Lohnabbau?
Von S. Aufhäuser.
Der Reichskanzler Brüning hat im Oktober in seiner Reichstagsrede erklärt, daß fein Kabinett in der Lage sei, in diesem Winter gegen die Arbeiter zu regieren. Zur Verwirklichung dieser Absicht wären zwei Boraussetzungen erforderlich gewesen. Einmal mußte sich das Reichskabinett in der Abwehr des Faschismus, d. h. der Arbeiterfeinde, in eine Front mit den republikanischen Kräften der breiten Massen stellen, und zum anderen waren entscheidende Schritte erforderlich, um die Not diefer Massen zu bekämpfen, ihnen durch eine aktive Wirtschaftspolitik ausreichenden Lohn und Arbeitsmöglichkeit zu schaffen. Die soeben erschienene vierte Notverordnung hat für keine der beiden Boraus
setzungen eine Erfüllung, wohl aber neue Enttäuschun= gen gebracht.
Die politischen Maßnahmen gegen die Na tionalsozialisten sollen Beschränkungen des Waffenmißbrauchs bringen. Da die Durchführung den Ländern übertragen ist, so ist von den bestehenden nationalsozialiftischen Rechtsregierungen in Braunschweig usw. faum eine neutrale Anwendung zu erhoffen. Umgekehrt ist es zu bedauern, daß die Reichsregierung in ihrer Neutralität soweit geht, den republikanischen Schutzverbänden, wie dem Reichsbanner, ein Uniformverbot aufzuerlegen. Durchgreifende Maßnahmen gegen den politischen Terror, wie sie zum Beispiel in der Aufhebung der A. Kasernen oder dem Cingreifen des Reiches in das Faschistenregiment in Eutin zu erblicken wären, sind in der Notverordnung nicht enthalten. Es bleibt in der Hauptsache zunächst bei der vom Reichskanzler im Rundfunt gehaltenen entschlossenen Rede gegen Hitler ; denn auch die Bestimmungen über den Ehrenschuß von im öffentlichen Leben stehenden Personen liegen in ihrer Wirksamkeit in der Hand der Rechtsprechung, die uns in der lezten Zeit wenig befriedigt hat. Der weiter vergen Deutschland etwas aufzubauen. Die Ergebnisse der neuen hängte Burgfrieden zu Weihnachten ist für die werfNotverordnung und die ihr folgenden Reaktionen könnten den Re- tätige Bevölkerung und die Sozialdemokratie angesichts der gierungen bei ihrer bevorstehenden Konferenz in ihren Entscheidurch die Notverordnung verschärften sozialen Spannungen gleichfalls hemmend und unerfreulich. dungen helfen.
Statistik im Baseler Ausschuß.
Basel , 9. Dezember.( Eigenbericht.) Im Sonderausschuß der B33. erstattete Frère- Belgien einen Bericht des technischen Komitees, das deutsche Statistiken über die Pripatkredite zu prüfen hatte. Diese Statistiken merden als eine sehr forgfältige Arbeit bezeichnet und mit den Zahlen verglichen, die diesen Delegationen zur Verfügung stehen. Die Nachprüfung ist indeffen sehr schwierig, da die Statistiken Deutschlands und die der anderen Länder vielfach auf verschiedenen Grundlagen beruhen. Die Differenz zwischen den Zahlen des Wiggin- Komitees und den neuen Zahlen ist darauf zurückzuführen, daß die Privatschuldner ihre Berichte den deutschen Behörden erst später zukommen ließen. Hinsichtlich der kurzfristigen Bankschulden tritt in den neuen Ziffern eine Erhöhung um 300 millionen Mart ein, während sich die Privat fchulden gegenüber dem Bericht des Wiggin- Komitees um 3.2 Millionen Mart erhöhen. Das Unterfomitee bat die deutsche Delegation um ergänzende Mitteilungen.
Dann fegte Dr. Melchior sein Exposé über die deutsche Zahlungsbilanz fort. Er gab Auskünfte über die vier Katego rien von deutschen Schulden, die deutsche Zahlungen an das Ausland erforderlich machen: die im Ausland aufgenommenen langfristigen Anleihen, nichtöffentlich im Ausland aufgenommene Anleihen, Obligationen und Attien, die in Deutschland ausgegeben mourden, fich jedoch in den Händen von Ausländern befinden. Diese drei Kategorien umfassen die langfristigen Auslandsschulden im Gesamtbetrag von 11,5 milliarden Mart. Die vierte Kategorie umfaßt die furzfristigen Schulden von 12 Milliarden Mart. Zu dieser Kategorie gehören Bant, Industrie, landwirtfchaftliche und fommerzielle Schulden.
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Rein Zufrauen zur Sicherheit der Republik. Paris , 9. Dezember. Zur Rundfunkrede des Reichskanzlers schreibt Paris Midi", die Notverordnung stellte eine energische Geste dar. Stünden die lebendigen Kräfte Deutschlands hinter Brüning oder hinter Hitler? Brüning fämpfe für das Heil der deutschen Berfassung und molle die Mart retten. Politisch hat er die Nationalsozialisten gegen fich, währungspolitisch die Schwerindustrie und die Landwirtschaft, die lieber eine Inflation wollten.
Neue Steuern in Deutschland und in Amerifa, Budgetfrise in Amerifa, Währungsfrise in Deutschland , Währungsschwäche in Großbritannien , das ist die internationale Lage nach dreizehn Jahren des Friedens!
Gebe es wirklich in Deutschland Männer, die glaubten, nur ein Gebe es wirklich in Deutschland Männer, die glaubten, nur ein neuer Strieg tönne die llebel heilen, die der Krieg verursacht habe? Brüning habe recht, wenn er erfläre, daß Gesamtlösungen notwendig feien. Aber müßten solche Gesamtlösungen nicht zum mindesten politisch auf festem Grund und Boden aufgebaut fein? Man baue aber nur auf dem auf, was befteha Daraus ergäben sich die Schmierigkeiten, in Zusammenarbeit mit dem gegen martie
Die franzöfifchen Freunde der Verständigung mit Deutschland merden sich nicht verhehlen fönnen, wie unendlich viel die fran zösische Politik seit dem Waffenstillstand von 1918 zur Großzucht des deutschen Nationalismus auf Kosten der deut schen Demokratie getan hat....
Wie„ Temps", berichtet, soll der amerikanische Bankier Wiggin erflärt haben, die Bankvertreter der Gläubigerländer Deutschlands feien hinsichtlich der Frage der furzfristigen kredite untereinander einig.
Kräftige Befferung der Reichsmart.
Starte Nachfrage in Amsterdam .
Die Reichsmart, die an den ersten beiden Wochentagen an den internationalen Devisenmärkten schwach lag, wies am Mittwoch an den großen Börsenplätzen durchweg träftige kursfleige
rungen auf.
So stieg die Mart in Amsterdam non 56,70 auf 57,55 Gulden. In holländischen Börsenkreisen spricht man non starten Marktäufen deutscher Kapitalflüchtlinge, die durch die Reichsflucht steuer und die scharfen Strafandrohungen fich angeblich veranlaßt gefchen haben, die Kapitalflucht mieder rüdgängig zu machen. Be merkenswert war auch die fräftige Besserung der Mart in der Schweiz , wo an der Züricher Börse der Markturs von 117,50 bis auf 120 Schweizer Franken gegen 100 Mart anzog. In London wirfte sich die Markbesserung in einem weiteren Absinken des fundes, von 14,25 auf 13,90 Mart, aus. während gegenüber anderen Baluten das Pfund sogar eine fleine Besserung aufmies.
Heute Fraktionsvorstand.
Die Gozialdemokraten bei Brüning.
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Der Reichstanaler hatte zu Mittwochmittag die Bertreter der sozialdemokratischen Reichs tagsfraktion zu sich gebeten, um ihnen einige ergänzende Mitteilungen über den Inhalt der neuen Notverordnung zu machen. Der Borstand der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion wird Donnerstagnachmittag zur Beratung der Notoerordnung zusammentreten. Die Gesamtfraktion der Sozialdemokratischen Partei ist für Montagnachmittag 2 Uhr einberufen.
Entscheidend für die Beurteilung dieser Notverordnung aber bleibt ihr wirtschaftlicher Inhalt. Die Leite fäße des sogenannten Wirtschaftsbeirats find in ihrem ungünstigsten Teil verwirklicht worden. Deutschland soll ein billiges Land werden, hat Herr Stegerwald erflärt. Die Regierung hat auch eine zehnprozentige Sentung der Kartellpreise zum 1. Januar 1932 angeordnet, daneben Kohle und Kali, sowie die Frachten verbilligt. Es wäre indes eine Jllusion, annehmen zu wollen, daß damit, selbst wenn man die Mietenjentung in den Altbauten von 10 Prog. Der Friedensmiete( das sind etwa 7 Broz. der heutigen Miete) einrechnet, auch nur annähernd eine Verbilligung des Arbeiterhaushaltes eintreten fönnte, die der gleichfalls verfügten zehn bis fünfzehnprozentigen weiteren Senfung der Löhne und Gehälter entspricht. Für die ungebundenen Breife an Lebensmitteln und Bedarfsartikeln fann zwar von dem eingesetzten Reichskommissar eine Regelung getroffen werden, doch glaubt wohl niemand, daß die Textilpreise noch um 15 Broz. gesenkt werden, oder daß unter Beibehaltung des in der Notverordnung unerwähnt geblie= benen 3ollsystems in den Lebensmitteln der Ausgleich für den neuen Lohnabbau geschaffen wird. Die Erhöhung für den neuen Lohnabbau geschaffen wird. Die Erhöhung der Imsaksteuer dürfte auch nicht dazu beitragen, den wieder einmal angekündigten allgemeinen Preisabbau zu fördern.
Es bleibt vielmehr das Berhältnis dieser ewigen Schrumpfungspolitik, daß die Kauffraft der Angestellten und Arbeiter noch mehr geschmächt, und damit der Inlandsmarkt immer mehr gelähmt wird.
Die Verfasser jener Notverordnung übersehen auch polltommen die Tatsache, daß ein großer Teil der Belegschaften ohnehin nur Kurzarbeiterlöhne bezieht und auch die Einführung der 40- Stunden- Woche mit empfindlichen Lohnfürzungen verbunden ist. Geradezu herausfordernd aber muß es wirken, daß der diesmalige Lohnabbau ohne jede Verhandlung einfach diktatorisch zum 1. Januar 1932 verfügt wird. Die als unabdingbar anerkannten Tariflöhne und Gehälter werden mit einem Federstrich außer Kraft geſetzt. Der follettive Arbeitsvertrag, der mit als die größte Errungenschaft der Nachkriegszeit gefeßlich gesichert war, ist in feinem wesentlichsten Bestandteil so gut wie aufgehoben worden. Die Sozialreaktion darf einen ihrer schönsten Träume erfüllt fehen.
Der Staat, der auch diesmal im eigentlich fapitalistischen