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Nr. 589

45.3abrgans 1. Beilage des Vorwärts

Verkehrstarife gesenkt

5 Pfennig billiger bei Straßen- und U- Bahn

Der 11 mit eigefahrschein für die Straßenbahn und Untergrundbahn wird von 30 auf 25 Pfennig herabgesetzt. Der Preis für den Umsteigefahrschein beim Omnibus bleibt wie bisher bei 30 Pfennigen. Der Preis für den Reichsbahnübersteigefahrschein wird von 40 auf 35 Pfennig ermäßigt. Der Schülerfahrschein behält den Preis von 15 Pfennigen. Der Preis der Sammelkarte für fünf Karten bei der Straßenbahn oder Untergrundbahn wird von einer Mark auf 95 Pfennig herabgesetzt. Von den Zeitkarten wird der Preis für die Schülermonatstarten von 6 auf 5,50 Markermäßigt. Die Preise der übrigen Monatskarten bleiben bestehen.

Der Aufsichtsrat der BVG. beschäftigte sich in 20 Pfennig herabgesetzt. Der Preis für den seiner gestrigen Sitzung mit der Frage der Tariffenkung Omnibusfahrschein bleibt wie bisher bei 25 Pfennig. und beschloß, den§ 4 des Kapitels 2 des ersten Teils der Notverordnung vom 8. Dezember 1931 durchzuführen, um von der BVG. die angestrebte Preissenkung mit größtem Nachdruck zu fördern. Die BVG. beantragte daher beim Reichskommissar für Preisüberwachung, die Beförderungssteuer mit Wirkung vom 1. Januar 1932 dauernd ganz zu erlassen und erklärte sich gleich bereit, von diesem Zeitpunkt ab die Tarife unter Berücksichtigung der in der Notverordnung getroffenen Mahnahmen in sehr erheblichem Umfange zu senken. Die Beförderungssteuer belastet die BVG., Straßenbahn und 11- Bahn zur Zeit mit 5,7 Millionen Mark, darüber hin aus wären für Senkungszwecke 7,8 Millionen Mark ver­fügbar. Unter der Voraussetzung, daß der Reichskom­missar dem Antrag auf Befreiung von der Beförderungs­steuer stattgibt, werden daher auf die Dauer der Aus­wirkungen des§ 4 die Tarife der BVG. mit Wirkung vom 31. Dezember 1931 wie folgt neu geregelt:

Der Preis des einfachen Fahrscheins für Straßenbahn und Untergrundbahn wird von 25 auf

Beförderungssteuer muß fallen.

Die Senkung der Fahrpreise um 5 Pf. ab 1. Januar bedeutet für die BVG. einen Einnahmeausfall von rund 14,5 Mil­lionen Mark für das fommende Jahr. Die Fehlsumme soll aus­geglichen werden durch den Wegfall der Beförderungs­steuer, die die Stadt bisher an das Reich abführen mußte und

Beinahe wie in früheren Jahren

Ganz Berlin   ist übersät mit Meinen und großen Weihnachtsverfäufern; der Andrang von Gelegenheitshändlern ist größer als int den vergangenen Jahren. Mancher Erwerbs­lose glaubt, in diesen Tagen ein paar Mark verdienen zu können. Besonders start sind die Kinder vertreten. Auf dem Alexander­ platz   fonnte man am Abend 20 bis 30 Kinder zählen, Die mit ihren blaffen Hungerge fichtern an die Kauffreudigkeit der Erwachsenen ap­pellierten. Aber die Ausbeute ist nur gering. Durchweg hat sich der Stra fjenverfäufer auf praktischere Ge brauchsgegenstände eingeſtelit: Haus­haltungsartikel,

und kleine Wert­

Buden auf dem Weihnachtsmarkt

zeuge. Das Spielzeug tritt zurück. Es sind durchweg nur billige| wieder erschallt freudiges Lachen auf dem Weihnachtsmarkt, wenn Waren, die angeboten und bestenfalls auch begehrt werden. Hin und

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Familie Soviet

Roman Don Elfe Suobus

Ratlos stand der Schuldiener. Kam denn heute niemand zur Aufsicht? Es waren doch schon fünf Minuten seit dem Läuten verflossen! Na, endlich, es wurde wirklich Zeit!

Fräulein Loriot schritt eilig heraus, um im nächsten Augenblick erstarrt stehen zu bleiben. Der Schuldiener rieb fich die Hände, na, nun würde sie hoffentlich tüchtig da­zwischenfahren. Mühsam bahnte er sich den Weg durch die laut schreienden, lachenden, herumpurzelnden Mädchen. Er würde ihr schon helfen, wieder Zucht hereinzukriegen.

Aber was war denn das? Sah er recht? Die lachte ja noch dazu, das war doch nicht möglich. Ja, sie lachte aus vollem Halfe, hell und vergnügt, daß man es wer weiß wie weit börte! Aber dann brach sie plötzlich mit einem raschen Blick hinauf zu den Fenstern ab und trat auf eine Gruppe zu. ,, Rinder", sagte sie, helft mir um Gottes willen, die Ge­fellschaft einigermaßen in Ordnung zu kriegen!"

Und zu einigen anderen, die sie fast umgerannt hätten: Ihr wollt wohl, daß ich morgen irgendwohin strafversett merde! Einen Rüffel friege ich sowieso ich habe doch diese Woche die Verantwortung hier!"

Und der staunende Schuldiener erlebte tatsächlich am hellen Tage, zwischen 11 und 12 1hr vormittags, ein Wunder. Der Orfan   ebbte ab, schreiende, tobende, brüllende kleine Teufel verwandelten sich in manierliche, sittsame junge Mädchen. Da und dort flog zwar noch ein Schneeball, hier und da stieß man sich aus der Reihe, aber im ganzen gesehen, wandelte im Schulhof, ordnungsgemäß von einer Lehrerin| überwacht, die Höhere Mädchenschule, so wie man es von ihr erwarten durfte, tlasseniveise, in Biererreihen und hinterein ander, die Kleinsten vorn, die Großen am Schluß, so, wie es fich gehörte.

Arm in Arm mit einigen jungen Mädchen, ein Bild des Friedens, wandelte Germaine inmitten ihrer Schülerinnen. ,, Das vergesse ich euch nicht", sagte sie leise ,,, tein Feld­webel hätte es besser fertig gefriegt, wie ihr! Und heut nachmittag fomme ich auf die Eisbahn! Da zeige ich euch,

Kinder dem ,, Mann mit der Mickymaus" lauschen...

wie man Achter fahren lernt, und zum Schluß machen wir eine Schneeballschlacht!"

Vorsichtiges Händeflatschen und gedämpfter Jubel um sie her war die Antwort.

Nach dem ersten Läuten, dem Zeichen der Beendigung der Pause, wurde rasch das Papier aufgehoben, das einige unordentliche Elemente trotz der Ermahnungen, die von Zeit zu Zeit durch die Klassen geschickt und vorgelesen wurden, auf den Boden geworfen hatten, dann ging es im Gänsemarsch zurück in die Klassenzimmer.

Auch Germaine stieg inmitten ihrer Schar die Treppe zum dritten Stodwert empor, in tiefster Stille und muster­hafter Ordnung. Höflich knicksend, respektvoll grüßend, ging man an dem Direktor vorüber, der am Geländer lehnte und den Gruß freundlich erwiderte.

Ich muß Ihrer Klasse wirklich ein Lob für ihr Be­nehmen aussprechen, Fräulein Doktor Loriot", sagte er so laut, daß die jungen Mädchen es hören fonnten. Auch in den fleinen Pausen, im Schulzimmer immer sind sie ruhig und gesittet. Und doch behandeln Sie die Kinder anscheinend gar nicht streng, wie?" fügte er hinzu, während die letzten der Klasse in ihr Schulzimmer gingen und leise die Tür schloffen.

,, Manchmal ist es leider nötig, auch Strenge anzuwenden, Herr Direktor", erwiderte Germaine mit ernstem Lehre­rinnengesicht. Zum Beispiel heute in der Pause- sie wollten zu gern herumtollen und sich mit Schneeballen werfen, anstatt zu promenieren da mußte ich leider energisch eingreifen. Aber sonst versuche ich stets, alles mit Güte zu erreichen, soweit es nur irgend möglich ist."

Ja, das habe ich schon von verschiedenen Seiten gehört". erwiderte der Direktor. Auch der Elternbeirat betont immer, daß Sie sehr zeitgemäß unterrichten. Um so mehr freue ich mich über Ihre straffe Disziplin!"

Es läutete zum zweitenmal, das Zeichen zum Beginn der Stunden.

Eilig wollte sich Germaine entfernen. Aber der Vor­gefeßte hielt sie zurück.

,, Nur nicht zu eifrig, Fräulein Loriot", sagte er lächelnd, ich habe noch was für Sie! Sie wissen, wir haben einen Fonds an englischem Geld für unser Kollegium, der jedes Jahr eine bestimmte Summe für eine Reise nach London  und Orford auswirft. Ich werde vorschlagen, daß Sie als erste nach dem Krieg in diesem Jahr hinüberfahren es ist Ihnen doch recht?" Germaine sah ihn ungläubig und überrascht an. den Ferien nach England- ich? Aber das ist ja überhaupt

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In

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Donnerstag, 17. Dezember 1931.

F

durch den Abbau der Löhne und Gehälter bei den Arbeitern und Angestellten, der nach der Notverordnung 10 Proz. beträgt. Wie schwer dieser neue Lohnabbou den einzelnen Arbeitnehmer der BVG. trifft, mag die Tatsache zeigen, daß die Lohnsenkung zum Beispiel bei den Straßenbahnern im Durchschnitt 12 Pf. pro Stunde ausmacht. Der Aufsichtsrat verknüpft mit dem Borschlag der Tariffenkung den Antrag an den Reichsfinanzminister, die Be­förderungssteuer zukünftig der Stadt gänzlich zu erlassen. Die verbilligung einfach undurchführbar ist. Die Verbilligung Niederschlagung der Steuer muß erfolgen, weil sonst die Verkehrs­wird zweifellos von der berufstätigen Bevölkerung lebhaft begrüßt werden. Dabei wird die Herabschung des Preises für den Um steige fahrschein, der zufünftig bei Straßenbahn und U- Bahn 25 Pf. foftet, vielleicht eine noch größere Rolle spielen als die Senfung des Preises für den Einzelfahrschein, der ja durch die Einführung der Sammelkarte schon bei dem jetzigen Tarif­system praktisch auf 20 Pf. herabgedrückt war. Die Sammelfarte wird zukünftig 95 Pf. tosten und, wie bisher, zu fünf Fahrten berechtigen. Diese so schnell populär gewordene Karte wird zu­Berbilligung um 1 Bf. pro Fahrt bedeutet, während man bisher fünftig nur noch wenig verlangt werden, weil sie nur noch eine 5 Pf. pro Fahrt sparen konnte. Mit der Preissenkung ist die enip­findliche Berteuerung wieder aus der Welt geschafft, die die Tariferhöhung der Berliner   Bevölkerung am 1. September brachte. Erfreulich ist auch, daß der Preis für den Umsteiger zur Reichsbahn, der bisher mit 40 Pf. besonders hoch bezahlt werden mußte, um 5 Pf. heruntergesetzt worden ist.

Doch Calmette- Verwechslung?

Todesbazillen aus der Berliner   Charité.

Lubed, 16. Dezember.( Eigenbericht.)

3m Calmette- Prozeß machte der Sachverständige, Profeffor Ludwig Lange   vom Reichsgefundheitsamt Berlin, am Mittwoch die sensationelle mitteilung, daß es ihm gelungen sei, den Kieler Stamm in den Züchtigungen aus dem Material der Lübecker   Kinder zu identifizieren. Seine technische Assistentin habe ihm schon vor einiger Zeit auf besondere Merkmale, die sich beim Kieler Stamm beobachtet habe, hingewiesen. Die aus den Lübeder Säuglingen isolierten Tuberfelbazillen- Kulturen hätten auffallend ähnliche Mert­male gezeigt.

Durch die Untersuchung Professor Ludwig Langes soll der Beweis erbracht sein, daß die aus Kiel   bezogenen menschlichen Tuberkelbazillen durch Verwechslung in den in Lübeck   ver­abreichten Impfstoff gelangt sein müssen. Die Feststellungen Pro feffor Ludwig Langes wurden von Professor Hahn be= stätigt, der auf Grund eigener Untersuchungen zu dem gleichen Ergebnis gelangt sein will. Auch Professor Bruno Lange äußerte sich in dem gleichen Sinne und erklärte: Die einzige pathogene Tuberkelbazillen- Kultur, die zur Zeit der Impfung im Lübecker  Laboratorium vorhanden war, stammt aus der Charité in Berlin   und ist von Beginn ihrer Züchtung an bis heute im Institut Robert Koch   sehr genau untersucht worden. Dieser vom Institut Robert Koch   seinerzeit nach Kiel   und von hier aus nach Lübec abgegebene Tuberfelbazillen- Stamm zeigt sowohl hinsichtli feines Wachstums auf tünstlicher Kultur wie auch hinsichtlich seines Verhaltens im Tierförper eine auffallende Aehnlichkeit mit den aus Lübeder Säuglingen isolierten Tuberkelbazillen- Kulturen.

Der Reisegutschein als Geschenk.

Die Reichsbahn hat in Verbindung mit dem Mitteleuropäischen Reisebüro eine neue Idee durchgeführt: Man fann jetzt einen Reife­gutschein schenken, der innerhalb eines Jahres für jede beliebige Reise von jedem MER- Reisebüro( bzw. MER­Bertretung) in Zahlung genommen wird. Nicht nur in den Reise­büros, sondern auch von den Fahrkartenausgaben der größeren Bahnhöfe werden diese Reisegutscheine ausgegeben.

das herrlichste, was ich mir denken kann! Ich weiß gar nicht, was ich sagen und wie ich Ihnen danken soll..

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,, Danten   Sie lieber unserem Stifter, daß er das Geld auf der englischen Bank und nicht in Deutschland   angelegt hat sonst wäre es längst entwertet und Ihre Englandreise wäre nie zustande gekommen! Allerdings ich weiß nicht, wie die Stimmung jetzt drüben ist sie soll immer noch sehr gehäffig gegen Deutschland   sein. Aber Sie als junge Dame haben wohl nicht zu fürchten, gegen Sie wird man sich hoffentlich gentlemanlife betragen, auch wenn Sie Deutsche  find! Aber nun sagen Sie mir noch rasch: Wie geht es Ihrem Bruder? Ihre Frau Mutter sagte mir neulich, es feien Komplikationen eingetreten

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,, Es hat sich alles gegeben", erwiderte Germaine. Aller­dings hat es sich erheblich verzögert, bis man ihn entlassen fonnte er ist fast ein Vierteljahr in der Klinik... Aber seit 14 Tagen haben wir überraschend gute Nachrichten be­fommen, und wir erwarten ihn heute oder morgen gesund zurüd. Es ist ein großes Glück! Und nun noch diese Freude..

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Der Direktor lachte. Ja, wenns fömmt, denn kömmts to Hopen, sagt schon Friz Reuter,' s ist mit der Freude so wie mit dem Unglück! Aber nun will ich Sie nicht länger Ihrem Unterricht entziehen!"

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12 Uhr. Fertig für heute! Froh lief Germaine die breiten Schultreppen hinab. Da und dort hörte man das taktmäßige Sprechen im Chor, das aus einer schlecht schließenden Tür flang:

,, Sechs mal sechs ist sechsunddreißig, sieben mal sechs ist zweiundvierzig..."

,, Na, jetzt von zwölf bis eins Rechnen, in der letzten Stunde, wo die Kinder müde waren, viel Vergnügen!

Aus dem ersten Stockwert schlug heller, frühender Ge­fang der Kleinen herauf: Winter ade, Scheiden tut weh..

"

Na, das war schon besser, als jetzt Einmaleins zu drillen. Bergnügt lachte Germaine vor sich hin. Am liebsten hätte fie fich auf das Treppengeländer gesetzt und wäre herunter­gerutscht, wie sie es als Kind so oft daheim getan hatte! Sie war so glücklich irgend etwas mußte sie heute anstellen! Aber eine auf dem Treppengeländer herabsausende Lehrerin der Höheren Mädchenschule nein, das gab es einfach nicht, konnte es, durfte es nicht geben, wenn die Gesellschaft, der Staat, die ganze Welt nicht zugrunde gehen sollte! Und dann fehlte bloß noch, daß sich eine dieser Türen öffnete, daß Fräu­lein Bergmann oder Herr Doktor Wendling heraustrat nein, es war einfach nicht auszudenken.( Forts. folgt.)