Jtr. 589• 48. Jahrgang
2. Beilage des Vorwärts
Donnerstag, 47. Dezember 4934
Am stärksten profittert die Landwirtschast. Hier gibt es mehr als 20 Prozent Kostensenkung und überhaupt kein Preisopser.
We Wirtschaftszweig«, alle Schichten will die neue Not- Verordnung zu Opfern anhalten. Nur ein Wirtschaftszweig wird von dem Opfergang ausgenommen, die Land- Wirtschaft. Die Landwirtschaft erhält nur fette Brocken. Bor allem die Zmssenkung. Di« Zinsen sämtlicher f) y p o- t h e k e n und Forderungen, die länger als ein Jahr lausen, werden auf 6 Proz. herabgesetzt, wenn sie 6 bis 8 Prvz. betragen: liegen sie zwischen 8 und 12 Proz., so werden sie im gleichen Verhältnis gesenkt, und überschreiten sie 12 Proz., so wird dieser Teil der Zinsen sogar halbiert. Außerdem werden die Aufwertungsschulden, soweit der Zinsfuß S Proz. übersteigt, um 1 Proz. gesenkt. Für eine 8prozentige Hypothek z. B. braucht die Landwirtschaft also nur noch 6 Proz. Zinsen zu zahlen, für eine lyprozentige Grundschuld IX Proz., während für ein bisher mit 13 Proz. zu verzinsendes Darlehen nur noch 10 H Proz. gezahlt zu werden brauchen. Hinzu kommt noch ein Ä ü n d l g u n g s sch u tz. Die Laufzeit der Darlehen, selbst wenn sie schon gekündigt sind, verlängert sich automatisch bis End« September 1932. Durch die Zinsherabsehung erhält die Landwirtschaft ein Geschenk von 200 bis 250 Millionen Mark. Dieser Eingriff in die Schuldverträge, an dem natürlich von den ewig unersättlichen Landbundagitatoren bemängelt wird, daß nicht auch noch die Wechselschulden mit in die Zinsherabsetzung einbe- zogen sind, ist von der Landwirtschaft mit viel Behagen aus- genommen worden: Zinsen zahlen war immer eine der unbe- liebtesten Beschäftigungen. Ob aber diesem Behagen nicht bald ein Katzenjammer folgen wird, ist abzuwarten. Mindestens in der nächsten Zeit wird der Kreditzufluß in die Landwirtschaft noch viel spärlicher fließen als bisher, weil kein Kapitalgeber Lust hat, dos Risiko einer Zinssenkung auf sich zu nehmen. Die ein- sichtigen Kreise der Landwirtschaft stehen schon jetzt der Nower- ordnung sehr skeptisch gegenüber, die die letzte Oschilfe noch vertieft. Die Ausdehnung der Osthilfe mit ihrer noch viel rigoroseren Zinssenkung und Kapitalzusammenlegung gegen die Gläubiger, ist zwar zum Nutzen der westdeutschen Landwirtschaft nicht vorge- nommen worden, obwohl es die agrarischen Führer in Berkcnnung der schlimmen Folgen für die noch kreditfähigen Betriebe verlangt hatten. Aber dennoch ist durch die Notverordnung ein Boll- streckungsschutz für die gesamte deutsche Land- Wirtschaft wie für den städtischen Grundbesitz geschaffen worden. Liegt bei der Zwangsversteigerung das höchste Gebot unter sieben Zehntel des geschätzten Grundstückswertes, so kann ein Gläubiger, dessen Forderungen hierdurch nicht befriedigt werden, den Zuschlag untersagen. Aber jeder landwirtschaftliche Schuldner kann auch ein Moratorium bis Ende September 1 9 3 2 beantragen, wenn er infolge der allgemeinen Lage seinen Dcrpflichtungen nicht mehr nachkommen kann. Der Unterschied zur O st Hilfe besteht also darin, daß bei dieser mit dem Sichcrungsverfahren gleichzeitig eine Neuregelung der Schulden vorgenommen wird, während durch die Notver- ordnung ein Moratorium allein verkündet werden kann. Auch wird bei der Zwangsverwaltung der schuldnerische Landwirt selber als Zwangsverwalter eingesetzt, während bei der Oschilfe nur ein nicht unmittelbar an dem verschuldeten Betrieb Interessierter mit der Zwangsverwaltung beauftragt werden kann. Eine eingreifende Aenderung ist auch aus dem Gebiet der Zwangsvollstreckung beweglicher Gegenstände vorgenommen. Diese konnten bisher nur dann nicht gepfändet werden, wenn sie zur Fortführung des Betriebes uninittelfwr benötigt wurden. Jetzt können auch Vorräte oder Biehbcitände durch Zwangsvollstreckung dem fchuttmerifchen Landwirt nicht mehr entzogen werden, sobald die Gewähr besteht, daß der Landwirt den Erlös aus Lorräten und Tieren zur ordnungsmäßigen Fortführung der Wirtschaft verwendet. Die Pfändung einzelner Tiere z. B. ist zwar, besonders für den kleineren Landwirt, in vielen Fällen eine unbillige Härte gewesen, zumal oft der Scbulbbetraa in aar keinem Verhältnis zum Wert des gepfändeten Objekts stand, ober ein generelles pfändungsoerbot macht nun den Gläubiger völlig rechtlos. Es hairdelt sich in der Tat um ein generelles Pfändungsverbot. da eine Kontrolle über die Verwendung der Erlöse praktisch gar nicht durchzuführen ist. Auch aus der Ermäßigung der Krankenversicherung s- beitrage und der Stsuerverzugszinfen, nach deren Ein- führung plötzlich viele Landwirte ihre an sich schon lächerlich ge- ringen Steuern plötzlich viel pünktlicher bezahlen konnten als vorher, ziehen die landwirtschaftlichen Unternehmer ihren Vorteil. Doo der Erhöhung der Umsohsleuer werden, um nach allem Brauch wieder einmal die Getreide bauenden Großagrarier zu bevorzugen, die Umsähe an Getreide. Bichl und Bröl aus- genommen. Natürlich wird auch an der allgemeinen Preissenkung pro- fitiert, da ein Teil ihrer Produktionsmittel, z. B. Kohle und Kunstdünger, kartellgebundene Preise hat. Von der Landwirtschaft wird erwartet, daß die Preissenkung in Verbindung mit der Fracht- senkung eine Verbilligung der landwirtschaft-
lichen Betriebsmittel von 10 bis 13 Proz. zur Folge haben wird. Daß auch die Lohnsenkung das Unkostenkonto der landwirtschaftlichen Unternehmer herabdrücken wird, ist selbst- verständlich. Hier wird es die Aufgabe der Gewerkschaften und der Sozialdemokratie sein, daß die Lohnregelung sich gleichmäßig auf Bar- und S a ch l ö h n e verteilt. Man wird nicht zu hoch greifen, wenn man die Senkung der Unkosten der Landwirtschaft durch die neue Botverordnung auf 20 Proz. schätzt, wobei die Zinsverbilligung noch uicht mit- gerechnet ist. Trotz dieser bedeutenden Senkung der Produk- tionskosten steht in der Botverordnung kein Wort über den Abbau der überhöhten agrarischen Preise. Im Gegenteil, einige Tage nach Veröffentlichung der Not- Verordnung schreibt Schiele an die chri st lichen Bauernverein«, daß die Reichsregierung im Jnteresie der bäuerlichen Veredlungswirtschaft beschleunigt wirksame Gegenmah« nahmen treffen wird, die sich aus dem Vorgehen anderer Länder auf dem Gebiet der Währung und der Devisenbewirtschaftung er- geben. Diese Erklärung ist besonders gegen Dänemark gerichtet, das unter dem Schutz seiner abgesunkenen Währung einen Druck auf die norddeutschen Märkte ausübt. Die alte Leier. Erst heißt es Schutz vor Dumpingeinfuhr, und dann kommt unvcrhülltefter Protektionismus und Preis- treiberei heraus. Gewiß st ehe n die Preise für Ver- edlun gsprodu kte niedriger als die Getreide» preise, ober dieses Mißverhältnis darf nur durch eine Senkung der G e t r e i d e p r e i s e und nicht durch Erhöhung der Butterpreise geändert werden, wenn man nicht den rückläufigen Konsum noch mehr drosseln will und damit das Gegenteil von dem streicht, was man erreichen möchte. Schließlich steht diese einseitige hochhaltung der Agrarpreise im inneren Gegensatz zu der Grundtendenz der Botverordnung, durch die der deutschen Wirtschast die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Ländern erhalten werden soll, die durch Abkehr vom Gold sich Exporterleichterungen geschassen haben. Die Reichsregierung will mit Hilfe der Senkung der Kar- tellpreise, der Zinsen und Löhne die deutschen Produktionskosten vermindern, um einen Ausgleich gegenüber den Exportländern zu schaffen, deren Währung vom Goldstandard gelöst ist. Wenn man diesem Plan auch entgegenhalten muh, daß währungsverschlechte- rungen in einem Lande nicht durch Senkung der Preise in einem andern Lande ausgeglichen werden können, so muß man doch zu- geben, daß in ihm eine Idee enthalten ist. Diese Idee muß ober dann auch st r i k t durchgeführt werden und darf nicht vor Preisen einzelner Wirtschaslsgruppea haltmachen. Mit der Feststellung, daß die agrarischen Preise unter dem allgemeinen deutschen Warenpreisoiveau liegen, ist nichts geholfen. Denn die deutschen Lebenshaltungskosten liegen immer noch über den Lebenshaltungskosten der Länder, mit denen Deutschland in Exportkonkurrenz steht. Es ist auch ein Irrtum, anzunehmen, daß eine der verordoeten Lohnsenkung entsprechende Senkung der Bahrungsmittelpreise allein durch die Verringerung der Handelsspanne vorgenommen werden kann. Blit diesem Mittel können nur kleine Korrekturen der Preisgestaltung erfolgen. Da eine Lohnsenkung ohne Herabsetzung der Lebenshaltungskosten, die bei der jetzigen gedrückten Lage der Arbeiter. Angestellten und Beamten durch die Bahrungsmittelpreise im Durchschnitt mindestens zu 50 Proz. beeinflußt werden, auf die Dauer unmöglich ist, muß also, wenn der Plan der Reichsregierung durchgeführt werden soll, die Unantastbarkeit der Agrarpreise aufgehoben werden. Schieles Zollerhöhungspolitik. Wettbewerb um die Gunst der Landwirtschaft. Schlange-Schöningen hat durch seine Osthilfe zwar nicht die Gunst der einsichtigen Landwirte erlangt, die schon erkannt haben, daß durch die Kapital- und Zinskonoersionen jede weiter« Kreditgewährung unmöglich gemacht wird, aber sich doch eine ge- wisse Popularität bei der großen Masse der Landwirte gesichert. Dieser Ruhm läßt seinen Konkurrenten in der Reichsregierung Schiele nicht schlafen. Er verkündet, daß nunmehr durchgreifende Mahnahmen getroffen werden sollen, um den Auslandseinfuhren an Veredelungsprodukten entgegenzutreten. Daß dabei die Preis- senkungsabsicht der Notverordnung sabotiert wird, scheint nicht wichtig. Im Mittelpunkt steht natürlich der B u t t e r z o l l. Ein Nutzen von der Erhöhung des Butterzolls hat selbstverständlich, wie wir bereits an anderer Stelle bemerkten, die Landwirtschaft nicht, denn jede Erhöhung der Butterpreise führt unweigerlich zu einem A b- satzrückgang. Immerhin handelt es sich hier erst um Ver- sprechungen. Dagegen hat die Reichsregierung bereits für die s ü d d e u t- schen Gerstebauern eine neue Stützungsaktion eingeleitet. Die Gerstepreise sind durch den Rückgang des Bier- konfums und der damit verbundenen Schrumpfung des Braugerste- absatzes verhältnismäßig niedrig. Deshalb ist verordnet, daß in- ländische Gerste in die bisher nur für Kartoffelflocken bestehende
Kombination für die Einfuhr von ausländischer Gerste mit einbezogen wird. Der Landwirt, der einen Zentner Inlands- gerste zur Viehfütterung bezieht, kann zum Zollsatz von 4 Mark je Doppelzentner zwei Zentner Auslandsgerste einführen. Um Miß- bräuche zu verhindern, wird der Bezug inländischer Gerste durch die Getreidehandels-Gesellschaft zentral geregelt. Gleichzeitig wird eine Frachtverbilligung speziell für Süddeutschland eingeführt. Abnahme- und Verkaufspreise werden noch festgesetzt. Wenn auch gegen die Verkoppelung der Einfuhr ausländischer Gerste mit dem Bezug deutscher Gerste nichtq eingewandt werden kann, so darf hierdurch nur der mengenmäßige Absatz gesichert, nicht aber dürfen die Preise so hoch festgesetzt werden, daß eine Preissteigerung auf dem Futtergetreidemarkt eintritt. Vielmehr muß im Rahmen der Preissenkungsaktion die m ö g l i ch st e Verbilligung des Futtergetreides erstrebt werden.
Tarifabbau der Reichsbahn. Keine Senkung für den allgemeinen Personenverkehr. Di« Verwallung der Deutschen Reichsbahn veröffent- licht jetzt die Tarifsenkungen, die von ihr im Anschluß an die Not- Verordnung der Reichsregierung vom 8. Dezember vorgenommen werden. Die Tarifsenkungen betragen insgesamt 300 Millionen Mark. Etwa zwei Drittel des Einnahmeausfalls wird durch die Ersparnisse an Personalkosten gedeckt. Außerdem wird die Reichsbahn auch in großem Umfange Nutznießer der Preis- fenkungen bei Kohle, Eisen und bei Baustoffen sein, so daß der Abbau der Gütertarif« die Finanzen der Reichsbahn nicht belasten wird. Die neue Tarisermäßigung sieht keine schematische Senkung sämtlicher Tarife vor, sondern oersucht, durch ver- schiedene Tarifsenkungen innerhalb der einzelnen Frachtenklasicn wieder«in gesundes Gleichgewicht zwischen den ein- zelnen Gliedern des Tarifsystems herzustellen. So werden durch die vorgesehenen Mahnahmen besonders krasie Mißverhältnisse, wie sie in der Frachtspanne zwischen den Slückguttarisen und den Tarifen der hochwertigen Waggon- ladungen bestanden, ausgeglichen. Unter Berücksichtigung der Teilreform der Reichsbahntarife vom 1. November dieses Jahres, in der die Tarife der oberen Wagen- ladungsklassea und sämtlicher Nebenklassen des Normaltarifes durch- geführt wurden, ergeben die Tarifsenkungen der Reichsbahn vorn Oktober bis Dezember 1931 folgendes Bild: 1. Die Tarifsätze für Wagenladungsklassen sind bis zu einem Höchstsatz von 26,3 Proz. herabgesetzt. 2. Die Stückguttarife werden um 13 Proz. ermäßigt. 3. Der allgemeine Kohlenausnahmetarif wird»m 12 Proz. ermäßigt. 4. Eine Reihe von Ausnahmetarifen, besonders für Holz und für den Export wird gesenkt. * 5. Neue Ausnahmetarif« sind eingeführt worden. 6. Der Expreßguttarif ist um 13 Proz. herabgesetzt. 7. Die Gebühren für Prioatgleisanschlllsse sind um 10 Proz. ermäßigt. Die Gesamtermäßigung im Normaltarif gegenüber dem Stand vom November beträgt bei Stückgutklasscn l bis III 15 Proz., bei Wagenladungsklassen A 5 Proz., B bis E 14 Proz., F 10 Pro;. und G 5 Proz. Den wesentlichsten Posten bei den Tarifsenkungen bildet die Ermäßigung der Sählensrachlen. Hier beträgt die Frachtersparnis 83 Millionen Mark. Der ollgc- meine Kohstnausnahmetarif wird um durchschnittlich 12 Proz. gesenkt. Auf Grund dieser Tarifsenkungen wird nach den Angaben der Reichsbahn der Transport einer Tonne Kohle von Gelsenkirchcn nach Berlin von 14,10 auf 11,90 Mark, also um 2,20 Mark verbilligt, der Transport einer Tonne Kohle von Gleiwitz nach Berlin von 14 auf 10,20 Mark, also um 3,80 M. gesenkt. Auch die Holzfrachten sind bei der Tarifermäßigung mit an erster Stelle begünstigt. Die Fracht wird nicht nur im Normaltarif, sondern auch in den bereits bestehenden Ausnahmetarifen ermäßigt. Für die Landwirtschaft ist wichtig, daß nicht nur die Tier- frachten, sondern auch die Tarife für Getreide und Mehl um 14 Proz. abgebaut werden. Die 5- und 10-Tonnen-Sendungen für Düngemittel werden gleichfalls verbilligt. Die Tarifrefornr, die die Reichsbahn im Interesse einer spür- baren Kostensenkung durchgeführt hat, ist zu begrüßen. Auch an der Methode der Reform, besonders scharfe Mißverhältnisse zwischen den einzelnen Tarifklassen zu beseitigen, wird, von Einzelheiten ab gesehen, wenig auszusetzen sein. So verständlich es aber auch erscheinen mag, daß die Verwaltung der Reichsbahn sich aus die Ver billigung der Güterfrachten beschränkt hat, so unhaltbar ist bei dein anhaltenden Lahn - und Gehaltsabbau die Aufrechterho! tung der gegenwärtigen Personen tarife. Noch der ckduen Abbauwelle ist es der Masse des Publikums einfach unmög lich, zu den Jahresferien noch größer« Reisen zu machen. Hier
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Die Fest-Cigareite
des Berliners