3>ierre JCorrenl: JßOVI
Cort rollk die äugen. Ueberdaupt war er seit einigen Tagen schoik nervös und gereizt. Niemand durfte ihm nahe kommen, und selbst der dicke Emil fand keine Gnade vor seinen Augen. „Rin in die Bude!— Der Suff und die Liebe!"' Schnarrend flogen diese abgehackten Satze in die schwüle Atmosphäre des „Grünen Anker". .„Zum erstenmal heute, daß det Lieh wieder die Schnute uff- kriegt!" ineinte befriedigt der dick« Emil und trat zu Lori hin. Er Hab ihn von der Stange herab, nahm ihn auf den Arm und küßte seine bunten Feder». Bor vier Iahren hatte«in Matrose eines brasilianischen Reis- dampfers dem Emil Bodenftam, Wirt des„Grünen Anker", gegen drei Flaschen Whist» einen Papagei verkauft. Damals sprach Lori unverständliches Zeug. Doch bald hatte er die Begrüßungsworte seines Herrn gelernt und dessen Begrüßnngsrolle gegenüber den Gästen übernommen. Seit einigen Togen nun war Lori still ge- worden. Er sträubte die Federn, litt an Magenverstimmung, hackte nach jedem, der ihm nahe kam, verkroch sich in die finsterste Ecke und verschmähte es sogar, am Sherry zu nippen. Sonst war Lori durch- ous kein Verächter dieser edlen Flüssigkeit. Tags darauf war der dicke Emil ebenfalls krank.„Det Ieschäft liegt mir im Magen!" rülpste er. Lori saß auf seiner Schulter und sroß Mandolis von seinen Lippen. Als er wieder die Federn sträubte, meinte der dicke Emil:„Sind wir beed« mal alte Scharteken je- worden! Werden uns mal in die Klappe lejen!" Ilnd tatsächlich: der dicke Emil legte sich ins Bett, und achtund- vierzig Stunden später war er tot. Er hatte die ganz« Zeit hin- durch phantasiert, van einer Negerin aus dem Kongo geschwärmt und den Ausstand auf Borueo miedererlebt. Lori saß am Bett- ronde und wandte kein Auge van seinem sterbenden Herrn. Als man den Taten in seinem Bette fand, schrie Lori begeistert:„Rin in die Bude!... Der Suff und die Liebe!" » „Ilnd was sagst du dazu, Kamerad?" „Jeder Schuß ein Ruß!... Nur fest« druff!" war die Antwort. „Bravo . Kamerad!" meinte der General und las weiter ver- gnügt die Zeitung. Lori saß auf einer vergoldeten Stange und blinzelt« durch die Scheiben dem erwachenden Frühling entgegen. Er fühlte sich ganz behaglich in diesem komfortablen und luxuriösen Raum. Rur das chinesische Teeservic« konnte er nicht leiden. War er unbeobachtet, dann kletterte er auf den Serviertisch und warf die Schalen herunter. Sechs waren schon in Scherben gegangen. Der General lachte dazu. Di« Gencralin war empört. Lori konnte sie überhaupt nicht leiden und schrie ihr immer entgegen:„Rin in die Bude!... Der Suff und die Liebe!" Der General lacht« dann unbändig, und die Generalin erklärte, dies Vieh sei nicht stubenrein. „Aber dach immerhin Patriot! An den reicht die Republik nicht ran!" Und der Generol erzählte Lori von den Kaisermanövern, mit welchen Worten er seiner Majestät gemeldet habe, und wie schnöde man sie alle verraten und zum Teufel gejagt habe.„Ne undankbar« Bande! Alles Bagage heute!" Lori antwortete nicht darauf, als habe er das Sprüchlein mit den Russen vergessen. Der Generol sah erstaunt zu ihm herüber. „Bist du krank, Kamerad?" ■rs zHpn gab auch darauf kein« Antwort, sondern sträubt« hs- .Federn, Der General nahm den Vogel liebevoll- und voll Sorgfalt in die Arme. Abends legte er sich zu Bett. Sechs Tage später standen Offiziere in alten Uniformen am Gange, und ehemalige Kameraden trugen den Sarg die Treppe hinab. Lori schrie im Salon „Jeder Schuß ein Ruß!... Nur feste druff!" Als der Diener der Zigarrenkiste seines nerstorbenen Herrn eine Zigarre entnahm, gab Lori sein« Zustimmung:„Nnr immer mal ran da!... Nur immer mal ran da!" » Es mar ein nebliger Herbstabend. Die Orchestrions der Schau- buden vermengten sich zu den disharmonischsten Akkorden. Das Publikum ging gelangweilt weiter, und die Ausrufer suchten sich durch Ueberschreien zu überbieten, um die Schaulust der Besucher zu reizen, zu steigern. „Heut geht ka G'schäft! Schrei, Lori! Besser! Lauterl" Lori wollte nicht. Er sträubte die Federn. „Ihm ist kalt!" ineinte eine Frau, die vorbeiging. Lori fühlte sich bewogen, die schnarrende Stimme zu erheben:„Kommens her, schöne Frau, junger Herr." Die Passanten lachten und ließen sich von Lori ein Glllckslos ziehen. Doch sein Herr, Joses Weinerlich, ein verkrüppelter Artist, der vor seinem Unglücksfall den pompösen Namen Raoul d« Maret
auf die Plakate hatte drucken lassen, war mit Lori heute gar nicht zufrieden.„Das Vieh wird mir auch noch krank? Was mach ich dann?" Lori sträubte die Federn, litt scheinbar an Magenindispositionen und verstummte. Er wollte seine Stimme um keinen Preis mehr hären lasten, und die schönste Dame konnte ihn dazu ebenso wenig bewegen wie der fescheste Herr.
Das Kind und der Bettler vezrmberdälte und vorweihnachtstrubel. vor taghellen Schaufenstern klinderjubel. „Sieh Mutti, den Lochherd, die Puppe hier und diesen Laufladen wünsch« ich mir. Und dann diesen wagen..." va dringt ein Flehen ans lvhr der Menschen, die hastig vorübergehen. „Geben Sie, geben Sie", blagts in den wind. „Und dann will ich noch.. sagt eben das Lind. da steht es den Bettler:„Sieh da ein Mann, der hat ja nicht mal einen Mantel an. ' Triert der denn nicht?"„Frag nicht so dumm." Vach die Meine fragt weiter, wieso und warum das Thriftbind dem Mann keinen Mantel schenkt, und wieso es nur an die Leichen denkt. Und dann will es wissen, warum die Armen betteln müssen. Vie Mutter lenkt ab.„Sieh da. schöne Sachen." Uber die Lleine kann plötzlich nicht mehr lachen und sagt:„Mutti gib du doch dem Mann einen Mantel, den Papa nicht mehr brauchen kann. weißt du. den. der hinten im Schranke hängt." woran so ein Lind doch nicht alles denkt, denkt die Mutter, als fie es oerspricht. va ist«, ihr Plötzlich, als wäre ein Licht angezündet in den Lugen der Meinen. Und auch in den Läden und Auslagen scheinen die Lampe« Heller im Augenblick. als spürten auch ste, daß hier da» Glück den weg in das Herz eines«indes fand. viel tausend stehen am Straßenrand. Ihr« Stimme klagt laut und flehend im wind: venkt an die. die ohne Arbeit find! E r i ch E r i s a r.
ihax Marthel: tBefUCtl YWI OiVetfll
„Propuhk?" fragt« her bowaffnete Posten und senkte das Ge- wehr,„Propußk,' Toroarisch?" Eugen Haueisen zeigte den Ausweis und durfte den ersten Kreml posteil passieren, aber er mußte noch«iitmal das Mandat vorzeigen, oh« er sreie Bahn vor sich hatte und dos Heiligtum der russischen Revolution, den Kreml , betreten durfte. Am Kreml hatten viele Jahrhunderte mitgebaut. Byzantinische Formen stießen mit italienischen und asiatischen Architekturen zusammen und verschmolzen zu einer phantastischen Einheit. Weihe Derionltungsgabäude lehnten sich an großartig« Paläste und sahen kühl aus die Fahrstraßen und lang hingestreckten Plätze. Bor dorn Arsenal aber, vor der Kaserne mit den Pyramiden schwarzer Kanonenkugeln und vor der Riesen- kanone Puschka erhob sich der versteinert« und gleißende Märchen- mald vieler Kirchen imi> Kapellen. Sie funkelten golden, blau, silbern, smaragden und ackern in den stahlblauen Winterhünmel. Der Kreml , diese bewehrte Burg mit den vielen Kasernen, Kirchen und Palästen, erhebt sich von Blauern umgeben und gut bewacht auf dem Hügel des Roten Platzes . Vom höchsten Mauer- türm schlug die vierte Stunde. Dazu klimperte die Melodie der „Internationale"..Haueisen verweilte nicht mehr bei der Riesen- kanone Puschka, er ging nach den Kavalierhäufern. in denen viel« boh« Beamte der Revolution wohnten, und betrot ein Haus. Karl Orloss. von allen rechten Händen Lenins die geschickteste und journa- listisch begabteste, hatte ihn zu einem Besuch eingeladen. Er kannte Orloss noch von Deutschland her. Der dritte Jahrestag der großen Revolution war vorbei und im Schnee verweht. Der Rote Platz hatte von den Taktschritten der siegreichen Armee und Arbeiterklasse gedröhnt. Der Krieg gegen Polen war beciüdet. In der Krim hatten die Truppen den Baron Wrangel mit seinen Soldaten in das Schwarze Meer geworfen. Moskau sehnte sich nach Frieden. Ein Begräbnis kostete im Schleichhandel»0 000 R'tbel. Für ein Ferkel,„flink wie ein Fohlen und jett wie ein tatarisches Madchen", wurden 45 000 Rubel ver«
„Gehn wir z' Haus! Dielleicht wird er g'fund bis morgen!" Und Josef Weinerlich nahm Lori in die Arme, hängte sich die Kiste mit den Glückslosen auf den Rücken und ging in seine kalt« Mansarde. Er hat diese Mansarde niemals mehr lebend verlassen. Beim ersten Schneefall wurde sein Leichnam in ein Massengrab mit großer Geschäftigkeit und ganz ohne Achtung versenkt. -•-.•'•'•••••-■•■ a �...- r � J.... Die Professoren standen Um Lori herum.„Dieser Bogel dürft« von der berüchtigten Papageienkrankheit, befallen worden sein!" dozierte der Chefarzt.„Die Symptome..." „Der Suff und die Liebe!" schrie Lori. Die?lssistenten lachten. „Die Symptome sind bis jetzt noch nicht zur Gänze festgestellt und festgehalten worden, aber..." .„Kommens her, schöne Fran, fescher Herr!" ließ sich Lori nicht beirren. „... und den Erreger konnte man bis jetzt noch nicht finden. Ich hoffe aber, daß es meiner Klinik vorbehalten fein wird, auch diesen wie bereits schon so viele..." „Feste druff!... Jeder Schuß ein Ruß!" Lori war munterer als je zuvor. Als man den Vogel auf den Seziertisch legte, sträubte er die Federn:„Nur immer mal ran da!... Nur immer mal ran dal" Dann fuhr das Messer in seine Kehle. Den Erreger hat man nicht gesunden. Der Professor war sehr verärgert.„Werfen Sie mal das Vieh in die Kiste!" Auf dem Kehrrichtfelde fand ein Kokssammler die bunten Federn und steckte sie sich an den Hut. Er dürste der einzig« gewesen sein, dem die Bekanntschaft mit Lori nicht schlecht be- kommen ist.
langt. Der Arbeiter m den Fabriken verdiente 20 000 Rubel im Bionot. Das Geld war Frktion, war Ehimärc. Am Neujahrstag sollte das Geld überhaupt abgeschafft werden. Wohimng, Licht, Hefzirug und Eisenbahnfahrt sollte den Werttätigen kostenlos zur Verfügung stehen. Jetzt schon lebten die Arbeiter in der Hauptfache vom Pajok, von der Lebensmittelratilm. Es gab keinen Tee, man trank heißes Wasser. Es gab kein elektrisches Licht. Nur auf den Straßen flammten die ersten Bogenlampen wieder auf, bleiche, blosse Monde uahc den winterlichen Strotzen und Plätzen. Di« meisten Woh- nungen waren kalt und verfallen. Sie waren dunkel und überfüllt. Di« Lichtleitungen zerstört, die Wasserleittingen geplatzt: aber es war doch wenigstens Frieden! An der Kapelle der Iberischen Mutter Gottes, sie ist heut« ab- gerissen, drängten sich die alten Weider und Männer. Bettler wimmerten und berührten mit ihren Stirnen die eiskallen Stufen. Aus dem mystischen Dunkel der Kapelle kam dunkel und Nagend die Litanei der eingeschüchterten Popen. Viel« Latte, die an der Ka- pelle vorübergingen, bekreuzigten sich. An der Mauer über der Straße ober hatten die siegreichen Revolutionär««im Inschrift an- bringen lassen:„Religion ist Opium für das Volk." Es gab viele Inschriften und viele Denkmäler in Moskau . Auf den kalten Plätzen standen diese prmntwen Denkmaler aus Holz und Gips und oerherrlichten Helden und Märtyrer der proletarischen Revolution. Der Iubelschrei expressionistischer Gemälde raste sich m mannshohen Plakaten aus und agitierte für die neue Front, für die wirtschaftliche. Auf diesen bunten Bildern sah man erfroren« und verlassene Fabriken, krank« Eisenbohnen und trauernde Ma- schinenparks. Aus den Wäldern kamen riesige Schwärme krächzender Krähen und schwärmten über dem steinernen Meer« der Stadt und über der Mosqua, die in vielen verzückten Kurven durch die Stadt wandelt. Sie schwärmten über den verödeten Boulevards und über
dem Glanz und stumpfen Blau nnb Grün der vielen hundert Kirchen und Kapellen mit den doppellen Kreuzen. Der Winter hatte Me Stadt umkrallt und knallte mit fernen Peitschen. Im Hotel„Delewoi Dwor" und im Hotel„Lux" saßen noch einige Ausländer, die als Delegierte zum zweiten Kongreß der Dritten Internationale erschienen waren.-Auch in den Hotels war es kalt. Die Delegierten wickelten sich in Decken und Mäntel und erhitzten sich in den Diskussionen über Taktik und Sttategi« des Weltaufstandcs. .Haueisen war kein Delegierter. Er war vielmehr Journalist und hatte in den letzten Monaten in großen Reisen das Land durch- streift, feine Berichte nach Berlin geschickt und Deutschland vergessen. Ein« neue Reise sollte ihn mit neuen Kameraden nach dem schwarzen Ural führen. Und nun und jetzt stand er in einem der Kavalier- Häuser des Kreml , ließ sich bei Orloff melden und wurde sofort empfangen. „Setz dich hin. Bursche, gute Tag", sagte Orloff, der Mann mit den krummen Beinen, den haarigen Händen und dem klugen, bösartigen Gesicht,„fetz dich hin und warte, bis ich mit der„Times" fertig bin. Die Downingstrect kann es immer noch mcht erttagen, daß wir leben und lufttg sind. Die Lords leiden an verstapften Winden, das gibt immer schlechte Träume. Wir liegen ihnen zu schwer im Magen!" Haueisen lachte, wie man bei den Witzen eines großen Mannes eben lachen muß, und setzte sich hin. Orloff verzog das groteske Gesicht und las. Manchmal lachte er und zeigte das goldene Gebiß, das er sich damals hatte machen lassen, als er in Berlin , im alten Zuchthaus in der Lehrter Straße als Gefangener faß. Er war da- mals ein Gefangener, doch in feinem Besuchszimmer versammelte sich jeden Tag das geistige Berlin , soweit es mit Moskau fympachi- fierte. Endlich warf der Lesende die Zeitung in die Ecke und sagte: „Na ja, da bsste ja! Du wirst gleich rasiert. Mit Polen war es Scheibe. Ich war immer gegen den verrückten Krieg, aber Lenin, der Alte, er war dafür und wollte olles auf«ine Kart« fetzen. Hot verspielt. Die polnischen Bauern und Arbeiter wollten von uns i gor nicht befreit werden. Sie haben auf uns geschossen, die Teufel, als unsere roten Jungen? auf dem Lande requirieren mußten, weil sie nichts zu fressen hatten. Sie haben uns abgelehnt, sogar mich abgelehnt, als ich mit dem Regicrungszuge kam... Und ihr, was habt ihr damals in Deutschland gemocht, als wir an der Grenze standen?" „Wir haben Munittonstranspotte verhindert, mehr konnte» wir nicht tun, Genosse Orloff. Und wir haben jeden Tag Berfamm- lungen einberufen.. „Ich weiß, ich weiß: ein« Resolutton für die Revolution! D« sieht euch auch ähnlich", spottete Orloff,„ihr seid ja gar keine Kom- j munisten, ihr habt ja überhaupt noch nicht begriffen, um was es - geht, ihr Armleuchter! Wir hätten ruhig krepieren können, und ihr hättet, das weiß ich, wunderschöne Trauerreden gehalten!" Er stand auf und lief mit großen Schritten in dem bücherüber- füllten Arbeitszimmer hin und her, wie er auch damals in Berlin , im alten Zuchchaus in dem kahlen Besuchszimmer hin und her g«> lausen war, wenn er seinen Gästen von der russischen Reooluttmi erzählte. „Im Weltkrieg sind 12 Millionen Menschen gefallen", sagt« er und blieb stehen,„wir haben bis jetzt in den drei Jahren Bürger- krieg wahrscheinlich mehr Opfer verloren als in den drei Iahren Weltkrieg. Erschossen. Zu Tode gemartert. Erfroren. Von den Seuchen dezimiert. Verhungert. Mensch, hobt ihr denn kein Ge- wissen? Hört ihr nicht das große Geröchel? Nein, ihr habt kein Gewissen", begann er zu. toben,„ihr. habt ja auch im Krieg« die Schnauze-gehatten und den Schädel hingeballcu für die Sache eurer Feinde. Schön« Revolutionäre seid ihr, meine Fresse!" Er blieb noch einmal stehen, lief noch einmal wild durch dos große Zimmer und baute sich noch einmal vor dem Gast ans. „Hier auf diesem Stuhl, den du eben so breit anwärmst", er- klärte er,„hat vor einigen Tagen Gorki gesessen. Du bist«in ähnlicher Fall. Aber du darfst nicht größenwahnsinnig werden, Gorki kann viel mehr als du. Ich wollte nur sagen, denn ich Hab dich gern, daß du ebensowenig wie Gorki Kommunist bist!" „Das ist ja allerhand, wirklich, Orloff, ich bin ja schon mit im Spartakusbund gewesen. In den Gefängnissen war ich übrigens auch, und keiner kann sagen, daß ich mich irgendwo gedrückt habe!" „Alles kein Beweis, lieber Jung«, alles kein Beweis. Gorki fragte mich auch warum und wieso.. Ich sagte ihm:„Ich kenne alle Ihre Bücher, teurer Genosse, und wenn man solche Bücher schreibt. wird man kein Bolschewik, die Briefe, die Ihnen Lenin schrieb. stützen meine These. Sie sind Tolstoianer, Gorki". habe ich gesagt, „Mitleid mit aller Kreatur ist in Ihnen." Er zuckte mit den breiten Schultern und machte ein Wolkengesicht, wie du jetzt mit den Schul- tern zuckst und ein umwölktes Gesicht machst!" Orloss lachte. Haueisen fragte: „Schließen sich Kommunismus und Mitleid zu oller Kreatur gegenseitig aus, Towarisch? Das ist ja dann ein schöner Kam- munismus!" Orloff fletschte das goldene Gebiß. „Mitleid ist jetzt konterrevoluttonär", begann er zu knurren, „mit Mitleid macht man keine Revolution. Wir haben mit Ma- schinengewehren gesiegt und nicht mit Mitleid! Erinnere dich, als wir unsere Revolution machten, hat uns Gorki in feiner Zeitung zuerst bekämpft! Leidenschaftlich! Du, mein Junge, nein, du hast uns nicht bekämpft, aber ich kenne ja deine lyrischen Bücher! Du bist erkannt, mein Freund! Wie hast du auf dos Blutgebrüll des Krieges reagiert? Du lagst ja mich mitten in der Scheibe, aber da brauchte nur mal einen Tag Ruhe zu sein, da brauchte nur die Sonne zu scheinen oder ein Piepvogel zu zwitschern, da war der Haueisen selig und schrieb seine Hymnen an die Sonne und an den Frieden! Wir reagierten anders! Lenin schrieb:„Gebt die Wösten nicht ans den Händen! Verwandelt den imperialistischen Krieg in den Krieg gegen die nattonalen Aus- beuter!" Na ja, du bist ein Deutscher," schloß er sein« Erklärung und verzog dos Gesicht zu einer Grimasse,„du bist ein Dichter!" „Was hast du gegen die Dichter? Was hast du gegen die Deustchen?" fragte Haueisen.„Ciitmal schriebst du", fuhr er fort, „daß du immer und immer wieder auf den Flügeln deiner Liebe zu den deutschen Arbeitern zu uns konmicn willst!" „Gut gegeben, gut gebrüllt, Löwe!" lachte Orlost.„aber dein Zitat paßt jetzt nicht her, jedes Zitat ist unpassend, mit Zitaten kann alles bewiesen oder widerlegt werden, deshalb wird ja auch viel zu viel zitiert, Genosse! Aber nun verblühe. Towarisch," schloß er un° vermittelt, wie es feine Art war,„Ixiuc ob. ich habe Arbeit und muß mit der blöden„Times" fertig werden," er lächelte,„wie wir später einmal mit dem cid nierrv England fertig werden müsse». England ist unser Hauptseind!" Er lachte laut und endete grotesk: „Gott strafe England!" Haueisen war enttassen und ging noch dem Hotel. Es war schon dunkel. Schnee fiel und durch das wirbelnde Tuch des Schneofalls dunkelten gespensterhaft die Kirchen, Paläste und Zinnen der Kreml - mauer. lind der krummbeinige Jude Orlost aus Galizien , der schlecht deutsch , schlecht polnisch und schlecht russisch sprach»iid trotzdem ein hinreißender Redner und Journalist war. saß wieder über der „Times", klopfte die Bruchstellen des britischen Änperialisimis ab und hüllte sich und dos Arbbitsgimmer in blouen Tabakrauch.