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BERLIN  Freitag 18. Dezember

1931

Der Abend

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B 296 48. Jahrgang

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Borsig stellt Zahlungen ein

Aber für Berlin   noch Beschäftigung bis Februar

Die Firma A. Borsig G. m. b. S. in Berlin­Tegel hat ihre Zahlungen eingestellt. Dieser Beschluß des Borsig- Vorstandes muß bei der Vedeutung, die die Borsigwerke für Berlin   haben, größtes Aufsehen erregen.

Wie wir hierzu von der Verwaltung erfahren, hat sich die Situation bei Borsig in den letzten Monaten durch Verluste einer Tochtergesellschaft sowie eigene Verluste bei der Abwicklung von Forderungen im Zusammenhang mit dem ständigen Auftragsrückgang in den letzten Monaten außerordentlich verschärft.

Trotz alledem beträgt der gegenwärtige Auftrags­bestand bei Borsig in Tegel   noch rund 12 Millionen Mark, von denen allerdings Aufträge in Höhe von 7 Mil. fionen Mark bereits durch die Fabrikation laufen. Der noch nicht in Angriff genommene Auftragsbestand gibt den Tegeler Werken, die zur Zeit noch eine Beleg. schaft von 3700 Mann beschäftigen, Arbeitsmög lichkeit bis Ende Februar

auf:

Der Borsig- Konzern.

Wie wir weiter erfahren, betrifft die Zahlungseinstellung nur die A. Borsig Gmbh. Tegel   und nicht die übrigen Borfig Berte. Der Borsig- Konzern baut sich folgendermaßen Das Spienunternehmen ist die Borsig offene Handelsgesellschaft, deren Inhaber die Herren Ernst und Kon. rad von Borsig sind. Diese Gesellschaft befizt sämtliche Aktien der Borsig- Werke AG.   in Oberschlesien  , ferner sämtliche

Anteile der A. Borsig GmbH. Tegel   sowie die 40 Prozent An­teile der Borsig Lokomotivwerke, von denen 60 Prozent der AEG.

gehören.

Die Zahlungseinstellung bei Borsig ist, wie uns von der Ver­waltung erflärt wird, erfolgt, nachdem private

Berhandlungen mit den Gläubigern ergebnislos verlaufen sind. Die Passiven übersteigen das Einlagefapital, das bei dem Tegeler Unternehmen 10 Millionen beträgt. Das Reich, das im Sommer 1931 Borsig 1,2 millionen Mark als Subvention gegeben hat diese Subvention ging vom Finanz- und nicht vom Reichswehrminifterium aus, wird also von der Zahlungs. einstellung gleichfalls in Mitleidenschaft gezogen.

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Die für die Belegschaft entscheidende Frage ist, ob das Tegeler Wert in Betrieb bleibt. Die Verwaltung hat vor­forglich Stillegungsantrag gestellt, hofft jedoch bei den Sanierungs­verhandlungen und bei der Festsetzung der Vergleichsquote einen Status zu erzielen, der ein Weiterführen des Betriebes ermöglicht.

Dies ist allerdings im wesentlichen von dem weiteren Auftrags

eingang abhängig.

Wie das Werk wurde.

3ahlungseinstellung von Borsig! Es gibt keinen Berliner  , der eine solche Nachricht ohne Bewegung vernimmt! Berlin   ist die größte Industriestadt Europas  , Borsig aber war in dieser Stadt eines der größten und angesehenſten Werke. Fast seit einem Jahrhundert ist die Wirtschaftsgeschichte Berlins   mit ihm eng

verbunden.

Im Jahre 1837 gründete der ehemalige Zimmerergeselle August Borsig  , der damals 33 Jahre alt war, seine Eisen­gießerei und Maschinenbauanstalt am Oranienburger Tor. August Borsig   war Schüler des von Beuth gegründeten Gewerbeinftituts gewesen und in rascher Laufbahn in der Eisengießerei Woderb und Egells zum Betriebsleiter aufgerückt. Nun gründete er eine, fleine Fabrik, in der zunächst Gußstücke aller Art, wie Treppengeländer, Gitter usw. hergestellt wurden. Damals war aber das Eisenbahn­wesen im Aufblühen, und der junge Borsig erkannte sehr bald seine ungeheure geschäftliche Bedeutung. 1841 lieferte er seine erste Lofo­motive an die Berlin  - Anhalter Bahn. Von da ab deckte Borsig viele Jahre hindurch den größten Teil des Lokomotivbedarfs der Preußischen Staatseisenbahnen  . 1853 begann er auch mit seinen Lieferungen an das Ausland, und im Jahre 1854 fonnte die Firma die Ablieferung der 500. Lokomotive feiern; fie beschäftigte schon damals nicht weniger 1850 Arbeiter und Angestellte, was für die damalige Zeit eine ganz ungeheure Ausdehnung bedeutete.

August von Borsig   starb 1854 noch nicht 50 Jahre alt. Sein Sohn Albert faufte in Oberschlesien   eigene Kohlenfelder zur Ber­

England für Schuldenstreichung

Gegen halbe Maßnahmen- England erklärt, Deutschlands   Zahlungen an Reparationen getragen zu haben

London  , 18. Dezember.

Der Pariser Korrespondent der Times" glaubt über den In halt der britischen   Antwortnote auf die französische   Reparations denfschrift mitteilen zu können, daß die Note über die Reparationen und Kriegsschulden als die Hauptursache der jetzigen Weltwirtschafts­frisis darstellt. Der Korrespondent will wissen, daß die britische  Regierung in der Note die Auffassung vertrete, die Beseitigung oder Linderung dieser Ursache wäre das wirksamste und schnellste Mittel zur Heilung der Krije, die eine täglich drohender werdende der Belt set. Die Rote erblickt in Deutschland   den Schlüssel der Gefahr für den wirtschaftlichen und sozialen Aufbau Europas   und europäischen   Krisis. Die britische   Regierung macht sich die befann ten Argumente zu eigen, die dafür sprechen, Deutschland   in die Lage zu bringen, seine furzfristigen Anleihen zu bezahlen, und legt sie in der Note dar. Auch der Wiggin- Bericht wird aus führlich zitiert, um darzutun, weshalb eine Aktion in dieser Frage wesentlich ist, und um tie Wege zu bezeichnen, auf denen das Pro­blem augegangen werden fönne. Im übrigen soll auch die britische  Note, da, wo sie sich mit dem Standpunkt der französischen   Regie: rung zu den Reparationen und Kriegsschulden und der Art und den könnten, einen Bunft behandeln, der insbesondere eine Quelle Weise befaßt, in ber, wenn nötig, die Zahlungen herabgesezt wer­die französische   These handeln, daß die Reparationszahlungen einen von Schwierigkeiten zu werden drohe. Und zwar soll es sich um ten. Würde dieser Grundsatz akzeptiert werden, dann hieße das, Ueberschuß zur Bezahlung der Kriegsschulden abwerfen müß­ten. Würde dieser Grundsatz akzeptiert werden, dann hieße das, daß Frankreich   unter Umständen nur eine Herabsetzung der Re­parationszahlungen um einen solchen Beirag fonzedieren würde, der diesem Lande selbst von seinen Kriegsschulden erlassen wird. mit anderen Worten: ein solches Verfahren würde Frankreich  einen neuen Vorteil schaffen.

Weiter soll in der Note bei der Erörterung der wirtschaftlichen Lage Deutschlands   ein Argument benutzt werden, das bisher noch Es soll nämlich darauf hin­nicht aufs Tapet gebracht wurde.

gewiesen werden, daß

Deutschland   während der letzten Jahre in Wahrheit haupt­sächlich durch Anleihen aus Großbritannien   am Leben erhalten und nebenbei auch in den Stand gesetzt wurde, Reparations­zahlungen zu leisten sowie durch Großbritanniens   Politik der offenen Tür zu einer günftigen Handelsbilanz zu fommen.

Großbritannien   habe einen gewaltigen Teil der wirtschaftlichen Lasten des übrigen Europas   aus seiner eigenen Tasche bezahlt, zum Teil deshalb, weil es hoffte, seine Freihandelspolitik werde schließlich zu einer allgemeinen Niederlegung der Handelsschranken führen. Allein Großbritannien   sei nicht mehr imstande, sich eine solche Politik länger leiſten zu können.

Der Times"-Korrespondent erklärt abschließend, die Note be= tone die Dringlichkeit des Kriegsschulden- und Reparationsproblems aus den angeführten Gründen heraus, sie fordere nachdrücklich, es müsse jetzt eine endgültige Regelung erreicht werden; vor­

forgung der in Moabit   errichteten großen Eisenwerke. Die Zu­fammenfassung des nach und nach zu einem Riefenunternehmen angewachsenen Betriebs in den Produktionsanlagen am Tegeler See  erfolgte erst durch die dritte Generation, die Brüder Ernst und Kon­ rad von Borsig  .

Vor vier Jahren feierten die Borsig- Werke ihr 90jähriges Be­stehen. Die Belegschaft war freilich schon damals von einer Normal­3iffer von 15 000 Mann auf rund 3800 Mann zurückgegangen. Die Kernproduktion des Werkes war immer der Maschinenbau  . Als dieser nicht mehr genügend Aufträge brachte, ging man zur Erzeugung von Kompressoren, Dampfturbinen, Hochdruckkesseln, Kältemaschinen, Staubsaugern, Dampfpflügen und Adergeräten über. Die Wirkungen der Weltwirtschaftskrise haben sich in diesem Betrieb sehr rasch und heftig geltend gemacht. Die geringe Wider­standsfähigkeit mag zum Teil vielleicht auch auf die veraltete Be­triebsform zurückzuführen sein, denn die Borsig- Werke in Berlin  und in Oberschlesien   blieben reiner Familienbesib, der

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übergehende und halbe Maßnahmen genügten nicht mehr. Daraus dürfe aber nicht geschlossen werden, sagt der Korrespondent, daß die Note irgendwelche agressive Töne anschlage. Vielmehr sei sie in einer sehr vernünftigen und freundschaftlichen Form gehalten und gipfele in dem Eintreten für eine vollständige und herzliche Zu­fammenarbeit zwischen der britischen   und der französischen   Regierung zur Lösung dieser Probleme, die von so großer Wichtigkeit für beide Länder und die übrige Welt seien.

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Bollfonflikt mit England.

Großbritannien   lehnt Berhandlungen ab.

Das Ersuchen der Reichsregierung an England, über die vor­läufigen Schuhzollerhöhungen miteinander zu verhandeln, ist natürlich in freundlicher Form- abgelehnt worden, da durch Berhandlungen an diefen unerläßlichen Maßnahmen nichts geändert werden könnte. Wie die endgültigen Zollmaßnahmen Englands aussehen würden, fönne man noch nicht sagen.

noch Verhandlungen möglich sein werden. Die Reichsregierung nahmen treffen zu können. hat fich freie hand vorbehalten, um die ihr nötig scheinenden Maß­

( Jn Berlin glaubt man, daß über die endgültigen Maßnahmen

Die englischen 3ollerhöhungen haben die deutsche  Einfuhr um rund 15 Proz., nämlich 170 bis 180 Millionen Mark geschädigt. Dazu kommen nun die gestern verfügten Zollerhöhungen für Glaswaren, photographische Artikel, Textilien usw., deren nach teiliger Erfolg für Deutschland   beträchtlich sein wird, aber noch nicht genau zu übersehen ist.

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Ueber die deutsch französische Wirtschaftskom mission, die jetzt in Berlin   verhandelt, äußern fich Teilnehmer dahin, daß man geradezu ein Parlament vor sich habe, bei dessen ernsten und konkreten Verhandlungen man ganz vergesse, daß Ver­treter zweier Länder miteinander beraten. Es ist festgestellt wor­den, daß bereits über 90 Artikel deutsch  - französische Vereinbarungen bestehen, diese will man jetzt fester gestalten und dann in Berhand­lungen von Industrie zu Industrie noch weitere solche Verein­barungen schließen.

Gammelfarte billiger!

Die Forderung der Berliner   Bevölkerung an die BBG.

Die Berliner   Verkehrs- Gesellschaft muß das Preissenkungs­programm einer korrektur unterziehen. Es geht nicht an, ein Drittel aller Fahrgäste einfach bei der Preisverbilligung aus­

zuschalten. Das geschieht aber praktisch durch die Preisfeit­fehung für die Sammelfarte, die fünftig 95 Pf. tosten soll, also nur um 5 Pf. verbilligt wird. Für die vielen Fahrgäste

nach der Tradition des alten August Borsig   in patriarchalischer Weise geführt wurde. So wirften die Borsig- Werke durch ihre Betriebs­form wie ein Ueberbleibsel aus der Zeit des Frühkapitalismus. Kein Wunder, daß das wirtschaftliche Weltbeben, das die modernsten fapitalistischen Unternehmungen aufs schwerste erschüttert, diesen altehrwürdigen, aber nicht mehr zeitgemäßen Bau zum Einsturz

gebracht hat.

In Eduard Bernsteins   ,, Geschichte der Berliner Arbeiter­bewegung" stellt das erste Bild die Maschinenfabrik von Borsig vor dem Oranienburger Tor im Jahre 1847 dar. Das ist kein Zufall. Denn bei Borsig, bei den Maschinenbauern vor dem Oranienburger Tor, hat die Berliner   Arbeiterbewegung sozusagen erst angefangen. Maschinenbauer von Borsig haben am 18. März 1848 die Barrikaden gebaut und sie verteidigt. Auch später hat die Belegschaft von Borsig in der gewerkschaftlichen und politischen Arbeiterbewegung Berlins  eine hervorragende Rolle gespielt.