Nr. 61 49. Jahrgang göl 1. Beilage des Vorwärts
Die
Menschen des Altertums fannten sieben Weltwunder. Die Zahl der heutigen Weltwunder ist unbe: fannt. Aber sicherlich gehört zu ihnen auch die Großfläranlage, die die Stadt Berlin in Stahnsdorf errichtete. Magistratsbaurat Dr.- Ing. Erich Weise sprach im Architektenund Ingenieurverein zu Berlin über dieses bemerkenswerte Bauwerk. Ein Film unterstützte die Ausführungen und ließ vor allem den Arbeitsgang der Anlage erkennen.
Die Berliner Stadtverordneten hatten 1929 der Errichtung des Wertes zugestimmt. Im September 1931 fonnte bereits der Betrieb aufgenom= men werden. Um welche Arbeitsmengen es sich bei der Fertigstellung handelte, zeigen folgende Zahlen: Es mußten 230 000 Kubikmeter Erde ausgeschachtet werden. 63 000 Rubikmeter Beton wurden zur Schaffung der Klärbeden, der Borfaulfammern und Faulkammern und der übrigen Bauten in die Erde gesenkt. Nicht meniger als 40 000 laufende Meter Rohrleitungen und 10 000 Meter Kabel mußten verlegt werden. Die neu geschaffenen Straßen haben einen Oberflächeninhalt von 26 000 Quadratmeter. Die zum Einbau gekommenen Eisenkonstruktionen wie Rechen, Krane usw. wiegen 1200 Tonnen. Die zur Ausführung gefemmenen Hochbauten toie Wohnbauten, Verwaltungsgebäude und Maschinenhaus weisen 45 000 Rubikmeter umbauten Raum auf.
Das Arbeitsverfahren der Kläranlage muß als außerordentlich wirtschaftlich bezeichnet werden. Es erspart nicht nur die Neuanlage von Rieselfeldern, sondern nuzt auch die in den Abwässern enthaltenen Energiemengen aus. In wasserarmen Ländern würde die Einrichtung solcher Anlagen den Wasserverbrauch auf ein Zehntel der bisherigen Mengen senfen. Das hier zur Klärung des Wassers angewandte Berfahren ist der Natur abgelauscht und das wiedergewonnene Wasser ist durchaus einwandfrei. Erst wenn das gleiche Wasser zehnmal den Weg durch die Anlage machen würde, wäre es mit Kochsalz derartig angereichert, daß die Geschmadsgrenze erreicht wäre. Da Berlin ständig mit frischem Wasser beliefert wird, kommt ein so rationeller Kreislauf natürlich nicht in Frage. Der Film zeigt nun, wie in den Vorreini gungsbeden die Arbeit der Protozoen, minzigen Lebe
Wenn Richter Auto fahren.
Lofaltermin an der Stätte des Autounglücks.
wesen, wie Pantoffeltierchen, Rädertierchen, Schlammwürmern und ähnlichen, die die im Schlamm enthaltenen Batterien vernichten. Dadurch werden die halbgelösten und gelöften Schmutzstoffe ausgeflodt. In diese Vorreinigungsbeden wird Druckluft geschickt, so daß der lebensnotwendige Sauerstoff in reichem Maße vorhanden ist. Der so vorbereitete Schlamm kommt nun in die Vorfaulfammern, verliert hier einen großen Teil seines Wassergehalts, wandert dann in die Erwärmungsfammern und wird endlich in die Faulkammern geschickt, in denen er zwei bis drei Monate bleibt. In dieser Zeit entwickelt sich Methan, Sumpf gas, das zum Betriebe der im Maschinenhaus aufgestellten Gasmaschinen verwendet wird, die ihrerseits wieder den für die Anlage nötigen Strom erzeugen.
Der 3med der Stahnsdorfer Versuchsanlage ist vollkommen erreicht worden. Es wurde bewiesen, daß die Abwässerreinigung bei richtiger Baugestaltung auch im Weichbilde der Stadt vorgenommen werden kann. Selbstverständlich können die gewonnenen Schlammengen nach genügender Ausfaulung wieder landwirtschaft lichen Zweden dienstbar gemacht werden. Ein besonderer Vorzug der Anlage aber ist, daß bei ihrem Betrieb keine Geruchsbelästigung austritt und daß auch die beim Rieselbetrieb so unangenehme liegenplage beseitigt wurde.
[ von Berlin- Mitte und die beiden Staatsanwälte, wurden zum Teil aus dem Wagen geschleudert, zum Teil gerieten sie unter das umgestürzte Auto. Automobilisten und Bauern bemühten sich um die Berlegten. Wie noch nachträglich bekannt wird, ist auch der Bolizeifahrmeister Wengler, der neben Oberamtsanwalt Brehmer faß, schmer verlegt worden. Er erlitt eine Verlegung der Wirbelfäule. Ein völlig flares Bild wird sich erft ergeben, wenn alle Ber unglückten vernommen werden können.
Auf der Chaussee zwischen Brandenburg und Rauen, auf der am Donnerstagnachmittag der Wagen des Polizeiinstituts für Technik und Verkehr verunglüdie und ein Todes opfer fowie mehrere Schwerverlette forderte, ist am Freitag von Sachverständi gen ein Lokaltermin abgehalten morden. Die Chauffee ist an der Unglücksstelle start gewölbt, an der rechten Seite führt ein schmaler Sommer meg entlang. Der am Steuer sitzende Oberamtsanwalt Brehmer geriet in etwas scharfem Tempo an der durchaus übersichtlic Kurve mit dem rechten Vorder- und Hinterrad auf den Sommerweg. Beim Versuch, wieder die feste Fahrbahn zu gewinnen, tam der Wagen ins Schleudern. Brehmer hat offen bar das Steuer zu scharf herumgerissen, denn plöglich kippte der Bagen infolge der Geschwindigkeit über das rechte Vorderrad und überschlug sich. Staatsanwaltschaftsrat Lettner wurde buchstäblich erdrückt, die übrigen Insassen, die Verkehrsrichter| Bezirksvorstand es dem Vorzeiger abzunehmen.
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NOVELLE
VON ERNA
Anita and Cowboy
Billy sagt: ,, Anita, hast recht."
TEHNERY
Der Elefantendompteur nidt zustimmend. Dann flopst Billy ihm auf die Schulter und sagt: ,, Komm, wir wollen in den Stall gehen und die Elefanten um Entschuldigung bitten, weil die Menschen so duffelig über fie geredet haben. Du bist mit deinen Elefanten gut und sie find zufrieden, damit ist für uns die Sache erledigt. In der Freiheit müssen die Elefenten auch arbeiten, sie haben es sogar sehr schwer, sich redlich durchs Leben zu schlagen."
Billy hat zwei Vorstellungen täglich; zudem reitet er noch für die Wild- West- Schau Reflame. Er legt dem Tigerfched selbst die Eisen unter, bevor es über Asphalt geht. Ach, Asphalt, Billy haßt ihn, der Pferde wegen.
Billy hat sich auf ein Glockenspiel eingeschossen, das nach feinen Treffern die Melodie spielt leb' immer Treu und Redlichkeit bis an dein fühles Grab." Ein Clown singt das allbekannte Lied mit dem Refrain ,, Und wenn du was gestohlen hast, gib mir die Hälfte ab."
Das gefällt den Berlinern; denn eine Korruptionsaffäre ist ja immer fällig und jeder bezieht den Refrain gerade auf die letzte Unterschlagung. So ist Billy eigentlich wider Willen
immer aktuell.
Billy ist müde, Billy ist abgespannt und er weiß, er hat fräftiges Rot nötig, sobald er in die Manege muß. Wenn er abends nach der Vorstellung durch die lichterfüllten Straßen geht, um Anita bis vor die Haustür zu begleiten, dann fneift er bisweilen die Augen zu und sagt: ,, Oh, nicht müde werden, nicht müde werden."
Anita geht schwer neben ihm und sagt: ,, Nein, wir dürfen uns nicht unterkriegen laffen."
Ach, das viele künstliche Licht, der nie verstummende Lärm. Billy hodt mitunter auf einem großen Koffer in der immer dunklen Combongarderobe und befürchtet, daß jemand eintritt und das elektrische Licht andreht. Billy will so im Sigen einen Augenblick schlafen, er ist müde, nur müde. Im
Eine authentische Darstellung des Falles Dehn. Die„ Deutsche Liga für Menschenrechte" veröffentlicht in ihrem foeben herausgekommenen Organ Die Menschenrechte" eine authentische Darftellung des Falles Dehn. Das Heft ist zum Preis von 40 Pf. durch die Geschäftsstelle, Berlin N. 24, Monbijouplaz 10, Eing. IV/ III, zu beziehen.
Das Mitgliedsbuch des früheren Genossen Arnim Schubert, Berlin NO. 55, Lippehner Str. 5, ist angeblich verlorengegangen. Da ju erwarten ist, daß mit dem Buch Mißbrauch getrieben wird, ersucht der
Halbschlummer sieht er durch die eisernen Gitter der Fenster auf den nassen Hof.
Billy hat verzehrende Sehnsucht nach der Sonne, aber er gesteht sich diese Sehnsucht nicht ein.
Eines Tages, als es zum Frühling geht, hat er das Engagement für eine Zirkustour in der Tasche.
Jetzt gehen sie auf Reisen, die Ferne wird für sie ganz nahe. Er schüttelt Anita die Hände. Es lachen ihre Gesichter, es freuen sich ihre Herzen.
68 Städte in der Saison.
Sonnabend, 6. Februar 1932
Tariffenfung im Nahverkehr.
Einzelfahrt 3. Klaffe von 25 auf 20 Pfennig gesenkt.
Zur Erleichterung des Nahverkehrs auf den äußeren Borortstrecken wird vom 1. April d. 3. ab außerhalb der Nahzone in allen Stationsverbindungen bis zu 5 kilometer Entfernung statt der ersten Preisstufe nur der Preis der Nahzone erhoben. In diesen Verbindungen werden also die Preise für die Einzelfahrt in der 3. Klasse von 25 auf 20 Pfennig, in der 2. Klaffe. von 40 auf 30 Pfennig, die Preise der Monatskarten 3. Klasse von 10 Mart auf 9 Mart, 2. Klasse von 15 Mark auf 13,50 Mark, die der Arbeiterwochenkarten von 1,90 Mart auf 1,80 Mark gesenkt.
Gleichzeitig wird die 3oneneinteilung in der Weise geändert, daß von den Ausgangsbahnhöfen aus höchstens 8( bisher 9) Preisstufen gerechnet werden. Dadurch ermäßigen sich die Fahrpreise auf den meisten Verbindungen mit Fürstenwalde. Zu gleichem Zeitpunkt werden die Bahnhöfe Dreilinden und Stahnsdorf Reichsbahn im Verkehr nach Berlin und darüber hinaus mit Wannsee in eine Zone zusammengefaßt.
Morphinistentragödie.
Drogist als Händler entlarvt und verhaftet.
Seit geraumer Zeit gerief ein Drogist Friedrich W. aus der Kreuzbergstraße in den Berdacht, einen schwunghaften Handel mit Morphium zu treiben. Beamte des Sonderdezernats beobachteten ihn und nahmen ihn gestern feft, als er bei seinen Kunden einen größeren Posten Rauschgifte absehen wollte. Mit der Berbaftung diefes Mannes entdeckte die Kriminalpolizei eine Morphinistentragödie, in deren Mittelpunkt drei ältere Frauen stehen.
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Nun leben Billy und Anita in der Zeltstadt. Sie ist schön, sie ist interessant diese Stadt. Große Fahnen an mächtigen Masten flattern am Eingang, viele kleine, auf Leinen gezogene Fahnen laufen außen am Zelt in die Höhe und unter dem Belthimmel hängen auch wieder Fahnen. Fahnen aller Länder und desgleichen Fahnen aus dem Reiche buntester Farbenphantasie. Es ist Frühling, die Sonne spendet noch nicht genügend Wärme, damit jeder Tag gemütlich ist. Die Erde ist voll Frost und Nässe. Ein paar marme Sonnenstrahlen bringen feine Austrodnung, fie fördern schmuziges Wasser ans Lageslicht. Oft flebt der Boden wie Lehm an den Stiefeln. Anita und Billy erschauern des öfteren. Während des Winters haben sie sich zu viel in geheizten Räumen aufgehalten, ihre Körper find gegen Temperaturschwankungen start empfindlich geworden. Billys Finger waren einmal der art flamm, daß ihm in der Manege die Bullpeitsche aus den Händen fiel. Doch hier gibt es nur eins, die Zähne zusammenzubeißen, man muß und muß durch. Und wenn am Mittag der Himmel schön blau ist, dann steht das Herz eines jeden Zirkusmenschen wieder voll fühner Hoffnungen. Mag es dann auch am Abend graupeln! Man hat mal wieder blauen Himmel gesehen, bald zieht der wirkliche Frühling ins Land, bald wird es richtig warm und nicht nur vorübergehend.
Noch immer imponiert Anita fowohl mie Billy der Aufbau und der Abbruch des Zirkus. Da sieht man morgens einen großen leeren Plaz vor sich, der die Wüstenei in irgendeinem Stadtbild versinnbildlicht. Man erblickt nur ein paar Wagen mit Sägemehl und ein paar neugierige Menschen. Radfahrer, die abgestiegen sind, ihre Fahrräder aneinander gestellt haben und in Richtung Bahnrampe Ausschau halten. Dann rattern die ersten Zirkusmagen heran. Eiserne Pferde holpern auf den Plaz. Drei, vier Polizisten, die auf und ab gingen, fommen näher und sperren ab. Bald steht auch schon der erste Mast, dann der zweite, der dritte, der vierte. Die
Es ergab sich, daß W. von einem Arzt aus der Kaiferallee in Berlin W Rezepte bezog, die er in verschiedenen Apotheken vorlegte. W. lieferte einen Teil des Giftes, das er bezog, an drei ältere Frauen aus, die zusammen in der Grunewaldstraße wohnten und als unheilbare Morphinistinnen bekannt waren. Diese drei Unglücklichen lebten in erbärmlichen Verhältnissen. Sie beziehen fämtlich Wohlfahrtsunterstüßung, und es ist räffelhaft, wie sie das Geld auftrieben, um W. das Morphium ablaufen zu können. Die Frauen find seelisch und körperlich heruntergefommen und waren ganz in den Händen des Drogisten.
Man nimmt an, daß W. nicht nur diese drei Frauen mit Rauschgift versorgt hat, sondern auch noch einen anderen Interessentenkreis belieferte. Der Verdienst an dem Handel war immer hin so groß, daß er davon leben fonnte. Als er jetzt verhaftet murde, nahm man auch die drei Frauen ins Verhör. Sie legten ein umfassendes Geständnis ab.
Carnera ,, Sieger" über Göhring.
Zum ersten Male ging geffern abend im Sportpalast der italienische Borrieje Carnera in einen deutschen Ring, um gegen Göhring- Stuttgart einen sehr unsauberen Kampf zu liefern. Carnera wog 122,8 Kilogramm, Göhring nur 93,6 kilogramm. Der Runde. Göhring gab den Kampf wegen einer Fußverletzung auf. Italiener gewann, wenn man es so nennen will, in der fünften
Das Postami Berlin- Schöneberg 5 wird am 20. Februar nach Dienstschluß aus den bisherigen Räumen, Grunewaldstr. 41, nach Bayerischen Plaz verlegt werden. neu hergerichteten Räumen in der Meraner Straße 1
am
3m Institut für. Serualwissenschaft hält am Montag, dem 8. Februar, im Ernst- Haeckel- Saal( In den Zelten 9a- Eingan Gartenportal), 20 Uhr, Archivleiter Giese einen Vortrag mit Lichtbildern über„ Seguale Triebabweichungen". Unfostenbeitrag 40 Pf., Erwerbslose die Hälfte.
3eltleinwand bläht sich hoch, gleich einem aufsteigenden Luftballon. Außen klettern die Luftturner hoch und bringen ihre Apparate an.
Wagen auf Wagen rollt heran, sie stehen auf jedem Gelände gleich, der Artist geht stets die gleichen Schritte durch die Zirkusstadt. Sobald die Bureauwagen stehen, huscht Anita hinein und holt sich Adressen. Die Offerten laufen haufenweise ein, jeder will gerne etwas verdienen, will ein Zimmer vermieten, wenn der Zirkus fommt. Da werden ,, wanzenfreie Betten mit Kochgelegenheit" angeboten usw.
Oft steht der Zirfus nur zwei bis drei Tage in einer Stadt.
Da muß schon jeder drei Mark die Nacht fürs Bett bezahlen. Es stellt sich teuer dieses immerwährende Reisen. Anita und Billy suchen oft lange, bis sie zusagende Zimmer gefunden haben. Eigentlich wollte Anita tochen. Sie sorgt gerne für jemanden, doch würde diese Belastung für sie zu viel. Billy und Anita essen in der Gemeinschaftsküche zu Mittag und abends nach der Vorstellung hocken sie noch in irgendeinem Restaurant. Sie sind beinahe zu müde, um zu effen und auch zu müde, um zu sprechen, und wenn Billy Anita nach Haus bringt, dann weiß fie oft nicht einmal die Hausnummer, sondern nur die Straße und sie kennt das Haus.
Anstrengend ist dieses Leben und doch freuen sich beide, dabei zu sein.
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Wieder wird der Zirkus abgebrochen. Anita und Billy, die als lezte Nummer arbeiteten, haben ihre Sachen schnell in einten Koffer geworfen. Eigentlich widerstrebt es ihrem Ordnungssinn, die Sachen naß verschwitzt einzupacken. Aber das ist nicht zu ändern. Zehn Minuten nach ihrem Auftritt muß der Koffer zugeschlagen sein; denn dann rollt der Gardeobenwagen vom Platz.
Billy und Anita mollen nicht so warm in die Nachtlust hinaus. Sie stehen unter dem sich langsam fenfenden Zelt. Es bietet etwas Schuh, es hält noch die Wärme von alle den Menschen, die es beherbergte.
Die Luftturner, stets die ersten auf dem neuen Platz und die letzten vom alten Play, nehmen ihren Apparat ab. Die Frau des Fängers ist umsichtig behilflich. Sie trägt regelrechte Männerhosen und hohe Schaftstiefel. Sie padt fräftig zu. Man sieht sie eigentlich immer in diesem Aufzug, nur daß sie sonst, wenn sie sich vom Publikum beobachtet weiß, einen weißen Kittel trägt. ( Fortsetzung folgt.)