1932
Der Abend
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Nr. 62 B 31 49. Jahrgang
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Vandervelde fordert Abrüstung
Kundgebungen in der Abrüstungskonferenz
Genf, 6. Februar.( Eigenbericht.) Die große Demonstrationssihung der Abrüstungstonferenz zur Entgegennahme der Petitionen aller für die Abrüstung fämpfenden Organisationen hatte lediglich außerhalb des Gebäudes große Massen angezogen. Die pedantische Ueberorganisation zur Kontrolle der Zulassung hielt die Zuhörer auf der Straße, während die Tribünen zur Hälfte leer standen. Viele Delegierte zeigten ihr mangelndes Interesse durch Abwesenheit.
Die mehreren
Hundert Frauen aus allen Ländern mit den schweren Pateten ihrer Unterschriftsbogen in den Händen mußten im Gang stehen während der Rede ihrer Vertreterinnen. Leider wußte man schon vor der Eigung, daß die
Reden aller Organisationsvertretungen streng zenfiert worden waren durch das Völkerbundssekretariat, wodurch ihnen die ursprüngliche innere Wucht von wahren Meinungsäußerungen der Völker natürlich genommen war.
Den Auftakt der Kundgebung bildete die Uebergabe einer Betition des holländischen Bolles auf die Initiative der hollän. dischen Presse durch den Präsidenten der legten Bölkerbundsvollver. sammlung, Titulescu. Frau Dingmann( USA .) verlas die Abrüstungsforderungen der Weltorganisationen der Frauen von 45 Millionen Mitgliedern in 56 Ländern mit acht Millionen Unterschriften. Während zwei andere Frauen die 3ahlen der Unterschriften in allen Ländern unter ständigem Beifall verlasen, legten die Vertreterinnen der Länder die Patete mit Unterschriftsliften
vor den Präsidenten nieder. Für die katholischen Kreise sprach Frau Steenberghe- Engering( Holland ) für die evangelischen Dr. Müller ( Deutschland ) die gleiche und gerechte Abrüstung für alle Länder
verlangten.
Sodann ergriff der Vorsitzende der Sozialistischen Internationale,
Emile Bandervelde,
das Wort und führte aus:
Ich spreche hier im Namen der Sozialistischen Arbeiter Internationale, die in 35 Ländern über 6 Millionen organisierte Anhänger zählt und deren Mandatare in den verschiedenen Barlamenten über 25 Millionen Wähler vertreten. Sie hat eine Abrüstungsfampagne eingeleitet in enger Verbindung mit dem Internationalen Gewertschaftsbund, der in 28 Ländern 14 Millionen Arbeiter umfaßt und der, wenn er mit uns die vollständige Abrüstung fordert, sich mit weiteren Millionen von Arbeitern in den Vereinigten Staaten , in Indien und im Fernen Often in völliger Uebereinstimmung befindet.
Die Geduld der Völker ist aufs äußerste angespannt. Daher fordern wir von den auf der Abrüstungskonferenz vertretenen Regierungen, daß sie endlich zu positivem Handeln übergehen. Ein Vertrag muß abgeschlossen werden, der sofort eine großzügige Herabseßung der Heeresbestände, des Kriegsmaterials in allen Formen und der Militärausgaben sichert und zur vollständigen allgemeinen und kontrollierten Abrüstung führt. Wir sind nicht hier, um Bitten vorzubringen oder Hoffnungen auszudrücken, sondern um Forderungen zu vertreten Wir haben keineswegs die Illusion. zu glauben, daß unsere Forderungen in der gegenwärtigen Lage Aussicht auf sofortige und vollständige Annahme
hätten.
Es ist gewiß etwas, daß die Konferenz endlich zusammengetreten ist. Es bedeutet auch etwas, wenn wir als lebendes Symbol der wachsenden Macht der Arbeiterklasse einen Mann den Vorsitz führen sehen, der früher selbst Handarbeiter gewesen ist und das volle Vertrauen seiner alten Kameraden besitzt, der in den schwersten Jahren der Nachkriegszeit der Vorsitzende unferer Internationale und dann der Staatssekretär für Auswärtiges des britischen Reiches war, und der in unerschütterlicher Treue zu der Ueberzeugung seines ganzen Lebens erst vor wenigen Tagen mit unerschrockener Offenheit erklärte, daß die Welt die Abrüftung fordert.
Aber wie könnte andererseits die sozialistische Arbeiterklasse unter den gegenwärtigen Verhältnissen entscheidende Ergebnisse von einer Welt erwarten, wo neben den sehr wenigen Regierungen, die bis zu einem gewissen Grade die arbeitenden Massen vertreten, es auch andere gibt, deren Machtwille praktische Zugeständnisse verhindert und
Gießen , 5. Februar.( Eigenbericht.)
In Gießen wurde ein Schwertriegsbeschädigter in einer öffentlichen Wirtschaft von einem Nazi angepöbelt und einige 3eit später auf dem Heimwege von einer Gruppe von fünf Nationalsozialisten, die aus der Nazifaserne als Verstärkung" herbeigeholt worden waren, überfallen. Der infolge seines fünftlichen Beines wehrlose Schwerkriegsbeschädigte brach bewußtlos zusammen, nachdem er von den Nazis mit den Fäusten ins Gesicht geschlagen worden war. Der Angegriffene ist ein älterer Mann, der fich 1914 trok vorgerüdter Jahre freiwillig an die Front meldete und als einer der ersten Schwerverletten des Weltfrieges gilt. Auch dem Begleiter des Schwerkriegsverlegten wurden mehrere start blutende Wunden am Kopf zugefügt.
In Eutin scheinen die Nazis einen neuen Feldzug gegen die Reichsbannerleute einzuleiten. Zunächst über fielen Eutiner Nationalsozialisten einige Reichsbannergruppen, die zu einer Kundgebung in Timmerdorfer Strand erschienen waren. Mit Karabinerhalen und Gummifnüppeln drangen sie auf die Reichsbannerleute ein. Eine ganze Anzahl Beteiligter erlitt zum Teil schwere Verlegungen. Die Nachricht, die einige bürgerliche Korrespondenzen heute morgen verbreitet haben, daß ein National fozialist getötet worden sei, trifft nicht zu. Da die Nationalsozialisten troß ihrer zahlenmäßigen Ueberlegenheit bei den provozierten Schlägereien den Kürzeren zogen, versuchten die an den Schlägereien beteiligten Eutiner Nazis nach ihrer Rückkehr nach Eutin Schlägereien mit Reichsbannerleuten herbeizuführen. Sie überfielen in geschlossenen Trupps einzelngehende Reichsbannerleute, zum Teil
noch andere, deren Vertreter hier unter den anderen siken, während ferne von hier die Getvalt wütet und das Recht des Stärkeren unter flagranter Verlegung der Verträge und Pakte, auf denen die Unterschriften noch nicht trocken sind, sich mit Blut und Eisen Geltung schafft. Ich kann es nicht sagen, warum wir keine Resultate erwarten, denn unsere Reden wurden der Vorsicht der sekretarialen Kontrolle unterworfen. Wir haben die vorsichtigerweise schon vorher der Presse verteilt. Es wird also doch überall gelesen werden, was wir zu sagen haben. Die Angst hat also nur vermocht, das Vorlesen hier auszuschalten.
Die unbestreitbare Tatsache des gewaltigen Mißverhältnisses zwischen den den Besiegten gestatteten und den von den Siegern von 1918 aufrechterhaltenen Rüstungen bleibt bestehen. Die gemeinsame Resolution der SAJ. und des 3BG. ftellt es sich als Hauptziel, dieses Mißverhältnis zu beseitigen. Aufhebung der unterscheidung zwischen Siegern und Besiegten, Aufrechterhaltung der aufgezwungenen Abrüftung, aber Ausdehnung derselben auf alle Cänder und schließlich internationale kontrolle, ohne die auch die beffen Konventionen illusorisch und gefährlich und daher unannehmbar bleiben müßten. Dies find die Gedanken, die der Affion des internationalen demokratischen Sozialismus für die Abrüftung die Richtung geben.
Das ist es, was wir fordern im Sinne der Völker, die es müde sind, zusammen jedes Jahr die märchenhafte Summe von 100 mil liarden für das internationale Kriegsbudget zu zahlen. Wir fordern es im Namen der sozialistischen Arbeiter aller Länder, die sich weigern, von neuem wie von Blinden geführte Blinde in den Abgrund zu stürzen.
fogar in Gegenwart der Polizei. Dabei erlitten vier Reichsbannerleute schwere Berlegungen.
Einen ähnlichen ,, Rachezug" versuchten einige Nationalsozialisten in Kiel , aber es blieb bei dem Versuch, da das Reichsbanner sich zur Wehr sehte.
Zur Bluttat in Dortmund - Höchsten. Dortmund , 5. Februar.
Wie das Polizeipräsidium mitteilt, hat die Mordcommission den Ueberfall auf heimkehrende Versammlungsteilnehmer am Sonnabendabend, wobei zwei Personen getötet und eine schwer verletzt wurde, aufgeklärt. Bei dem Mörder, der aus dem
Sinterhalt auf einen Trupp etwa 12 Schüsse abgegeben hat, handelt es sich um den 27jährigen erwerbslosen Montagearbeiter Fritz Albrecht aus Dortmund . Er hat noch kein Geständnis abgelegt. Zwei Zeugen, die am Mordabend von ihm bedroht wurden, erfennen ihn mit aller Bestimmtheit wieder. Nach dem Polizeibericht war Albrecht bis Dezember vorigen Jahres SA. Mann. Wegen Teilnahme an einer politischen Schießerei in Hagen wurde er zu neun Monaten Gefängnis verurteilt und aus der NSDAP . ausgeschlossen.
Er ist
Im Befinden des Schwerverletzten Scherer ist eine kleine Besserung eingetreten. jedoch noch nicht vernehmungsfähig.
Bom Parteiausschuß.
Der Parteiausschuß beendete am Sonnabendvormittag seine Tagung mit einer Aussprache über die bevorstehende Reichs= präsidentenwahl. Dem Parteivorstand wurde die Vollmacht erteilt, im gegebenen Augenblick die notwendigen Entscheidungen zu treffen.
An Stelle des verstorbenen Genossen Bartels wurde Genosse Crumenerl- Magdeburg neben Genossen Konrad Ludwig als Parteifaffierer in den Parteivorstand gewählt.
werden. Wenn eine neue Katastrophe über die Welt hereinbrechen sollte, so würde notwendigerweise das eintreten, was sich in der einen Hälfte Europas am Ende des Weltkrieges ereignet hat.
Nach den furchtbaren Leiden, die sie einem gemeinsamen Elend überantwortet haben, sind die sozialistischen Arbeiter unerschütterlich entschlossen, alles ins Werk zu sehen, damit dies nicht wiedertommen fönne, und wenn es wiederkommen sollte, so sind sie fest gewillt, wenn sie die Waffen schon nicht wegwerfen, sie zum mindesten nicht gegeneinander zu gebrauchen.
Das ist es, was wir Ihnen im Auftrag der Internationale zu fagen hatten. Es liegt an Ihrem Weitblick und Ihrer Einsicht, daraus die Konsequenzen zu ziehen.
Stürmischer Beifall auf den Tribünen hatte die wichtigsten Stellen der Rede Vanderveldes dauernd unterstrichen. Die rüdhalflose Verhöhnung der Zensur im Interesse der militaristischen mächte erregte allgemeine Begeisterung und Protest. Der Beifall steigerte sich für diese einzige offene und rücksichtslose Rede der Wahr heit immer mehr, um am Schluß den größten Teil des Hauses zu einer nicht enbenwollenden Demonstration hinzureißen, an der sich auch die meisten Delegierten beteiligten.
Jouhaug unterstrich die gleichen Gedanken für die GewerfWir leben in einer Stunde, wo die Schicfale fich entschaftsinternationale. Lord Cecil erläuterte die Petition scheiden. Aus Ihren Beratungen tann der Frieben, aber auch der Internationalen Bereinigung der Völkerlundsliga für gleiche der Krieg hervorgehen. Abrüstung unter Kontrolle Henderson dankte den Rednerinnen und Rednern sowie den Organisationen auch für den guten Willen zur Unterstüßung der Ronferenzarbeit. Er wünschte, daß.
Man weiß nicht, wohin der Rüftungswefflauf führt.
Man weiß, wie von mun ab die Kriege zwischen den Bölfern sein ihr Appell den größten Erfolg haben solle.