Nr. 75 49. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
111
am
Sonntag, 14. Februar 1932
380 Tschuss Chu
合 利
Chinesischer
Schlesischen Bahnho
Auf die Chinesenstadt von Schanghai prasseln die japanischen Granaten. Erbarmungslos und unablässig. Und der Herr Jao Tschuan Chu, z. Z. wohnhaft in Berlin O 17, Lange| Straße 102, Dorn im Laden, macht ein sorgenoolles Gesicht, weil sein Vater noch immer nicht geschrieben hat. Dann sind Sie aus Schanghai ?" Ja. Mein Vater ist dort Teehändler. Ich bin auch in Schanghai auf die Hochschule gegangen." Das ist sehr wesentlich, denn dadurch hat Herr Jao neben anderem 5000 von jenen berühmten chinesischen Schriftzeichen im Kopf, was ihn wiederum ermöglichte, ein paar recht ansehnliche Absätze auf der sozialen Stufenleiter seines Heimatlandes zu erklimmen. Das heißt: Herr Jao hat 5000 Zeichen der Kaufmannsschrift gelernt, wäre er Beamter geworden, hätte er ein paar Tausend Zeichen der Mandarinenschrift gelernt oder als Arzt eben 5000 Zeichen der Doktorenschrift. ,, Aber wir schreiben unsere Briefe sehr schnell", meint Herr Jao, als er unser bekümmertes Gesicht sah, das Europäer meist aufsetzen, wenn sie verständnislos chinesische Schriftzeichen anstarren. Herr Jao wollte nur sagen, wenn wir„ Tee" geschrieben haben, in dieser Zeit wäre er auch damit fertig. Für den Kenner hat die chinesische Schrift also keineswegs den Charakter eines interessanten Tapetenmusters. Es sei nun gestattet, den Roman des Herrn Jao zu erzählen. Die Aufnahme dieses Berichts roar mit einigen Schmierigkeiten verknüpft: Jao kann kein ,, R" sagen. Es bedarf keiner Erläuterung, daß so etroas im Deutschen sehr hinderlich ist.
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Die Odnffee des Herrn Jao Tschuan Chu.
Als Jao 20 Jahre alt ist, verläßt er Schanghai . In Genua betritt er Europa . Er scheint sich das etwas anders vorgestellt zu haben, denn als er am nächsten Morgen das Hotel verlassen will, um nach Herzenslust durch Genua zu schlendern, wird ihm eröffnet: er hätte in dem Hotel nicht nur zu schlafen, sondern auch zu essen. Nein, sagt Herr Jao, ich komme erst spät in der Nacht nach Hause, ich esse nicht bei Ihnen, Gut, erwidert der Hotelier, tun Sie, was Sie nicht lassen fönnen, bezahlen müssen Sie ja das Essen doch. So bezahlte Herr Jao 15 Lire für das Schlafen und 16 Lire für das Effen, das er nie gesehen hat, zusammen 31 Lire. Diese 31 Lire verfolgen Herrn Jao zeitlebens wie ein Schatten, er wird davon die 16 Lire, um die man ihn übers Ohr gehauen hat, nie vergessen. Da es ihm in Mailand nicht besser erging, dampfte Herr Jao nach Paris . Paris wird die mysteriöse Stelle in seinem Leben bleiben, denn schließlich nahm ein Franzose seinen Schießprügel und schoß auf Herrn Jao. Heute steht er in seinem Laden voller Tassen, Basen, Tücher und Jacken, in der einen Hand den Besen, mit dem er ausfegen will und mit der anderen Hand sich ins Genid schlagend. Herr Jao will damit nur andeuten, in Paris hätte er beinahe seinen Kopf verloren. Eines Morgens sehen wir Herrn Jao aus Schanghai an der Hafenmole von Stavanger in den Atlantit spucken. Bon dort haben ihn allerdings bald die Heringe vertrieben. Da Herr Jao tein," sagen tann, sagt er immer Helinge". Seit fünf Jahren figt er nun in Berlin , nachdem er noch durch Ungarn , Tschechei, Desterreich und Polen gewalzt war. Er meint, vor zwei Jahren, da ließ er sich Deutschland noch gefallen. Aber heute muß er an jedem Ersten 116,65 Mark Ladenmiete aufs Brett zahlen. wobei er uns vorrechnet, daß er die Strickjaden engros abgibt und nur 20 Pfennig an jeder verdiene, wovon wiederum 12 Pfennig das Finanzamt tassiert. So hat auch Herr Jao Tschuan Chu mit seinen jungen 28 Jahren schon einen ganzen Baden voller Sorgen.
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Herr Jao und seine Freunde Ling- Non- Honing, Chen- Tu- Cheng wie Cin- Tzi- Shingalle wohnhaft zwischen der Lange-, Kraufund Fruchtstraße - sind eine Art Großhändler. Das heißt nicht nach den Maßen der Liverpooler Baumwollbörse gerechnet, sondern mehr in der Richtung eines geruhsamen Herrn mit einem bescheidenen Posamentenlager. Das wiederum genügt, um die Bauchläden der kleinen chinesischen Händler zu füllen, die Tür an Tür Kopfend ihre Waren verhöfern.
Ein Kapitel Nachbarschaft.
Wir wollen einmal hier abbrechen und zwischendurch Deutsche fiber ihre chinesischen Nachbarn am Schlesischen Bahnhof berichten lassen. Hören Sie auf mit den Chinesen, das werden ja immer mehr. Erst waren es tausend, jetzt sind es schon zweitausend. Hier in dem Keller hausen über hundert Mann. Betten sind nicht da, die müssen wohl alle an der Erde schlafen. Bis 3 Uhr nachts machen fie Standal. Die einen machen Musif, dabei haben sie auch noch eine Trommel, die anderen spielen Mah- Jongh und kriegen sich zum Schluß in die Haare. Am hellichten Tag stehen sie auf und gehen mit ihren Koffern handeln. Eigenartig. Die Chinesen gehen jedem aus dem Weg und trotzdem fann man folchen Bericht, wie den eben erstatteten an einem Vormittag hundertmal hören. Dann kommt noch hinzu, daß die Erzählungen der Nachbarn gar nicht stimmen. Es hat mit ihnen dieselbe Bewandtnis, wie mit jenen 2000 Berliner Erwerbslosen, die allnächtlich auf den Bänken des Tiergartens schlafen. 2000 Chinesen allein am Schlesischen Bahnhof , die müßten fich, ja den Saalbau Friedrichshain mieten, wenn fie Bersammlung gbhalten wollten. Herr Jao fagt, es waren rund 300, jetzt in der Arise find es knapp noch 200 Chinesen, die in Berlin handeln.
Ein Beispiel: In dem Keller einer Straße follen bei vorsichtiger Schätzung der weißen Nachbarn 50 Chinesen wohnen. Eine Nach
Goldfink
frage bei allen möglichen Stellen, die Bescheid wissen müssen, ergibt,| daß dort 6 Chinesen wohnen. Und warum sollen die Leute nicht mah- Jongh spielen? Das ist gerade so, als wenn die Chinesen auf die Deutschen mit den Fingern zeigten: Seht mal, die spielen schon wieder Stat!
Brot statt Reis.
Gleich den Herren Jao und Ling.
Mister Ling ist aus einer Ortschaft, die eine Stunde Bahnfahrt von Schanghai entfernt liegt find die Händler auch alle aus Südchina. Uebrigens waren sie drüben keine Ritschakulis, sondern haben in Schanghai , Hongkong , Nanting oder sonstwo ebenfalls schon den Hausierhandel betrieben. Die nach Europa kommenden Chinesen verfolgen den Zwed, sich in etwa 5 Jahren soviel zusammenzusparen, daß sie drüben ein kleines Geschäft aufmachen können. Das sezt äußerste Sparsamkeit voraus und deshalb ist der Reistopf immer noch das wichtigste Requifit einer chinesischen Wohnung. Den nordamerikanischen Mühlenbesitzern geht es schlecht. Wem geht es heute auch gut? Deshalb machen die
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Eine hier erscheinende chinesische Zeitung
Laden in der
Kangeftr
USA.- Müller seit Jahren die größten Anstrengungen, um sich den Fernen Ost- Markt für ihr Mehl zu erobern. Die Chinesen sollen Brot statt Reis essen. Herr Jao aus Berlin O ist ein Beispiel dafür, wie Chinesen darauf reagieren: Ich bin jetzt fünf Jahre hier, ich habe mich langsam an Brot gewöhnt. Aber nur an Weizenbrot. Das lasse ich ein bis zwei Wochen liegen, dann esse ich es." Da haben wir es. Und dabei ist Herr Jao seit Jahren schon in Europa . Der
Bäder bestätigt die Sache und sagt:„ Das einzige, was ihnen zu
schmecken scheint, find unsere Kuchen."
Herr Jao meint noch, die Händler müßten besser deutsch fönnen, dann könnten sie auch mehr verkaufen, aber nur junge Frau"," Teetaß" und die Zahlen 1 bis 20 zu sagen, damit vermag man nur wenig Geschäfte zu machen. Noch eine Bemerkung: fie betrifft jenes verschwiegene Lächeln des Afiaten. Hätten wir uns mit Herrn Jao oder Herrn Ling über das Leben in buddhistischen Klöstern unterhalten oder über die Aussichten des chinesisch- japanischen Krieges, dann hätten die beiden geantwortet. Wenn sie aber unsere Fragen nicht verstehen, fönnen sie nicht antworten. Umge tehrt sähe das so aus: ein Deutscher geht in Kanton spazieren. Ein Chinese fragt ihn, mie spät es ist. Da der Deutsche nicht chinesiscs spricht, zuckt er die Achseln und lächelt bedauernd. Am nächsten Tag steht in der Zeitung: Wir fragen den Germanen, wie spät es sei. Statt einer Antwort lacht der weiße Mann". Was würden wir wohl dazu sagen?
Chinesische Küche.
Ber in Berlin chinesisch essen will, muß sich in die Gegend des Savigny plates bemühen. Hier find zwischen der Leibnizund der Mommsenstraße gleich drei chinesische Restau= rants. Da für die Chinesen des Berliner Westens ein Restaurant genügen würde, sind die fehlenden Kunden Deutsche . Die genau so wie die Chinesen mit Holzstäbchen effen. Mit dem Essen selber ist es wie mit allen Nationalgerichten. Italiener lecken sich die Finger nach Olinen in Del, Deutschen würgen fie im Halse. Chinesische Fleischgerichte scheinen mit Fenchel und Salbei zubereitet zu sein. Aber der Koch sagt, das wäre eine besondere Art von Paprika. Das zu beschreiben fällt nicht schwer, denn es sieht aus und schmeckt mie... Rurellas Brustpulver seligen Angedenkens. Statt Kartoffeln gibt es zu jeder Mahlzeit einen großen Napf Reis und dazu gehört immer ein Glas Tee.
Dann sind noch Mädchen da, viele Mädchen. Man sagt dazu in Berlin ,, Halbseide". Eine hat eine chinesische Ansichtskarte. Da sie die Schrift nicht lesen kann, ruft sie einen bekannten Chinesen. Der übersetzt ihr das.„ Er will dich heiraten" sagt lächelnd der Chinese. Das wird schon mancher gesagt haben, da draußen im Chinesenrestaurant in der Kantstraße...
Um die Erwerbslosen- Fleischkarten.
Weitere Verlängerung der Gewährungszeit dringend zu wünschen.
Auf die Vorstellungen des Reichsarbeitsministeriums hat das Reichsernährungsministerium gestern einen 3ufahbetrag zu der Fleischverbilligungsaktion des Reiches zur Verfügung gestellt, so daß noch einmal für eine Woche verbilligtes Frischfleisch an die Erwerbslojen abgegeben werden kann.
Der Gutschein für diese 11. Woche wird voraussichtlich in Form einer kleinen Karte zur Verteilung kommen. Bisher waren Bezugs scheine ausgegeben worden, von denen die ersten je 4, der letzte 2 Marken umfaßte.
Die Mitte Dezember von der Reichsregierung eingeleitete Fleischverbilligungsaktion für Erwerbslose wird in ihrer Bedeutung für die Landwirtschaft vielfach unterschätzt. Die Attion führte zu einer nicht unbedeutenden Entlastung der Viehmärkte, die praktische Auswirtung wurde allerdings durch einen Rüdgang unserer Bichausfuhr und starte Befchidung der Biehmärkte durch die Landwirtschaft beeinträchtigt. Der Rüdgang der Biehausfuhr beruht auf der Einführung neuer Absperrmaßnahmen seitens der Länder, die uns bisher größere Viehmengen abnahmen.
Durch die Fleischverbilligungsaktion wurden in bisher 9 Wochen 45 Millionen Pfund Frischfleisch um 30 Pf. gegenüber dem Tagespreis verbilligt. Dies entspricht einer Viehmenge von
225 000 Schweinen oder von 45.000 Rindern.
Diese Biehmengen wären ohne die Fleischverbilligung nur schwer absetzbar gewesen; denn die Arbeitslosen hätten ihren Fleischverbrauch zweifellos start eingeschräntt, menn fie die üblichen Tagespreise für das Fleisch hätten bezahlen müssen. Der Umfang der Entlastung unserer Biehmärkte ist auch dadurch gefennzeichnet, daß z. B. die Ausfuhr von Schweinen trotz fräftiger Förderung durch das Reich im Laufe des letzten Halbjahrs 1931
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Halter und Name geschützt Kein Abschrauben mehr.& inmal dreben, der Halter ist gefäll
Für Bearnte Angestellte, Vielschreiber Goldfink Groß
nicht über monatlich durchschnittlich 10 000 bis 15 000 Stück gesteigert werden konnte.
Ein Fachblatt der Fleischer schreibt zu dieser Frage: Das Reichsarbeitsministerium möchte nunmehr auch gern noch für eine 12. Woche den Arbeitslosen billiges Fleisch vermitteln. Da jedoch hierfür vom Reichsernährungsministerium feine Mittel mehr ausgegeben werden können, wird dies mur möglich sein, wenn sich bei der Endabrechnung ergibt, daß eine erheb liche Zahl von Fleischmarken nicht verbraucht worden sein sollte."
Vielleicht ist in diesem Zusammenhang ein Appell gerade an jene Kreise innerhalb des Fleischergewerbes, die wirtschaftlich noch recht gut dastehen, berechtigt, auch ihrerseits von sich aus an der Berbilligungsaftion mitzuwirken. Eine Berlänge rung der Gewährungszeit ist sicher sehr zu begrüßen, und wäre es nicht eine gute Werbung für die vielgerühmte privatwirtschaftliche Initiative", menn gerade in einer so hervorragend fozialen Frage der Privatunternehmer die öffentliche Hand entlasten würde?
Der Appell wird wahrscheinlich vergeblich sein!
3n Malaga wurde durch zwei starke Erdftöße eine erhebliche Beunruhigung unter der Bevölkerung hervorgerufen. Die Einwohner verließen teilweise ihre Häuser. Schaden wurde nicht angerichtet. Ju Madrid und Nordost spanien find große Schneefälle niedergegangen. Die Temperatur ift start zurückgegangen.
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LeipzigerStr.118, Ecke Mauerstr. Friedrichstr, 143, am Stadtbahnhof 163, Ecke Behrenstraße Taventzienstr. 4 am Wittenbergplatz 183, Ecke Mohrenstr. Spittelmarkt 15, Goldfinkecke
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