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Morgenausgabe

Nr. 85

A 43

49.Jahrgang

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Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Sonnabend

20. Februar 1932

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

Die einspalt. Millimeterzeile 30 Bt. Reklamezeile 2- M Kleine An­zeigen" bas fettgedrudte Wort 20 Bf. ( auläffig zwei fettgebrudte Worte jebes meitere Bort 10 Bf. Rabatt It. Sarif. Sorte über 15 Buchstaben zählen für amei Borte. Arbeitsmartt Millimeter­zeile 25 Pf. Familienanzeigen Milli­meterzeile 16 Bf. Anzeigenannahme im Sauptgeschäft Lindenstraße 3, mochentäglich von 8 bis 17 Uhr. Der Berlag behält sich das Recht der Ah lehnung nicht genehmer Anzeigen vor!

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Was macht der Reichstag? 3. März Bölferbundsversammlung

Eine politische Bilanz.

Von Kurt Heinig .

Immer wieder wird gefragt: Was tut eigentlich der Reichstag , der so selten zu einigen wenigen Sitzungen zu­sammentritt? Und was treiben die Reichstagsabgeordneten? Zumeist wird nicht der Abgeordnete selbst in öffentlicher Bersammlung oder sonstwie direkt gefragt, dann bestünde ja die Gefahr, eine sachliche Antwort zu bekommen, man macht es hinten herum, hämisch oder spöttisch, nicht nur der Reichstagsabgeordnete soll getroffen werden, der Hohn und der Haß gilt dem Reichstag , der Demokratie, der Republik .

Tatbestand bleibt, daß der Reichstag des 14. September 1930 in seiner Gesamtheit, als Plenum, für sachliche Gesetzesberatung unbrauchbar ist. Für jeden politischen Un­finn stehen ihm dagegen Nationalsozialisten, Deutschnationale, Kommunisten und auch die Deutsche Bollspartei nebst ver­schiedenen Splittergruppen, also nahezu die Hälfte der 577 Abgeordneten immer zur Verfügung. Der Rechtsradifa lismus hat im Plenum des Reichstages den Ton und die Umgangsformen nationalsozialistischer Verkehrslokale ein­geführt, die ,, Freunde zur Linken" leisten dazu den ihrer Art entsprechenden Beitrag. Sachliche Gesezesberatung, irgend eine vernünftige Mehrheitsbildung auf steuerlichem, fozial­politischem oder wirtschaftlichem Gebiete ist faum möglich, hat sich immer wieder als unerreichbar erwiesen.

Richtig ist, daß heute bei diesem Tempo der Entwicklung aller ökonomischen Berhältnisse, bei den sich ständig ver­ändernden Reichseinnahmen und-ausgaben, bei den immer wieder sprunghaft eintretenden innerdeutschen und außen­politischen Ereignissen, bei den Entscheidungen, die mitunter nicht nur europäische Angelegenheiten betreffen, sondern auch Deutschlands Teilnahme und Stellungnahme bei Fragen um­fassen, die den ganzen Erdball angehen, je de Regierung mit Notverordnungen regieren muß, ganz gleich, wie sie aussieht und wie sie zusammengesetzt wäre. Aber der Wahl­ausgang des 14. September 1930 spiegelt sich auch in der Art und dem Inhalt der Notverordnungen wider' und in den geringen Möglichkeiten, sie durch parlamentarische Mehrheitsbildung zu verändern.

Auch wenn die Legislative ( die im Reichstag ver­förperte gefeßgebende Gewalt) nicht funktioniert, die Ere= futive( die vollziehende Gewalt, die behördliche Maschine) hat im Gange zu bleiben, denn irgendwie muß der Staat doch regiert werden. Das Kabinett Brüning ist ebenso ein legislativer Rotbehelf, wie die Notverordnungen jetzt ein Behelfsmittel der Exekutive geworden sind.

Falsch bleibt die Annahme, als ob der Reichstag nun­mehr seit fünfzehn Monaten überhaupt nicht arbeite und die

Beschluß des Rats auf Antrag Chinas .

Genf , 19. Februar.( Eigenbericht.)

Der Völkerbundsrat hat nach ausgedehnter Debatte auf An­frag Chinas die Einberufung der Vollversammlung zum 3. März beschlossen.

Anrufe an seine Regierung weiterzugeben. Er bedauerie zugleich, Am Schluß der Debatte versprach der japanische Delegierte alle Anrufe an feine Regierung weiterzugeben. Er bedauerte zugleich, daß ein gleicher Appell nicht auch an China gerichtet werde. Paul Boncour forderte daraufhin auch China auf, ebenfalls guten Willen zu beweifen, wenn das japanische Ultimatum verlängert werde.

Japans Bekenntnis zum Imperalismus.

Genf , 19. Februar.( Eigenbericht.)

In der Freitagsihung des Völkerbundsrats begründete der Chinese en den Antrag seiner Regierung auf Einberufung einer Ratssitzung.. Ben verlangte vom Rat fofort'ge wirksame Maß­nahmen, damit die Offenfive der Japaner gegen Schanghai ver­widerstand bis zum äußersten leiffen. mieden werde. Die chinesischen Truppen würden im Ernstfall

+

Böllerbund habe Japan leider feine Hilfe finden können zur Rettung seiner Interessen. Es habe sich auf die eigene Kraft ver­laffen müssen. Gleiche Maßnahmen seien nie auf alle Völker und Staaten anwendbar. Der Rat hätte Idealist sein und nach den harten Tatsachen handeln sollen. In dem einseitigen Appell an Japan sei die Nichtanerkennung von vollende ten Tatsachen nicht ausgesprochen. Dazu müsse er die Proklama­tion der Unabhängigkeit der Mandschurei mitteilen. mas soviel mie etma Autonomie bedeute. Japan habe das unterstüßt, weil es zu­viel zu leiden gehabt hätte von den Gouverneuren Nankings.

Das dort investierte japanische Kapital sei zu groß(!), als daß sein Land irgendeine Verwaltung dulden werde, die dieses Kapital in Gefahr bringen könnte. Man habe Japan vorgeworfen, Rates nicht beachtet zu haben die Entschließungen des Niemand habe diese Entwicklung voraussehen können. China Die Boykottbewegung habe Japans Borschläge zurückgewiesen. sei entfesselt worden, so daß Japanf den ganzen Handel in China ver­Loren habe und durch andere Lieferanten ersetzt worden sei. Japans Bevölkerung denke dauernd, es fönne seine Auswanderer fast

nirgends hinschicken. Ganz Amerika , Südafrika und die übrige

Welt seien geschlossen. Japan wolle diese Ordnung nicht zerstören. Es leide unter dieser unwürdigen Behandlung. Im

Der japanische Delegierte Sato antwortete mit einer so un­geheuerlichen Rede, wie sie im Völkerbund noch niemals möglich gewesen ist. Es war die Rede eines Mannes, der weiß, daß er morgen im Kriege stehen wird, und der deshalb heute seine Gründe dafür offen und unerbittlich darlegte. Japan set trotz aller Ber­ständigungsvorschläge zum fritischen Moment gelommen, wo es tun müsse, was es für notwendig halte. Weil der Rat jezt die Sache der Vollversammlung übergeben molle, sei die letzte Gelegenheit gefommen, offen zum Rat zu sprechen. Der Böllerbund fei zwischen geordneten Staaten geschlossen. Im Fernen Osten aber sei China vom Bürgerfrieg desorganisiert. Hätte es Japan mit einem geord­neten Staat zu tun gehabt, so wären die äußersten. Mittel nicht nötig gemejen, es hätte sich zu jeder Art von Abkommen und Schiedsstellungen in dem Augenblid, wo die Bollversammlung einberufen gericht bereit gefunden. Auch andere Staaten hätten ihre Interessen in China mit Mitteln wahren müssen, die gegenüber organisierten Staaten nicht erlaubt gewesen wären. Japan verfolge in China nur das Ziel, feine Landsleute und Güter zu schüßen.

Wenn der Rat heute Japan verurteilen wolle, dann müsse es ihm vorher zeigen, wie er das Vorgehen anderer Mächte be­urteile, die vor Japan genau so gehandelt hätten gegen China . Japan tönne heute, wie jene damals, den Bölkerbundspaft nicht in feiner ganzen Tragweite anwenden gegenüber China . In Schanghai zurüdweichen, hieße Japans Interessen ganz aufgeben. Beim

Sonntag, den 21. Februar, vorm. 11 Uhr, in der Neuen Welt, Hasenheide

Führer- Appell

Ben- China erwiderte, Japan habe mehrfach behauptet, nicht Seit weiter zu besetzen, und habe doch weiter besetzt. hundert Jahren habe Japan in China , immer wieder mit Waffen und Geld eine Partei gegen die andere unterstüht, um China an der Einigung zu hindern. Viele Unruhen in China feien durch japanische Jutrigen hervorgerufen worden. Paul Boncour danfte Sato für feine ausführlichen. Dar

werde. Niemand werde Japans Lage vergessen, aber der Rat müffe nach Artikel 15 handeln, da er bisher nicht sein wichtigstes Ziel er reicht habe, nämlich die Einstellung der Feindseligkeiten. Weil Japan auf chinesischem Bode stehe, wäre es zuerst seine Pflicht gewesen, die Feindseligkeiten einzustellen.

-

Gemessen an dem, mas offenbar bevorsteht, waren die bis herigen Stämpfe um Schanghai zweitklassige Geplänkel. Denn in­zwischen haben die Japaner eine beträchtliche Truppenmacht man spricht von 90 000 Mann zusammengezogen, denen es an modernsten Kriegswaffen, insbesondere an neuen Luftge= fchwabern, nicht fehlt. Aber auch auf chinesischer Seite sind ganze Armeen, angeblich unter persönlicher Führung von Tschiang­taischet, vor Schanghai tonzentriert, die entschlossen sind, das eigene Land mit allen Mitteln zu verteidigen. In diesem Sinne hat die Kuomintang einen Aufruf an das chinesische Volk erlassen.

Nach dem bisherigen Berlauf der militärischen Ereignisse ist es noch feineswegs sicher, daß die technisch überlegenen Japaner den

Ministerialbürokratie allein und eigenmächtig darauf los der Eisernen Front Berlin Sieg babontragen werden. Sie hatten sich die Sache offenbar viel

regieren könne. Die verantwortungsbewußten Parteien, voran die Sozialdemokratie, haben seit Jahresfrist ihre Arbeit in die Ausschüsse verlegt. Hier wird täglich und intensiv gearbeitet, hier sind sachliche Beratungen möglich, denn die Nationalsozialisten beteiligten sich nicht, meist fehlen auch die Deutschnationalen, und nur die Kom Das munisten verfallen in den Ausschüssen mitunter in ihre Liebe zum Luftboren mit großen Redensarten, obwohl sie zum Schluß fast immer für die sozialdemokratischen Anträge

stimmen.

Welche Ausschüsse tagten und wie oft tagten sie feit Mitte Oftober 1930 und wie ist daran die sozialdemokratische Reichstagsfraktion beteiligt?

Gigungen

fozialdem. Mitglieder

Ausschuß für Reichshaushalt Ständiger Unterausschuß..

97

9

21

Rechnungsunterausschuß

56

Ausschuß für Wohnungswesen.

36

"

9

. Strafrechtsreform

30

Roggenstügungs- Untersuchungsausschus

28

25

19

18

14

14 10

Ausschuß für Volkswirtschaft

"

P

Rechtspflege

Kriegsbeschädigtenfragen

Steuerfragen

"

"

"

"

"

"

foziale Angelegenheiten Beamtenangelegenheiten

422777767767

Weiter tagten der Ausschuß zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung, der Ausschuß für auswärtige Angelegen heiten, der Geschäftsordnungsausschuß, der Petitionsausschuß, der handelspolitische Ausschuß, der bevölkerungspolitische Aus­schuß, der Bildungsausschuß, der Verkehrsausschuß, der Aus fchuß für landwirtschaftliches Siedlungsmejen, der Ausschuß

Redner:

Robert Bredow, Fritz Barthelmann, Arthur Neidhardt, Franz Künstler . Karten sind vergriffen. Aktionskomitee Berlin der Eisernen Front.

leichter vorgestellt. Sie vermochten zwar das Chinesenviertel Schang hais mit Fliegerbomben und Artillerie in Brand zu stecken und dabei Diele hundert Zivilisten zu töten oder zu verstümmeln, aber die Stadt felbft fonnten sie bisher nicht halten und die Wusungforts find bis zur Stunde noch immer in Chinas Hand. Gewiß hat Japan in­zwischen nach und nach beträchtliche Berstärkungen herangezogen,

3ogen sie es vor, sich zu verdrücken.

für Liquidationsschäden, der Ostfragenausschuß und der Aus-| ihre abgrundtiefe Unkenntnis lächerlich gemacht. Deswegen schuß für Kriegsschuldenfragen in zusammen 62 Sigungen. Die sozialdemokratische Fraktion war dabei mit 84 Abge­ordneten beteiligt.

Insgesamt haben also bis heute 430 usschuß sizungen stattgefunden, an denen unsere Reichstags­fraktion mit 158 Abgeordneten beteiligt war. Diese Zahl ist höher als die unserer Mandate, das erklärt sich daraus, daß eine Anzahl unserer Reichstagsabgeordneten aus verschiedenen Gründen, z. B. als Fachleute und Spezialisten, aber auch als Fraktionsführer in mehreren Ausschüssen tätig sein müssen. Außerdem tagte in der gleichen Zeit das Plenum in 56 Sigungen. Diese Beratungen verlangten selbstverständ­lich auch eine große Anzahl Sigungen des Aeltestenausschusses, die in unserer obigen Aufstellung nicht miteinbegriffen find.

Diese Feststellungen sollen feine Entschuldigung für oder Selbsttäuschung über den gegenwärtigen Reichstag sein, sie stellen nur unter Beweis, daß auch unter den erschwerten Umständen im Reichstag dort gearbeitet wird, wo sachliche Arbeit noch möglich ist, also in den Ausschüssen.

Bei dieser Arbeit fehlen selbstverständlich die National sozialisten feit fünfzehn Monaten, also diejenigen, die an die Regierung wollen. Bei ihren ersten Versuchen, im Winter 1930 in den Ausschüssen mitzuarbeiten, haben sie sich durch

Festgestellt muß werden, daß die Ausschußarbeit des Reichstags nicht befriedigt, ihr fehlt die Kontrolle durch die Oeffentlichkeit und die bindende Kraft der Beschlüsse, die nur den Entscheidungen des Reichstagsplenums zukommt. Aber die derzeitigen Zustände sind nicht von uns erfunden, sie sind durch den 14. September 1930 und durch die Weltkrise ge­schaffen, die Sozialdemokraten wollen und können in der Ausübung ihrer Volksvertretungsrechte nicht die Hände in den Schoß legen, bis wieder günstigere Verhältnisse und klare parlamentarische Zustände geschaffen sind. Deswegen ar­beitet auch unsere Reichstagsfraktion an dem Play, auf den sie gestellt wurde, und unter den Umständen, die zur Zeit Tat­sachen sind.

Auch Reichstagsabgeordnete haben in der sozialdemo= fratischen Bewegung kein Anrecht auf Lob, sie haben wie jeder andere ihre Pflicht zu tun. Daß dies geschieht, sollte Im hier einmal öffentlich unter Beweis gestellt werden. übrigen kämpft jeder von uns im Lande um ein Ziel: daß dieser Reichstag einmal durch einen neuen Wahlentscheid des Volkes von einem Reichstag abgelöst werden möge, der dem Sinn der Weimarer Verfassung entspricht. Darum gilt es vor allem, den Faschismus zu schlagen!