April vorigen JahreS ihr Grmckramgeschäft hat, betrieb früher einen Kolportagebuchhandel und stand mehrmals im Verdacht. verbotene anarchistische Schriften zu führen. Eine Zeitlang halte sie de» Anarchisten Paul Kofcheman». der jetzt zu Plötzensee im Gefängnist sitzt, in Kost, und damit hängt wohl die letzte Durchsuchung ihrer Räume zusammen. Tie Haussuchung verlies erfolglos. Auch ein Eicherhcitöbcamter. Steckbrieflich verfolgt nmo von der kgl. Staatsanwaltschaft am Landgericht I Berlin der Löjäbrige Schutzmann L a n g a n k e von hier, dem folgende Strafthaten zur Last gelegt werden:]. Widerrechtliche Verhaftung und Entziehung der persönlichen Freiheit; 2. Bedrohung. um sich eine» rechlsividrigen Verinögensvorlheil zu ver- schaffen; g. Mißbrauch der Amtsgewalt: 4. Vorsätzliche, körperliche Mißhandlung und Körperverletzung bei Ausübung seines Berufes; ö. Beleidigung; und endlich 6. wissentlich falsche An- schuldigung bei einer Behörde.(Allerdings«in ganz anständiges Slraskonto!) In Königs-Wlistcrhausen fährt der Schornsteinfeger auf dein Zweirad in die umliegenden Dorfer, um seinem Berufe ob- gegen. Leiter, Besen und Kehrwerkzeug trägt er aus dem Fritz Friedman» will nicht schweigen. Sein Pariser Ver- leger Paul Ollendorff kündigt jetzt im„Buchhändler-Börsenblatt" an. daß in feinem Verlage in nächster Woche erscheinen wird: «Fritz Friedmann , Gnilikiumv II. et la revolution par en haut. L'affah-e Kotze."(Wilhelm II. und die Revolution von oben. Der Fall Kotze.) Ei» Revolverheld. Zu der unter dieser Spitzmarke mit- getheilten Affäre ini Restaurant Kaiserbad in Treptow wird uns berichtigend initgetheilt. daß nicht ei» Rentier P., sondern dessen Vertreter, ein gewisser A u e r b a ch.den Revolverschuß aufdenWirth Mücksch abgegeben hat. Der RentierP., derJnhaber des Bades.war bei der Sache überhaupt nicht anwesend. Auch hat sich der Konflikt ausschließlich� zwischen dein Wirth und dem Revolverhelden Auerbach infolge eines Wortwechsels abgespielt. Die Ver- letzungen des Herrn Mücksch. die er durch die Schrotkörner am am Kopf davontrug, sind glücklicherweise nur unbedeutend, so daß Herr Mücksch nicht nöthig hatte, ein Krankenhaus aufzu- suchen. WitterilngSiibersicht vom SO. Juli 189«. Wetter-Prognose für Dienstag, den 21. Juli 189S. Etwas wärmer, vielfach heiter, zeitweise wolkig mit schwachen südwestlichen Winden; keine oder unerhebliche Niederschläge. Berliner Wetterbureau. Wirkung der Grtvcrbc Zlnsstcllnug. Einer der Aussteller auf der Gewerbe- Ausstellung, ein hiesiger Schlosser- meister, ist der Erfinder und Fabrikant von Möbeln zur Kranken- pfleg., die aus Ersen und Glas hergestellt sind. Innerhalb einer Woche empfing er, wie ein Berichterstatter mittheilt, vier größere Austräge aus fernen Ländern, und zwar aus B a h i a, Neapel . BuenoS-Ayres und Chile . Sämmtliche vier Auftraggeber erwähnen in ihrer Bestellung, daß sie selbst auf der Ausstellung waren und dort die betreffenden Möbel in Augenschein genommen haben. Ein großer Wassermangel entstand gestern im Nordpark der Ausstellung und zwar infolge eines Bruches des Hauptivasser- rohres in der Wäscherei von K. Infolge des Defektes in der Leitung, welcher um 1t) Uhr vormittags entstand, mußte die ge- sanimte Leitung für den Nordpark zur Vermeidung einer Ueber- fchwemniung gesperrt werden. Die Reparaturarveiten wurden jedoch sofort ausgeführt, sodaß die Jiestaurateure am Nachmittag ber-its wieder Waffer erhalten konnten. Die Zahl der Unfälle ee., welche in der verflossenen Woche auf dem Ausstellungsgelände zur Behandlung kamen, belänft sich insgesarnnit aus 262; davon entfallen 178 auf die Sanitätswache und 64 auf die U n f a l l st a t i o n. Die Woche war ganz besonders reich an schweren Ver- letzungen; es mußten zahlreiche Personen an die Berliner Krankenhäuser zur weiteren Behandlung abgeliefert werden. Auch ein Todesfall ist in der letzten Wochenstatistik zu registriren. Das American-Theater im Vergniigungspark hat mit den» heutige» Tage seine Vorstellungen eingestellt. Der Pächter dieser Bühne, Direktor Lange, hat es indeß noch ermöglicht, seinen Mitgliedernlam Sonnabend die Gagen auszubezahlen. Ein frecher Droschkendiebstahl ist am Sonntag Vor- mittag bei„Kairo " verübt worden. Um 93/* Uhr wurde der Fuhrherr Bt i n k s aus der Berlinerstr. 97 zu Rixdorf in eine Schankwirthschaft der Dresdenerstraße gerufen, damit er vier Herren nach„Kairo " fahre. Als man dort ankam, gingen drei seiner Fahrgäste gleich nach„Kairo " hinein, während der vierte, den die anderen erst in der Wirlhschaft kennen gelernt hatten, draußen blieb. AlsderKutscher, nachdeinerHutund Mantel abgelegt halte, auf einen Augenblick weggegangen war, wollte dieser Vierte auf Pferd und Wagen acht geben. Er that das in der Weise, daß er des Fuhrherrn Mantel anzog und den Hut aufsetzte und mit der Droschke davonfuhr. Von den drei Fahrgästen erfuhr Minks, daß der Dieb sich ihnen als Schmalzsieder Scheberlein aus der Wienerstraße mit der Angabe vorgestellt habe, daß er in Rixdorf ein eigenes Geschäft besitze. Alle sein« Angabe» haben sich als falsch herausgestellt. Der Dieb bat schon dreimal ver- sucht, das Fuhrwerk, die mit einer Fuchsstule bespannte Droschke 1. Klaffe Nr. 7660, zu verkaufen und ist leider nicht angehalten worden; er ist etwa 28 Jahre alt und 1,63 Meter groß und hat «inen kleinen Schnurrbart. Gevilkxks-Jeikung. Gegen unseren verantwortlichen Redakteur wurde gestern in einer Beleidigungsklage, welche die Geschäftsführer des Deutschen Verlagshauses, in deren Verlag» die„Deutsche Warte" erscheint, angestrengt hatten, vor dem hiesigen Schöffen- gericht verhandelt. Als Kläger sungirten die Herren Scheidhauer, Löwe, Göhler und Schade. Der letztere ist gleichzeitig verant- wortlicher Redakteur des oben genannten Blattes. Der„Vor- wärls" hatte in seiner Nr. 90 vom 17. April unter der Spitz- marke: Zum Kapitel vom unlauteren Wettbewerb«ine Notiz gebracht, in welcher die Geschäftspraktiken der„Deutschen Warte", ihren jeweiligen Abonnenrenstand ,u veröffentlichen, einer Kritik unterzogen waren. Hierdurch fühlten sich die vier genannten Herren beleidigt und stellten durch ihren Vertreter, Herrn Rechtsanwalt Wiener, Strafantrag wegen Beleidigung. Im gestrigen Termin führte der Angeklagte zur Sache selbst ans: In Nr. 101 der„Deutschen Warte" vom 13. April wurde im Morgenblatt milgetheilt, daß die gegenwärtige verbürgte Abonnentenzahl über 40 000 betrage, und im Abendblatt desselben Tages kündigte das Blatt bereits eine verbürgte Abonnentenzahl von über DO 000 an. Diese Mitlheilungen an der Spitze des Blattes seien ihm ver- dächtig erschienen und habe er keine Veranlassung gehabt, in seiner Notiz dieses Geschäftsgcbahren nicht in das richtige Licht zu stellen. Wenn auch die Leitung des Blattes sich dahinter verschanzt, daß sie es nicht nothwendig habe, jeden neu hinzukommenden Abonnenten bekannt zu geben, s andern damit warten, bis eine größere Zahl erreicht sei, so halte er dennoch daran fest, daß hier eine Goschästsmanipulation vorliege.darauf berechnet, auf das inserirende Publikum einzuwirken. Der Begriff über 40000 Abonnenten am Morgen und über 50 000 am Abend sei dermaßen dehnbar, daß am anderen Tage dieses Mannöver leicht wiederHoll werden konnte. Wenn z. B. das Blatt in der einen Nummer von über DO 000 Abonnenten spricht, so könne man ebenso gut darunter 59 999 verstehen. Kämen bei der darauffolgenden Nummer zwei weitere Abonnenten hinzu, so wäre das Blatt resp. die Geschäfts- leitung desselben in der Lage, von ü b e r 60 000 Abonnenten zu sprechen. Hieraus gehe hervor, daß die Differenz von 20 000 Abonnenten, die eventuell zwischen über 40 000 und über 50 000 liegt, in einerj Form dem Publikum bekannt gegeben werden könne, aus welcher sich das letztere kein klares Bild machen könne. Er sei saber auch noch aus andern Gründen zu der Bermuthung gekommen, daß hier recht sonderbare Geschäfts- Manipulationen auegeübt werden, indem die„Deutsche Warte" bereits im Jahre 1893 wegen der Bekanntgabe ihres Abonnenten» standes und die dabei angewendete wöchentliche Addition in einer Notiz im„Vorwärts" gerügt wurde, ohne daß damals eine Berichtigung seitens der Geschäftsleitung der„Deutschen Warte" erfolgt wäre. Endlich sei er auch durch den Unistand, daß die Redaktion der„Deutschen Warte" in ihrer Nummer vom 30. Januar eine„Korrespondenz" au? London veröffentlichte, die aus der„Züricher Post" stammte, stutzig geworden, weil diese Notiz in der„Deutschen Warte" mit der Anmerkung„Von unserem eigenen Korrespondenten" versehen war. Ans allen diesen Umständen heraus folgere er auch noch heute, daß bei der „Deutschen Warte" Geschäftspraktiken bestehen, die in keinem andern Blatte üblich sind. Wegen der letzteren Notiz sei übrigens der„Vorwärts" gezwungen gewesen, die Redaktion der „Deutschen Warte" des Diebstahls an geistigem Eigenthum zu bezichtigen. Die in der heutigen Beleidigungsklage in Frage stehende Notiz habe keine persönliche Spitze; er habe die Geschäftsmanipulationen der„Deutschen Warle" in einer zulässigen Kritik besprochen, eine Beleidigung könne er in der fraglichen Notiz nicht erblicken. Der Vertreter der Kläger . Rechtsanwalt Wiener, plädirt für entsprechende Bestrafung des Angeklagten. Die Notiz enthalte schwere Beleidigungen der Geschäftsführer der„Deutschen Warte". Der Gerichtshof ver- urthcilte den Angeklagten zu 30 M. Geldstrafe event. 6 Tagen Gefäugniß, auch beschließt derselbe die Einziehung der fraglichen Stummer des„Vorwärts" und spricht den Beleidigten die Publi- kationsbefugniß zu.(Und deshalb beschritt die Geschäftsstelle und Redaktion der„Deutschen Warte" den Klageweg? Sollten uns ähnliche Geschäftspraktiken wieder begegnen, dann werden wir dieselben abermals in entsprechender Weise zu würdigen wissen und damit basta' Ter sogenannte Gichtkettenstrozeß nebst der damit ver- knüpften Fälschungsgeschichre, welcher seiner Zeit wegen der be- gleitenden Umstände großes Aussehen erregle, erlebte am Sonn- abend vor dem Moabiter Schöffengerichte eine neue Auflage. Als vor Jahresfrist der Prozeß wider Thomas und Genossen wegen des Vertriebes der werthlosen Gichtketten verhandelt wurde, legte Thomas dem Gerichtshofe ein Attest des Gerichts- chemikers Dr. Bein vor, in welchem dieser Sachverständige mit seinem Name» dafür eintrat, daß den Gichtkelten alle die guten Eigenschasten anhaften, welche der Verkäufer in seinen Reklamen den Gichlkelten zuschrieb. Dr. Bein erklärte damals zum Erstaunen der Richter, daß er«in solches Attest nicht ausgestellt habe. Später gelang es demselben, nachzuweisen, daß eine grobe Fälschung vorlag. Der Fälscher konnte nicht so bestimmt festgestellt werden, daß gegen denselben hätte gerichtlich eingeschritten werden können und auch der Verkäufer der Gicht- ketten konnte strafrechtlich nicht verfolgt werden, weil ihm nicht nachzuweisen war, daß er wußte, oder den Umständen nach hätte wissen müssen, daß das von ihm ausgebeutete Attest gefälscht war. Später hatte es sich der Apotheker Küster in Berlin an- gelegen sein lassen, die falsche Thatsache z» verbreiten, daß Dr. Bein ein solches Attest ausgestellt habe und beleidigende Konseqnenzen daran zu knüpfen. Um diese Angelegenheit, welche bisher nur die Staatsanwaltschaft beschäftigt hatte, einmal in öffentlicher Gerichtsverhandlung erörtern und klar legen zu lassen, verklagte Dr. Bein den Apotheker Küster wegen Be- leidigung. In der Hauptverhandlung gelangte nun der Gerichts- hos nach Vernehmung zahlreicher Zeugen und Sachverständigen zu der Ueberzeugung, daß sämmtliche Behauptungen des Angeklagten unwahr seien und das von Thomas im Gichtkettenprozeß präsentirte, angeblich von Dr. Bein her- stammende Attest thatsächlich gefälscht sei und keinen- salls von Dr. Bein herrühre. Der Gerichtshof hielt die Ver- letzung der Standes- und Berufsehre, wie sie hier einem gericht- lichen Sachverständigen zugefügt worden sei, für eine so schwere, daß auf Gefäugniß erkannt worden sein würde, wenn dem An- geklagten nicht zu gute gehalten werden müsse, daß er die von ihm verbreiteten falschen Thatsache» seinerzeit ans Mit- theilungen der Presse geschöpft und von der Unrichtigkeit derselben vielleicht keine Kenntniß gehabt, mithin nicht wider besseres Wissen gehandelt habe. Da aber jedermah» für die objektive Wahrheit seiner Behauptungen verantwortlich sei und der Fall sehr schwer liege, so sei auf 300 M. G e l d st r a f e erkannt worden, an deren Stelle im Uuvermögensfalle 60 T a g e Gefängniß treten. Dem Beleidigten wurde die zwei- m a l i g e Publikation des rechtskräftigen Urtheils in- v i e r Berliner Zeitungen auf Kosten des Angeklagten zugesprochen. Anö Trcsdc» hatte» wir besonders anläßlich des letzten M a u r e r st r e i k s wiederholt über Gerichtsurtheile zu berichten, die im ganzen Reiche Staunen erregten. So mancher„verruchte Streikbruder" wurde da zur Strecke gebracht, häufig genug ver- mittelst der Verwendung des„Mädchen für alles", des§ 360,ii (grober Unfug). Es ist daher recht wohlthuend, wenn wir heute einmal von emrm außerordentlich vernünftigen Urtheile berichten können. Vor die Schranken tritt der Maurer A u l i g, der sich wegen Vergehens gegen 8 153 der Gewerbe-Ordnung verantworten soll. Er ist am 19. Juni, während des Streiks also, aus einen Neubau gekommen und hat dort in angeblich„barschem" Tone einem arbeitenden Lehrling zugerufen:„Jetzt packst Du Dein Zeug zusammen und machst, daß Du vom Bau herunter- kommst!" Der betreffende Lehrling ist gegangen. Aulig giebt zu, die ihm zur Last gelegten Aeußeruugen dem Lehrling gegen- über gethan zu haben, bestreitet indessen, daß der„Ton" be- sonders barsch gewesen sei. Dieser letzteren Behauptung wider- sprechen die Zeugen. Der Amtsanwalt hält die Anklage für gedeckt und beantragt wegen§ 153 der Gewerbe-Ordnung, event. auch wegen groben Unfugs mit Rücksicht auf die„ganze Schwere des Falles" eine angemessene hohe Bestrafung, eine„fühlbare Freiheitsstrafe". Das Schöffengericht unter Vorsitz des Herrn Oberamtsrichters Flechsig erkennt auf kostenlose Freisprechung. Der Vorsitzende begründet das Urtheil etwa folgendermaßen: Wenn auch erwiesen ist, daß der Angeklagte die fragliche Aeußerung gethan und vielleicht auch in einem rauhen, barschen Tone gethan, so sind doch dadurch noch lange nicht di, ThatbestandS- merkmale des 8 153 der Gewerbe-Ordnung gegeben. D-r Para« graph bedingt eine Drohung oder Ehrverletzung als Mittel zur Abhaltung von der Arbeit, beides liegt hier nicht vor. Das Gesetz will nicht jedes ernste Wort, mag es auch den Zeugen grob erscheinen, bestraft wissen, sondern eben nur Drohungen oder Ehrverletzungen. Als grobe» Unfug konnte man die Worte des Angeklagten ebenfalls nicht er» achten, dies würde zu all' zu bedenklichen Konsequenzen führen. So mußte man zur Freisprechung gelangen. Tie Bedeutung des Beiworts verantwortlich. Nach der„Thüringer Zeitung" wurde der Redakteur und Heransgeber der„Deutschen Gärtuerzeitnng" vom Schöffengericht zu 5 M. Geldstrafe verurtheilt, weil er nicht ausdrücklich als„ver- antwortlicher" Redakteur gezeichnet hätte. In feiner Ver- theidigung hob der Angeklagte unter Berufung ans ein sehr umfang. reiches Material hervor, daß im Falle seiner Verurtheilung eine große Anzahl von Prozessen aus gleichem Anlaß angestrengt werden müßte. Gleichwohl verurtheilt« ihn das Schöffengericht zu oben genannter Strafe. Nach Verkündigung des UrlheilS überreichte der Verklagte aus seinem Vorrath der ver» schiedensten Zeitschriften dem Amrsanwalt die neueste Nummer der„Münchner Fl. Bl." mit dem Bemerken. daß er sie ihm mit dem Hinweife zur amtlichen Kenntniß bringe, daß nunmehr nichlS übrig bleibe. als auch die Redaktion dieses weltbekannten Witzblattes von Erfurt aus mit einem Strafverfahren zu bedenken, da sie genau so zeichne, wie er es bisher gethan habe. Die Ueberweisung weiteren Materials als Vorbereitung für die zweite Instanz behalte er sich vor. Demnach scheint es, als ob Erfurt , durch Prcßprozesse ohnehin schon bekannt genug geworden, der Ausgangspunkt einer vorläufig noch gar nicht übersehbaren Reihe von Strafverfahren werden wird. In bezug aus die „Flieg. Blätter" bemerken die„Münch. N. N.". daß dieselben seit bald 60 Jahren mit der heute noch üblichen Redaktionsbezeichnung erscheinen und in diesem, ein Menschenalter umfassenden Zeil - räum in die Hände unzählbarer Staats- und Amtsanwälle ge- langt und von denen»ach beendeter Lektüre unbeanstandet wieder bei Seite gelegt worden sind. Es scheint Erfurt vor- behalte» geblieben zu sein, auch gegen dieses in der ganzen Welt beliebte humoristische Blatt ein Slrafversahren einzuleiten. Der Leiter der Staatsanwaltschaft in Erfurt ist bekanntlich der wegen einer in offener Gerichtssitzung verübten Beleidigung eines Sie- dakteurS bestrafte Erste Staatsanwalt Lorenz. „Ein anständiges Ticnstmädchen, welches mehrere hundert Mark Vermöge» besitzt, sucht einen achtbaren Mann als Ehe« mann." Eine Annonce dieses Inhalts, welche eines Tages in einer hiesigen Zeitung erschien, rührte von dem Dienstmädchen Lina G. her. Sie hatte sich in langjähriger treuer Dienstzeit bei verschiedenen Herrschasten einige hundert Mark erspart und sehnte sich nach eigener Häuslichkeit. Als der„achtbare Mann' meldete sich, zunächst brieflich, der Kaufmann Eugen D i e k e l m a n n, obwohl er eine böse Vergangenheit hinter sich hat, wegen Brand- stiftung mit 3 Jahren Zuchthaus, wegen Diebstahls mit 2 Jahren Zuchthaus vorbestraft und außerdem auch verheirathet ist. Er schickte einen in schönen Worten verfaßten Brief, dem er seine Photographie beigefügt hatte, unter der an- gebenen Chiffre ein und erzählt« darin, daß er ein mit 3400 M. Jahresgehalt angestellter Braueret- Inspektor sei und die Absicht habe, sich zu verheirathen. Die Photographie zeigte einen recht ansehnlichen mit wohlgepflegtem blonden Schnurrbart ausgestatteten Mann in den besten Jahren, der auf das Mädchen einen so günstigen Eindruck machte, daß es mit dem angehenden Freiersmann sofort in brieflichen Verkehr trat, aus welchem sich der persönliche Verkehr entwickelte. Diekelmann trat auch hier als„achtbarer" Mann auf und das Mädchen hatte keine Ahnung davon, in wessen Hände sie gefalle» war. Das Pärchen kam wiederholt zusammen und der An- geklagte rückte mit dem Vorschlage heraus, daß ein Mehl- geschäst angekauft werden m öge, da er gelernter Kaufmann sei und zu diesem Berufe zurückkehren möge. Er hat aber kein Wort davon gesagt, daß es sich um ei» Mehlgeschäst handelte, welches er selbst früher besessen und auch jetzt noch verwaltete, da es sein Bruder im Konkursverfahren erworben hatte. Eine? Tages, als Diekelmann mit dem vertrauensseligen Mädchen in einem Restaurant zusammensaß, machte er einige Scherze. Er fragte das Mädchen, ob sie einen Thaler zerbrechen könnte, und als das Mädchen dies verneinte, that er sehr erstaunt und meinte, daß sie dann wohl auch nicht ihren Namen schreiben könne. Lina G. protestirte hiergegen, und als ihr Diekel- mann„zum Spaß" zwei Zettel vorlegte, schrieb sie ganz stolz ihren Namen darauf. Als der Angeklagte daraus etwas von„Wechseln" fallen ließ, bekam das Mädchen Angst, umsomehr, als sich der angebliche Freiersmann immer seltener sehen ließ. Sie hielt es für angezeigt, sich nach Dielelmann näher zu er- kundigen und da erfuhr sie dann zu ihrem Entsetzen, daß der Angellagte verheirathet und seine Ehescheidungsklage noch lange nicht erledigt ist. Die„zum Spaß" gegebenen Unterschristen des Mädchens waren thalsächlich als Akzepte auf Wechsel-Blanketls gefetzt worden, die Diekelmann mit 300 beziv. 400 M. aus- füllte. Von einen: Scherz war nun keine Rede mehr, viel- mehr wurden die Wechsel gegen das Mädchen geltend gemacht und mangels Zahlung„Zwangsvollstreckung" ausgeführt. Als infolge dieser Vorgänge das Strafverfahren gegen Diekel- mann eingeleitet wurde, machte dieser eine Eingabe bei der Staatsanwaltschaft, in welcher er behauptete, daß Lina G, ihn» selbst erzählt habe, sie habe in den zwei Jahren, welche sie bei einer Herrschaft gedient, beim Kleiderreinigen so viel Geld in den Westentaschen des Hausherrn vorgesunden, daß sie sich 700 M. zusammengespart habe. Diese Beschuldigung war in frivoler Weise erfunden und Diekelmann hatte sich deshalb gestern wegen wissentlich falscher Anschuldigung und Urkundensälschung vor der 2. Ferienstraskammer des Land- gerichls I. zu verantworten. Nach den Ergebnissen der Beweis« aufnähme beantragte der Staatsanwalt drei Jahre drei Monate Zuchthaus . Der Gerichtshof erkannte aus drei Jahre ein Monat Zuchthaus. Idyll vom Schöffengericht. Präsl(zum Angeklagten): Sie haben mit der Benohlencn zusammen gelebt. Sie waren doch nicht verheirathet?— A n g e k l.: Um Jotteswillen, lieber sterbe ick.— Prä s.: Sie lebten also im Konkubinat?— Angeklagter: Nee, in der Müllerstraße.— Präs.: Werden Sie hier nicht etwa dreist, sonst könnten Ei« Unannehmlichkeiten haben.— A n g e k l.: Nischt vor unjnt, Herr Jerichlshof, ick bin aber bloS bei Pfeiffern in de Schule jejangen und kenne den feinen Zimmt»ich. Aber ins Konjlomerat habe ick nie jewohnt. — Präs.: Weshalb haben Sie sich von der Zeugin getrennt?— A n g e k l.: Weil se zu ville jesoffen hat.— Präsident: Angeklagter, ich fordere Sie nochmals nachdrücklichst auf, sich hier anständig zu benehmen. Vor Gericht spricht man nicht vom„Saufen", sondern vom„Trinken". Mit Rück- ficht auf Ihre Ungebildetheit, will ich diesmal die Sache noch so hingehen lassen.— A n g e k l.: Ick kann doch bloS so reden, wie ick et jelernt habe.— Präs.: Sie sollen der Zeugin bei Ihrem Weggange«ine Summe Geldes weggenommen haben. Wie kommen Sie dazu?— A n g e k l.: Ick wollte ihr det Jeld sichern— weil se zu ville soff!— Präs.(vorwurfsvoll) An- geklagter, jetzt ist es genug. Ich habe nicht Lust, mir Ihre Roh« heilen hier weiter gefalle» zu lassen.— A n a« kl.(ganz erstaunt): Ja, wie soll ick mir denn ausdrücken. Wenn'ne Frauensperson vier Schnäpse hinter einander sich runter ekelt, denn nennt man det saufen und»ich drinken. Co habe ick's gelernt.— Auf Antrag des Staatsanwalts wird der unverbesser- liche Dialektiker wegen Ungebühr vor Gericht zu einer ein- tägigen Haftstrafe verurtheilt und zur Verdüßung der letzteren trotz lebhasten Protestes sofort abgeführt.
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