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Wilhelm Sieydrich: Sttechmarken fehr begehrt...
Zlbeirdz kam ich zwei Minuten zu spat zur Arbeit und fand die Tür verschlossen. Mit der Kuchenbäckerei war es also wieder aus. Ein anderer stand an meiner Stelle und freute sich. Nun, eines Tages würde auch er wieder hinausfliegen, denn es war Zufallsarbeit. Man bekam sein Geld täglich, und wenn dem Boß deine Nase nicht mehr gefiel, dann sagte er bei der Auszahlung: Scher dich zum Teufel!" und alles war vorbei. Ich schob über die Brooklynbrücke nach Manhattan   hinüber, bog links ab nach der Battery   und fegte mich dort auf eine Bank, um auf den nächsten Morgen zu warten. An der Bartery war der Arbeitsnachweis. Da es in der Bäckerei immer etwas zu esien gab, hatte ich für die letzten Cents Tabak gekauft. Jetzt saß ich da mit leerem Magen, der sich durch Rauchen nicht länger betrügen ließ. Verflucht und zugenäht, da konnte ich morgen wieder um Brot schnorren gehen! Und wenn ich Pech halte, schnappte mich die Polizei... Ein Gummiknüppel stieß mich In die Rippen.Du darfst hier nicht schlafen", sagte der Polizist, der wie ein schwarzer Riese vor mir stand. Ich wollte mich erheben, doch er hinderte mich.Oh, nicht doch! Sitzen darfst du ruhig bleiben, nur nicht schlafen. Das ist die Borschrift bißchen oerrückt, aber nicht zu ändern." Damit ging er weiter. Wenn der verdammte Magen nur nicht so knurren wollte! Ich zündete mir eine neue Pfeife an und stierte auf die schwarzblau« Bai hinaus. Lichter zogen darauf hin und her. Das grellweiße Pünktchen in der Ferne war die Fackel der Freihcitsstatue. Sie leuchtete nicht sehr ermutigend, diese Freiheitsfackel... Bah, auch hier ist alles verboten, was so ein bißchen wie nach Frecheft aus- sieht. Und morgen werden sie mich wahrscheinlich wieder festsetzen, weil ich vor lauter Freiheft kein Geld mehr habe... Alles fauler Zauber! Gegen Morgen wurde es lausig lall, und ich begann wieder einmal zu merken, wie heruntergekommen ich war. Um vier Uhr stand ich vor dem Arbeitsnachweis. Obwohl noch zwei Stunden Zeft waren, standen bereits tausend Mann dort. Allmählich wurden es dreitausend. Dreftausend Mann, die nichts zu esien hatten und vor Kalle mft den Zähnen klapperten! In der Halle war es fast noch dunkel. Nur ganz vorn war etwas Licht. Dort saßen die beiden Schreiber und lasen Zeitung. Wir Arbeitsuchenden existierten überhaupt nicht. Wir drängten uns aneinander und wärmten uns gegenseftig. Einige flüsterten. Die meisten schwiegen. Mir zitterten die Knie nach der schlaflosen Nacht. Was Teufel, konnte ich denn überhaupt Arbeit nehmen, wenn sich nachher etwas bot? Ich hielt es doch keine drei Stunden aus geschweige denn bis zum Abend! Durch die Fenster kroch das fahl« Morgenlicht und beleuchtete die Gespensterversammlung Alles hustete und spuckte, und in der Eck« kippte jemand um. Mir war schon ganz übel vom Tabak- kauen... Endlich klingelte das Telephon.Zwanzig Bauhelfer nach Jersey City  !" schrie der Schreiber. Nur ein paar Leute drängten sich hinaus. Wer hatte denn das Geld, die Fähre zu bezahlen? Es kam schon noch etwas Besseres. Alle fünf Minuten klingelte und schrie es jetzt. Die Halle war in wühlender Bewegung. Es gab ja Arbeft genug in New Dork, Kinder! Was wollt ihr denn? Es stehen nur zuviel herum! Endlich kam etwas für mich. Drühen in Brooklyn   wurden zweihunderr Mann gesucht! Weiß der Teufel, wofür! Uns ging es nichts an! Wir rasten los nach Arbeit! Ich hing auf dem Trittbrett einer Straßenbahn. Als der Schaffner   kam, murmelte ich:Kamerad, es gibt Arbeft draußen. Aber ich habe kein Geld." Er sah mich kurz an, dann beachtete er mich nicht weiter Bald darauf rannte ich eine endlose Straße entlang, die rechts und links von hohen Mauern eingefaßt war. Dann war ich an Ort und Stelle. Vor dem hohen, eisernen Fabrittor stand eine Menschenmenge,
schwarz, lautlos, und wartete. Hinter der Mauer dröhnte und donnerte es, daß die Erde bebte. Aus den Essen qualmte dicker Rauch. Tausend Hoffnungen prallten gegen das Eisentor, krochen daran hinauf, über die Mauern. Die lärmende Hölle dahinter ach, wenn man uns doch in diese Hölle hineinließe! Neben mir betete emer, von Wunsch und Angst gequält:0 Jesus Jesus!" Aber das große eiserne Tor wurde nicht geöiffnet. Ein schmales Türlein befand sich dann, und durch dieses schob sich jetzt ein Boß ein wahrer Riese, schwer und schuUerbreit Man schob und stieß sich, um ihm nahezukommen. Der Boß lachte und stemmte sich dagegen. Hallo langsam! Ich brauch« nur zweihundert!" Niemand antwortete. Alles schob und drängte. Die Masse ächzte wie ein einziges lebendes Wesen Dort stand der Boß. der sicher kein schlechter Kerl war. Er hiell Arbeft in den Härchen, Brot und ein Lager für die Nacht, und nun wird er den Segen austeilen! Na, dann los!" Cr holte eine Handvoll klappernde Blech­marken aus der Tasche und winkte. Jeder, der seine Hand hinhielt, bekam eine Blechmarte und durfte die Tür passieren. Aber es ging zu langsam, und es waren zu viele da, die nicht die geringste Aussicht hatten, zu den zweihundert zu gehören. Diese begannen jetzt zu kämpfen und ihr« Vordermänner beisefte zu drängen. Alles preßte nach vorn und drückte den Boß gegen die Wand. Ruhe!" schrie er.Zum Teufel, so geht die Sache nicht! Einer nach dem anderen!" Predige du einer Menschenmenge, die toll vor Hunger und wütend nach Arbeft ist! Sie drängten sich wie lechzende Wölfe gegen
ihn und rlsien ihm die Llechmarken au» den Händen. Da wurd� er falsch und schob sich breit in die Tür hinein. Jetzt ist's aber genug!" schrie er, blaurot im Gesicht.Da hobt ihr! Schlagt euch drum, soviel ihr Luft habt! Wer ein« bringt, kriegt Arbeit!" Und wie ein Sämann schleudert« er seine letzten Blechmarken über die Köpfe hinweg, daß sie in die Gesichter flogen, zu Boden sielen und unter den Füßen oerschwanden. Eine Sekunde blieb alles wie erstarrt. Dann begann der Kampf. Schreiende Knäuel wälzten sich am Boden. Krochen im Schmutz herum. Suchten noch Blechmorken. Schwer« Stiefel trampellen auf die Hände. Schreien, Fluchen, Stöhnen... Rechts und links brachen Männer heraus und flüchteten mft der eroberten Blechmarke. Eine heulende Meute hetzte hinter ihnen drein und sucht« ihnen die Beute wieder abzujagen. Ich sah einen geschwärzten Riesen, der seine Mark« in der erhobenen Faust hiell. In der anderen Faust hiell er ein Lrech» eisen, mft dem er wie rasend um sich schlug. Sie lagen blutend um ihn herum. Dann wurde er von hinten niedergerissen und ver» schwand im Gewühl... Kamps auf Leben und Tod um ein paar Blechmarken... Wer leben will, darf den Tod nicht fürchten... Man kann ja auch vor Hunger krepieren... Polizeipsiffe! Uniformen stürmen herbei und schlagen mft chren Knüppeln auf die Kämpfenden ein.. Ich drück« mich an der Mauer entlang und rase wie blind und taub davon mft leeren Händen... Andere folgen... Auch hinter uns sind Unifornien her... Geschlagene! Abgeschlagene! Noch lange höre ich da» Gebrüll das Pfeifen und sehe oerstörte Menschen oorübertaumeln.. Dann klingelt ein Sanftäts- auto... Tote? Weiß Gott  ! In der Zeitung stand nichts darüber... Nachmittags saß ich auf Union Square in einer müden Sonne. Da schenkte mir ein würdiger Herr einen Vierteldollar und ein Traktätchen:Liebet euren Nächsten!" In der Tat:Liebet euren Nächsten!" stand darauf.
Walter Qaldert: Begegnung mit einem Wailerlropfen
Ich stand auf meinem Balkon und lehnte mich hinaus, um die frische Luft zu genießen, die nach dem Regen besonders rein war. Allerlei Gedaizfen wimmellen in meinem Kopf durcheinander. Da fiel vom Dach ein Wassertropfen herunter und blieb an meinem linken Ohr hängen. Es kribbelte ein bißchen, und ich wollte gerade ärgerlich den Kopf schütteln, um den dreisten Tropfen wieder los- zuwerden, als der Wassertropsen mit einem ganz feinen Stimmchen zu sprechen begann!Lieber Mensch", sagte er,bitte, wirf mich nicht gleich wieder herunter: ich erzähle dir auch eine Geschichte!" Ich bin nicht hochmütig und überheblich. Warum sollte ich mir nicht auch einmal von einem lleinen Wasserttopfen etwas erzählen lasten?Na schön," sagte ich,erzähle mir die Geschichte: ich höre zu. Aber du darfst mich nicht zu sehr kitzeln!" Du denkst sicherlich: Was soll mir der erbärmliche kleine Wassertropfen schon erzählen können?" sagte das feine Stimmchen, aber ich habe schon mancherlei erlebt und viel von der Welt gesehen. Ich bin äller als die ältesten Leute, äller als Adels- gefchlechter, auf deren Alter komische Menschen sich etwas einbilden. Ich bin schon durch die Lust gesegelt, bevor es Luftschisfe und Flug-
hundert Jahre plätscherte ich im Meer herum und spielte mft meinen unzähligen Brüdern. Was habe ich da alle» gesehen! Große Fisch« und andere Meeresungeheuer. Menschen, die badeten und andere, die im Meer ertrunken waren. Wracks von großen Schiffen, die der Sturm und die Wellen versenkt hatten. Ein Haifisch, der in der Kajüte eines großen Wracks wohnte, hat mir erzählt, daß die Menschen manchmal mit Gewalt Schiffe mit anderen Menschen ver- senken: Krieg sollen sie so etwas nennen. Das kann doch nicht wahr sein. Der Haifisch hat sicherlich gelogen, nicht wahr, lieber Mensch?" Ich schämte mich vor dem kleinen Wassertropsen und tat so, als ob ich seine Frage nicht gehört hätte. Nach mehreren hundert Iahren," erzählle er wefter,warf mich eine große Welle auss Land. Ich war plötzlich in Amerika  , da» damals allerdings noch nicht so hieß. Ich wollte mft das Land ansehen und ließ mich von der heißen Sonne bestrahlen, bis ich mich ganz leicht fühfte und in die Luft emporstieg. In einer Wolke. zusammen mit sehr netten anderen Wasierftopfen, flog ich lange über dem neuen Lande umher, bis die Wolke an ein Gebirge stieß
zeuge gab, und ich bin weite Sftecken unter Wasser gereist, lange und ich als Wassertropsen wieder auf die Erde hinabfiel. Ich lebte
bevor die Menschen das Unterseeboot erfunden hatten. Ja, ich habe sogar vor Columbus Amerika entdeckt!" Da machst du mich aber neugierig," sagte ich,nun erzähle schon los!" Ich wurde geboren im Jahre nit," sagte der Wasierftopfen. In einer mächtigen Dampfwolke, die aus dem feurigflüssigen Innern der Erde durch den großen Krater des Vesuv   ausgestoßen wurde, befand ich mich mit unzähligen Brüdern. Die Dampfwolke wurde vom Wind aufs Mittelmeer   hinausgeweht, in der Nacht ab- gekühlt, und ich fiel als Regentropfen nieder ins Meer. Mehrere
Sylvefter Nepper: dDlC WllT Ich hatte ein reizendes Mädel kennen gelernt, wir ftafen uns j mußte mir von ihr noch Fahrgeld geben lassen.
eines Wends, liefen erst«in Weilchen durch die Straßen, bis wir sozusagen warm wurden und gingen dann in ein Cafä... Dort saßen wir bei gedämpftem Lampenlicht im Halbdunkel auf einer Polsterbank, wie sie raffinierte Geschäftsleute zu solchen Zwecken herstellen. Der Ober im Frack machte tausend Verbeugungen und wollte wissen, was dieHerrschasten" ftinken wollten Ich bestellte zwei Gläser Wein und der Ober flitzte. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie lieb und nett das Mädel plaudern konnte. Das kann man gar nicht wiedererzählen, da verliert er zuviel von der ur- sprünglichen Süße. Dazu muß man so ein Mädel vor sich haben, in sie schon halb verliebt sein, die tausend Reize ihres Körpers spüren und schon halb wissen, daß man sie besitzen wird. Der Wein war gut und irgendwo spielte eine sentimentale Geige und machte «inen toll. Das klang und rieselte durch die Adern. Man hörte auf, zu erzählen und sog ihr Lachen in sich hinein. Man sprach mft den Augen. Man war einfach oerliebt. Wie schnell da die Stunden verfliegen. Und wenn sie sich nicht daran erinnern würde, daß die letzte U-Bahn bald fährt, man würde nie daran denken. An dem Abend war es genau so. Ich rief den Kellner, der auch gleich wie aus dem Bodsn gezaubert vor uns stand Zahlen. Bitte sehr, die Herrschaften. Wie fabelhaft der Mann im Frack rechnen kann, das fliegt nur so und unsereinem fällt es schwer. Sie sitzt da und lacht. Es hat ihr gefallen. Das sagt sie mit jeder Bewegung. Aber zum Teufel! War ich denn beftunken? Unsinn! Ich mußte mich wohl versehen haben. Ich schaute noch einmal auf den Zettel, den der Schwarze vor mich auf den Tisch gelegt hatte. Darauf stand aber noch immer, daß ich im ganzen zehn Reichsmark zu bezahlen hatte. Ich begriff langsam, aber endlich begriff ich doch. Ich wußte, daß ich nur sechs Mark in der Tasche hatte. Keinen Pfennig mehr. Und zehn sollte ich bezahlen. Diese Gauner, diese Halunkenl Ein Glas Wein zwei Mark. Das war Nepp. Und ich war drauf reingefallen. Das ärgerte mich am meisten. Und der Ober stand da und lächelte, ölig und glatt. Das Mädchen merkt«, daß etwas nicht in Ordnung war, und der Ober setzte einen anderen Ton auf. Zeche machen und dann nicht bezahlen können, das kennen wir. Sie hatte auch kein Geld bei sich. Verflucht! Halle sie denn gedacht, ich sei ein Schuh- Verkäufer mit festem Monatsgehall! Ja. da müssen Sie eben meine Uhr als Pfand hierbehalten", sagte ich. Der Ober lächelte verächtlich:Nur bald einlösen, ich schlepp mich mit solchem Zeug nicht gern" Er sah auch danach aus. So korrekt, fehlerlos und fertig. Der 2lbend war verdorben, die Stimmung futsch. Es war dumm und unangenehm. Wegen der paar lumpigen Mark! Ich brachte dos Mädchen nach Hause und
Und das alles am ersten Abend, es war gemein, und sie würde sich wahrscheinlich bedanken, je wieder mit mir auszugehen Ich wußte ganz genau, daß ich zu Hause und nirgends mehr vier Mark hatte, um die Uhr einzulösen. Es war keine kostbare Uhr, sie war nicht aus Gold und nicht mit Edelsteinen besetzt, es war eine alte ehrbare Uhr, die sich von einem Großvater vererbt hatte. Und diese alte Uhr, die auch die neue Zeit aus Pflichtgefühl richtig anzeigte, die steckte nun in der Tasche des Kellners. Sie war eine gut bürgerliche Uhr und würde mir nie verzeihen, daß ich sie als Pfand zurückgelassen hatte. Der Gedanke an diese Uhr zog mich in eine mir entfremdete Sphäre der Moral zurück. Jetzt erst merkte ich, daß ich tatsächlich an der allen Uhr hing. Ich mußte die fehlenden vier Mark einfach irgendwo auftreiben, ich kam mir verpflichtet vor. Aber wo sollte ich sie her- bekommen. Mein Freund, der Maler, sagte, das ist aber dumm, ich habe selbst bloß noch fünf Mark und davon soll ich noch zehn Mark Schulden bezahlen. Ein anderer Freund meinte, vier Mark! Mein Lieber, soviel ist ja die all« Uhr deine- Großvaters gar nicht wert. Er kämpfte nämlich für nüchterne Lebensauffassung und neue Sach- lichkeit. Ein dritter Freund erwiderte, die erfundene Geschichte mit der Uhr zieht bei mir nicht, ich pumpe dir kein Geld, du versäufst es bloß. Alle bedauerten und gaben mir gute Worte, und die Weis- hell wurde mir löffelweis in den Rachen geschoben. Meine Freunde waren mit einem Male alle unter die Moralisten gegangen, und ich� blieb als einziges�schwarzes Schaf zurück. Jetzt merkte ich erst, wie viel mir die alte Uhr bedeutet«, wie ich sie vermißt« und mich förm-
längere Zeit in einem großen See und fuhr dann in einem Fluh spazieren. Zufällig befand ich mich gerade in einem Becher Wasser, den Christoph Columbus   nach einem anstrengenden Marsch ftank. Ich bin also sozusagen ein historischer Wassertropsen. der vor dem Rundfunkmiftophon interviewt werden könnte. Ich müßte übrigens lügen, wenn ich sagen sollte, daß es im Magen des Columbus sehr gemiftlich war... Amerika   war mir nach der Ankunft der Euro- päer verleidet. Ich kam zum Glück wieder ins Meer zurück, wo ich mich über vierhundert Jahre aufhiell. Di« Fische und Seeungeheuer waren immer noch dieselben, die Menschen auch, aber die Schiffe, die versanken, wurden inuner größer. Als Fahrgast am Steuerruder eines Dampfschiffes kam ich durch die Straße von Gibraltar in da» Meer meiner Jugend, das Mittelmeer  , zurück. Vor einigen Tagen habe ich gehört, daß ein Mann das Mittelmeer   trockenlegen will; ich bin sprachlos vor Empörung! Allmählich bekam ich auch wieder Sehnsucht nach dem Lande. Vor zehn Iahren ließ ich mich bei dem französischen   Badeort Juan- les-Pins   auf den Strand spülen und begann«ine Tour durch Frank» reich, an die ich sehr angenchme Erinnerungen habe. Ich habe die großen Städte kennengelernt, Paris  , Lyon  , Marseille  , und habe sogar den Geburtsort der berühmten Jungfrau von Orleans   besucht. Auch in stanzösischen Weinen habe ich mich wiederholt aufgehalten; ich kenne zahlreiche Marken: Graves, Sauternes. Saint-Emilion, Mdcon, Beaune  , na, ich will dir den Mund nicht wässerig machen. Auch in Kaffee bin ich öfter einmal gewesen: ich muß sagen, daß der Kaffee in Frankreich   meist stärker war als bei euch in Deutsch  - land. In einer Wolke reiste ich über den Rhein   nach Deutschland  , wo es mft auch sehr gut gefiel. In den verschiedensten Flüssen, Rhein  , Mosel  , Weser  , Elbe  , habe ich schöne Tage verbracht. Bis ich eines Tages in den Müggelsee gelangte und nach kurzer Zeit durch ein dunkles Rohr in die Berliner   Wasserleitung gesaugt wurde. Ein Mann mit einer blauen Schürze zapfte mich aus dem Wasserhahn ab und füllt« mich in eine dunkelgrüne Flasche, in der eine saure Flüssigkeit war.Das wird eine feine Märzenweiße," sagte der Mann und verschloß die Flasche. Monatelang, wenn nicht jahrelang, saß ich in der Flasche gefangen. Ich fürchtete, schon, ich würde lebens- länglich sitzen müssen. Doch eines Tages wurde ich aus der Flasche in ein großes Glas gegossen und von einem Mann mit großem Schnurbart getrunken. In seinem Magen lag alles durcheinander, und ich bekam es mit der Angst zu tun. Aber die Kohlensäure, die sich in der Flasche gebildet hatte, stieg wieder aus dem Magen heraus, und eine Kohlensäureblase war so freundlich, mich mit- zunehmen. Ich entfloh zum Fenster hinaus und hoffte, recht weit
lich nach ihr sehnte. Und die dünne Kette, die auf meinem Nachttisch..... lag, verursachte mir auch ein mrerklärliches Unbehagen. Sie hatte l fort zu kommen, aber ich fiel als Regenftopfen auf das Dach deine»
so etwas Witwenhaftes. Verlassenes an sich, daß ich davon ganz traurig wurde. Die ganze Geschichte entwickelle sich zu einem rich- tigen Krankheitszustand für mich. Es war zum Verzweifeln. Und als die Not sozusagen am größten war, griff der liebe Gott mit sorgender Hand in die Speichen der ftivialen Tragödie. Der Geld­briefträger kam und brachte das Honorar für ein Gedicht. Es war nicht sehr viel, aber jetzt konnte ich die Uhr einlösen. Der Ober lächelte geringschätzig, als er mir die Uhr aushändigte. Man wird eben nicht als ganzer Mensch angesehen, wenn man seine Uhr in Zahlung geben muß, um eine lächerliche Zeche von zehn Mark zu begleichen. Aber was kümmerte mich das? Ich hatte meine Uhr wieder, das Mädel war wieder gut, und wir lachten beide darüber. Wir haben das Recht auf«in bißchen Leichtsinn und auf Liebe und Wein auch. Selbst wenn man den Wein nicht immer bezahlen kann. Und das sage ich Ihnen, um vier Mark gebe ich meine Uhr nicht wieder hin. Das nächstemal mache ich eine größere Zeche.
Hauses. Dom Dach bin ich auf dein Ohr gefallen, und wenn du mich jetzt abschüttelst, komme ich in ein schmutziges Abflußrohr. Lieber Mensch, kannst du mir nicht für die Geschichte, die ich dir erzählt habe und die du als Schriftsteller sicherlich gut brauchen kannst, einen Gefallen tun?" Na, welchen denn?" fragte ich.Wenn es nicht gerade Geld kostet..." Lieber Mensch, ich möchte gern wieder ins Meer zurück. Di« Nordsee   ist ja wohl am nächsten? Kannst du mir nicht dazu ver- helfen?" Ich versprach es dem Wassertropfen, tat ihn in ein kleine» Fläjchchen und schüttelte ihn in die Spree. Die Spree fließt in di« Havel  , die Havel   in die Elbe   und die Elbe   in die Nordsee  . Ich denke, der Wunsch des Wassertropfens wird erfüllt werden Ich bitte alle Leser die ihm begegnen sollten, ihn auf seiner Fahrt nach der Nordsee   nicht aufzuhalten.