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hundert ins Land gezogen. Der 3ylinderhut ist zum Requifit be­sonderer Feiern geworden. Das Zeichen heutiger Festtage ist die Sonntagsrüdfahrkarte. Sie hat Mecklenburg so nahe an Berlin gerüdt, wie es ehedem Treptow war. Treptow ist nur noch ein Ortsteil im XV. Berwaltungsbezirk der Reichshauptstadt. Ein wenig flein ist die Welt geworden.

Die Fußgängerwoche.

Die Vorarbeiten zur Fußgänger- Woche sind soweit gediehen, daß jetzt der Kampfplan, nach dem die Berliner laufen lernen sollen, festliegt. Die Hauptverteilung geschieht durch sogenannte Sandwichmänner, die an ungefähr 15 Hauptverkehrspunkten der Stadt Berlin die Verteilung der kleinen Druckschrift vornehmen Schupoposten werden freundlicherweise die Verteilung unterstüßen. Die Berliner Spezialgeschäfte und Kaufhäuser werden die Druck­schrift Fußgänger- Regeln" den Paketen ihrer Kunden beipacken. Bis Mitte März waren bereits 46 000 Exemplare von den Spezial­geschäften vorbestellt. Die Eremplare werden fostenlos den Be­stellern angeliefert und genügt einfache Anforderung durch Postkarte an die Geschäftsstelle der Verkehrswacht Berlin­Brandenburg e. B., Berlin S. 61, Planufer 61. An einigen der stärksten Verkehrspunkte werden während der Fuß gänger- Woche vom 11. bis 16. April in den verkehrsreichsten Stun den Lautsprecher oder Lautsprecherwagen aufgestellt werden, so daß die ganz Hartnädigen auch durch das unmittelbar gesprochene Wort zur Verkehrsdisziplin ermahnt werden können. Für den Berliner Rundfunt find Borträge von Herren des Polizeipräsidiums und der Berkehrswacht vorgesehen. Einer der wirksamsten Wege zur Be­lehrung dürfte die Verteilung von 100 000 Eremplaren der Fuß gänger- Regeln" an die Berliner Schulen sein. Die Schulen er halten außerdem 2000 Blafate in Dinformat, auf denen die Ver­tehrsregelungszeichen dargestellt wurden. Eine in Berlin wohl noch nicht dagewesene Veranstaltung dürfte die kleine Unfall verhütungs- Ausstellung der Verkehrswacht auf dem U- Bahnhof Wittenbergplatz werden.

Opfer der Eisschmelze.

Zwei Kinder auf dem Schlachtensee eingebrochen. Das brüchige Eis des Schlachtensees hat gestern nach­miffag wieder ein Todesopfer gefordert.

Nachmittags hatte der Stadtamtmann Ludwig W. mit seinen beiden Stieftindern, dem elf Jahre alten Gerhard und dem neun­jährigen Manfred Noeste einen Spaziergang in den Grunewald unternommen. Am Schlachtensee liefen die Jungen auf das Eis. Etwa zehn Meter vom Ufer entfernt, gab die durch das warme Wetter der letzten Tage völlig zersetzte Eisdecke nach und Manfred stürzte ins Wasser. Sein Bruder Gerhard, der ihn zu retten versuchte, brach wenige Sefunden darauf gleichfalls ein. Der Stief­vater der verunglückten Rinder lief unter eigener Lebensgefahr ebenfalls an die Unfallstelle, wo es ihm aber nur gelang, das ältere Rind zu erfassen und herauszuziehen. Der alarmierte Fischer des Schlachtenfees erschien furze Zeit nach dem Unfall mit seinem Motorboot an der Unglücksstätte, wo er die Leiche des Meun­jährigen bald bergen fonnte. Der Borfall hatte eine große Schar Ausflügler angelockt, die dichtgedrängt die Unfallstelle umftanden.

Hochbetrieb im Kraftverkehrsamt.

In den letzten Tagen find im Kraftvertehrsamt in der Blücherstraße wieder annähernd 2000 Autos und Motor­räder, die während der Wintermonate von ihren Besigern still. gelegt waren, neu angemeldet worden. Allein am Grün­Donnerstag wurden 1100 Fahrzeuge wieder in Betrieb gesetzt, das ist der höchste Stand, der bisher an einem Tage überhaupt erreicht worden ist. Bei den wieder angemeldeten Fahrzeugen handelt es fich um 716 Kraftwagen und 385 Krafträder. Auch am geftrigen Sonnabend herrschte in der Blücherstraße wieder Hochbetrieb, in die Hunderte ging die Zahl der Autobesizer, die ihren Wagen für die bevorstehende Oftertour rasch noch anmelden wollten. Nicht alle fonnten bei dem Anbrang rechtzeitig abgefertigt werden und so blieb manches Fahrzeug ohne notwendigen Polizeistempel.

ROMAN

von

201 S.Rosenfeld

bruch

Aus dem Russischen übertragen von Werner Bergengruen . Unerwarteterweise traf ich hier einen Häftling, der mir bekannt vorfam; doch fonnte ich ihn nicht recht erkennen, weil mir irgend etwas in seinem Geficht fremd erschien. Plöglich tam er auf mich zu und fragte lachend:

,, Du erkennst mich wohl nicht, Kollege?" Bor mir stand ein gut aussehender, schön gebauter und fräftiger Mann mit regelmäßigen Gesichtszügen. Was ihn fast untenntlich machte, das war der Bart, den er bei unserem ersten Zusammensein im Odessaer Gefängnis noch nicht ge­habt hatte. Ein alter Taschendieb mit großer Bergangenheit und langjährigen Gefängniserfahrungen, war er nach Sibirien übergesiedelt, um, wie er sich ausdrückte, ein neues Leben zu beginnen. Er hat dort eine Kaufmannstochter geheiratet und einen Laden aufgemacht. Um fein Aeußeres zu verändern, hatte er sich den Bart stehen lassen. Der hübsche, sorgsam geftuzte hellblonde Bart paßte gut zu seinem hellen Teint und feinen grauen Augen und gab ihm etwas Bertrauen ermedendes. Mit einer solchen Physiognomie hat man es leicht, ein Spizbube zu sein, wie Gogol von einem seiner Helden sagt.

Who

Seiner Frau und deren Berwandten hätte sich offenbar nie das Geheimnis von seiner Bergangenheit enthüllt, wenn es nicht herausgefommen wäre, daß er vom Militär desertiert war. Ein Dieb von Profession tann nun einmal tein Golbat fein, was übrigens auch den ständischen Ehrbegriffen der Diebeszunft widerspräche. Daher hatte Petita Resterom Syphilis fimuliert und lange im Lazarett gelegen; in die Kaserne zurückgekehrt, hatte er nichts Giligeres zu tun gehabt, als irgend etwas auszufressen, um ins Disziplinarbataillon| gestedt zu werden. Hier war es ihm wohler als im Truppen­Dienst. Und die Zeit im Disziplinarbataillon wurde auf die Dienstzeit angerechnet.

Das Rätsel von Jena .

Beging der Oberlandesgerichtsrat die Tat im Wahnsinn?

Jena , 26. März.

Als die grauenhafte Tragödie im Haufe des Oberlandesgerichts­rats Meurer bekannt wurde, strömten Menschen in Scharen nach der stillen Straße, in der sich das Drama abgespielt hat.

Die einzige Ueberlebende.

abgespielt hat, ist am Leben geblieben: die Haus angestellte Eine einzige Bewohnerin der Räume, in denen sich die Bluttat des Oberlandesgerichtsrats Meurer. Sie war vor der Mordtat von Dr. Meurer aus dem Hause geschickt worden, sie hatte die Wohnung während der schrecklichen Borgänge betreten und steht auch heute noch unter dem furchtbaren Eindruck der Geschehnisse, deren ent­fernte Zeugin sie war. Der Hergang der Tat ist geklärt. Dr. Meurer hat kurz vor 12 Uhr nachts seine geschiedene Frau, die geschiedene Gattin Dr. Rittwegers und seine Mutter von hinten durch Kopfschüsse getötet, während die drei Personen um den Tisch saßen. Der Oberlandesgerichtsrat ging dann in den ersten Stod hinauf und erschos dort seinen Vater, der im Rollstuhl saß, und dann seinen fünfjährigen Sohn, der im benachbarten Zimmer im Bett lag. Unmittelbar nachdem er das Kind erschossen hatte, muß er auch seinen achtjährigen Sohn getötet haben. Dann fiel der letzte Schuß, mit dem Dr. Meurer sich selbst das Leben nahm.

Die erste, die die grauenhafte Tat entdeckte, war die Haus angestellte, die bei der Heimkehr vom Ausgang im Edzimmer den erschossenen Vater Meurers in einer großen Butlache fand. Entsetzt eilte das Mädchen zum Schlafzimmer, deffen Tür auf ihr Klopfen vom Oberlandesgerichtsrat selbst geöffnet wurde. Auf ihre erregte mitteilung vom Geschehenen hin schickte fie der Oberlandesgerichts rat nach einem Arzt. Kaum war sie einige Schritte vom Sause ent­fernt, als drei Schüsse ertönten. Dr. Meurer hatte seine beiden letzten Opfer und sich selbst erschossen.

Das Motiv der Tat ist noch immre nicht geflärt; auf Grund der Ermittlungen haben sich zwei Theorien ergeben. Die eine lautet dahin, daß Dr. Meurer die Tat als vorbedachten Mord inszeniert hat. Darauf deutete der Umstand hin, daß

Achtung! Erweiterter Bezirksvorstand! Mittwoch, den 30. März, pünktlich 18% Uhr, im Sitzungs­saal des Bezirksverbandes, Lindenstr.3, 2. Hof, 2 Treppen

er das Mädchen vor der Tragödie und auch nach der Entdeckung der ersten Opfer fortschickte, ferner auch der Umstand, daß es zu feinem Kampfe gekommen war und die Schüsse mit einer geradezu erstaunlichen Kaltblütigkeit berechnet scheinen. Die andere Erklä­rung ist die, daß Dr. Meurer, zermürbt durch die vorangegangenen Aufregungen und vielleicht auch durch Gewissensbisse dem Freund gegenüber in Geiftesumnachtung verfallen war.

Die Muttertragödie.

Bor dem Hause Bergstraße 8 im Proletarierviertel des. Stettiner Bahnhofs patroulliert ein Schupoposten; er gibt dem und jenem auf Befragen Bescheid, und verhindert die Ansammlung Neu­gieriger. Eine Stunde vorher hatte er noch alle Hände voll zu tun, die zuströmende Menge zu beruhigen und fernzuhalten, als die Mordkommission die letzten, traurigen Spuren der schrecklichen Tat einer Mutter verwischte und die Wohnung verschloß. Im zweistöckigen Quergebäude wohnen in jedem Stockwerk drei Parteien auf einem Flur mit Kindern und Schlafburschen in drei Mansardenstuben mit je einer Küche. An der Wohnungstür befinden sich drei Klingeln und fast doppelt soviel Namensschilder und man hat Mühe, den zu finden, den man sucht. Im 2. Stock, wo eine unglückliche Mutter sich und ihre drei Kinder tötete, ist es ſeit zwei Tagen unheimlich still geworden; das mußte auffallen, hier, wo man Tür an Tür, Wand an Wand miteinander haust, eine Gemein­schaft Berzweifelter. Da hörte der Nachbar links, wenn ein Kind schrie und der Nachbar rechts, wenn eine fremde Männerstimme im Bimmer der Frau sprach, es blieb nichts verborgen, tonnte nichts verborgen bleiben. Da weiß ein jeder unendlich viel aus dem Leben dieser unglücklichen Frau zu berichten. Sie versuchte, einen Mann, einen Bater für ihre Kinder zu finden und immer wieder war es nichts und immer wieder verließ fie der Mann. Einer, von dem sie ein Kind unter dem Herzen trug, war ihre lehte Hoffnung gewesen. Ostern sollte geheiratet werden, es war schon alles vor­bereitet, man wollte zu des Mannes Mutter aufs Land ziehen und die Frau war glücklich, die Brücken hinter sich abbrechen zu können; da wurde auch diese Hoffnung zunichte...

Nun war sie am Ende. Dem Treulofen stellen die Nachbarn das denkbar schlechteste Zeugnis aus; er soll die Frau schlecht behandelt, bestohlen und sich schließlich auch noch an einem ihrer Kinder ver­gangen haben. Das war der Grund des Bruches zwischen den beiden legten Kraft, um sich und ihre Kinder all dem Schrecklichen und Troftlosen zu entreißen, beging fie die Tat.

Sitzung des Erweiterten Bezirksvorstandes Wenschen und der Anlaß zu der furchtbaren Tragödie. Mit ihrer

Das Erscheinen sämtlicher Bezirksvorstandsmitglieder ist dringend erforderlich. DER BEZIRKSVORSTAND.

Walfisch in der Elbmündung. Beim Abschleppen nach Hamburg erstickt.

Um Karfreitag wurde in der Elbmündung ein alfisch von über acht Meter Länge gefangen, der das stattliche Gewicht von etwa 12 000 Bfund aufweist.

Der Wal hatte sich in dem flachen Wasser festgelaufen und wurde später von einem Bergungsdampfer zunächst nach Curhaven geschleppt. Da der Kopf des Tieres aber längere Zeit unter Wasser fchleifte, war der Wal bei der Ankunft in Cughaven bereits er­tidt. Der Roloß wurde dann nach Hamburg weitergeschleppt. Die Bergung des Wals war mit großen Schwierigkeiten verbunden und gestaltete sich zu einem regelrechten Kampf zwischen dem Tier und den Bergungsleuten. Schließlich gelang es, Eisenketten um die Schwanzflossen des Tieres zu schlagen und an dem Bergungs­dampfer zu befestigen. Taucher Sievers, der die Bergung des Wales vorgenommen hatte, trat mit der Hamburger Fischerei­direktion sowie mit den Firmen Hagenbed und Umlauff in Berbindung. Bisher find jedoch Abschlüffe über die Verwertung des Wales mit feinem der Interessenten getätigt worden. Die Ab­schlüsse scheiterten an der Forderung des Tauchers, der etwa 2000 M. für den Bal verlangte.

Oftermontag Aufmarsch der Schupowache.

Wie wir bereits in der geftrigen Abendausgabe mitteilten, wird die Wache der Berliner Schuhpolizei am Offer. montag um 12.30 Uhr erstmalig mit Musik durch die Straße Unter den Linden zum Brandenburger Tor ziehen. Der Weg geht von der Polizeiunterfunft Staatsminiffer Grzesinsti in der Prinz- Friedrich- Karlstraße durch die Universitätsstraße über die Mittelpromenade Unter den Linden zur Wache am Branden­ burger Tor . Zurüd marschiert die Schupotapelle zum Gendarmen­markt, wo am Schillerdenkmal ein Plahkonzert veranstaltet wird. Zufünftig wird die Wache der Schuhpolizei jeden Montag und Donnerstag mit Musik aufziehen.

Benn Chinesen wild werden.

Bei der Vorführung eines Films, der den Einmarsch der japanischen Truppen in Dichapei zeigt, entstand in einem Lichtspiel­haus in Kanton ein großer Tumult. Chinesen stürmten die legt. Der Direktor des Kinos wurde aus einem Fenster des zweiten Bühne und zerschnitten die Leinemand. Drei Japaner wurden ver­Stockwerts auf die Straße geworfen, wo er tot liegen blieb. 3wei chinesische Angestellte wurden gleichfalls getötet. Zur Wiederher­stellung der Ruhe mußte Militär herangezogen werden.

Er freute sich außerordentlich darüber, mich wiederzu-| hätte er feine Gaben ausbilden fönnen und wäre sein Ge­sehen, weil er jemanden brauchte, der ihm unverzüglich einen wissen nicht mit so furchtbaren Dingen belastet gewesen, wichtigen Dienst erweisen konnte. Er mußte schleunigst er-| er wäre wohl ein Mann geworden, der viele überragt hätte. franten, um wieder für längere Zeit ins Lazarett zu fommen. So aber verlor sich seine Spur, die eines namenlosen Land­Dazu brauchte er die äußeren Symptome der Syphilis. Zu streichers, irgendwo in der Einöde. Verstandesschärfe, diefem 3wed follte ich ihm mit einer brennenden Zigarette Willensstärke, reiche Lebenserfahrung, das alles geht finn­Zahnfleisch, Mundhöhle und einige noch intimere Körper- los, zmedlos zugrunde, ein echt russisches Schicksal. teile versengen. Ich machte Einwände, ich berief mich auf meine mangelnde Erfahrung in solchen Dingen, aber das ließ er nicht gelten und meinte, alte Kameraden müßten einander aus der Berlegenheit helfen. Und in der Tat hatten wir einige Monate im gleichen Gefängnis zugebracht. So mußte ich denn nachgeben.

In der Nacht, als alle schliefen oder doch auf ihren Britschen lagen, richteten wir im abgelegensten Winkel der großen 3elle unser Handwertszeug her 3igaretten und Streichhölzer, und machten uns an die Operation. Nesterom tniete nieder, sperrte den Mund weit auf und schloß die Augen. Ich zündete eine 3igarette an, führte fie in feinen Mund und preßte sie rasch gegen das Zahnfleisch. Die Biga­rette gischte und erlosch. Ich mußte sie von neuem anzünden und mit der Operation fortfahren. Auf diese Weise versengte ich ihm Bacentaschen, Zahnfleisch und andere Körperpartien, im ganzen wohl etwa zwanzig Stellen. Die nicht geringen Schmerzen, die ich ihm verursachen mußte, ertrug er heroijch. Am Morgen verlangte er nach dem Sanitätsunter­afffizier. Der brachte ihn sofort zum Arzt. 3wei Tage später war Nesterom bereits im Gefängnistagarett und hatte be gründete Aussicht, von dort als Heeresangehöriger ins Militärlazarett übergeführt zu werden. Damit würde also wieder ein Teil seiner Dienstzeit vergehen.

Bald darauf mußten der Mann ohne Gedächtnis und ich endgültig Abschied voneinander nehmen. Bir drückten uns lange die Hände, wir sprachen davon, wie gern wir einander gehabt hatten und münschten uns alles Gute. Wir hatten ja viele Wochen miteinander verbracht, und solche Wochen in der Gefangenschaft zählen oft wie Jahre.

.. Unwillkürlich dachte ich noch oft über ihn nach, und in meiner Erinnerung steht er so vor mir, wie ich ihn im ersten Augenblick unserer Betanntschaft sah, als ein interessanter, eigenartiger, ja vielleicht auf seine Weise großer Mensch. Dazu mag der Umstand beigetragen haben, daß es in seinem Leben zweifellos etwas Wesentliches, etwas Mächtiges und Wert bolles gab, das er im Duntel eines sorgsam behüteten Ge­heimnisjes lassen mußte. Hätte das Leben es anders gefügt,

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Immer weiter trug mich die Fahrt davon, immer weiter fort von der Heimat, von den Menschen, die mir nahestanden, von Europa und feiner Kultur. Wieder Waggons, Geleise, Estorten, bloße Säbel, Feffeln und Fackeln, wieder Gefäng­niffe. Das düstere, herzbeklemmende Gefängnis von Tschita . Und wieder graue 3ellen, graue Sträflingsgesichter, graue Arrestantentittel. Und immer wieder die gleichen Erzählungen von Mord, Einbruch, Raubüberfall und Diebstahl... Bor den Fenstern schwirren Dörfer vorbei, Ansiedlungen, Städte, Bahnhöfe und Haltestellen. Unter den gewohnten russischen Physiognomien tauchen bereits die gelben Gesichter von Chinesen, Koreanern und Japanern auf. Auf dem Bahn­steig von Charbin sah ich in der buntscheckigen Schar die feisten Gestalten blaugekleideter chinesischer Kaufleute mit langen schwarzen 3öpfen, die zierlichen Figürchen der Chinesinnen mit ihren winzigen Füßchen und bemalten Ge­fchtern. Die Chinesinnen gingen zu zweien oder dreien und hielten sich untergefaßt, um nicht zu fallen. Am Ende des Bahnsteiges standen neben unseren russischen Gendarmen riesige dicke chinesische Polizisten mit grimmigen Gesichtern wie dressierte Bulldoggen.

Wir fuhren weiter und nun lag die legte Großstadt hinter uns.

Und nun fahren wir schon über die Felder, auf denen sich vor zehn Jahren eine der furchtbarsten Tragödien der Menschheitsgeschichte abgespielt hat. Hier, auf den Höhen­tuppen der Mandschurei , prallten wegen der persönlichen Interessen getrönter Konzessionsbefizer am Jalufluß zwei Böller aufeinander und vergoffen monatelang Ströme von Bruderblut. Hier, auf den Feldern der Mandschurei , sind Hunderttausende zugrunde gegangen, Hunderttausende wurden zu Krüppeln ohne Arme, Beine und Augen. Hier liegen Ehe­männer, Brüder, Bäter und Söhne begraben, Hundert tausende, die nie wieder zu ihren Frauen, Schwestern, Kin­dern und Müttern zurückkehren durften. Hier sind Millionen schuldloser Menschen am grimmigen Frost, an Hunger und Ungeziefer, an feindlichen Kugeln und Granaten zugrunde ge­gangen. ( Fortsetzung folgt.)