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.%.145* 49. Jahrgang 3» Sonntag, 27. März �932

'Maus Vieinrich Slräliier:

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Frau Barbaras Flucht aus der Ehe siel aus einem tieferen I sam, jetzt zeigt er das Bild seiner verstorbenen Frau, jetzt reicht

Grunde in die Vorjrühlingszeit. Im Sommer hätte sie die kühle Laube, den Blumengarten und die Gemüsebeete wohl nicht verlassen, im Winter kuschelte sie sich wie ein frierendes Kätzchen an den Äamin, in den Märztagen aber stand st« unter einem unge- Heuren Druck, unter demselben, der in den braun«» Kastanien- knospen vor ihrem Fenster lebendig mar, der sie aufspringen ließ nach elementaren Naturgesetzen. Frau Barbara war die Frau eines Bahnhofsvorstehers. Die Station lag in den Fichtenwäldern der Mark Brandenburg. Tag und Nacht dröhnte das kleine Haus. In der ersten Zeit ihrer Ehe lsie währte schon drei Jahre) stand sie oft am Fenster und schaut« aus den Perron. Vom Fenster aus hatte sie ihren Mann kennen- gelernt. Stieg«in Reisender aus, mit Koffern und Taschen beschwert, so setzte chr Mann«in hochmütig«s Gesicht auf und präsentierte sich in seiner ganzen Bcamtenherrlichkeit. Gegen Sie Marktsrauen konnte er nie grob genug sein, jungen Damen aber öffnet« er galant die Tür und blickte interessiert hin, wenn der Rock beim Einsteigen üb«r die Knie hinaufrutscht«. Dann und wann fuhr auch der Landrat mit. Beim Mittagessen«rzählte dann ihr Mann jedes- mal:Weißt du. heut sprach ich mft d«m Landrat.. Dabei hatte der Landrat, wie Frau Barbara genau gesehen hatte, kaum den Mund zu einem Gruß aufgemacht. Im Sommer hieß es:Man geht nicht als Frau eines Bahn- Hofsvorstehers mit nackten Beinen in den Garten."' Im Herbst: ..Man pflückt nicht das Obst selbst und steigt auf die Leiter." Im Winter:Man geht nicht ins Kino. Das überläßt man dem Pöbel." Frau Barbara war es dann immer, als würgte jemand ihre Kehle, als müßte sie ersticken in der muffigen Atmoischär« Daß chr Mann ausgerechnet in einein Lokal mit Damenbedic- nung seinen Skat spielte, daß er ihrer Schwester, die einig« Wochen zu Besuch war. auf ekelhafte Art nachstellt«) wußte sie auch. Ach, alles war chr so gleichgültig! Ja, wenn sie chn geliebt hätte. Gr war ohne Blick für ihre frauliche Reif-, si« voll Abscheu gegen seine schwammige Fülle und moralischen Maskeraden. Die Gleichgültigkeit von einem zum anderen ließ keine starken Spannungen auskommen, die sich in Donner und Blitz entladen hätte m So saßen sie oft den ganzen Abend zusammen. Keiner trug nach ven Worten oder Lippen des anderen Verlangen. Um elf Uhr schellte dann gewöhnlich das Dienstmädchen. Der Herr Stationsvorsteher ließ wohl absichtlich den Schlüssel stecken. Ein unterdrücktes Kichern erfüllte das Treppenhaus und drang manch- mal auch bis zur Frau Barbara. Ein leises, verächtliches Zucken schlich sich auf ihr Gesicht, ihr Mund aber blieb verschlossen. Sie fühlte sich nicht als unverstanden« Frau. Ihre Nerven waren gesund, chr« Denkungsart unkompliziert. Sie trug schon ihr Dasein, zumal chr die Zeit vor der Ehe keine Illusionen gemacht hatte. So als Verkäuferin in einem Warenhaus. Sie hätte chr Leben vielleicht noch Jahrzehnte hmgelcbt, wäre sie nicht an einem So tm abend im Februar, gerade als der D-Zug einlief, ans Fenster getreten. Vorsichtig schob sie die Knospen des Birnbaums zur Seite. Ihr Blick lief an den Wagen zweiter Klasse vorbei, am Speise- wagen entlang und blieb an einem Coupö hasten, wo hastig das Fenster heruntergelassen wurde. Ein Mann lehnte sich hinaus und starrte sie unbeweglich an. Sein Blick ließ sie nicht eher los. bis der Zug hinter dem Lagerschuppen verschwunden war. Wer mochte der Fremde sein? Ein Kaufmann, in Geschäften unterwegs? Oder ließen die langen Haare auf einen Künstler schließen? Frau Barbara ging gleichgültig wieder an ihre Arbeit, wischte den Staub von dem verschnörkelten Bertikow, rückte die Nippessachen und Photographien hin und zurück und dachte:Am liebsten möchte ich den Plunder aus dem Fenster werfen. Aber er ist ja sein Heiligtum. Erinnerungen an seine erste Ehe, an die Mililärzeit, an Helgoland . Daran darf man nicht rühren. Aber drin lebe», das muß man!" Und dann kamen ihr auf einmal die Augen des Fremden in die Erinnerung.... War es Zufall, war es höhere Bestimmung: acht Tage später. wieder an einem Sonnabend, begoß Frau Barbara gerade in dem Augenblick, als der D-Zug einlief, die Kakteen am Fenster. Zwei fragende, groß« Augen blickten sie an. Langsam hob sich eine Hand. Nicht überjchwänglich oder fröhlich, eher wehmütig.... Sie da, der Korb ist aber zu groß, mit dem kommen Si« mir nächstes Mal nicht in den Zug. Haben Sie mich verstanden?" Das war ihr Mann. Die ganze Woche war Frau Barbara voller Spannung, ob der Fremde am Sonnabend wieder am Fenster stehen würde. Sollte sie winken? Es paßte sehr schlecht in chre Stimmung, daß jetzt, wo die Stachelbeerhecken grün und die Wege zur Station trocken wurden, soviel Besuch kam. Frau, du hast wieder unterlassen, unser« Gäste zu titulieren. Es heißt: Frau Rat und Herr Inspektor. Die Leute nehmen uns das übel." Mit unbekannter Heftigkeit reagiert« Frau Barbara auf die Worte ihres Mannes. Was gehen mich diese Menschen an? Ich liebe diese klein- bürgerliche Gesellschaft nicht!" Das hat man davon, wenn man unter seinem Stande heiratet." Und ich unter meiner Menschenwürde." Zum erstenmal fiel in diesem Haus««in« Tür krachend ins Schloß. Der Herr Stationsvorsteher kam abends betrunken noch Haufe. Er drückte auf die Türklinks des Mädchenzimmers. Das Zimmer war verschlossen. Du bist mir ganz und gar zuwider!" Das war das einzig«. was Frau Barbara sagen konnte, als ihr Mann zärtlich fein wollte. Wieder war Sonnabend. Wie ein fernes Gewitterrollen nähen« sich der D-Zug. Der Fremo« stand am Fenster. Sein« Hände krallten sich in den Holzvahmen des Fensters. Sie wollte winken, war aber nicht fähig, die Hand zu heben. Nachher lagen dort, wo der Wagen gestanden hatte, zarte Schneeglöckchen auf dem grölen Pflaster. Der Herr Stationsvorsteher schob st« mit seinen Stiefelsohlen zwischen die Gleis«. Nachts im Traum« kam der fremd« Mann zur Frau Barbara. An einem Abend Oer nächsten Woche waren die Skatbrüder «ingeladen. Ein« Bierslasche nach der anderen wurde getrunken. Das laute Lachen drang durch alle Wände. Du mußt dich anstandshalber auch mal sehen lassen." Warum.anstandshalber»?"Na, so komm schon." Frau Barbara setzt« sich, nachdem die Gäste oberflächlich be- grüßt waren, in«ine Ecke.Widerlich, dieses Renommieren." dach« sie,»jetzt macht mew Mann auf den echte» Perferteppich aufmerk-

er feine Soldatenbilder herum. Jawohl, ich war Bizefeldwebel Frau Barbara wollt« aus dem Zimmer gehen. Ihr Mann faßte um ihr« Schulter und führte si« zum Tisch.Hab ich nicht eine leckere Frau? Jung und mollig." Sem Arm preßte sie, seine Hand schob sich bis zu den Brüsten vor. Hundertmol hatte sie vordem sein« Taktlosigkeit stillschweigend ertragen. Nun aber war es, als hätte er ein Streichholz auf explo- siven Grund geworfen. Sie riß sich los, warf die Arm« irrsinnig hoch und schrie:Dieses Getue ist ja ekelhaft! Mich vorzuführen wie ein schönes Pferd! Zu prahlen mit meinem Fleisch! Das kannst du mit dem Barmädchen aus der Skatkneipe machen, nicht mit mir!" Frau Barbara wartete. Nichts geschah. Warum sprang er nicht aus? Warum holt« er nicht zum Schlage aus? War die Angst des guten Bürgers vor dem Skandal stärker als der Zorn? Die Feigheit unter dem Uniformrock erstickte die Worte. Entschuldigen Sie nur, meine Frau versteht absolut keinen Spaß. Sie ist so nervös. Auf das Donnerwetter wollen wir«in Glas Wein trinken." Di« Blutwelle wich der: ganzen Abend nicht aus seinem Gesicht. Am nächsten Sonnabend lagen gelbe Primeln ans dem Bahnsteig. Ich habe zum Osterbraten ewige Leute hergebeten. Sorg für einen reichlichen Tisch!" Das war das erste Wort ihres Mannes nach vielen Tagen. Kalt und befehlend klang es. Ich mag keine fremden Menschen sehen! Bestell dos Essen bei dem Dienstmädel!" Dann scher dich zum Teufel!" Am Abend fand er sein« Frau nicht mehr in der Wohnung. Si« sei mit zwei Koffern zur Stadt gefahren, sagte das Mädchen. Verflucht!" Am anderen Mittag kam Frau Barbara mit einem Gepäck- lräger auf den Perron.

Mag der Himmel einfallen!" sagte sie im Innern,mag er mich beleidigen, mag er mich festhalten, hier vor den Blicken des Mannes, der irgendwo am Coupefenster steht und fühlt, daß ich zu ihm komme.. Ihr Manu gab das Abfahrtssignali Ohne Blick und Gruß ließ si« ihn zurück. Vorfrühlingshafte Fichtenwälder zogen am Fenster vorbei. Wie hatte sie ihn geliebt, diesen Winkel! Der Abschied feuchtete ihre Augen. Frau Barbara wartet« auf den Augenblick, wo der fremde Mann suchend in ihr Zlbtell blicken würde. Sollte sie ihm tagen: Ich bin für dich geflohen, ich will zu dir!" Sollt« sie ihm in aller Förmlichkeit die Hand reichen:Ah, der Zufall! Wir kennen uns, so vom Sehen, nicht wahr?" Er kam nicht. Nach langem Abwägen faßte Frau Barbara den Entschluß, an seinem Abteil vorbeizugehen. Der Fuß stockte, das Haar schien ihr schwer auf die Stirn zu fallen. Der Zug fuhr in eine Bahnhofshall« ew.Bielleicht steigt er hier schon aus," sagte sie halblaut und trat ans Fenster. Ist es der Mann mit der Ledertasche? Oder jener mit dem hellen Mantel? Sie wußte im Augenblick nicht mehr, wie er aussah. Sie erinnerte sich nur an die großen, ernsten Augen und die Hand, die er einst zum Gruße erhoben hatte. Fräulew, Sie müssen nachlösen!" Ja, wohin wollte si« eigentlich? Wohin fuhr der Fremde? Sie löst« bis zur nächsten größeren Station, sagte, sie würde eventuell noch weiter fahren.... Frau Barbara ging zwei Wagen zurück, blickte in jedes Abteil, suchte mit den Augen, und nur ihr Herz wußte, wen... Sie fand ihn nicht. In der Abendzeit stieg sie in einer Stadt aus, wo sie eine Freundin hatte. Bei ihr weinte sie sich aus. Zum Trost sagte si« immer vor sich hin:Ich bin von einem geflohen, nicht zu ewem." Am anderen Morgen läuteten die Osterglocken Las Auf» erstehungslied durch die Lande. Auch ich bin auferstanden! Auferstanden aus dem dunklen Gemäuer einer unglücklichen Ehe. Nun wollen wir durch die grünenden Felder gehen und sehen, ob die Lerchen schon zum Himmel steigen. Komm!"

Thomas Theodor Sieine:

3)as Muge des Satirikers

Lange vor Erscheinen desSimphzissimus" ging ich einmal in die Redaktion derFliegenden Blätter ". Dort rauchten gemütliche Herren im Jagdanzug. Sie zeigten mir ihre Dackelhunde und be- lehrten mich, Dackelzeichnungen seien immer überaus komisch und beim Publikum sehr beliebt. Man könne aber auch Möpse. Schwieger- müfter und vergeßliche Professoren zeichnen. Ich habe mich damals wirklich in diesen Dingen versucht. Allerdings beschwerte sich das Publikum immer über meine Zeichnungen: sie seien zu chinesisch und hätten keine Schattierungen. Dann aber habe ich ihnen einmal eine Zeichnung gemocht, die- hießNorddeutsche Landschaft" und stellte einen Wald von Verbotstafeln dar, vor dem ein Wachtposten stand. DieFliegenden Blätter " haben diese Zeichnung auch tat- sächlich gebracht und damit bei.ihren braven Abonnenten einen Sturm der Entrüstung erregt. Da' hatte ich bald ausgespielt und schied ohne Bedauern von jener Zeitschrift, die unseren größten Karikaturisten, Adols Oberländer, immer nur zum bloßen Spaß- wacher herabzudrücken versucht hatte. Und er wäre doch, wie kein anderer, zur satirischen Behandlung gesellschaftlicher Zustände gc- eignet gewesen. So blieb auch dieses Gebiet für uns Simplicisstmuszeichner wieder neu zu entdeckendes Land. In Frankreich allerdings war die Gesellschaftssatire seit Daumiers Zeiten in ununterbrochener Tradition. Einer ihrer besten Vertreter, Theophil Stelnlein, kam zu uns nach München und brachte uns feine kostbare Ueberlieferung. Es war ein in Deutschland unerhörtes Wagnis, geheiligte soziale Vorurteile lächerlich zu machen. Als ich meine ersten Bilder aus dem Familienleben veröffentlicht hatte, bekam ich einen Brief aus Bremen . Er lautete: Sehr geehrter Herr! Gestatten Sie bitte einer Ihnen Unbekannten, Sie durch einige wohlmeinende Zellen zu belästigen. Ich kaufe mir manchmal heim- lich denSimplizissimus", denn mein Mann duldet ihn nicht im Hause und er liest chn immer deim Friseur. Nur tiefstes Mitleid mit Ihrem zerrütteten Seelenleben drückt mir die Feder in die Handl Wie namenlos unglücklich müssen Sie sein! Haben Sie denn nie die Wonne eines harmonischen Familienlebens voll und ganz kennengelernt? Haben Sie nie die Freude erlebt, von herzigen Kinderlippen das WortPape" zu vernehmen? Ich und mein sittlich hochstehendes, in allen Zweigen des Haushalts perfektes, kunstbegeistertes Töchterlein möchte einen Versuch wagen. Sie vor dem Abgrund zu erretten, dem Sie zutaumeln. Wir gehen in den Ferien nach Obergrainau bei Partenkirchen in Sommerfrische und ließ« sich dort wohl Begegnung ermöglichen. Hochachtungsvoll grüßt Sie ' Frau Gymnasialoberlehrer Hilda Soundso." Ich weiß nicht, welche Zeichnung die gute Dame zu ihrem Be- kehrungsverfuch angeregt hatte. Vielleicht die Zeichnung, wo in einem Biedermeierzimmer ein junges Mädchen von ihren Ellern dem Bräutigam vorgeführt wird und die Mutter chr zuredet:Er wird ein guter Ehemann sein, er ist schon etwas kränklich." Oder vielleicht die Zeichnung, auf der eine unoerheiratete Mutter sagt: Jetzt fehlt mir nur noch ein Mann, dann bin ich eine Famllie." Ueberhaupt die Zuschriften aus dem Publikum sind ein inter - «ssantes Kapllel. Oft bringt die gleiche Post Briefe, in denen uns mll groben Schimpftoorten reaktionär-kapllalistische Einstellung vor- geworfen wird, uick» offene Postkarten voll Beleidigungen wegen unserer angeblich bolschewistischen Tendenzen Letztere meist anonym. Es fällt offenbar schwer zu begreifen, daß der Satiriker seine Pfeile ebenso wohl nach rechts wie nach links richtet, ja selbst die Mille nicht verschont Gut« zeitsallrische Kunst dient keiner Partei. Man hat natürlich Karikatur und Satire auch polllischen Parteien dienst- bar zu machen versucht. Aber der Geist läßt sich nicht kopieren, und die Parteifron verdrängt jedes künstlerische Emptinden. Obgleich also die satirische Zeichnung von einer höheren Warte aus die Welt betrachtet, steht sie doch Millen im Leben und ist ein getreues Spiegelbild der Zeit. Dadurch unterscheidet sie sich wesent­lich von anderen Zweigen der Kunst, insbesondere von der Oel- blldmalerei. Eine Kuustaueitellung von heute ist von einer vor

dreißig Jahren nur in Form der Darstellung verschieden. Die Motive sind die gleichen geblieben: Landschaften, Akte, Stllleben. Sellen sieht man auf Oelgemillöen ein Automobll, ein Tennisspiel, ein Hochhaus. Wozu frommt die ganze moderne Kunstbewcgung, wenn sie nichts Neues darzustellen und auszudrücken hat? Wer unsere Zeit tm Spiegelbild sehen will, betrachtet die sattrischen Zeichnungen. Für unsere Enkel werden imSimplizissimus " die eigentlichen Ge­schichtsbilder zu finden sein. Karikaturen wirken nach spätestens fünfzig Jahren nicht mehr komisch. Komik vergeht. Kunst besteht. Andererseits bekommen pathetische Historienbilder durch das Alter eine außerordentlich komische Wirkung. Die großen Bilder Anton Werners find heutzutage wirklich zwerchsellerschütternd. Aus diesem Grunde ließ wohl die Reichsregierung eins derselben für einen ihrer Sitzungssäle kopieren, anstatt von einem lebenden Maler ein neues Gemälde schaffen zu lassen. Ein feinsinniger Kunstkenner wie Lichtenberg fand die Werke Hogarths, des größten satirischen Künstlers seiner Epoche, ungemein komisch. Für uns sind sie nur noch zellgeschichtliche Darstellungen von hohem Kunstwert. Vielleicht rührt diese Erscheinung daher, daß die Worte, die das Bild beglellen, einer späteren Zeit mehr wenig zu sagen haben. Ich werde oft gefragt, ob bei einer Zeichnung zuerst der Text ent- steht oder das Bild. Nun, das Bild ist immer die Hauptsache und wird gleichzeitig mit dem Text geboren. Aber ich kann Ihnen ein Geheimnis verraten: Viele Künstler machen nur die Zeichnung und der satirische Text wird erst später dazu erfunden Meistens so treffend, daß selbst ein Eingeweihter nicht feststellen kann ob Wort oder Bild zuerst entstand. Ich erinnere mich zum Beispiel an eine vorzügliche Zeichnung von Thöny. Ein feudaler Leutnant mit seinem alten Herrn in der Eisenbahn sagt:Papa, wir werden noch so lanye zweiter Klasse fahren, bis wir Läuse kriegen." Der Witz paßt so genau zur Zeichnung, daß niemand vermuten wird, er sei erst nachträglich. dazu erfunden worden. Und doch ist es so. Ueber diesen Punkt unterhielt ich mich einmal mit dem alten Böcklin und sagte, einen Ausspruch Dürers variierend:In jedem Bild steckt ein Witz, man muß chn nur herausreißen" Böcklin war ganz erschrocken und sprach in seinem Schweizerdeutsch:Reiße Se mer doch mol der Witz us mein BildDie Toteninsel" herusl" Man hat deshalb den satirischen Zeichner manch mw ein Mittel, ding zwischen Male.» und Literaten genannt. Das ist ein Irrtum. Schriftsteller ist, wer«ine einfache Sache durch möglichst viele Wort« ausdrücken kann. Der bildende Künstler ist im Grunde ein Feind des Wortes und beschränkt sich aus die kürzeste Formulierung. Zu dem Verleger desSimplizissimus" brachte ein Dichter sein erstes Romanmanuskript. Es war auf zwei Bände berechnet. Der Verleger sagte ihm:Das ist zu lang. Sie müssen es kürzen!" Nach vierzehn Tagen legte er es wieder vor, auf einen Band zu- sammengestrichen.Noch zu lang", belehrte ihn der Verleger,was darin steht, reicht gerade zu einer Kurzgeschichte. Kommen Sie nächste Woche wieder." Das geschah. Da wurde die Kurzgeschichte angenommen mit dem Vorbehalt wellerer Kürzungen. Einiae Zeit darauf erhielt der Autor ein Belegexemplar desSimplizissimus". Sein Roman war zu einer Zelle Text unter einem Rezntceck-Bil!» zusammengeschmolzen, und die enthielt alles Wesentliche. Vielen Romanen wäre so eine Operation zu empfehlen. Die Frage ist, ob uns das Eiltempo der modernen, Zell nicht überhaupt die zu beschaulichem Kunstgenuß nötige Seelenruhe ge- raubt hat. Darauf ist wohl der überall bemerkbare Rückgang des Kunstinteresses zurückzuführen. Früher reiste ein Kunstwerk in lang­samer. mühevoller Arbeit heran. Sobald es vollendet war stand ihm der Weg zu allen Herzen offen. Der Maler wichllger Galeriebilder sah verächtlich auf den aktuell beweglichen sattrischen Zeichner herab und betrachtete sich als den einzig wahren Hüter der Kunst Jetzt zeigt sich aber, daß der satirischen Zeichnung die kulturelle Auf- gäbe zugefallen ist,- dos völlige Verschwinden des Kunstinteresses zu verhüten. Man hängt keine Bilder mehr an die Wände, aber die BUder desSimplizissimus" werden noch mit Interesse betrachtet. ' Em Museum ist em Friedhof. Die Zellkaritatur lebt