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BERLIN  Mittwoch 30. März

1932

Der Abend

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Nr. 149

B74 49. Jahrgang

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Unschuldig im Zuchthaus!

Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Bullerjahn angeordnet

Der lange Entscheidungskampf um die Wieder. aufnahme des Verfahrens gegen den früheren Ober­lagerverwalter Walter Bullerjahn wegen angeb lichen Landesverrats hat zu einem Erfolge geführt. In seiner Sigung vom 22. März hat der 4. Strassenat des Reichsgerichts unter Mitwirkung des Senatspräsidenten Dr. Bünger und der Reichsgerichtsräte Coemmers und Dr. Klimmers beschlossen, die Wiederaufnahme des durch das rechtskräftige Urteil des 4. Straffenats vom 11. Dezember 1925 geschlossenen Verfahrens und die Erneuerung der Hauptverhandlung anzu= ordnen. In der Begründung wird gesagt, daß die im Wieder­aufnahmeverfahren erfolgte Beweisaufnahme immerhin einige Tat fachen ergeben habe, welche es zweifelhaft erscheinen lassen, ob nicht der Senat, der das Urteil erlassen hat, bei Kenntnis der neuen Tatsachen zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre.

Sanierungspläne für Oberschlesien  

Vertrauliche Beratung im Haushaltsausschuß des Reichstags

Ende Januar wurde im Haushaltsausschuß des Reichstags die Lage der oberschlesischen Eisenindustrie eingehend erörtert. Dabei hatte der Ausschuß den Wunsch geäußert, vor endgültigen Maßnahmen der Reichsregierung nochmals über die Sachlage unterrichtet zu werden. Das Reichswirtschaftsministerium legte dazu eine vertrauliche Denkschrift über die Reor­ganisation der Vereinigten Oberschlesischen Hüttenwerke A.-G.( Ober­hütten) und über die Frage des Zusammenschlusses der Hütte der Borsig- Wert A.-G. mit Oberhütten vor. Zur Tagesordnung lag ein sozialdemokratischer Antrag Herz Heinig vor:

Die Reichsregierung zu ersuchen, rechtzeitig zu den Etat­beratungen dem Haushaltsausschuß Nachträge zu den Ver­

Bullerjahn war bekanntlich am 11. Dezember 1925 megen Landesverrats, den er durch Verrat eines Waffenlagers an die Interalliierte Militärkontrollkommission begangen haben soll, zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt worden. In dem Kampf um die Wiederaufnahme spielt das Zeugnis eines Unbekannten eine wesentliche Rolle. Dieser Unbekannte ist später als der General­direktor der Berlin  - Karlsruher   Industriewerke Paul von Gon­ tard   entlarvt worden. Auch sonst hat die erneute Beweisaufnahme ergeben, daß die Indizien, die zu Bullerjahns Verurteilung geführt haben, nicht mehr aufrechterhalten werden konnten. Bullerjahn wurde im Mai vorigen Jahres nach Verbüßung von 6 Jahren, 3 Monaten und 18 Tagen Zuchthaus zunächst aus gesundheitlichen Gründen aus der Haft entlassen. Zu gleicher Zeit wurde das Paris  , 30. März.( Eigenbericht.) Wiederaufnahmeverfahren für an sich zulässig erklärt. Die Filippo Turati   ist im Alter von 75 Jahren infolge neuen Ermittlungen haben nunmehr zur Anordnung der neuen einer Lungenentzündung gestorben. Am Nachmittag hatten die Aerzte noch versucht, ihn mit Hilfe einer Blut­transfusion zu retten, der Versuch hatte jedoch nicht den

Hauptverhandlung geführt.

Filippo Turati  

zeichnissen über Darlehen aus Haushaltsmitteln, Unter­nehmungen, an denen das Reich beteiligt ist und der vom Reiche übernommenen Bürgschaften und Garantien vorzulegen, aus denen der Stand vom 1. April 1932 ersichtlich wird."

Seine Notwendigkeit findet dieser Antrag darin, daß die Reichs­regieruung seit der letzten Vorlage am 31. Oktober 1931 des Ver­zeichnisses der Reichsbeteiligungen usw. so viele Sanierungs­verpflichtungen übernommen hat, daß unter allen Um­ständen der Reichstag   beschleunigt und eingehend darüber unter­richtet werden muß.

Die Verhandlungen über die Sanierung der Vereinigten Ober­schlesischen Hüttenwerke und der Oberschlesischen Borsigwerke wurden vertraulich geführt.

Costa, der schon der ersten Internationale angehört hatte, schloß sich der neuen Partei an,

zu deren bedeutendstem Führer alsbald neben dem Professor Enrico Ferri   Philippo Turati wurde. Schon 1892 errang die Partei 26 000 Stimmen und 6 Abgeordnete. 1897 stieg ihr Erfolg auf 135 000 Stimmen und 16 Abgeordnete, unter denen bereits Turati   war. In unaufhörlichem Anstieg brachte es die Partei 1904 auf 175 000 Stimmen und 32 Mandate, 1913 auf 883 000 Stimmen und 52 Abgeordnete.

Waffenlager im Bayernland. Sewünschten Erfolg. Kurz vor Mitternacht verſchied schiedenheiten in der Partei auf, die sich beſonders auf ihr

Bom Heimatschuh zum Hitlertruh.

München  , 30. März.( Eigenbericht.)

In dem Brief Groeners vom 8. März an den preußischen Innenminister, in dem Mitteilungen über die bedrohlichen Vorgänge bei der Hitlerschen Privatarmee gemacht werden, ist von einem Gewährsmann die Rede, der dem Reichsinnenministerium das Material geliefert habe. In führenden Kreisen der Nazis wird nun offen davon gesprochen, daß diefer Gewährsmann Groeners niemand anderes sei als der bayerische   Forstrat Esche= rich, der Führer des bayerischen Heimatschutzes. Die Warnung Escherichs wird mit folgenden Vorgängen in Zusammenhang gebracht:

Um die gleiche Zeit, als die preußische Polizeiaktion durch­geführt wurde, wurden auch im Chiemgau   und im Inngau große Waffenlager durch die bayerische   Kriminal- und Landespolizei ausgehoben und Dor den Nationalsozialisten und der fogenannten neuen Bauernbewegung in Sicherheit gebracht. Dabei handelt es sich in erster Linie um Waffenlager der Chiem­gauer, einer Unterabteilung des bayerischen Heimatschutes unter Führung eines Forstmeisters Jäger. Die Beschlag­nahmen erfolgten vor allem im Gebiet des Inntal in Brannenburg  , Ober- Audorf, Neubeuren und im Gebiet um Aschau  , dem Sitz des ermähnten Jäger. In Brannenburg   wurde der Unterführer des Inntal Chiemgauer Wehrverbandes, ebenfalls ein Forstmart, verhaftet. Zur Zeit wird er mit der Auslieferung der Waffen beschäftigt, die durch Kriminalbeamte überwacht wird. Er muß den Beamten die Lagerstätten angeben und die Verwahrer der Waffen zur Herausgabe veranlassen. Der Abtransport der be= schlagnahmten Gegenstände ist bereits im Gange. Im Brannen­ burger   Schloß waren soviel verbotene Waffen untergebracht, daß zu ihrem Abtransport allein vier Lastautos bereitgestellt werden mußten. Im Chiemgau   und im Inntal wird nun behauptet, daß auch diese Aktion der bayerischen Polizei auf den Forstrat Escherich selbst zurückgehe, der es nicht mehr verant­worten zu können glaubte, seinen vollständig hitlerisch verseuchten Unterorganisationen die Waffen weiterhin zu belassen.

Kommunistischer Unfug.

Jhehoe, 30. März Jugendliche Kommunisten marfen gestern abend tommunistisches Bersegungsmaterial in großen Massen über die Umfassungsmauern der hiesigen Reichswehrfaserne. Der Vorgang wurde sofort der Polizei gemeldet, der es auch gelang, den Tätern auf die Spur zu tommen. Heute früh wurden sieben Kommunisten verhaftet.

Turati, umgeben von seinen Freunden Treves, Mo­ digliani  , Buozzi, Balgini und Nenni. Er hat ein Alter von 75 Jahren erreicht.

Wieder ist einer der großen Repräsentanten des internationalen Sozialismus dahingegangen. Turati   gehörte als einer der Jüngeren zu der Generation, deren Aelteste Friedrich Engels   und Wilhelm Liebknecht  , deren tätigste und bekannteste Führer August Bebel  , Victor Adler  , Jean Jaures  , Kair Hardie und manche andere gewesen sind. Turati war der Sohn eines der ersten Präfekten des neugeeinigten italienischen Königreiches, also eines hohen Staatsbeamten. In seine Studentenzeit fiel die anarchistische Bewegung unter der italienischen Arbeiterschaft, gegen die der Staat mit den schärfsten Verfolgungen vorging. Nach und nach überwanden die Lehren von Marg und Engels diese Wirrnisse. Es entstanden festere Arbeiterorganisationen, die sich 1892 auf dem Kongreß zu Genua   zu einer Partei zusammenschlossen. Auf dem Kongreß in Reggio Emilia 1893 wurde der Name Italienische Sozialistische Partei" angenommen. Auch der alte Führer Andrea

Mit dem äußeren Wachstum traten auch Richtungsver= Verhältnis zum Staat und auf das Tempo der Entwicklung zum Sozialismus bezogen. Dabei war die Situation insofern von der im nördlichen Europa   verschieden, als der Analphabetismus in Italien   noch sehr stark war und zahlreiche Intellektuelle zur Partei strömten und durch ihre rednerische und schriftstellerische Fertigkeit bald in führende Stellungen gelangten. Gewiß ist dieser Umstand nicht ganz ohne Schuld für den Richtungsstreit in der italienischen Sozialdemokratie gewesen; es sind zum größten Teil Intellektuelle, die als Führer der miteinander fämpfenden Richtungen aufgetreten find. Mit unerschütterlicher Klarheit und Festigkeit aber hielt Turati  in Gemeinschaft mit Claudio Treves   und Enrico Ferri   de marristische Linie fest. Sie bildeten das Zentrum der Partei. Der Eroberungskrieg gegen die Türkei  , um ihr Tripolitanien mag­zunehmen, führte zu einer neuen Parteikrise, da die Führer der Unter Rechten die Kriegspolitik der Regierung unterstützten. Turatis Führung zog der Kongreß zu Modena   1911 zwischen sich und der Rechten einen Trennungsstrich. Dieser Entschluß wirkte noch nach, als der Ausbruch des Weltkrieges die Partei vor die schwerste Entscheidung stellte. Die Partei erklärte sich für die Neutralität ubnd schloß diejenigen aus, die Italien   als neuen Verbündeten der Entente in den Krieg gegen seine alten Verbündeten Deutschland   und Desterreich- Ungarn   hineintreiben wollten. Einer der lautesten dieser Schreier war Benito Mussolini  . Die neue Spaltung des italienischen Sozialismus nach dem Weltkrieg, die sinnlosen Fabrikbesetzungen durch die Linksradikalen und wie gerade hieraus der arbeiterfeindliche Faschismus die stärkste Förderung bei allen schwankenden bürgerlichen Schichten erfahren hat, das alles ist noch im Gedächtnis unserer Zeit, und nicht weniger

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start ist in uns das Gedenken der unzähligen Opfer, die unter den nüppelhieben, Dolchstichen und Schüssen der Mordbanditen Mussolinis dahingesunken sind.

Die Sozialistische Partei hielt unter Turatis Führung ihre flare demokratische Linie unverbrüchlich inne, sie machte feine Kon­3effionen

weder dem Faschismus noch den Ideen einer Proletarierdiktatur melch wahrhaft lächerliche Forderung war das bereits geworden! Die Kammerwahl von 1924 zeigte unwiederleglich, daß der Faschis­mus in allen größeren Städten und in vielen Landbezirken nur die Minderheit des Volkes darstellte. Sowohl die sozialdemokratische, wie auch die marimalistische Partei erhielten neben den katholischen Demokraten und den Liberalen erhebliche Stimmenzahlen und reichlich Mandate. Da setzte der Faschistenterror aufs neue ein. Eines seiner ersten Opfer war Giacomo Matteotti  . Dieser schändliche Mord und die nicht weniger erbärmliche Justizkomödie, die ihm folgte, veranlaßten die gesamte Oppofition zum Auszug aus dem Parlament. Immer noch hielt sich das von Turati   geleitete