Der Abend
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Tir. 153
B76 49. Jahrgang
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Kriegszustand in Klaggestan
Die Zwingburgen der Nazihorden Nazihorden – Küchenthal bei Groener!
Seit der Nazimann Klagges im Braunschweiger Ministerium sint, haben sich die Verhältnisse in diesem Lande so entwickelt, daß Tag für Tag über neue Gewalttaten der das flache Land beherrschenden nationalsozialistischen Landsknechtshorden berichtet werden muß. Bei einer Fahrt durch das Braunschweiger Land hatte ein Mitglied unserer Redaktion Gelegenheit, die Stätten nationalsozialistischer Willkür zu besuchen und mit den Opfern des Terrors zu sprechen.
Die persönliche Aussprache mit den Landbewohnern gibt ein erschreckendes Bild der unhaltbaren Zustände. Die Sturmtrupps der SA. und SS. beherrschen ungehindert das flache Land. Die Polizei steht, schon wegen der geringen Zahl der in den kleinen Ortschaften vorhandenen Landjäger dem verbrecherischen Treiben machtlos gegenüber.
Die Bevölkerung fühlt sich vollkommen rechtlos und hat sich daran gewöhnen müssen, vom Staat ohne Schutz zu bleiben. Die Staatsautorität scheint an die SA.- und SS. - Kolonnen übergegangen zu sein, die das ganze Land von ihren 3 wingburgen in Kreiensen aus mit Hilfe der eigenen Ueber= fallwagen beherrschen. Die republikanischen Arbeiter sind vogelfrei. Ihre Wohnungen find dem Nazigefindel genau be= Zannt, und sie werden nicht nur während des Tages belästigt, auf den Landstraßen überfallen und blutig geschlagen; nachts beobachtet man ihre Schlafkammern mit Scheinwerferlicht, mit dem die Mannschaftswagen der Landsknechte ausgerüstet sind. Wir find hier im Kriegszustand", sagt ein alter, weißhaariger Mann. Schlimmer als die Nazis hier hausen und uns bedrücken, fönnten die schlimmsten feindlichen Truppen es nicht treiben." Dieser Mann war der
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Lagerverwalter des Konjumvereins in Kreienjen, der in seiner Wohnung mit seinem Sohn überfallen und blutig geschlagen worden ist.
Er hat sich nie politisch betätigt, gehört auch keiner politischen Vereinigung an, und auch der Konsumverein ist feineswegs ,, sozialistisch"; er gehört nicht einmal dem Zentralverband der Konjum
vereine an.
Die GA. Führerschule in der Waffenfabrik.
Der Schrecken des ganzen Landes sind die in den großen Nazifasernen in Kreiensen fajernierten HitlerBurschen, die ihren Machtkoller in immer wiederkehrenden Ueberfällen austoben. Sie schonen weder den jungen, faum aus der Sdyule entlassenen Menschen, noch den weißhaarigen alten Mann. Die ,, SA. Führer Vorschule" ist in einer alten Waffenfabrik untergebracht, die mitten im Orte auf einem Berge liegt. Frech weht von dem Turm, der früher als Wasserturm diente, eine große Hakenkreuzfahne. Und auch der Giebel eines früheren Munitionsdepots ist mit einem riesigen Hakenkreuz gefchmückt". Wie diese Nazikaserne ist auch die
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Unterkunft der SS. - Mannschaften als ,, Schule" getarnt. Sie liegt etwas versteckter in einer ehemaligen Zementfabrit, den sogenannten Nikowerken. In der SA.- Schule find zur Zeit annähernd 200 Mannfest einquartiert. Das Haus bietet jedoch mit seinen umfangreichen Nebenanlagen die Möglichkeit, 2000 Mann unterzubringen. In der SS.- Schule find jezt 140 Mann stationiert, aber auch hier fönnen mühelos weitere hunderte untergebracht werden. Die Waffenfabrik hatte im vorigen Jahr ihren Konkurs angemeldet. Sie ist nunmehr von den Nationalsozialisten für ihre Zwede gepachtet und umgebaut worden. Bezeichnenderweise wurde der Pachtvertrag nicht direkt von den Braunschweiger Nazis abgeschlossen, sondern von dem Studienrat Rust in Hannover , dem Leiter des Gaues Süd- Hannover der Nazis. Hier, wo man sich vor Zugriffen der Polizei auf braunschweigischem Gebiet geschützt weiß, fummandiert man in der Regel für vier Wochen die zur Ausbildung bestimmten Mannschaften ab. Ein Skandal fondergleichen ist es, daß dabei der Staat diese Landsfnechtshorden noch selbst besoldet! Die uus Hannover , Goslar oder anderen Orten eingerückten Hitler - Leute bekommen nämlich
in Kretensen prompt ihre Wohlfahrtsunterstützung ausgezahlt. Dabei sind sie von der Leitung der Schule verpflichtet worden, das gesamte Geld bis auf wenige Pfennige an die Schule" sofort abzuführen. So wird mit dem Geld der Allgemeinheit die Ausbildung
Der Betrieb in, der Nazifaserne ist nach der Arbeitsweise in einer militärischen Kaserne aufgebaut und genau eingeteilt. Die Mannschaften schlafen in einem großen Raum in übereinander angeordneten Militärbetten in der ehemaligen eigentlichen Waffenfabrik, während ein großer, geschlossener Raum, der früher als Munitionsdepot diente, jetzt zum Egerzieren benugt wird.
Die Bevölkerung ist dauernd in größter Sorge, weil man immer wieder feststellen muß, daß die Nazibanditen aufs beste be maff net sind. Man vermutet wahrscheinlich nicht zu Unrecht, daß in den alten Kellergewölben der Waffenfabrit noch manches Gewehr zu finden sein wird. Und diese Gerüchte wollen nicht verstummen, die sogar von dem Vorhandensein mehrerer Maschinen gewehre sprechen. Zwar hat die Kreisdirektion bei der Ueber nahme der Waffenfabrik durch die Nationalsozialisten angeordnet, daß die alten Waffenbestände aus der Fabrik herausgeschafft wurden. Wo aber hat man die Waffen, darunter etwa 100 schußfertige Gewehre, hingeschafft? Die Waffen liegen jetzt in einem Haus, das
fich der ehemaligen Fabrit gerade gegenüber befindet, so daß sie selbstverständlich jederzeit für die Nationalsozialisten, die das Lager genau tennen. greifbar find.
Jeden Tag militärische Webungen im Gelände.
Der Dienstplan in der Razifaserne sieht so aus: Um 6.45 Uhr ist Wecken. Daran schließt sich eine halbe Stunde Sportübung. Dann wird der Morgenkaffee eingenommen. Nach einer kurzen Bause beginnt das Ererzieren in der geschlossenen großen Halle. Hierbei Soldaten ausgerüstet, mit gepacktem Tornister und Feldspaten treten die Mannschaften vollkommen uniformiert, wie an. Das Ererzieren dauert bis zum Mittagessen. Nach der Mittags= pause beginnen um 14 Uhr die Ausmärsche in das Gelände. Oft schwärmen" zu gleicher Zeit 100 Mann aus. Auch hier marschiert die Mehrzahl der Burschen in Uniform. Man steckt nur einige dazwischen, die den Schein einer 3ivilkleidung wahren, um so nach außen hin behaupten zu können, von einer allgemeinen Uniformierung fönne feine Rede sein.
Diese Ausmärsche bilden einen dauernden Gefahrenherd für die gesamte Bevölkerung. Umzingelung von ganzen Dörfern, Durchsuchung von einzelnen Gehöften und das Durchstreifen der Wälder nach ,, verdächtigen Elementen" sind mehr als einmal vorgekommen. Alle an den Kreisdirektor Biny gerichteten Beschwer den, die selbst von Gemeindevorstehern ausgehen, bleiben
Kehraus mit Hitler!
Montag, den 4. April, 19.30 Uhr spricht Polizeipräsident
der Naziarmee finanziert. Der militärische Leiter in der Baffen in einer öffentlichen Kundgebung fabrik ist ein„ Major" Oberdiet. Er beherrscht die 3wingburg. in den Tennishallen Wilmersdorf ein ,, Major" Der als eigentlicher Leiter bestimmte Verwalter Legebusch hat neben ihm nicht viel zu melden.
Brandenburgische Straße
wirtungslos, weil der Herr Kreisdirektor immer wieder lächelnd, erklärt, daß es sich bei diesen Ausmärschen lediglich um ,, Uebungen der Schule" handele. Der Hinweis auf die im Anschluß an diese Militärspielerei verübten zahllosen Bluttaten der Nationalsozialisten bleibt selbstverständlich auch wirkungslos.
Der Gemeindevorsteher machtlos. Bezeichnend für die Ohnmacht der Behörden gegenüber dem Landknechtstreiben der Nazis ist der Vorfall in Ahlshausen, wobei dem parteipolitisch völlig neutralen Gastwirt Pralle die Wirtschaft völlig demoliert wurde. Der„ Borwärts" hat fürzlich darüber berichtet. Der Gemeindevorsteher des Drtes, der in der Blutnacht auf den Lärm hin, der im ganzen Ort herrschte, erschien, wurde von dem nationalsozialistischen Böbel a u s- gelacht und beschimpft. Die Nationalsozialisten hatten in der betreffenden Nacht wieder den berüchtigten Ueberfallmagen zur Stelle. Etwa 40 Mann stürmten das Lokal, nachdem sämtliche Fensterscheiben zertrümmert worden waren, und durchsuchten den Tanzjaal. Die noch anwesenden Gäste, darunter mehrere Frauen und einige junge Burschen, die das Haus vollkommen umzingelt wußten, hatten sich in einem alten Bretterverschlag auf der Empore des Saales verstedt. Die Nazis fanden das Versteckt und in einem Anfall von sadistischem Blutrausch wurden die jungen Leute, die sich früher geweigert hatten, den Nazihorden beizutreten, bis zur Bewußtlosigkeit blutig geschlagen. Die Frauen ließ man unter Beschimpfungen gehen, um dann um so grauenhafter die Wut an den jungen Arbeitern austoben zu können. Nachdem die Bedauernswerten mit Stahlruten, Keulen und Eichenstöden bearbeitet worden waren, versuchte man die Zerschundenen über die Brüstung der Empore in den Saal hinabzuwerfen. Dem aus letzter Verzweiflung geborenen Widerstand der Ueberfallenen gelang es, das zu verhindern. Sie wurden aber die Treppe der Empore hinuntergestoßen. Unten empfing sie eine andere Abteilung der Banditen, um sie noch einmal durchzuprügeln, daß sie nicht mehr weiter fonnten. Der Gemeindevorsteher, der versucht hatte, die Horden von weiteren Greueltaten abzuhalten, wurde mit den Rufen empfangen:
„ Was willst du denn, du altes Kamel? Scher dich gefälligst ins Bett!"
Landjäger waren bei dem Ueberfall überhaupt nicht anwesend, weil der Ort Ahlshausen mit dem Nachbarort Sievershausen eine Ge= meinde bildet, für die nur zwei Landjäger zur Ver= fügung stehen, die gerade irgendwo anders beschäftigt waren,
Die Bevölkerung ist um so erregter, als alle Beschwerden und Anzeigen auch über diesen Fall bisher teinen Erfolg haben erkennen lassen. Es hat deshalb eine Rechtsunsicher heit und das Gefühl der Schu glosigkeit Plag gegriffen. Die Leute verstehen nicht, wie das Reich es mit ansehen kann, daß in fremden Truppen beherrschten Gebietes nicht mehr zu untereinem seiner Länder ein Zustand herrscht, der von dem eines von
scheiden ist.
Braunschweig, 1. April .( Eigenbericht.) Der braunschweigische Minister Dr. Küchenthal, der Vorsitzende des Staatsministeriums, trifft heute in Bad Harzburg mit dem Reichsinnenminister Der Zweck der Reise ist in Groener zusammen. Braunschweig geheimgehalten worden. Selbst die engsten Mitarbeiter des Ministers Küchenthal sind darüber nicht informiert. Man darf aber annehmen, daß Herr Groener das Bedürfnis hat, mit dem leitenden Minister eine eingehende Aussprache über das ,, System Klagges" zu führen, das sich, je länger je mehr, zu einer Gefahr für die Sicherheit im ganzen Reiche auswächst.
Schüsse auf Abgeordneten.
3 widau, 1. April .( Eigenbericht.) Auf den jozialdemokratischen Abgeordneten Paul Hermann
wurden in der Nacht zum Freitag, als er von einer Sigung heimfehrte, vor feinem Hause Revolverschüsse abgegeben. Die Tatjache, daß von zwei Seiten nach ihm geschossen wurde,