Der beleidigte Perser- Schah.
Ein verbotenes Perferblatt vor Gericht.
Bor dem Schnellschöffengericht Berlin- Mitte gab es heute morgen das Borſpiel zu dem großen Beleidigungsprozeß, den die Staatsanwaltschaft auf Verlangen der persischen Regierung gegen den persischen Emigranten Diplomingenieur Alami angestrengt hat. Die Vorgeschichte dieser standalösen Angelegenheit: Die mit den despotischen Herrschaftsmethoden des derzeitigen Schah unzufriedenen persischen Emigranten in Berlin hatten hier eine Zeit Schrift Peita" herausgegeben. Der Schah erblickte in dieser Zeitschrift eine Gefahr für sich, die persische Gesandtschaft wurde bei dem Ausmärtigen Amt vorstellig, die Zeitung wurde verboten, Alawi aus Deutschland ausgewiesen und gegen ihn ein Beleidigungsprozeß angestrengt. Das Schöffengericht lehnte die Eröffnung des Verfahrens ab, die Straffammer gah der Beschwerde der Staatsanwaltschaft statt. Der Verleger Rinke gab darauf eine andere Zeitschrift heraus mit dem Titel:„ Neize"( Bewegung" oder Aufstand"), die nach Ansicht der Staatsanwaltschaft eine Fortsegung des verbotenen Beita"( Rampf) fein sollte. Gegen den Verleger Rinke und den Drucker Bolf wurde nun wegen Verstoßes gegen die Notverordnung ein Verfahren eröffnet. Wegen dieses Verstoßes gegen die Notverordnung sollten sie sich heute verantmorten.
Der Verteidiger R.-A. Dr. Apfel beantragte, das Verfahren als nicht geeignet für das Schnellgericht in das ordentliche Verfahren überzuleiten oder eventuell die Verhandlung auf die nächste Woche zu vertagen. Durch die heutige Berhandlung folle gewissermaßen dem großen Prozeß vorgegriffen werden, der für Montag angesezt ist. Zu dem Prozeß am Montag habe der ausgewiesene Alawi freies Geleit erhalten.
"
Seine Vernehmung sei für diesen Prozeß von Bedeutung. Es folle nachgemiesen werden, daß die Zeitung ,, Neize" teine Fortfegung der Zeitung Beita" darstelle, daß die Kreise um Alawi sich dem Beschluß des Reichsgerichts über das Berbot des Peifa" fügen wollten und die Herausgabe der anderen Zeitschrift mißbilligten. Die Angeklagten hätten es als ihre sittliche Pflicht gehalten, mit einer neuen Zeitung den Standpunkt ihrer persischen Freunde zu vertreten. Er beantragte die Berlesung jämt licher Nummern des Beika" und die Hinzuzichung fämtlicher Aften in der Angelegenheit der Beleidigung des Schahs von Perfien, wie auch des rechtsgültigen Berbotsentschlusses des Reichsgerichts. Dieser Reichsgerichtsbeschluß tönnte für die Beurteilung Don Bedeutung sein. Denn es fet nicht anzunehmen, daß ein preußisches Gericht die Ansicht des Reichsgerichts teilen würde, daß durch eine persische Zeitschrift, die in 600 Exemplaren her. ausgegeben mird und von dem der größte Teil ins Ausland geht, die Ruhe und Sicherheit in Deutschland gefährdet würde. Er bitte um Bertagung der Verhandlung, auch meil er Anträge zu stellen habe, die von weitgehender Bedeutung sein können. Er habe sich tie größte Mühe gegeben, diese Berhandlungen nicht stattfinden zu lassen. Die Anträge, die er zu stellen habe, tönnten von
fatastrophalen Folgen fein für die Beziehungen zwischen Deutschland und Persien .
Sie seien geeignet, die persische Regierung in fehr wenig freundlichem Lichte in bezug auf Deutschland erscheinen zu lassen. Es gehe nicht an, daß die Justiz durch den Drud anderer Behörden in die Politik hineingezogen wird. Außerdem lehne er den Dolmetscher, der in einem Vertragsverhältnis zum Ausmärtigen Amt steht, wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Der Dolmetscher habe nachmeisbar verschiedene Stellen nicht ganz forrett überfest. Staatsanwaltschaftsrat Mittelbach mandie sich gegen die Bertagung der Verhandlung. Hier handelt es sich bloß darum, daß trotz des Verbots der Zeitschrift eine Erfagschrift herausgegeben wurde. Gegen den Vorwurf der Liebedienerei müsse die Staatsanwaltschaft Verwahrung einlegen. Im übrigen geht es nicht an, daß Berlin zu dem Ort ermählt mird, in dem der perfifche Kommunismus vertrieben werde. Durch die Zeitung seien schwere wirtschaftliche und politische Berwidlungen herDorgerufen.
R.- 2. Dr. Apfel erwidert darauf, daß dieser Prozeß noch fchlimmere Folgen haben könnte, denn, wenn er erft feine Beweis. cnträge hier stellen würde, und er das zur Berlefung bringen würde, was er zu verlesen beabsichtige, so könnte das zur Folge haben, daß dem persischen Gesandten in Deutschland die Pässe zugestellt werden würden. Der Schah von Bersia habe bestimmt nicht gewünscht, daß der Prozeß in dieser Weise aufgerollt würde.
Das Gericht Iehnte nach längerer Beratung sämtliche Anträge der Verteidigung ab und vertagte die Verhandlung wegen Ueberlastung der heutigen Sigung auf Sonnabend.
Das Manifest der Sozialisten.
In dem Wahlaufruf der sozialistischen Partei für die bepor stehenden Kammerwahlen heißt es: Die sozialistische Partei hat das Bewußtsein, daß die moderne Gesellschaft die vom sozialistischen Programm geforderten Maßnahmen zur Sicherung des öffentlichen Wohls nicht mehr ablehnen oder aufschieben kann, wenn nicht die Wirtschafts- und Sozialkrise, die schon so viele Leiden verursacht hat, noch größer werden soll. In der internationalen Politik bedienen fich die Regierungen heute einer Diplomatie, die nicht im stande ist, den Frieden zu organisieren, obgleich die Bemühungen der ganzen Welt darauf hinzielen müßten, die Konflifte beizulegen und die Völker einander zu nähern.
Das Manifest schließt:" Für die Durchführung dieses Programms der Vernunft und der Menschlichkeit muß sich die Armee Der Arbeiter diszipliniert und entfchloffen hinter der roten Fahne des Sozialismus in Marsch segen. In der Nacht, die der Kapitalismus um sich verbreitet, erscheint ein Licht, das cure Schritte auf die Wege der Zivilisation mit einem meiten Horizont der Ordmung, der Sicherheit und des Friedens hinIentan muß
An die Wahlurnen für die sozialistischen Kandidaten! Befreit euch, Arbeiter, befreit die Welt! Es leben die foziale Republik !
Poincaré erhält Staatspension.
Paris , 1. April. ( Eigenbericht.) Die Rammer hat mit 406 gegen 60 Stimmen auf Antrag des fazialistischen Abg Brade den Senat aufgefordert, die von der Kammer beschlossene Einführung des Frauenmahlrechts ab 1933 fo schnell wie möglich zu beraten. Außerdem billigte die Kammer einen Gesezentmurf. wonach früheren Bräsidenten der Republik , die sich um das Vaterland verdient gemacht haben, eine jährliche Bension von 200 000 Franten gezahlt wird. Der ein zige Nuznießer dieses Gesezes ist Poincaré , der infolge seiner Krant heit nicht mehr imftande ist, seinen Anwaltsberuf auszuüben,
Gliedbrand und Lungenchirurgie
Zweiter Tag des Chirurgenfongresses
4
Der zweite Tag des Chirurgenfongresses brachte als Haupt-| haften Beifall der Bersammlung die geistvollen Bergleiche von Ceelen referat die Darlegungen des Chirurgen Röpke Barmen und des Anatomen Ceelen Bonn zu der in den letzten Jahren ungemein häufig diskutierten Frage der Entstehung und Behandlung des
Gliedbrandes.
Beide Redner waren sich darin einig, daß es keine einzelne und eindeutige Ursache dieser Erfrankung gibt, die im mefentlichen in schweren Veränderungen der Blutgefäße, vor allem der Schlagadern in den Gliedmaßen besteht. Bielmehr muß man das Zusammentreffen zahlreicher Schädigungen annehmen, unter denen gehäufte Kälteschäden, Nikotinmißbrauch, Infektionen, und mie besonders Ceelen hervorhob, die statischen Berhältnisse des aufrechten Ganges eine Hauptrolle spielen. Endzündliche Wucherungen in der Umgebung der Gefäße und Schrumpfung ihrer zarten Bandungen unterbindet allmählich die Ernährung des zugehörigen Gliedes, und es trift der gefürchtete Brand ein, das heißt der Gemebstod oder, wie es die franzöfifche Literatur treffend bezeichnet, die
Ersticung des Gewebes.
Sah man noch vor wenigen Jahren die einzige Möglichkeit einer Heilung in der rücksichtslosen Amputation des betreffenden Gliedes, so haben die Fortschritte der inneren Medizin mit der Entdeckung der Kreislaufhormone und die Bervollkommnung der Nerven chirurgie, insbesondere der Chirurgie des sympathischen Nernen. systems, zunächst weitgespannte Hoffnungen erwedt auf die Möglich keit der
unblutigen Heilung ohne Berstümmelung.
aus der Urgeschichte der Medizin im praktischen Hinweise auf das heutige Handeln des Chirurgen ausnutzen, indem er das 2000 Jahre alte Rezept der Bibel: Wenn dich dein Arm oder Fuß ärgert, so schneide ihn ab, ebenso ablehnte mie die Flucht por der Berantwortung und vor der Hilfeleistung, die in der Geschichte des Bhifottet wiedergegeben ist: Ceelen hatte nachgewiesen, daß der Grund für seine Aussetzung auf der Insel Lemnos , die Sophokles im Drama schildert, der Brand des Fußes nach dem Biß einer gif tigen Schlange war und daß wir hier die erste fritische Schilderung dieses Krankheitsbildes vor uns haben. Kirschner lehnt es ab, nur zur Bekämpfung der unerträglichen Schmerzen den Menschen zu verstümmeln und tritt warm ein für die von ihm angeder übereinstimmende Hinweis von Bier und Moris Borchardt, gebene Durchschneidung der Schmerzleitungsbahnen. Wichtig mar daß die Schäden des Krieges bei Feldzugsteilnehmern vielfach erst nach 10 und mehr Jahren zur Ausbildung des Gliebbrandes geführt
haben.
Lungenchirurgie.
Sauerbruch Berlin mit der Vorstellung zahlreicher Kranker ein, Die Nachmittagssigung leitete der berühmte Lungenchirurg die durch große Eingriffe am Brustkorb von schweren, noch por turzem für unheilbar geltenden Lungenertrantungen geheilt waren. Er hat mit bestem Erfolg bereits mehrfach eine ganze Lungenhälfte entfernt und dadurch Lungenfifteln, Bronchialermeiterungen, ja fogar tuberkulöse Höhlenbildungen beseitigt. Sein Affistent Dr. Niffen zeigte, wie es im Tierexperiment und danach auch am franken Men Leider haben diese Erwartungen getäuscht. In der lebhaften Disschen gelungen ist, die Atembewegungen, die bei Verlegungen am tussion traten nur vereinzelte Redner für die konservativen Ber- oder im Brustkorb stets schädlich und hinderlich für die Heilung fahren ein, während sogar einer der großen Anreger der fonserva- sind, dadurch auszuschalten, daß mit Sauerstoff angereitiven Chirurgie, der mit demonstrativem Beifall begrüßte Professor cherte Atemluft unter starkem Ueberdruck in die Lunge ein. Bier Berlin , zugab, daß seine Methode der Blutstauung oder der geführt wird. Die Ausblicke, die Sauerbruch zu seinem eigentlichen Blutansaugung in den geschädigten Gliedmaßen nur unbefriedigende Thema der Speiseröhren chirurgie gab, laisen erfreulicherErfolge gebracht hat. weise hoffen, daß auch der häufige Speiseröhrenkrebs in Kürze für das Messer des Chirurgen angreifbar wird.
Immerhin tonnte Kirschner Tübingen unter dem leb
Herrliche Tristan- Aufführung.
Staatsoper.
Wir haben Furtwänglers Tristan- Interpretation nom
Sommer her noch im Ohr, da sie aus Bayreuth pon beinahe allen Sendern der Erde übernommen, auf allen Wellen übertragen murde; den lebendigen Klang, das klingende Bunder durften wir gestern in der Lindenoper erleben. Wenn der gewissenhafte Chroniſt auch nicht umhin fann, sich zu wundern, mieso eine solche Aufführung durch eine wahrhaft elende Wiedergabe der menigen Chortatte gestört werden durfte, wenn die Regie auch feineswegs alle Wünsche erfüllte( von dem Mißgeschid des jungen Steuermannes ganz zu schweigen), war es doch so, daß einem falt und heiß wurde vor Begeisterung, daß ein hingerissenes und fasziniertes Bublifum Sängern, Dirigenten, Orchester sehr verdiente spontane und stürmische Huldigungen bereitete.
Auch am Bult des Opernkapellmeisters bleibt Furtwängler Symphoniter( im Tristan" eine Tugend) und entfesselt- trok zartester Tönungen, Schattierungen, Nuancen eine strömende Fülle, von der sich nur Sänger von solchen Graden und Gnaden tönnen tragen lassen, ohne unterzugehen in dem immer neu auf rauschenden Klangmeer. Bistor sang auch hier( mie in Bayreuth ) den Tristan in glanzpoller Mühelosigkeit und muchs von Att zu Att. Herbert Janssens Kurmenal war eine prachtvolle Einheit von Klang und Gebärde, Kipnis König Marke herrlich gefungen, flug im Spiel, nur ein menig übertrieben vielleicht in der Geste; zauberhaft tönte Karin Branzells Brangänenruf durch das mystische Dunkel der Nacht endloser Liebe. Bleibt von Frieda eher zu schwärmen als zu reden. Wie ein Beider zu reden goldenes Licht strahlte ihre Stimme über feffellos dahinbrausenden Orchesterfluten; wie sie stand, wie sie lachte, weinte, das mar in tausend erhabenen und rührenden Gebärden in Wahrheit die Kö nigin folde in all der Majestät ihrer todgemeihten Liebe. Solange sie auf der Bühne stand, gab es tein Theater, feine Opernsänger und feinen Generalmusikdirektor; da versant alles andere, da stieg es Tristan und Isolde. auf: die verflungene Sage, die füße und traurige Geschichte von
Es war ein hohes und seltenes Fest der Musik.
A. W.
Barnowskys Faust: Inszenierung.
Künstlertheater.
Auch Barnowski wird von unserer bösartigen Zeit geopfert, und tein Beer und kein Kaffeekönig warten darauf, ihn für ein besseres Schloßherrenjenseits zu retten oder ihm zu den Seligkeitsgefilden der schönen Helena den Weg zu ebnen. Seit 25 Jahren ist Barnowsky ein respektabler Theaterleiter, er war stets der Flügelmann im zweiten Gliede. Solange er Geid einnahm, hatten die Künstler in ihm auch einen freundlichen Herren. Die Schauspielergemertschaft fonnte es stets bestätigen. Jetzt wagte er sogar, ein frisengeschwächter privater Direktor, ohne Subvention und in letzter und schwerster Stunde jenen Faust" zu inszenieren, den Kurfürstendamm und Brunnenstraße vergeblich von den behäbigen Nuznießern der bürgerlichen Steuerleidenschaft verlangen.
Barnowsky spielt mit guten Künstlern, die aber dem Wesen der Dichtung fremb find. Selöpfer kann kein Faust sein, Homolka tein Mephisto, Frau Grete Mosheim fein Gretchen. Die Feststellung muß nach Mitternacht pollzogen werden, als Gretchen ausgefeufzt hat. Barnowsky, der Regisseur, hätte den Versuch nicht mogen dürfen, mit diesen Schauspielern, die nun einmal für ganz andere Aufgaben geschaffen sind. Slöpfer als alter Faust fauchte und fmurrte nur, nad) der Berjüngung durch den Herentrant glidh er nur einem Landsknecht mit sentimentalen Anwandlungen. Er paßt eben nicht für die Rolle, trotz aller Slugheit, die er aufwandte. Die Natur spielte gegen ihn. Sie spielte auch gegen Homolka, den Mephisto. Denn Homolla beherrscht nun einmal nicht den höllischen Kavaliers. ton. Zur Klöpferschen Natur gehört eine Tragit, die tief qus dem Boden des Kraftmenschen strömt, ihr fehlt die für den Faust unent behrliche Menstitative und Ueberfinnlichkeit, ihr fehlt auch die spiele rische Ritterzärtlichkeit. Die imposante Derbheit Homoltas gestattet nur den Humor eines tragischen Clowns. Aus diefer Stufiffenmelt stammt aber nicht die rein geistige Unterwelt Mephistos. Er ist mehr als Homolta, der sich manchen Spaß erlaubte, und einem Hanswurst des 3irfus ähnlicher sah als dem Tyrannen des Fegefeuers. Und Frau Mosheim , die eben durch) Operettenlaune und Boffen. badfischinnigfeit entzückte, spielt die rührenden Filindebütantinnen portrefflich. Doch im gotischen Dome und im mittelalterlichen Kerter wird ihre Stimme tonlos, und jede ihrer Bewegungen erstarrt in
Illngeschicklichkeit und ihr Mienenspiel ist fraftlos. Man meint immer, dieses Gretchen würde plößlich zu berlinern anfangen.
Barnowsky, der während seines langjährigen und ehrenvollen Bestrebens felten irrte, unterlag diesmal, vom Schüttelfrost der Not gepact, seinem Eifer. Er hörte bei den Broben nicht, was
doch gar nicht so schwer zu hören gewesen wäre: daß die Geräuſchmaschinen, die er als akustische Behelfe gebrauchte, die Illusion meist töteten. Es sprach die Stimme Gottes von der Blatte her, Gottes Stimme aus der Konservenbüchse, und der Sprecher, der die Platte besprochen hatte, feuchte. Und die Sprechmaschine gab alles undeut lid, und grunzend oder verschwommen wieder. Das war kein Beltgeist mehr, der mit dem Teufel ftritt, das war ein flacher Kellergeist.
So mar der Geist dieser Faustnorstellung, die mit foniel Ernst und hoffnung vorbereitet wurde, mur ein gepeinigter Notgeist der Mißverständnisse. Aber die Gerechtigkeit, mit der das gesagt mird, muß noch einmal in dem Hinweis darauf ausklingen, daß Botnowifi) es hoch und heilig verdient, als würdigstes Objekt für energische Sanierungspläne zu gelten.
Der Professor als Bauchredner.
1. h.
Mit Eduard Sievers ist ein Meister der Philologie dahin. gegangen, der die Wissenschaft von der Sprache zu einer Kunst erhoben hatte. Ausgehend von den germanischen Sprachen ist er immer tiefer in das Wesen der Sprache überhaupt eingedrungen, so daß es schließlich für sein Forschen keine Grenzen mehr gab und er ebenso die Geheimnisse des Hebräischen im Alten Testament mie die Bunder dichterischer Sprachgestaltung in den modernen Literaburen ergründete.
Die Sprache war für Sievers etwas Lebendiges, nur begreiflich aus dem geformten Laut, und so vertiefte er sich immer mehr in die autphysiologie, wurde der erste große Phonetiker unter den Germanisten. Diesem genialen Aufspüren des Sprachklanges verdankt seine wichtigste Entdeckung ihre Entstehung, die Schallanalyse", durch die er aus der gedruckten Ueberlieferung die sprachliche Formung erlauschte, die der Schöpfer dem Werf gegeben. Sievers murde zum tiefsten Ergründer der Geheimnisse fünstlerischer Lautbildung, weil er selbst ein Meister des Wortes und der Sprache war. Um den letzten Feinheiten des Sprechens auf die Spur zu tommen, hatte er sich alle Möglichkeiten des Stimmorganes an= geeignet und sogar das Bauchreden gelernt. Wenn er bei seinem berühmten Kolleg über Phonetif bis zu einem bestimmten Abschnitt gefommen war, dann verbreitete sich wohl die Kunde unter den Studenten: Das nächste Mal wird Sievers bauchreden!" Und piele Neugierige, denen es nicht um das Studium der Phonetik zu tun war, strömten herzu, um den seltsamen Künsten dieses professoralen Stimmzauberers zu lauschen. Erschien dann die gedrungene Gestalt auf dein Katheder, so blickte Sievers leicht amüsiert über die Brillengläser auf die ungewohnte Fülle und meinte, daß wohl manche der Kommilitonen nicht durch fachliche Zwede hergeführt felen. Troßdem aber hielt er mit seinen Künsten nicht zurüd, und bald tönte feine sonore Stimme aus der einen und bald aus der anderen Ede, bald von der Decke herunter oder dumpf unter dem Katheder hervor...
Neues Filmnerbot. Bon der Berliner Filmprüfstelle murde der feit langer Zeit mit großer Spannung erwartete Füm Kuhle Wampe " von Bert Brecht und Ernst Ottwald verboten. Der Film, der seinen Titel von einer in der Nähe Berlins gelegenen Zeltstadt empfing, versucht das proletarische Schicksal diefer Zeit im Rahmen einer einfachen Handlung zu gestalten und endet mit einer Berherrlichung der Arbeiter- Sportbewegung. Die Gründe, die den Bertreter des Reichsinnenministeriums, Regierungsrat Erbe, zur Beanstandung des Films veranlaßten, find der Deffentlichkeit vorläufig nod) nicht befannt; sie zu entfräften, versuchte vorerst vergeblich Rechtsanwalt Dr. Otto Landsberg als Bertreter der Herstellerfirma. Bon den vier Beisigern haben zwei Beschwerde gegen das Verbot einSelegt; der Film wird nunmehr von der Oberprüfstelle begutachtet
werden.
Im Kaiser Friedrich- Museum, Saal 24 des Erdgeschoffes, wurde die Sammlung zuffifer und pftriftlicher Runft neu aufgeftelit. is Seibgabe werden wichtige tonen aus dem Befis bez ruffifchen Staatsmuseen und aus Brivatbefis gezeigt. Die Ausstellung wird am 1. Wpril geöffnet. Der Fontane bend " veranstaltet Sonnabenb int Dans der Breffe einen literaftfchen Stabarettabend: Berliner Beierlaften", 100 Jahre Berfiner Dining
Die Buchhandlung für Rechts- und Staatswissenschaften R. 2. Frager, die auf ein 60jähriges Bestehen zurücfieht, siedelte in ihre neuen Räume in der Nürnberger Str. 14-15, hechpart., über, wo sie Sortiment und Antiquariat weiter pflegt.
Varsifal in der Städtischen Oper. Die nächsten Wiederholungen finden Sonntag und Montag statt.
69
11( 6