Nr. 188 49. Jahrgang
581.
1. Beilage des Vorwärts
Berlins Flaggenkrieg
Heraus mit den Fahnen des Sozialismus und der Republik !
Je näher der entscheidende 24. April rüdt, desto stärker wächst die Spannung über den Ausgang der Preußenwahl. zum dritten Male innerhalb turzer sechs Wochen sehen die politischen Parteien, voran die o. zialdemokratische Partei Deutschlands , alle Kraft ein, um den Sieg zu erringen. Und was kaum noch möglich schien, nämlich eine überall sichtbare und ge wichtige Steigerung des Wahlkampfes, das ist erreicht worden durch den großen Flaggenkrieg, der seit einer Woche in Berlin geführt wird.
In jeder Straße Berlins mahnen die aus den Fenstern der Einwohner wehenden Fahnen daran, daß Wahlzeit ist. Dabei ist es intereffant, mie schnell sich die Berliner an diesen Flaggenfrieg gewöhnt haben. Offensichtlich bereitet es ihnen ein großes Vergnügen, in den einzelnen Straßen die Flaggen der verschiedenen Barteien zu zählen. Und von diesen Fahnen aus werden dann nur zu leicht Rückschlüsse auf die mumerische Stärke der Parteien ge30gen. Das ist genauer besehen ein Trugschluß, denn dann müßte die Zentrumspartei , die gar nicht flaggt, fehr menig zu bestellen haben. Da man jedoch alle Agitationsmöglichkeiten nugen muß, fann die Sozialdemokratie an diefen Stimmungen der Massen feineswegs vorbeigehen und besonders im Südosten der Stadt ist bie Sozialdemokratie unbedingter Sieger im Flaggenfrieg.
Wenn übrigens in einzelnen Straßen der reaktionären westfichen Stadtteile Berlins viele Hakenkreuz- und weniger Republikfahnen zu sehen sind, dann liegt das nicht etwa an mangelndem Betennermut der Republikaner , sondern an dem Terror der Hausbesizer. So liegen uns besonders aus Friedenau Berichte vor, daß die hakenkreuzlerischen Hauspafchas unweigerlich die Räumungsflage einreichen, wenn ein Mieter rot oder schwarzrotgold flaggt. Die Hafentreuzfahnen dagegen fönnen den Hausbefizern nicht groß genug sein. Aber auch die Bäume der Hausbefizer werden nicht in den Himmel wachsen.
Mit dem Lautsprecherauto unterwegs.
Ein prächtiges Instrument im Wahitampf geben außerdem die großen Lautsprecher Autos ab. Die Sozialdemokratie läßt gleichfalls einen solchen Wagen in der Reichshauptstadt laufen. Es ist mit diesen Autos möglich, Tag für Tag einhundert Berjamm lungen in fürzester Frift zu improvifieren. Auf die flotte Marsch musit hin öffnen sich alle Fenster, aus den Nebenstraßen fommen die Menschen herbeigelaufen, in den Geschäften ruht der Verkauf und dann kann man entweder langsam weiterfahren oder den großen 5- Tonnen- Wagen auch halten lassen, denn drei Kilometer weit trägt der Lautsprecher den Schall der Rede, die ungefähr fechzigmal am Tage Genoffe. Karl Dreffel vom Bezirksverband Berlin hält. Denn der Lautsprecherwagen hat neben dem Berstärferraum noch eine gesonderte Sprechtabine mit dem Mikrophon und das Mitrophon ist der Schallplatte dugendfach überlegen, meil ein Rebner dann in der Lage ist, an irgendein Ereignis, das sich eben auf der Straße abgespielt hat, anzufnüpfen. Am Anton play in Weißensee drohte eine Hakenkreuzfrau vom vierten Stod
punft, da hatte Beißensee etwas zum Lachen. Je mehr die Tageszeit vorrückt, desto stärker wird übrigens die Wirkungsmöglichkeit der Lautsprecherautos, da in den belebten Abendstunden die auf größeren Pläzen zusammenströmenden Menschen schon nach Tausenden zählen. Und ob sie wollen oder nicht, jeder Bassant muß sich anhören, was die Sozialdemokratie zum Preußenkampf zu sagen hat oder aber er müßte sich frampshaft die Ohren zuhalten.
Republikaner!
Fahnen heraus!
Der Gauvorstand des Reichsbanners ., Schwarz- Rot- Gold" ordnet für alle Reichsbannerkameraden an:
Ab heute früh sind überall die Farben der Republik zu zeigen!
Straße um Straße wird beadfert.
Freitag, 22. April 1932
Jugend kämpft mit.
Wuchtige Jugendfundgebung in Neukölln.- Reiht euch ein!
Siebenmal in den letzten Wahltagen hatte die Kampfleitung der Eisernen Jungfront die jungen Arbeiter und Arbeiterinnen zu großen Kundgebungen aufgefordert. Immer waren die größten: Säle Berlins bis auf den letzten Plaz besetzt und auch gestern abend saßen und standen wieder tausende jugendlicher Wähler in der Neuen Welt" Kopf an Kopf. Nach dem gemeinsamen Gesang. erteilte sich der Bühnenvorhang und mehr als eine halbe Stunde lang hatten die Roten Funker, eine Spieltruppe der Lichtenberger Arbeiterjugend, das Wort. Das mit brausendem Beifall aufge nommene Spiel flang aus in den mitreißenden Einmarsch der Fahnen.
Als erster Redner sprach Ludwig Diederich: Die Jugend muß bereit sein, das Erbe, das die Alten der Jugend zu getreuen Händen übergeben haben, zu vollenden. Die Jugend muß alles tun, um zu verhindern, daß das Wert, das unsere Väter hinterlassen haben, ihr jemals entriffen wird. Am kommenden Sonntag geht es nicht minder um die Freiheit und um die Zukunft der Jugend. Nach dem Genossen Diederich sprach, stürmisch begrüßt, Siegfried Aufhäuser . Klar und deutlich zeigte er den Unterschied zwischen dem vergangenen Junkerpreußen und dem jungen preußischen Freistaat auf. Und trozdem verspürt die Jugend nichts von jener goldenen Jugendzeit, wie sie die Dichter einst besungen haben. Die Jugend ist hineingezogen worden in den Strudel der tapitalistischen Wirtschaftskrise. Dieser versagende Kapitalismus fämpft bereits nicht mehr mit offenem Visier. Im Faschismus hat fich der Kapitalismus seine Schuttruppe geschaffen. Auf dem historischen Boden Preußens mirb am fommenden Sonntag die Entscheidungsschlacht zwischen dem Faschismus und der Arbeiterbewegung geschlagen. Genosse Aufhäuser schloß mit einem begeistert aufgenommenen Appell an die jungen Arbeiter und Arbeiterinnen Erfennt mit uns eure große geschichtliche Aufgabe! Reiht euch ein in die Armee der fämpfenden Arbeiter, fämpft mit uns für den Sieg des Sozialismus!
Die Rote Rotte" zeigte ihr Können. Und dann erhob sich die Riefenversammlung und mächtig tönte die Internationale" burch den Saal.
Nazis als Verbrecher.
Hinter dem Lautsprecherauto fährt noch ein Lastwagen mit Reichsbannertameraben, die unermüdlich Flugblätter an ist es möglich, durch diese Propaganda tombination ganz fyftematisch die Umherstehenden verteilen oder schnell in die Häuser, tragen. So Fünfundzwanzig Gtrolche überfallen junge Arbeiter. und mit stärkster Intensität Straße um Straße und Stadtviertel Uns wird ein Vorfall bekannt, der sich am Mittwochabend um Stadtviertel zu beadern, wobei die Kolonne vor allem an Bezugetragen hat und die gemeinen Rampfmethoden der völkerungsschichten herankommt, die so ohne weiteres nicht in fozial- Razistrolche besonders verdeutlicht. demokratische Versammlungen tommen.
Ueberraschend an Wert gewonnen haben übrigens die. Häuser fronten an den großen Berkehrspunkten Berlins . Das wirkungsvollste Transparent der Partei hängt in Neukölln am Hermann plaz, das in den Abendstunden von Scheinwerfern Kommunisten ein Transparent angebracht, das auffordert, Hitler tageshell beleuchtet wird. Am Spittelmarft haben die und Severing zu schlagen. Sofort hat die Sozialdemokratie die Antwort erteilt und über dem kommunistischen Transparent mahnt ein anderes: Folgt nicht der Parole der KPD.!
Deshalb wählt
Ein junger Arbeiter von 19 Jahren fuhr mit dem Rade von stieg er einen Augenblic ab, um einem vom Lustgarten zurüd
seiner Arbeitsstelle nach Hause. An der Ede Artilleriestraße
lassen. Den Umstand, daß er ein Linbcar- Rad benuzte und außerdem
die Abzeichen der SAJ. und der Hammerschaft trug, müssen in der furzen Spanne des Berharrens die Nationalsozialisten bemerkt haben: und 25 hitter Jünger brangen auf ihn ein. Bergeblich ver fuchte er sich gegen die Uebermacht zur Wehr zu setzten. Schupo wat nicht zur Stelle. Das gemeinste aber war: Einer der nationalsozia listischen Kämpfer" 30g ein Messer und stach damit dem
denn plöglich erhielt er einen Schlag in den Naden und
aus dem Auto mit einem Befen; bas war ein feiner Antnüpfungs- at Liste1: Braun- Severing! gegenüber der llebermacht wehrlojen jungen Manne in die Hand,
Arbeit, keine Abenteuer
so daß zwei Finger schwer verlegt wurden. Nur mit Mühe gelang es unserem tapferen Jugendgenossen, sich von den Rohlingen loszumachen und eine Rettungsstelle aufzusuchen. Fünfundzwanzig gegen einen und dann noch mit das ist ein Zeugnis für die Tapferkeit der braunen
dem Messer Horden.
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Staatsminister Grimme appelliert an die Beamtenschaft Deckeneinsturz in einem Gerichtssaal.
Die Reichs-, Staats- und Kommunalbeamten hatten gestern abend in den großen Saal des Lehrervereinshauses gerufen, um den Willen der Beamtenschaft zur Erhaltung der republikanischen Regierung Braun- Severing zu befunden. Schon lange vor Beginn war der Saal dicht gefüllt. Besonderen Beifall ernteten die stramme Hammerschaft der uniformierten Berliner Posibeamten und die trefflich vorgetragenen Gefänge der„ Berliner Liederfreunde". Auch die Filme zur Preußenwahl fanden stürmische Zustimmung.
Der mit starkem Beifall begrüßte Redner des Abends war der preußische Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, Ges noffe Adolf Grimme . Er sagte: In diesem schwersten Wahlfampf, den wir seit 1918 erleben, muß sich die Beamtenschaft dessen bewußt sein, daß sie in das gesamte Schicksal der Nation verflochten ist. Es geht um Tod oder Leben des Boltes, es ist ein Endtampf zwischen der politischen Vernunft auf der einen und Herrn Hitler auf der anderen Seite. Dem System der Arbeit steht das System lärmender Versprechungen gegenüber.( Anhaltende Zu stimmung.) Beim Knistern, Bersten und Zusammenbrechen einer Wirtschaftsordnung steht ein Mann da, der Freibrief und Kredit für die Zukunft ohne Sicherheiten verlangt. Den alten Wahrspruch Preußens: Jedem das Seine" hat er in den Wahlspruch ver wandelt: Jebem das Seine versprechen." Er ist nicht mehr Reisender in Programmen, sondern Reisender in Programmen im Wechselrahmen."
Der Minister, der dauernd von Beifall unterbochen wurde, fuhr fort: Herr Regierungsrat Hitler verkündet eine Bereinigung des Beamtenförpers und Rückkehr zur alten preußischen Sauberkeit. Die preußische und die deutsche Beamtenschaft hat es nicht nötig, sich von Herrn Hitler bereinigen zu lassen. Sie steht gegenüber solchen Angriffe unantastbar da. Mag man mit Einzelfällen hausieren gehen können, als Gesamtheit meist die Beamtenschaft die Anmaßungen eines Herrn Hitler mit Entrüstung zurüd. Man spricht von Parteibuchbeamten. In der Borkriegszeit gab es nur Beamte mit dem konservativen Parteibuch. Die demokratische Staatsregie
rung hat darin Wandel geschaffen, und vielleicht darf man sagen, daß das Tempo der Republikanisierung nicht rasch genug gewesen ist.( Lebhafter Beifall.) Typisches Beispiel für einen Parteibuchbeamten ist aber der braunschweigische Regierungsrat Adolf Hitler , der ohne die geringste Vorbildung und ohne die mindeste Eignungsprüfung zu seinem Posten nur auf Grund seiner politischen Partei Hemmungslosigkeit und Gewissenlosigkeit.( Anhaltendes Gehr richtig!) zugehörigkeit gekommen ist und über nichts verfügt als über
Grimme behandelte sodann die Stellung der Frau im Dritten Reich und legte an Hand unwiderlegbarer Zitate dar, daß unter der Herrschaft des Braunen Hauses die Ehe zu einem Gestüt herabgewürdigt werden würde. Wenn man auf das Programm der Nationalsozialisten sieht, tritt man auf Moorboden. Aber man fagt, man wolle feine Programme, sondern Männer. Wer ist der Mann, der Führer, der Duce? Auf jeder Seite seines Buches Mein Weg" sieht man hohle Selbstbespiegelung, das Streben, mehr zu scheinen als zu sein und den Appell an ein Jahrmarktspublifum, dem man zuruft: ,, Kommt her zu mir, ich bin der wahre Jakob!" Bei der Reichspräsidentenwahl ist das deutsche Volk an dieser Bude vorbeigegangen, weil es auf Unantastbarkeit, Männlichkeit und Charafter sieht und als Führer einen Blod, aber feinen Quirl haben will."( Stürmische Zustimmung.)
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Unter begeistertem Beifall schloß Genosse Grimme. Es ist feine Zeit, mit Reklametrommeln zu rasseln, wie es Herr Hitler auf Kredit tut. Die Großtat der preußischen Republik in den letzten zwölf Jahren, die uns auch durch den krisenhaftesten aller Winter in diesem Jahre geführt hat, wird von der Geschichte anerkannt werden. Wir wollen fein System, das die größte Vaterlandspartei, die Sozialdemokratie, als Partei der Deserteure schmäht, während im anderen Lager der frühere Kronprinz steht, der mit seinem Bater in schwerster Stunde Land und Volk verließ. Wir wollen teine Politik der Abenteurer, wir wollen eine Politit der Arbeit. ( Minutenlange, stürmische Zustimmung.)
Genosse Dressel schloß die Kundgebung mit einem Hoch auf Republit und Sozialdemokratie.
Tausende sind begeistert
von der hervorragenden Klangschönheit, Tonreinheit und nicht mehr zu überbietenden Wiedergabe von Musik und Sprache der neuen GRAETZ- Induktor- Kraftsystem- Lautsprecher Nr. 99 und 3001 EHRICH& GRAETZ A. G., ABT . 27, BERLIN SO 36
50 Anwesende unter den Trümmern begraben. Paris , 21. April.
Ein schweres Einffurzunglüd ereignete fich am Donnerstagvormittag während einer Gerichtsverhandlung im großen Sigungsfaale des Juftizgebäudes von Ajaccio auf Korsika, in dem etwa fünfzig Personen versammelt waren. Plötzlich stürzte Feuerwehr und Militär fonnten bisher fünfzehn Leichen bergen. die Decke ein und begrub alle Anwesenden unter den Trümmern. Eine ganze Reihe Schwerverletzter mußte ins Krankenhaus übergeführt werden.
Polizei in höchster Alarmstufe.
die gesamte Berliner Polizei auch bei den Preußenwahlen wieder in höchster Alarm stufe stehen. Von Sonnabend morgen, 10 Uhr, bis Montag mittag, im Bedarfsfalle noch darüber hinaus, werden die Beamten erhöhten Warmdienst tun. Es werden Doppelstreifen. Radfahrstreifen und Schnellfraftwagen eingefeht. Besonders werden auch die Wahllokale gesichert.
Genau wie bei den beiden Reichspräsidentenwahlgängen wird
Strecke Potsdamer Bahnhof - Yorkstraße gesperrt.
Wie die Reichsbahndirettion Berlin mitteilt, muß die Strede Potsdamer Ringbahnhof- Vortstraße in der Nacht vom Sonnabend, dem 23., zum Sonntag, dem 24. April, pon 8 Uhr abends bis Betriebsschluß wegen Auswechslung einer Brüde gesperrt werden. Die Vorortzüge nach und von Lich terfelde Dst beginnen und enden daher in Bapeſtraße, die Züge nach und von 3ossen in Dorfstraße. Reisende von und nach diesen beiden Stationen werden gebeten, vom Potsdamer Ringbahnhof bis Papestraße und umgekehrt die Südringzüge zu benutzen und in Bapestraße umzusteigen. Näheres wird auf den Bahnhöfen durch Aushänge bekanntgemacht.
Wann werden Sie sich von der besonderen Güte dieser neuen Graetz- Lautsprecher überzeugen? Sonderdruckschrift Nr. 205 m und Bezugsquellen- Nachweis auf Anforderung.
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