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Morgenausgabe

Nr. 218

A 110

49. Jahrgang

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Der Borwärts erscheint wochentag lich zweimal, Sonntags und Montags einmal, die Abendausgabe für Berlin  und im Handel mit dem Titel ,, Der Abend". Jllustrierte Sonntagsbeilage Bolf und Zeit"

Vorwärts

Berliner   Boltsblatt

Mittwoch

11. Mai 1932

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

te etti palt. Millimeterzetle 80 Bf. Retlamezerle 2.- Kleine An zeigen" das fettgedruckte Wort 20 Bf. zulässig zwei fettgedrudte Worte, jedes weitere Wort 10 Bf. Rabatt It. Sarif Worte über 15 Buchstaben zählen für zmei Worte. Arbeitsmarkt Milltmeter. zeile 25 Pf. Familienanzeigen Milli. meterzeile 16 Bf. Anzeigenannahme im Hauptgeschäft Lindenstraße 3. wochentäglich von 8 bis 17 Uhr Der Verlag behält sich das Recht der Ab. Ichnung nicht genehmer Anzeigen vor!

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Groener entlarvt Hitler  .

Wenn die Polen   kommen, marschiert die SA. ab!- Wieder Tumult im Reichstag.

Hitler   hat angekündigt, daß er den Vorwärts"| verrats und der Kriegsdienstverweigerung zu beschuldigen.| dem er geschlossen, glaubt auch Gregor Straßer  , sich noch wegen der Kritif, die er an seiner Lauenburger Rede geübt hat, verflagen wird. Er hat es bisher nicht getan. Wir ver muten, er wird es überhaupt nicht tun.

Gestern hat nämlich Groener im Reichstag   die ent­scheidenden Stellen jenes Dofuments verlesen, auf das schon Brüning in seiner Hamburger   Rede vom 7. April, Otto Braun   in seiner Sportpalastrede vom 11. April angespielt hatte. Sie sind für Hitler und seine Partei vernichtend. Es ergibt sich, daß die Absicht bestand, bei Auftreten regulärer polnischer Truppen an der Grenze die SA.   zurück zu ziehen. Es ist das dieselbe Absicht, zu der sich Hitler  alle seine Ableugnungsversuche sind vergeblich in seiner Lauenburger Rede öffentlich bekannt hat.

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Nicht bloß Hitler  , die ganze nationalsozialistische Reichs­tagsfraktion hat sich zu landesverräterischen Absichten be­fannt, indem sie gestern dem Reichswehrminister in stürmi­schen Zwischenrufen zu verstehen gab, ihre Anhänger würden fich im Falle einer kriegerischen Verwicklung seiner Auto­rität nicht unterstellen. Die Nationalsozialisten sind also ent­schlossen, den Kriegsdienst zu perweigern, wenn ihnen die Gesichter der Minister, die gerade regieren, nicht gefallen.

Und das hat dann noch die Frechheit, anderen Landes verrat vorzuwerfen!

Die Nationalsozialisten hatten gestern zwei Redner los gelassen, einen geschickten und einen plumpen., Der geschickte übte sich im Brückenbau nach allen Seiten, der plumpe zer schlug alles erreichbare Porzellan. Gregor Straßers Rede war ein wunderliches Gemisch von Komplimenten und Bos­heiten, von scheinsozialistischen Formulierungen und hahne­büchenem ,, antimargistischen" Unsinn. Allgemein faßte man die Rede als ein Roalitionsangebot an das Zentrum auf, obwohl es an manchen Stellen so flang, als ginge der Redner auf eine antikapitalistische Roalition aus. Dann freilich, als die antikapitalistische Konsequenzen ziehung schon zum Greifen nahe war, schlug er plötzlich einen Haten und verlor fich in inflationistische Projekte. Klug, würdig und fachlich hundertmal überlegen ant­wortete Peter Graßmann. Hatte Straßer den fühnen Versuch gemacht, Partei und Gewerkschaften gegeneinander auszuspielen, so mußte er bald bemerken, daß die sozialdemo­fratische Reichstagsfraktion nicht aus bloßem Zufall nach ihrem eigenen Vorsitzenden den des ADGB  . zu ihrem Redner bestimmt hatte. Graßmanns Bekenntnis zum Marrismus und Sozialismus riß die Fraktion zu stürmischem Beifall hin.

Graßmann entwarf ein wahrhaft erschütterndes Bild der Lage, in der sich große Teile des arbeitenden Bolkes befinden, er enthüllte in grundsätzlich flaren Ausführungen die Schuld des wirklich schuldigen Systems, nämlich des kapita list is chen, er entwickelte die Grundzüge des von den Ge­werkschaften entworfenen Arbeitsbefchaffungspro gramms und hielt den Nazis ein populäres, vielleicht auch ihnen verständliches Kolleg über Wesen und Bedeutung des Klaffentampfes. Straßers Bersuch, sich bei den Ge­wertschaften anzubiedern, wies er scharf zurück, indem er die bisherige gewerkschaftsfeindliche Haltung der Hitlerpartei florlegte.

Nach dem Brückenbauer Straßer der Scherbenschläger Göring! Nach dem Eiertanz der Amoflauf. Kaum stand der oben, da wars mit der schönen Sachlichkeit des Reichstags­beginns vorbei. Auf freche Provokationen antwortet die Linke mit stürmischem Widerspruch. Göring   versucht, die verleumderische Behauptung Hitlers   aufzuwärmen, bei dem Verbot der SA.   habe Pariser Einfluß mitgewirkt. Zitternd vor But springt Brüning auf, fällt dem Redner ins Wort und erklärt, nichts davon sei wahr. Hatte Straßer mit einer artigen Verbeugung anerkannt, daß der Reichsfangler sich die größte Mühe gebe, so häufte Göring   auf ihn und den Reichswehrminister Berdammung über Berdammung. Er hat die Stirn, die Sozialdemokraten des Landes­

Seine Fraktion, die ihre gute Erziehung mit einem Schlage wieder vergessen hat, johlt Beifall. Plötzlich entdeckt sie den Polizeivizepräsidenten Weiß auf der Reichstagstribüne und ruft im Chor: ,, Isidor raus! Ifidor raus!" Jezt ist sie wieder ganz in ihrem Element.

eine Ungezogenheit leisten zu müssen. Ausschluß durch den Vizepräsidenten. Tumult. Unterbrechung. Aeltestenrat. Um­wandlung des Ausschlusses in einen Ordnungsruf.

Dann wird es wieder friedlich. Der Zentrumsmann Bell führt den schlüssigen Beweis, daß die poetisch betonte Bergeblich versucht Bizepräsident Esser Ordnung zu ,, antikapitalistische Sehnsucht" Gregor Straßers nichts als schaffen. Und als Groener das Wort nimmt, blaß vor Er eine sehr prosaische Sehnsucht nach einer neuen In= regung, förperlich schwer indisponiert, schafft er sich nur flation ist. schwer gegen die tobende Meute Gehör. Mühsam entringen sich die Worte seinen Lippen, aber jeder Schlag sigt. Nach

Heute, 10 Uhr vormittags, weiter. Man erwartet eine Reichskanzlerrede.

In allen Stürmen fest!

Graßmann über die nationalsozialistische Schaumschlägerei.

meiter den Arbeitsdienst für Bodenverbesserungsarbeiten und hielt In der gestrigen Reichstagsdebatte forderte Abg. Straßer( Njoz.)| den protestierenden Kommunisten den russischen Arbeitszwang ent­gegen. Er antwortet: Der Arbeitsdienst erzieht zum deutschen  Staat, daher wollen ihn die Kommunisten nicht. So aber erhalten wir einen gut besiedelten und wehrfähigen Dsten. Wenn aber die ganze Ostsiedlung von Schlange- Schöningen, den man dem Kabinett als Korsettstange eingefügt hat, Herrn Stegerwald übertragen wer= den soll, so fann man von gefährlichen fonfessionellen Absichten sprechen. Die notwendige Kontrolle wird ein Getreidevoll monopol erfordern. Das wäre auch die Lösung des Lohn­problems.

Sowie der Staat die Existenz der Landwirte sichert, fällt ihre Opposition weg. Wenn man arm geworden ist, muß man mehr

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arbeiten, um wieder zum Wohlstand zu kommen. was könnte man mit den Russenkrediten, deren Rückzahlung immer prolongiert wird, für Arbeit und Siedlung in Deutschland   tun! Brüning ist an alle diese Probleme mit dem besten Willen heran­gegangen, das bezweifeln wir nicht.( Heiterfeit links und im Zen.  trum.) Mit den 3wergparteien tann man nicht regieren, die müssen meg.( Beifall rechts.) Schließlich bezeugt Straßer sich selbst neue Gedanken. Als er Don den Wirtschaftsführern redet, wird ihm von links Lahusen entgegengehalten. Nach einer Rede des Abg. Hepp( Landv.) wird ein Antrag Frick( Njoz.), die Finanzvorlagen einer Ausschußberatung zu unterziehen, mit 264 gegen 209 Stimmen abgelehnt. Die Vor lagen werden darauf in zweiter Lesung angenommen, der§ 8 ( Kreditermächtigung) mit 245 gegen 224 Stimmen.

Darauf wird die allgemein- politische Debatte fortgesetzt. Abg. Graßmann( Soz.):

Als gestern Dr. Breitscheid auf den bekannten Artikel von der Golz in der" Diktatur" hinwies, haben Sie( nach rechts) die Echt heit bestritten. Hier ist die Folge 31 der Diktatur", und ich ver­lese nochmals die Ausführungen des Herrn von der Golk, daß die Nationalsozialisten die Grenze gegen einen feindlichen Einfall solange nicht verteidigen würden, als das heutige System besteht. ( Der Redner verliest diesen Artikel und fügt hinzu:) Sie sind wieder einmal angerannt gegen eine unwiderlegliche Tatsache, die Ihren inneren Wesenstern schonungslos enthüllt! rüdgeführt, nicht aber auf das Kapital felbst. Herr Bang hat heute alles lebel auf die Kapitalzerstörung zu­schäftsführung der sogenannten Wirtschaftsführer längst schon als ruinös bekannt geworden. In der so verarmten und angeblich so bedrückten Wirtschaft find

heute zweieinhalbmal soviel leitende Personen beschäftigt, als vor dem Kriege.

die Stidftoffabrit arbeitet zu einem Drittel. Ganz gleiche Vor gelegt!( Hört, hört!) Die Koferei ist überhaupt nicht ausgenugt, gänge haben sich bei der Gewerkschaft Ewald und bei einer neuen Bemberg- Fabrik ereignet.

Das Institut für Konjunkturforschung berichtet, daß im März 1931 die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden im Verhältnis zur Arbeitsffundenkapazität 45,1 Proz., im März d. J. nur noch 34,9 Proz. betragen hat. Es ist also eine ungeheure Ver­gendung der Produktionsanlagen erfolgt.

In einem Bericht vom 13. April d. I. sagt das Konjunktur. institut, daß bis 1931 vor allem die Produktion an Gütern des elastischen Bedarfs gesunken ist, also desjenigen, dem man für einige Zeit ausweichen fann, daß aber seit Mitte 1931 im Gegen­teil die Produktion der Güter des starren Bedarfs stärker vom Rückgang erfaßt worden ist. Das ist ein Zeugnis der Schwere der inneren Depression, die durch

die fortgesetzten Cohnsenkungen verschärft wurde; sie waren immer von einem Anschwellen der Arbeitslojenziffer begleitet und haben neben all den Droffelungsmaßnahmen der Länder und Gemeinden zu einem Zustand geführt, der eigentlich jeden Deutschen   mit Scham erfüllen müßte.

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Wir sehen heute ein Bettelmesen, wie wir es früher als Charaf. teristikum des Drients angesehen haben.( Der Redner führt zah!= reiche Berichte aus den verschiedenen Teilen des Reiches an, die den grauenhaften Umfang der schlimmsten Not beweisen.) Die Herren der Wirtschaft, die hier gesprochen haben, sagen dazu nichts! Welch furchtbare Bankrotterklärung! Die Leute, die vor aller Welt als die großen Männer dastanden, sind heute ratlos. Ich ver weise auf die bekannten Aeußerungen von Professor Keynes   und auf den Brief des amerikanischen   Notenbankgouverneurs Monta­gunorman an den Direktor der Bank von Frankreich, Bonnet, mo­ausgesagt wurde. Norman wünschte, daß diese Prophezeiung auf­rin der Zusammenbruch des Kapitalismus binnen einem Jahr vor gezeichnet werde, damit man sie zu gegebener Zeit nachprüfen könne.

Das Ergebnis der fehlerhaften Maßnahmen der sogenannten Wirtschaft ist zunehmende Arbeitslosigkeit, die nicht nur eine moralische und politische, sondern auch eine gesellschaftliche Gefahr bedeutet.

Wir haben vor einigen Wochen auf dem Krisentongreß des ADGB  . die beschämende Tatsache festgestellt, daß die deutsche Deffent­lichkeit gegen die Not der Arbeitslosigkeit so abgeſtumpft ist. daß die Veröffentlichungen über ihren Stand mit demselben Gleichmut registriert werden, wie etwa die Wetterberichte.( Hört, hört! links.) Herr Straßer hat uns heute ein Heldenepos abgeleiert, wie sich diese Partei die Verminderung der Not denkt, und wie sie sich entschlossen habe, nicht zu warten, bis sie im Besitz der Macht ist, sondern das bis dahin sorgfältig gehütete Geheimnis dessen, was sie tun will, auf dem Altar des Vaterlandes preiszugeben. Da darf ich vielleicht daran erinnern, daß

Sie und die zehntausende Verwaltungsräte erhalten an Bezügen und Tantiemen 1,5 bis 2 Milliarden jährlich, etwa ebensoviel, als die Dividende für die Aktionäre beträgt. Die etwa 4 Millionen Arbeiter derselben Betriebe erhalten in derselben Zeit nur etwa das Bierfache dessen, was die Verwaltungsräte und Direktoren be die von Ihnen soviel geschmähten freien Gewerkschaften und die Sozialdemokratie feit länger als zwei Jahren an allen zu­femmen haben. Herr Straßer hat heute bestritten, daß es über­ständigen Stellen gewirkt, gebohrt, gemahnt und gefordert haupt Rapitalfehlleitungen gäbe. Wir verstehen darunter die Her einahme von Krediten unter Umständen, die oft sehr drückende haben, daß rechtzeitig eingegriffen wird, ehe die Arbeitslosigkeit Schulden für Einrichtungen darstellen, die in furzer Zeit unrentabel zu einer solchen Larine anwächst. werden. Aus der Fülle dieser Fehlleitungen sind zahlreiche Bei Wir haben im Januar 1930 planmäßige Arbeitsbeschaffung ge= spiele bekannt, so die Einrichtung einer neuen Schachtanlage durchfordert, im Februar 1930 ein Verbot der Ueberstunden und Ver den Stahltrust Mitte 1931, der für eine Million Tonnen Förderung fürzung der Arbeitszeit, im Mai 1930 Rationierung der Auftrags­eingerichtet war, eine große Stoferei und Stickstoffabrit umfaßt und erteilung, damit nicht weiter Ueberstunden geleistet und die Arbeits. 90 Millionen gekostet hat, die durch furzfristige Auslandsanleihen losigkeit der anderen vermehrt wird. Im Februar 1931 haben die aufgebracht wurden. 3wei Monate lang wurde mit Sochorud Spigengewerkschaften dem Reichspräsidenten gegenüber als drin Kohle gefördert, um durch den Leistungsnachweis eine entsprechend gendite Gegenwartsaufgabe die Wiedereinführung der Arbeitslojen Quote zu erhalten. Die Kohle wurde nicht verkauft, sondern auf in den Produktionsprozeß und die zusätzliche Arbeitsbeschaffung be. Halde gelegt. Und dann stellte sich heraus, daß die neue Schacht zeichnet. Wir haben dieses Programm im Sommer vorigen Jahres anlage infolge schlechter usnugung zuviel loftet, fie wird still auf unserem Kongres in Frankfurt am Main   erweitert und uns a