Nr. 226 49. Jahrgang
bo
4. Beilage des Vorwärts
Der Pfingsthut
Heitere Gefchichte/ Von Jivan Heilbut
Er ging an jedem Morgen um zehn Minuten nach acht von Hause fort, sein Ledertäschchen tragend, in dem das Frühstück lag. Eine Viertelstunde später befand er sich am Bahnhof. Um acht Uhr fünfundfünfzig Minuten stieß er die Flügeltür des Bürohouses auf, in melchen er seit einundzwanzig Jahren als Journalbuch halter beschäftigt war; um acht ihr siebenundfünfzig Minuten betrat er das Kontor, um sogleich aus dem Geldschrank die Bücher zu holen, die ihm das Leben bedeuteten. Und wenn sich von der Wanduhr her neun dunkle Schläge hören ließen, so stedte er dic Feder in die Tinte und begann.
Das war Herr Philipp.
Bon Frau Philipp ist in der Hauptsache zu sagen, daß sie eine Stimme besaß, mit der sie sozusagen pfeifen fonnte. Dies genügt vorerst zu ihrer Charakterisierung.
*
Zu Pfingsten schenkte Frau Philipp ihrem Mann einen Hut. Einen hohen grauen steifen Hut. Und um die Wahrheit zu sagen, dachte Herr Philipp, als er ihn mit gerührtem Blick in Empfang nahm.. ja, er hörte es deutlich inwendig sprechen:
Diesen Hut... diesen Hut werde ich nie... niemals tragen. Jedoch indessen fühlte er schon die in Erwartung sich vers Heinernden Augen, die Blize nach ihm schossen. Er legte seine Hände an die Schläfen der Gattin, sagte: Ich danke dir, Liebe- und füßte in unhörbarer Andacht ihre geneigte Stirn.
"
Der Chauffeur tutete.
,, Lauter!" befahl Frau Philipp. Denn er schläft noch." Wer denn bloß?"
"
Der Chauffeur tutete anhaltend. Die Hype schrie. Sie hörte überhaupt nicht mehr auf. Ein Polizist, der ganz am Ende der Straße stand, drehte sich um. Es hörte sich an, wie wenn eine Kuh um Hilfe brüllte.
,, Roch lauter!" schrie Frau Philipp.
,, Lauter fann man nicht tuten!" schrie der Chauffeur zurück, er tnautschte den Ball in der Hand zusammen. Und da mar fein Fenster menschenleer.
Nun beugte Frau Philipp sich vor und rief:
"
Schweigen Sie!"
Und als es still mar, fügte sie laut hinzu:
,, Das Getute ist nicht zum Aushalten, sage ich!"
Wohin?" fragte der Chauffeur..
"
,, Warten Sie.".
-
*
Und Frau Philipp saß im Automobil, und neben ihr saß Herr Philipp. Er magte einen scheuen Blick zu den Fenstern hinauf; und da er seinen Nachbarn, den diden Triebel, im Hemde und nur frisch wie er aus dem Bette gemit der Werktagshose bekleidet sprungen mar über den Balkon gebeugt erblickte, so fühlte er sich zu einem Gruß verpflichtet. Er zog also den Hut, und es wurde wirklich ein eleganter Bogen, so daß Frau Philipp äußerst zu
Darauf setzten sie sich nieder, aßen vom Kuchen, jeder ein Stud, tranten aus den Festtagstafsen, und Frau Philipp unter- frieden war. richtete Herrn Philipp detailliert über die Kosten ihres Geschenks influfive Fahrgeld.
Herr Philipp schielte, indem er trant, über den Rand feiner Tasse... nach dem Hut.
,, Gefällt er dir etwa nicht?" fragte sie drohend. „ D, er ist wunderschön, Liebe."
,, Seze ihn auf."
Er tat es, aber sein Kopf war ihm fühllos mie ein Stein.
Er spürte nichts.
Und nun" sagte Frau Philipp Automobil durch die Stadt fahren."
... ,, Wir werden.in einem
Invermittelt, wie ein Blitz aus der Bläue, zickzackte diese Mitteilung durch Herrn Philipps Gemüt.
Der Hut
-
dachte er.
,, Sehr schön, meine Liebe", sagte er.
*
-
Aber Herr Philipp, nachdem er die elegante Schleife mit dem Hut zu Ende geführt hatte, behielt ihn gar in der Hand. Seufzend holte er sein Taschentuch hervor und mischte innen den Lederrand somie seine Stirn. Das war am Ende eine Motivierung dafür, daß er den Hut in der Hand behielt.
,, Wist du denn deinen Hut nicht auf den Ropf nehmen?" fragte Frau Philipp an.
Sonntag, 15. Mai 1932
hören. Sie fniff Herrn Philipp nachsichtslos in den Arm. Herr Philipp setzte den Hut auf den Kopf.
Los!" rief Frau Philipp. Sie fürchtete von seiten ihres Mannes elmas Elementares. Ab und zu fam dergleichen vor. Sie pflegte ihn dann mit Bileams Efel zu vergleichen, der auch ab und zu überraschend zu sprechen begann.
,, Los!" schrie sie noch einmal. Run fonnte es nicht schnell genug gehen.
Das Automobil setzte sich in Bewegung. ,, Du hast uns vor allen Leuten blamiert", hauchte Frau Philipp nor But.
Herr Philipp nahm mit einer plötzlichen Bewegung den Hut ab. Nun setze ich ihn überhaupt nicht mehr auf", schrie er. Er stellte den Hut unters Bolster.
,, Ich werde dir das nie vergeben", sagte Frau Philipp. Sie fuhren durch eine grüne Chauffee.
Er schmieg.
,, Daß du mir das angetan hast." Er schmieg.
,, Barte du nur, bis ich dir wieder etwas zu Pfingsten schenfe. Zu deinem Geburtstag hatte ich mir schon so etwas Schönes aus. gedacht."
Er schmieg.
Dann sagte er:„ Ich schenke dir den Hut zurüd."
,, Das also ist der Dank dafür, daß ich dir eine Freude machen mollte."
-
Da taumelte er in die Höhe, wild fuhren seine Hände unter das Bolster und der graue hohe steife Hut flog wie ein Bumerang durch den Wind. ,, Danke", brüllte Herr Philipp ihm nach, ,, dankee, dankech..
zurüd.
Frau Philipp, aufgesprungen mie bei einem Naturwunder, aber er fam nicht sah hinter dem fliegenden Bumerang her ,, halten! Chauffeur! Salten!" freischte sie und schlug ihm mit mit den Fäusten in den Rücken.
Der fleine Hund trompetete vor Begeisterung.
Nach einigen Sefunden stand das Auto still. Sie stieß mit den Knien gegen die Tür und fragte nichts danach, ob es meh tat. Aber in dem Augenblic, als sie den Tritt hinunterflog, fuhr ein mailicher Wagen, mit Birkenzweigen auf dem Kutscherbod und am Rande, vorbei. Und schon trug das Rößlein, das vorne trabte, um das Bein, kurz oberhalb des Hufes, mie eine graue Mans den Hut des Herrn Philipp. Der Dedel war glatt durchgehauen. ,, Mein Hut! Zu Hilfe!" gellte die rasende Frau; fie lief geHerr Philipp erhielt einen Fauftfmuff gegen das Bein. Es tat bückt neben den flingenden Hufen. Das Pferd suchte von sich aus weh mie ein Geschoß.
,, Es ist mir heiß, Liebe", sagte Herr Philipp. Und der Schweiß rann ihm mirklich aus dem Schläfenhaar über die Bangenfnochen. Ich werde dir eins an die Ohren geben vor allen Nachschette
barn."
Ich erstice unter diesem Hut."
,, Wohin?" rief der Chauffeur.
,, Geradeaus!" rief Frau Philipp. Bo's schön ist, spazieren zu fahren. Ins Grüne!"
Der Chauffeur fchien sich die Worte zu überlegen. Es entstand eine Pause. Frau Philipp glaubte von den Fenstern Gelächter zu
Frau Philipp ging fort, das Automobil zu besargen. Und Herr Philipp ging in die Schlafftube hinüber, schloß das Fenster, setzte sich auf den Bettrand und meinte beinahe. Dann, mit einem plöglichen Wutschrei, sprang er auf die Füße und rannte in die Rüche hinaus. Dort ergriff er das Holzhackbeil, eilte zurüd ins Kurt Schmeltzer: Schlafzimmer, legte den Hut aufs Bett, hob das Beil über den Kopf aber ächzend vor Verzweiflung ließ er es daneben in die Daunen sausen. Er brachte das Beil an seinen Platz auf dem Block zurück.
Dann saß er wieder auf dem Bettrand, nahm den prächtigen grauen Hut zwischen die Hände und starrte ihn an. Erst als der Schlüssel an der Haustür rasselte, fam er zur Besinnung zurüd und eilte auf den Korridor.
,, Das Automobil steht draußen!" rief ihm seine Frau entgegen. Hinaus, du Langstiel! Es foftet Tare!"
Herr Philipp griff nach seinem funkelnden Spazierstod mit dem silberblitzenden Griff, nahm die neuen lederartigen Handschuhe, die vor dem Spiegel der Garderobe lagen. Dann gab er sich innerlich einen Rud. Er griff nach seinem alten bürgerlichen Hute, der oben auf der Garderobe in den Pfingstsonntag schlummerte.
He?" sagte Frau Philipp.
,, Ach so", sagte Herr Philipp,
frißt der Teufel Fliegen...
in der Eile...
.. ja ja...
Und er hängte den alten Hut an den Hafen.
Frau Philipp beobachtete ihn mit mißtrauischen Augen, bis
er in der Schlafstube verschwunden war.
Als er herauskam, trug er den grauen Hut in der Hand. Der graue Hut machte zwischen seinen Fingern Bewegungen, als ob er fich entschuldigen wollte.
,, Aussehen!" befahl Frau Philipp.
Herr Philipp sette den Hut auf.
..Komm", sagte Frau Philipp ,,, es kostet Lage."
Man muß den Tatsachen ins Auge sehen können, sagte Herr Philipp zu sich selber. Er ging über den Flur in die Stube, stellte fich vor den Spiegel und starrte hinein. Seine Knie zitterten. Es mar eine Tatsache: Er hatte einen hohen grauen steifen Hut auf dem Kopfe.
Neben ihm schrie und sprang sein kleiner Hund.
*
Als Herr und Frau Philipp Arm in Arm mie Jungnermählte die Steinstufen vor dem Hause hinuntergingen, mar der Chauffeur eben dabei, das Berdeck herabzulassen.
,, Was tun Sie!" rief Frau Philipp und blieb stehen.
,, Es wird Regen geben", sagte der arme Chauffeur.
Ja, es mird Regen geben", fam ihm Herr Philipp schnell
zu Hilfe, der den Hut auf dem Kopfe trug.
11
,, Es mird feinen Regen geben!" zischte Frau Philipp. Wir mollen in einem offenen Wagen fahren!"
,, Aber der Regen wird regnen", sagte der Chauffeur ,,, menn's ihm paßt!"
-
,, Das ist unsere Sache verstehen Sie mich?"
,, Run, menn dem Herrn sein schöner neuer Hut nicht leib tut", Brummte der Führer mit einem spizbibischen Grinsen und klappte das Berded mieder zurück.
Frau und Herr Philipp stiegen ein.
Frau Philipp segte den fleinen Hund in ihren Schoß und ließ ihren Blick zu den Fenstern der umliegenden Häuser hinaufschweifen. Herr Philipp aber bemühte sich erfolglos, den Schlag zu schließen... bis endlich der Chauffeur, der schon vorn saß, die Hand nach hinten streckte und die Tür knallen ließ.
..Gott sei Dant", sagte Herr Philipp. Aber dann faßte er nervös mit der Hand an den Hut.
ciner."
Der Chauffeur tutete einmal und rief über die Schulter: Wohin?"
Tuten Sie!" ordnete Frau Philipp an. Es kommt noch
,, er fomnu noch?" fragte Herr Philipp erjchredt.
Pfingillied zur Laute
D
Es wächst der Kohl, is wächst der Lauch, es
G
D
wachsen die Radieschen auch, und DI D
keins G
hal
Soll
vergessen.
Der
D
&
Appl. und DI
der Pflaumenbaum trägt.
D.
+
Frucht aus
seinem Blütentraum
4032
DY D
e
für 3
-
Für dich
Es mächst der Kohl, es wächst der Lauch, Es wachsen die Radieschen audi, Und keins hat Gott vergessen. Der Apfel- und der Pflaumenbaum Treibt Frucht aus seinem Blütentraum--Wofür? Für dich zum Essen.
Die Rose und der Hyazinth Ganz toll darauf versessen sind, Zu steh'n in deiner Vase. Reseda und das Veilchen gar, Der Flieder und das Brautimhaar Blühn stolz für deine Nase. Der Hase und das Reh im Wald Warten, daß man sie niederknallt, So woohl sind sie geraten.
Das Rebhuhn und die Bachforell, Der Bär in seinem zottgen Fell, Sie woll'n nichts sein, als Braten!
-
Mit einem Wort, die ganze Welt Hat Gott so hübsch zusammgestellt, Daß sie dich bestens labe.
Und lächerlich ist solch ein Mann, Der etroa jetzt noch fragen kann: Welch Zweck der Mensch denn habe?
mit Seitmärtsbewegungen des fraglichen Beins die Unannehmlich teit laszuwerden. Der Kutscher 30g an den Zügeln.
Viele Passanten standen rundherum. Der Besizer des Bogens knięte neben dem Lier, um es von dem Hut zu befreien. Auch Herr Philipp mar langjam herangekommen.
Der kleine Hund in seinen Armen gudte neugierig zu. Die Leute fanden es zum Lachen, wie die Frau hin und her sprang und tobte. ,, Mein Huuuuut!" Sie fletschte die Zähne und verlangte Ersatz für den Hut, der die einzige Freude ihres Mannes gewesen wäre. ,, Mein Huuuuut!"
Aber der Kutscher überreichte ihr den Hut, stieg auf den Bod und knallte mit der Peitsche. Es war fein Polizist in der Nähe. Frau Philipp mußte den Zügel lassen, er hätte sie sonst mitges schleift. Der Wagen fuhr davon.
Da stand sie nun. Sie hielt die Ruine des Hutes in den Händen.
Eine Frau mit blauen Augen und schneeweißem Haar faßte sie bei der Hand und wollte trösten.
,, Alles ist Bestimmung, Bestimmung vom Himmel", sagte fie sanft.
Aber die Folge davon mar, daß Frau Philipp nun auch dem Himmel zu fluchen begann, der da zugelassen hatte, daß ihr Hut, ihr Hut.
Tröste dich, meine Liebe", sagte Herr Philipp, der den kleinen Hund in den Armen trug. Tröste dich! Ich werde im Winter besser verdienen, in den Bilanztagen werde ich zwanzig Stunden lang arbeiten. So ist es doch gut? Wir kaufen dann einen neuen auch einen für dich, wenn du willst. Vielleicht möchtest
Hut
-
du selbst so einen steifen, hohen, grauen-? Also ganz mie du willst. Beruhige dich doch, Amanda. Und mein alter grüner Hut hält noch schön und gut seine drei Jahre. Nun fomm."
Frau Philipp schwieg. Wenn sie nicht laut herausmeinte, so mar es nur aus Stolz. Aber sie war, für diesen Tag, eine ges brochene Frau.
Und niemand lachte. schmerzlich sein.
Auch der Verlust eines Hutes fann
Der Chauffeur ließ sich seine Fahrt bezahlen und fuhr ab. Sie strichen an den Häusern dahin. Da nahm Frau Philipp einen Vorsprung von etwa zehn Schritt vor ihrem Gatten, und er ließ ihn ihr, denn er mußte, daß sie sich tief hätte schämen müffen, an der Seite eines Menschen zu gehen, der feine Kopfbedeckung trug- und das am Pfingsten Sah das nicht gerade so aus, als ob Philipps sich einen Pfingsthut nicht leisten fonnten?
-
-
Als sie in ihre Gegend tamen, blinzelten sie nach den Fenstern. Aber die Nachbarn, auch der dicke Triebel, maren schon mieder zu Bett gegangen.
Sie schlichen die halbdunkle Treppe hinauf. Oben angelangt, stellte Herr Philipp sich gerade hin und sagte:
Ich hoffe, daß dieser Hut unser eheliches Leben nicht tiefer berührt."
Frau Philipp schmieg.
Und sie standen beide in ihrer Wohnung und sahen sich um, um den Feiertag an nügliche Arbeit zu verwenden.
Heinrich Hemmer:
Das Lied von der Grenze
Der Kommissar ist tot, die Grenze lebt.
Durch einen Zufall, oder vielmehr durch einen Unfoll( der dieser Tage, viel Aufsehen erregte), maren mir auf Grenzfommiffore und. ihr Wert der Trennung, die leidige Grenze, zu sprechen gefommen. Der Sohn unseres Gastgebers nämlich, der ihm vous fernen Berfien geschrieben, hatte es auf der Autofahrt jenseits der Bagdadbahn mit eigenen entsetzten Augen mitangesehen, mie in einem der fürchter lichsten Wüstenstürme ein Flugzeug abstürzte... sonst hätte man mohl nie erfahren, was aus dem Grenzkommissar, einem Schweizer Oberst, geworden, der nach Innerasien geflogen war, eine neu vermessene Grenze zu inspizieren... die, mie so viele, bislang nur auf dem Bapier gezogen war: mitten durch die Wüste, und die Wüste