Morgenausgabe
Nr. 265
A 134
49. Jahrgang
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Der Vorwärts erscheint wochentäglich zweimal, Sonntags und Montags einmal, die Abendausgabe für Berlin und im Handel mit dem Titel„ Der Abend". Jllustrierte Sonntagsbeilage Bolf und Reit"
Mittwoch
8. Juni 1932
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Preußen wird baronisiert.
Das preußische Staatsministerium| Reichsverfassung bisher nicht getreulich erfüllt habe? Eine hielt am Dienstagabend eine mehrstündige Beratung solche Begründung wäre ein Hohn, sie sie würde der ab, die sich mit der aus dem Scheitern der Finanz- Wahrheit ins Gesicht schlagen. Und was den zweiten Absatz verhandlungen zwischen Reich und Preußen des Artikels 48 anbelangt, so fann nur ärgste linwahrhaftig sich ergebenden Lage beschäftigte. Die Besprechungen feit die Behauptung aufstellen, daß die öffentliche Sicher zogen sich bis in die Nachtstunden hin und werden am heit und Ordnung in Preußen erheblich gestört oder gefährdet sei. Etwa meil keine verfassungsmäßige Regierung Mittwochvormittag fortgesetzt werden. Eine amttag nur eine negative Mehrheit von Nationalsozialisten, Deutschnationalen und Kommunisten vorhanden ist, aber keine positive Mehrheit, die zur Wahl eines neuen Ministerpräsidenten fähig ist. Daraus eine Gefährdung der Ruhe und denten fähig ist. Daraus eine Gefährdung der Ruhe und Ordnung herzuleiten, geht um so weniger an, als die preu Bische Polizei bewiesen hat, daß sie gegenwärtig genau so auf dem Posten ist wie unter dem alten Landtag und wie in Sachsen , Hessen , Bayern und anderen Ländern. Sie schützt jedenfalls die Ruhe und Ordnung viel wirksamer als die Po lizei des Herrn Klagges in Braunschweig.
liche Mitteilung über die heutigen Besprechungen zustande kommt? Das liegt eben daran, daß im neuen Land
wird nicht ausgegeben.
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Mit dem Schreiben des Reichskanzlers von Papen an den Präsidenten des Preußischen Landtages Kerrl , in dem um die Einberufung des Landtages zu einem früheren Ter min ersucht wurde, damit ein verhandlungsfähiges Kabinett in Preußen alsbald zustande komme, hat die Reichsregierung einen staatsrechtlich unzulässigen Weg beschritten, einen Weg, der mit Gesez und Verfassung geradezu unvereinbar ist. Das Reich hat nicht mit den Landtagen der einzelnen Länder oder deren Präsidenten zu vertehren, sondern ausschließlich mit den Regierungen. Daß die preußische Regierung zurzeit eine geschäftsführende" ist, enthebt es in feiner Weise der Verpflichtung, Wünsche oder Anregungen an sie, und nur an sie zu richten.
Der Zustand geschäftsführender Minderheitsregierungen, die nur deshalb nicht ersetzt werden können, weil feine arbeitsfähige Koalitionsmehrheit vorhanden ist, um einen neuen Ministerpräsidenten zu wählen, besteht in Preußen erst seit den Neuwahlen. Aber ein ähnlicher Zustand herrscht schon seit Monaten, ja zum Teil sogar schon seit Jahren in einer ganzen Reihe von anderen Ländern, so in Bayern , in Sachsen , in Hessen , in Hamburg und in Württemberg . Noch nie ist es einer Reichsregierung deshalb eingefallen, bei ihrem Verkehr mit diesen Ländern die geschäftsführenden Regierungen einfach zu übergehen und sich etwa an die Präsidenten der Länderparlamente zu wenden. Wenn die von der Schwerindustrie ausgehaltene ,, Deutsche Allgemeine Zeitung", die neuerdings als offiziöses Blatt der Nazibarone angesprochen werden darf, den Schritt Papens damit begründet, daß der Landtagspräsident gegen wärtig die einzige verfassungsmäßig vollgültige Stelle" in Preußen sei, so ist das ebenso dreist wie unwahr. Nebenbei bemerkt ist Herr Kerrl einstweilen nur auf vier Wochen gewählt worden, was nachher aus ihm wird, ist noch ganz ungewiß. Aber davon abgesehen stellt diese Lesart einen Versuch dar, die Verfassungsmäßigkeit der geschäftsführenden Regierung Preußens und damit auch die Verfassungsmäßigfeit der gegenwärtigen Regierungen Bayerns , Sachsens usw. zu verneinen.
Die Regierung Papen , hinter der über haupt nichts steht, jedenfalls noch viel weniger, als hinter irgend einer geschäftsführenden Länderregierung, hat am allerwenigsten das Recht, sich aufs hohe Pferd zu setzen. Der Konflikt, den sie im Begriff ist, nicht nur mit Preußen, sondern mit den meisten deutschen Ländern heraufzubeschwören, tann unabsehbare Folgen nach sich ziehen. Schon jetzt hat, wie wir hören, das preußische Staatsministerium gegen den Schritt Papens bei Kerrl entschieden Verwahrung eingelegt.
Aber anscheinend ist dieser Brief nur die Vorbereitung weiterer, noch viel bedenklicherer, noch viel verfassungswidrigerer Schritte, die in den Kreisen der Reichsregierung gegen Preußen geplant werden. Wir meinen damit den Blan der Einsegung eines Reichskommissars in Preußen, der nur unter Bruch der Reichsverfassung zur Ausführung gelangen fönnte. Die Einſegung eines Reichsfommissars ist von Hitlers ,, Völkischem Beobachter" gefordert worden; das Kabinett der Barone will sich auch hier gehorsam zeigen.
Was schließlich die Gefährdung der Finanzen betrifft, so ist sie hervorgerufen durch die Weigerung der Reichsregie rung, ihre Schulden an Preußen zu bezahlen. Vergebens sucht sich die Reichsregierung hinter dem Vorwand zu ver
Eine Leftion für Papen.
Unterricht über Staatssozialismus .
Die Nachkriegsregierungen haben geglaubt, durch einen sich ständig steigernden Staatssozialismus die materiellen Sorgen... abwehren zu können.
von Papens Regierungserklärung 4. Juni 1932. Hat der Staat die Pflicht, für seine hilflofen Mitbürger zu forgen, oder hat er sie nicht? Ich behaupte, er hat diese Pflicht, und zwar nicht bloß der christliche Staat, wie ich mir mit den Worten praktisches Christentum" einmal anzudeuten erlaubte, sondern jeder Staat an und für sich...
Wenn man mir dagegen jagt, das ist Sozialismus, so scheue ich das gar nicht. Es fragt sich, wo liegt die erlaubte Grenze des Staatssozialismus ? Ohne eine solche tönnen wir überhaupt nicht wirtschaften. Jedes Armenpflegegesetz ist Sozialismus...
War nicht z. B. die Stein- Hardenbergiche Gefehgebung gloriofen Angedenkens, an deren staatsrechtlicher Berechtigung, an deren 3wedmäßigkeit heutzutage niemand mehr zweifeln wird, staatssozialistisch?
Gibt es einen stärkeren Staatssozialismus, als wenn das Gesek erklärt, ich nehme dem Grundbesitzer einen bestimmten Teil des Grundbesitzes weg und gebe denselben an den Pächter, den er bisher darauf gehabt hat, und zwar nicht nach Maßgabe des Bedürfnisses dieses Pächters, wie es beispielsweise in Rußland geschehen ist, sondern nach Maßgabe der Größe des Pachtobjektes, wie es früher bestanden hat?
Wer den Staatssozialismus verwirft, muß auch die SteinHardenbergiche Gesetzgebung verwerfen, der muß überhaupt dem Staate das Recht absprechen, da, wo sich Gesetz und Recht zu einer Kette und zu einem Zwang, der unsere freie Atmung hindert, verbinden, mit dem Messer des Operateurs einzuschneiden und neue und gesunde Zustände herzustellen.
Für mich ist es ganz einerlei, ob diese Theorie Auklang findet; ich tue aus eigenem Antrieb meine Pflicht, ich halte dies für meine Pflicht und werde dafür fämpfen, folange ich hier das Wort nehmen kann."( Bravo ! rechts.)
schanzen, daß sie zur sofortigen Bezahlung der 100 Millionen, die sie Preußen für die Abtretung der Siedlungsbank schuldet, laut Vertrag nicht verpflichtet sei. Das mag formal zutreffen, aber wenn die Reichsregierung nicht die Absicht hätte, Preußen versacken zu lassen, so ließe sich unsower ein Arrangement finden, das die Kassenschwierigkeiten beseitigt. Man will die Kassenschwierigkeiten eben nicht beseitigen, man will sie politisch gegen Preußen ausnutzen.
Das preußische Staatsministerium hat das Recht und die Pflicht, sich mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln gegen den von Hitler geforderten und in der Rechtspresse als bevorstehend angekündigten Streich zur Wehr zu setzen. Uns fehlt feineswegs das Verständnis dafür, daß neben dem Kabinett der Barone, das uns jetzt ins Dritte Reich hineinregiert, eine Preußenregierung, die von Buchdruckern und Metallarbeitern geführt wird, unmöglich ist. Ein so feines Kabinett kann nicht mit ehemaligen Broleten gleich auf gleich verfehren es gibt auch fein geistiges Niveau, auf dem man einander begegnen könnte. Immerhin haben aber preußische Minister, selbst wenn sie aus dem Arbeiterstande stammen, das Recht zu verlangen, daß nach Verfassung und Gesetz verfahren wird, menigstens so lange, als in der deutschen Republik Verfassung und Gesetz für alle gelten, sogar auch für Freiherren !
Er beruft den Aeltestenrat ein.
Präsident Kerri hat den Aeltestenrat des Preußischen Landtags auf Freitag, den 10. Juni, nachmittags 5 Uhr, einberufen. In dieser Sigung des Aeltestenrats soll die Entscheidung über die Landtags getroffen werden. von Papen geforderte frühere Einberufung des Preußischen
Das Junkerkabinett ,, arbeitet".
Die Bürokratie soll Ausgaben droffeln. Amtlich wird mitgeteilt:
Das Reichskabinett faßte heute grundsägliche Beschlüsse über die Sicherstellung der Reichsfinanzen. Die Reichsrefforts wurden angewiesen, weitere Ersparnisse für den Reichshaushalt 1932 noch über den bereits vorliegenden Haus haltsplan hinaus anzumelden.
Ferner setzte das Reichskabinett unter anderem die Beratung über das ländliche Siedlungsmesen fort, das durch Be schluß vom 3. Juni 1932 dem Reichsernährungsministe rium zugewiesen wurde.
„ Staatssozialist" Papen.
Er flammert sich an Brüning- Verordnungen. Aus amtlicher Quelle stammt diese Beruhigungspille:
Von unverantwortlicher Seite werden auf dem Lande Na ch= richten verbreitet, daß die Aufhebung der Sicherungsverordnung vom 17. November 1931, die zwecks Sicherung der Ernte für landwirtschaftliche Betriebe unter bestimmten Boraussetzungen einen Schutz gegen Zwangseingriffe der Gläubiger somie eine
Bilanzbereinigung durch Akkorde im Entschuldungsverfahren vor
sieht, bevorstehe.
Wie mir dazu von maßgebender Stelle erfahren, entsprechen derartige Gerüchte keineswegs den Tatsachen. Die Aufhebung der Sicherungsverordnung ist weder jetzt noch na ch der Ernte beabsichtigt. Die Reichsregierung hält an den Grundsäßen der D st hilfegejezgebung durchaus fest und wird dafür Sorge tragen, daß in der Abwicklung der Entschuldungss ... Der Herr Abgeordnete( Bamberger ) hat es als etwas ganz verfahren feinerlei Stockung eintritt. neues bezeichnet, daß wir ein fozialistisches Element in Das ist ein neues Versprechen, alte ,, st a atssoziadie Gesetzgebung einführen wollten. Ich habe schon vorhin vorweg- st a ats" zugunsten der Landwirte im Osten aufrechtzulistische" des Maßnahmen Wohlfahrts=
Es hieße jedoch, den guten Glauben des Reichsprägenommen, daß das sozialistische Element nichts Neues ift, und sidenten in gröblicher Weise täuschen, wenn man von ihm die Unterschrift unter eine Notverordnung auf Grund des Artikels 48 zu diesem Zwecke erreichen wollte. Oder will je= mand etwa behaupten, daß das preußische Staatsministerium seine Pflichten gegenüber dem Reich und gegenüber der
der Staat gar nicht ohne einen gewissen Sozialismus bestehen kann..." ( Reichskanzler Otto von Bismard im Reichstage 15. März 1884.)
erhalten.
Wann erfolgt die Versicherung, daß das Junkerkabinett auch die Sicherung der Arbeitslosenunterstü yung garantiere? Oder ist das Millionenheer der Arbeitslosen weniger wichtig als die Abwicklung der Ents schuldungsverfahren“?