Auf einer Bank im Park
Betrachtungen über die nächstenliebe/ Von Inge Stramm
Eine Bank im Tiergarten am späten Nachmittag. Ich bin froh, fie hier abseits vom großen Promenadenweg ganz leer zu finden. Ich habe Verlangen nach Ruhe, Sammlung. Ich will lesen, eine illustrierte Zeitung nur, aber der Anfang eines neuen Romans ist darin. Das ist jedesmal eine große Erwartung für mich, ein erregender, glücklicher Augenblic. Denn vielleicht wird die letzte Hoff nung sich erfüllen. Durch die Sprache eines Dichters werden eigene Leidenschaften aufbrechen, erträumte Landschaften greifbar nahe tommen und vielleicht wird ein Mensch darin wandern, der mein Freund wird, den ich unverlierbar lieben fann.
Wahrscheinlich aber werde ich, wie so oft, enttäuscht werden, weil nichts in den gedruckten Blättern stehen wird, als die Befchreibung von Handlungen, die Menschen begehen, die mich nichts angehen.
Und darum zögere ich den Augenblick des Beginnens hinaus. Ich sehe in das bewegte Geäst der Bäume, durch das Sonnenlicht und Schatten wie schillernde Vögel hüpfen, höre hinter der grüngoldenen Dämmerung meines einsamen Weges Menschen lachen, die in Gruppen in hellen, bunten Kleidern gehen, als würden dort, wo ich nicht bin, immer Feste gefeiert. Auch ferne Musik ist da, als wiegten sich dazu schöne Menschen in seliger Umarmung, da wo ich nicht bin. Aber käme ich hin, so wäre es doch nur ein zerlumpter Leierfastenmann, der spielte, oder ein paar blaffe Mufifer zwifchen leeren Raffeehausstühlen. Wir wissen alle, daß es immer
so ist, aber die törichte Sehnsucht stirbt nicht, die große Hoffnung
auf eine Erfüllung, auf das Zeichen einer Liebe.
Die selbst gesuchte Einsamkeit drückt mich plötzlich und jetzt ist der Augenblid gekommen, mit Lesen zu beginnen, jegt will ich zu dem fremden Dichter fliehen wie zu dem Vertrauten meiner Träume. Ich blättere in der Zeitung. Die Bilder darin interessieren mich heute nicht, die sorgsam zusammengetragenen Bilder, ohne die wir ja nicht wüßten, wie erotische Prinzen aussehen, wie die Innenräume großer Villen sind, wie eine Segelfacht über das Meer fährt. Wir tommen ja doch alle da nicht hin.
Während diefes hastigen Ueberfliegens der Bilder aber hat fich eine alte Frau neben mich auf die Bant gesetzt. Sie ist so still gekommen, daß ich sie gar nicht gehört habe, und nun figt fie da und braucht sehr wenig Raum für sich, aber sie stört mich doch. Nicht direkt durch ihre Gegenwart. Alte Frauen auf Bänken im Bark im Abendsonnenschein sind wie ein Nichts, gehören zur Landschaft, find nur ein Schatten unter den spielenden Schatten der
alten Bäume.
Diese Frau aber sieht schüchtern auf die Bilder in meiner Zeitung, holt den Blick hastig wieder zurück und schickt ihn doch bei jedem Umblättern wieder von neuem vor. Ich beginne langsamer zu blättern, denn ich spüre, wie sehnsüchtig der Blick der Frau an den Bildern hängt. Und ich wollte doch den Roman lesen! Und dann entschließe ich mich furz, schlage den Anfang des Romans auf, nicht ohne die Enttäuschung der alten Frau dabei zu bemerken, löse die Seiten mit dem Roman aus den übrigen Blättern und reiche lettere mit ein paar Worten der alten Frau Mit welcher freudig erschreckten Ueberraschung mich die alte Frau anfieht, wie ihre faltigen Hände zittern, die in einer schwarzen Tasche nach der Brille suchen! Es rührt mich eigentümlich. Und bei jeder Bewegung, die ich mache, sieht die alte Frau ängstlich hoch. Einmal reicht sie mir dabei haftig die Zeitung zurüd: Sie mollen sicher gehen." Diese Freude, wie ich verneine!
Es pact mich sehr, die Erkenntnis, mit wie wenig Mitteln man anderen eine Freude machen kann! Ich fann mich nicht zum Lesen sammeln. Ich muß über vieles nachdenken. Es schien mir einen Augenblic so selbstverständlich, der alten Frau die von mir nicht benutzte Zeitung zu geben. Aber dann wachen Erinnerungen in mir auf an Reifen, an endlos lange Bahnfahrten. Mein Gegen über las ein buntes Magazin, das er dann nachlässig neben sich legte, um eine Tageszeitung zu entfalten oder Schokolade zu effen Selten habe ich es erlebt, daß jemandem der Gedanke gekommen wäre, anderen, die mit ihm ohne diese Annehmlichkeiten auf derfelben Bant faßen, den unbenutzten Lesestoff oder gar etwas von der Schokolade anzubieten.
Vielleicht ist darum die Welt heute so freudlos, meil mir mit den kleinsten Freuden geizen. Erschütternd aber ist es, wie dankbar gerade die Menschen für diese sind. Einmal habe ich eine alte,
Dr. S. Weinberg:
Der 18. Brumaire und wir
In der Februarrevolution des Jahres 1848 wird in Frankreich das Bürgerfönigtum beseitigt, an feine Stelle tritt die zweite Republit", die ihrerseits im Dezember 1851 durch den Staatsstreich Bonapartes ihr Ende findet; ein Jahr später wird Bonaparte ,, Napoleon III. ". Der Aufstieg Bonapartes wird von vielen bürgerlichen Historikern als Beweis angesehen, daß starke Männer" die Geschichte machen. War Bonaparte in Wirklichkeit der Retter" des Staates oder ist er nur der Exponent einer bestimmten fozialen Lage? Diese Frage hat Karl Marr in seiner Schrift ,, Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte " beantwortet. Marg deckt die tieferen sozialen Zusammenhänge auf, in die der Staatsstreich Bonapartes hineingestellt werden muß; er zeigt die soziologischen Elemente dieses historischen Prozesses. Die Fruchtbar feit der marristischen Methode für die Analyse einer konkreten Situation tritt in den Ausführungen von Marr besonders deutlich her vor. Schon dieser Umstand macht das Studium des kleinen Buches, das noch während der Ereignisse im März 1851 niedergeschrieben ist, besonders wichtig. Darüber hinaus besitzt die Schrift gerade heut erhöhte Attualität; man sieht, daß der Ruf nach dem starten Mann" in Zeiten schwerer gesellschaftlicher Erschütterungen immer schon laut geworden ist, man erfährt, auf welche Weise und mit welchen Mitteln die sogenannten ,, ftarten Männer" sich in Szene zu setzen wissen. Marg spricht von der Parteistreitkraft", die Napoleon fich zu schaffen wußte und die ihm ein Publitum improvisieren, den öffentlichen Enthusiasmus anführen, vive l'Empereur heulen, die Republikaner insultieren und durchprügeln"
mußte.
Die Schrift gibt also die Margiche Stellungnahme zum Faschismus" seiner Zeit.
turzsichtige Dame, ohne daß sie mich darum gebeten hatte, über Den belebten Straßendamm gebracht und auch noch bis zur nächsten Straßenbahnhaltestelle. Sie konnte nicht aufhören, sich zu bedanken. Einmal fuhr ich mit einem ganzen Arm voller Blumen in der dunklen, staubigen Stadtbahn und meine Blumen sammelten so viel bewundernde Blicke auf sich, daß ich einige Stiele davon an jene, die sie am sehnsüchtigsten angeschaut hatten, verschenkte. Diese Menschen hielten staunend die Blüten in der Hand wie ein Heiligtum und alle müden Gesichter wurden plöglich hell. Einmal trug ich einen Korb voller Früchte und verschenkte einige davon an Kinder, die lange darauf gestarrt hatten. Sie waren so er= schrocken, daß sie erst gar nichts nehmen wollten.
Ach und dabei fallen mir auch viele versäumte Gelegenheiten ein und ein Gefühl von Schuld sammelt sich in meinem Herzen. Ich sehe die alte Frau neben mir an. Ihr verlegener Blid be
gegnet mir, eine große Bitte sammelt sich in den Augen, ein paar Worte auf den schmalen Lippen: Ob... Ob ich Kreuzworträtsel Ich verneine. Ob sie dann die Seite mit den Kreuzworträtseln haben könne... Aber gern, bitte!"
rate.
Sie hält sie schon in den Händen, wie lange wohl schon in heimlicher Sehnsucht! Und sie steht sofort auf, stedt das Blatt sorgsam in die schwarze Tasche und geht erleichtert grüßend, sehr rasch, wie fliehend, als könnte ihr jemand einen kostbaren Schatz wieder rauben. Sie tut mir fast leid, wie sie da geht, aber mein Herz wird ganz hell.
Ich finde mich wieder auf der abseitigen Bant. Was wollte ich hier? Einen Roman lesen? Ach, ich wollte ja nur fliehen aus einer liebeleeren Welt in Reiche der Phantasie. Wir warten alle immer auf ein Zeichen der Liebe. Da ist die alte Frau gekommen und ihr ist eine große Beglückung geschehen. Ich fühle es.
Was aber habe ich ihr schon gegeben? So beschämend wenig und es schien ihr doch so kostbar viel: Ein wenig Aufmerksamkeit nur. Das, was man Nächstenliebe nennt. Ach. ist fern von Liebe und sehr fern von Hingabe und Opfer, von all dem, was wir uns so allgemein unter diesem Begriff vorstellen. Und doch sind gerade alle diese Dinge ein Teil von ihr und Gedankenlosigkeit unsere größte Sünde.
Es fällt nicht leicht, den Teffiner Frühling zu schildern, während| fationen suchen. Freilich fommen sie wenig auf ihre Kosten, denn
der berühmte Tessiner Tropenregen mit einer Kraft auf diese ge fegnete Erde fällt, als ob die Wasserreservoirs des Himinels ihren Boden verloren hätten. Ebenso gewaltig wie der Regen waren die Gewitter dieses Frühjahrs, und als kürzlich das Echo der Schweizer Berge von 8 Uhr abends bis morgens 3 Uhr eine wahre Geschützschlacht von Donnersymphonien durch die langen schmalen Bergtäler rollend abspielte, stellte sich der nächste Morgen noch immer ungejäätigt von Donnerlust ein und setzte das Blitzen und Rollen bis gegen Mittag fort. Ebenso verschwenderisch wie das Wasser hier vom Himmel fällt, preßte die Sonne einige Wochen ohne Uebergang zwischen den Regengüssen eine Hochsommerglut in die Luft, die sofort brennend heiß wurde, so daß man einen warmen Gebirgsmußte, der auch nur im Waldschatten erträglich war. Es ist also ein anzug ohne Uebergang mit einem Schwimmanzug vertauschen echt tropisches Gebiet, dieses Stück Südschweiz um den Lago zwischen Schneegletschern und tausendmetrigen Bergen üppiger und Maggiore, und nirgends ist dieser tropische Charakter der Natur mannigfaltiger als in dem fleinen Ascona , das 15 Minuten 2ocarno liegt. Postauto von dem weltgeschichtlich gewordenen( oder gewefenen?)
die Asconesen sind Demokraten, fie lieben nicht nur die Einsamkeit, sondern auch die Gleichgestelltheit, und die weithin gestreckten Aus. läufer Asconas liegen auf so vielen Hügeln, Abhängen, zwischen Tälern, hinter den Bergen, am See und an den großen Autostraßen, daß jeder im Grunde in einem anderen Ascona , in einer anderen Landschaft lebt.
Ja, das ist das eigentliche Wunder dieses verborgenen Paradieses, daß es uns in einem dauernden Wandel von Schönheiten alles vorführt, was die Natur sonst nur zu verschiedenen Zeiten, in verschiedenen, weit auseinander liegenden Gegenden bietet. Wie das Meer dem Ruhenden am Strand ein ununterbrochen wechselndes Schauspiel von Glätte und Berriffenheit in tausend Formen vorNatur, von Schneebergen und Wäldern, von einem Gebirgssee mit spielt, so hier durch das Ineinandergreifen von alpiner und tropischer einem echten Meeresstrand, alles im Schnittpunkt zweier Betterscheiden, aus denen dieses Himmelspanorama seine erneuernden und wechselnden Kräfte schöpft. Am Ausgang des Gotthard gelegen, hat der Norden feine Kraft mehr über uns, mag es vom Bellinzona. tal her noch so dunkel und dräuend gerade vor unserem Fenster aussehen, im Süden ist unser Wetterwinkel, dort drüben an der italieniHimmels ist italienisch, fast schon sizilifch, die kalte Klarheit der Sterne tommt von einem anderen Himmel als dem mitteleuro päischen, und wenn es in Strömen regnet, ist das noch lange nicht der schweizerische Regen, der uns bis auf die Haut durchfeuchtet, fondern der des Südens mit seiner Wärme, Schwerflüssigkeit, Eindringlichkeit. Oft ist es freilich ein anderes Schauspiel, das an dieser Kreuzungsstelle zweier Wetterscheiden vom Himmel selbst gespielt wird. Vom Süden dringt die Bläue und Sonne bis auf die Berge vor meine Fenster, vom Norden aber Wolfen, die undurchdringlich find wie ein englischer Nebel. Und gerade vor meinem Blick treffen sich die Grenzen dieser Wetter, jönnengrün liegen unter blauer Luft die Abhänge des Berges rechts, während nach links hin der gleiche Wald im Grau des Regens verschwindet. Oder ein Gewitter geht über dem See nieder, vor mir sind die Wälder von Wolken wie in Watte verpackt, die man noch im Dunkeln spürt, während rechter Hand eine helle, ausgesternte blaue Nacht ruhig und ihrer milden Kraft bewußt, dem Uebergreifen der Wolfen, dem Andrang ihrer Züge Halt gebietet.
Es ist merkwürdig, wie gewisse Orte ohne jede gebundene Traschen Küste entscheidet sich unser Wetterschicksal. Die Bläue dieses dition, ganz aus sich selbst heraus geistige Anziehungs fräfte besonderer Art entfalten. Ein solcher Fall liegt auch bei Ascona vor. Es gibt gebildete Schweizer , die noch nie etwas von diesem Ort gehört haben, taum genau wiffen, wo er liegt, und dabei spielt Ascona bald seit einem Jahrhundert eine freilich lang anonyme Rolle in der europäischen Geistesgeschichte. Es muß eine ganz be fondere Anziehung von naturmagnetischen Kräften sein, die wohl immer bestanden hat, aber erst von unserer bewußt und analytisch gewordenen Zeit anerkannt wird.
-
-
Wie vor mehr als 100 Jahren hier Goethe, Walter Scott , Shelleŋ weilten, so folgen nun seit mehr als 30 Jahren immer neue Gruppen Geistiger aller Art. Nicht aber aller Länder, Das tleine Ascona übte besonders auf Deutsche und Russen eine be sondere Anziehungskraft aus, und wie gewöhnlich spielen Seften, Künstler, Apostel jeder Art eine besondere Rolle. Schon Niezsche nannte Ascona das Paradies der Halbverrückten, zu dem ja freilich eine Zeit lang eine mißverstandene Zeit lang seine Jünger selbst gehörten. Daß vor der jetzigen Asconaperiode Naturmenschen, Rohtöstler und Magnetnaturen hier siedelten, erscheint heute, wo Rohfost zum Mittagstisch des fleinen Bürgers gehört, nicht mehr als Zeichen von Verrücktheit. Und dann folgte die Periode der Sozia listen, der Krapottin, Bebel, Trogfy, Kautsky , die hier länger oder fürzer waren, der Maler, unter denen sich mancher heute berühmte Name befindet. Die Periode der Dichter, unter ihnen auch Ritte, die Periode der Taoisten, Zionisten, Astrologen, der Politiker, der Berliner Bohème, zwischen denen Mäzene, Kapital flüchtlinge, neugierige Sommerreifende ein Prickeln geistiger Gen
gange, die man darin finden kann. Das Wesentliche ist, daß man von Marg lernen fann, wie man die gegenwärtige Situation analyfieren muß. Mayer betont mit Recht, daß dies eine Aufgabe ist, Die fämpfende Arbeiterklasse muß die sozialen Zusammenhänge die uns jeden Tag erneut für unsere eigene Gegenwart gestellt ist. tennen, damit sie nicht durch die Ereignisse überrascht wird und damit das Ziel ihres Kampfes stets flar erkennbar bleibt.
daß es falsch ist, alle gesellschaftlichen Klassen und Gruppierungen Mayer weist in sehr instruktiven Ausführungen darauf hin, auf einen einfachen letzten Gegensatz( etwa Bürgertum und Proletariat) zurückzuführen. Marr zeigt, daß in jeder geschichtlichen Lage sich Elemente verschiedenster Herkunft mischen, daß sehr differenzierte gesellschaftliche Gruppen sich ineinander und übereinander schichten. Will man den gesellschaftlichen Bewegungsprozeß verstehen, darf man nicht bei einem einfachen Thema stehen bleiben, man muß in forgfältiger Analyse die Aufspaltung der sozialen Elemente" ver folgen. Neben den materiellen Griftenzbedingungen find auch ,, ideologische" Fattoren für das Verständnis der Gesellschaftsgruppen wichtig. Es ist bedeutsam, daß Mayer diesen Punkt besonders hervorhebt, da er von gewissen Bulgärmarristen übersehen wird. Ausgezeichnet ist die Bemerkung von Mayer, daß sich die Bedeutung der ideologischen Faktoren etwa an dem politischen Standort der Angestellten in der gegenwärtigen Situation erkennen läßt. Die abhängige Lage des ausgebeuteten Angestellten macht diesen nicht ohne weiteres zum Proletarier", weil die Weltanschauung, die ihm durch Tradition und Erziehung zufließt ,,, die eigentlichen Gründe und den Ausgangspunkt feines Handelns" bildet.
An den Aenderungen, die Marg für die zweite Auflage seines Buches am Tert der ersten Auflage vorgenommen hat, zeigt Mayer, daß Marr feineswegs ein starrer Dogmatiker mar. Marr bat seine Auffassungen geändert, wenn ihn neuere Erfahrungen und tiefere Einsichten eines besseren belehrten. Es gilt, auch den modernen Lefer mit diesem bewegten und undogmatischen Geist zu erfüllen. So gibt die ausgezeichnete Einleitung von Maner mehr als eine Einführung in die Schrift von Marg, sie seht den dentwilligen Leser in den Stand, die Bedeutung der Margschen Methode zu erfassen. Das ist der beste Weg, um zu einer Durchdringung der gegen wärtigen Situation zu gelangen.
Leider war der 18. Brumaire" im sozialdemokratischen Buchhandel feit einigen Jahren vergriffen. Es ist daher sehr erfreulich, daß der Dietz- Berlag foeben eine Neuauflage herausgebracht hat, die von I B. Mayer eingeleitet und bearbeitet ist. 3. P. Mayer hebt die Aktualität der Marrschen Darlegungen hervor, aber er weist mit Recht darauf hin, daß man nicht einfach die damaligen Zustände den heutigen gleichsehen darf. Es ist in der Tat ein billiges Vergnügen, Bonaparte und seinen Anhang mit den starken Männern von heute zu identifizieren. Es wäre unmarristisch, unsere Zeit mit den Maßstäben jener Epoche zu meffen." Die aktuelle Bedeutung bes Buches besteht nicht in den Anspielungen auf gegenwärtige Bor. I viele aufmerksame Befer.
Dem Buche ist ein Namensverzeichnis und eine chronologische llebersicht über die wichtigsten Ereignisse in Frankreich von 1789 bis 1870 beigegeben. Hoffentlich findet die flaffische Schrift von Marg in der neuen Auflage eine möglichst große Verbreitung und
-
Ist nun dieser Tessiner Wunderwintel tags oder nachts schöner? Nachts sorgen alle Dörfer und Häuser der Umgebung, vor allem aber Locarno , für eine Illumination von magischer Schönheit. Alle fleinen Dörfer an beiden Seiten des Sees entzünden ihre Lichter. denn das kleinste Dorf, ja jedes noch so ferne Einzelhaus hat sein elektrisches Licht. So ziehen sich wahre Sternstraßen durch die Wälder, wenn ein feiner Ort am 2bhang drüben tagsüber unregelmäßig gebaut fcheint, dann sieht er im Nachtlicht seiner fleinen Dorfstraßen und Fenster doch wie ein angezündeter Weihnachtsbaum aus. Die Lichter der beiden Ufer verschwimmen und die Straße des weit vor. geschobenen Strandes scheint eine beleuchtete Meerbrücke zu sein, die sich draußen im Unbestimmten verliert.
Tags aber, bei herrlicher Sommersonne, ist die Landschaft, die und Lorbeer die Abhänge hinaufflettern. Und doch ist es ein durch bei Ascona beginnt, ein tropischer Garten, in dem Palmen und Stafteen, Feigen und Pfirsiche, Kamelien und Glyzinien, Affenbäume und durch felsiges Land, aus dem Boden bricht der Granit, nur wenig mit Erde überwachsen, blau und grau hervor; es ist der Stein, Sie schichten Mauern aus unregelmäßig gebrochenen Steinsplittern aus dem seit Jahrtausenden die Bergbewohner ihre Häuser bauen. und Steinplatten auf, füllen alle Lücken mit Zement und Geröllstücken und ziehen das Dach weit über die Mauern als Regenschutz. So sind alle diese Gebirgsdörfer und Häuser gebaut, und doch welche Fülle der Formen, Motive, Durchfichten. Es wird wohl schon so sein, daß die Schönheit der Natur, in der Menschen leben, ihren Schönheitsfinn entwickelt, ihre Formenphantasie steigert. In feinem nur, weil die Bodenbeschaffenheit jedes Haus vom Grund aus ver Dorf tam man auch nur zwei Häuser sehen, die sich gleichen, nicht ändert, sondern auch die verschiedensten Baumotive entwickelt. Balfone, Erfer, Säulengänge, Loggien, Höfe ander wie ein Steingarten, abgelöst von Straßen, die nur aus den das wächst durchein Mauern von Gärten bestehen, peripettivisch abgeschlossen durch einen Kirchturm, mindend auf eine alte Palazzofront, deren grüne, ge= schlossene Fensterladen Geheimnisse verschließen, die es wahrscheinlich nicht einmal gi
-
Mannigfal wie die Natur sind diese Dörfer aber auch den Farben und Kängen nach. Dieses Dörfchen wird durch Rot, jenes durch Grau und Blau beherrscht. Losone strahlt vom Golde wieder, das seine Kirchenfuppeln deckt. Ascona hat mit seinen vielen neuen Brissago hat die hohe Seefront eines Palasthotels, Monte Verità Bauten das Flachdach eingeführt, das hier freilich völlig verfehlt ist. das Schwarzgrau eines großen Neubaus von Fahrenkamp, der auch Berlin mit neuen Bauten ein modernes Steilprofil gibt.
Und ebenso vielgestuft ist die Musik der Kirchengloden, von benen jede für sich ihre eigene Litanei in alten Kirchentonarten flingt. Die Kirche ist im fleinsten Dorf von einem baroden Reich tunt, der zeigt, daß hier eine fremde Welt zu armen Bergbauern eingedrungen ist. Die Türme aver fingen die Melodie der Landschaft, wie riesige Ruhgloden schlägt langsam der Ton nach rechts und links, und wenn sich diese Töne über dem See begegnen und langsam ver mischen, in den See verfinten, ohne unterzugehen, dann fühlt der Mensch stets wie zum erstenmal, was Friede ist, und wagt nicht der Dinge zu denken, die so anders find als diese Welt, und das große, erschütterbe Deutschland mit Untergang in Barbarei bedrohen,