Stasi im Sandmeer Aus einem Hagebuche/ Ton S. Richards
Die Wüste dehnt sich unendlich weit in den Tag hinein� Heiß brennt die Sonne. Kein frisches Grün, kein Wasser, nur Sand. Gelbbrauner, wandernder, sengender Sand in endlosen Dünen und Wellen. Und Totenstille, die nur der schwingende Glockenton des Leitkamels bewegt. Hintereinander gebundene Kamele gehen auf schmalem Pfad voraus, knirschend stampfen sie im Sande, wie im tiefsten Schnee. Am Horizont reiht sich Hügel an Hügel. Der Sand flimmert weih. Kahle, abgeschliffene Gipfel zeichnen sich in den glasklaren Himmel hinein. Grohe Flechten durchweben den Boden, gelb und blutrot, der Sand wird fleckig, wie das Fell der Hyänen. Ein ungeheures Land diese Wüste, mit ihren Tälern und Höhen, das in ergreifender Unbewegtheit seiner Zukunft harrt! Die Un- bewegtheit der Erde teilt sich dem Himmel und den Menschen mit, die in schlaffer Reglosigkeit verharren. Der Ritt in der Mittags» näh « wird unerträglich. Alles ist lästig. Selbst im Zeltschatten herrscht drückende Schwül«, in der jede Bewegung schmerzhaft wird. Auf den Kämmen der Sanddünen zerfällt glühendheißer Sand zu Asche, wirbelt langsam in winzigen Sandhosen auf und läßt die feinen Trichter wie einen Vorhang hinter den Dünen nieder- fallen. Das geschieht rasch, unvermittelt, während ringsum kein Lufthauch zu spüren ist und der singende Ton des wandernden Sandes kaum das Gehör erregt. Wegspuren heben sich deullicher vom Boden ab. Die Sandwirbel künden die Nähe wassergetränkten Landes! Die Tiere haben Witterung, sind unruhig und saugen in seit- sam schluchzenden Zügen die Luft ein. Schneller schwanken sie da- hin, ohne den keifend gellen Ruf der Berber. lieber dem Horizont steht«in dunkler Streifen— die Oase. Die Tiere stürmen voraus, hoch erhobenen Kopses jagen sie im schwer- fälligen Trott dem fernen Ziele zu. Das Wasser wirkt Wunder! ★ Im Schweigen der gelben Wüste liegt die Oase, wie ein ver- gessenes Heiligtum. Ein langer ovaler Tempel in Grün und Braun. Im Schatten der Palmkronen rasten die Kamele. Mit schluckenden Bewegungen fallen sie in die Knie. Am Abfluß des großen Brun- nens sind die Lagerplätze, umschwärmt von den Eingeborenen, deren ongeniggerte Haut durch die langen, zerrissenen Gewänder blackt. Fünfmal am Tage verneigen sie sich nach Mekka , aber wenn sie ins Lager kommen, um Handel zu treiben, dann haben sie keinen Glau- ben mehr. * Die erregenden Laute der Karowanenonkunft sind erstorben, die Hunde schlagen mit wütendem Gekläff an. Hornstöße wehen herüber und kommen näher. Die lustigen Triller der Clairons künden nahende Soldaten an. Magisch, fast beschwörend, stehen die schmalen Hornstöhe in der Luft und brechen ihr Helles Echo im Gefieder staubzerfressener Palmen. Erschreckte Geier steigen auf. Das ganze Oasendorf ist auf den Beinen. Der Aelteste begibt sich mit einigen Männern zum Dorfausgang, um Ausschau zu halten nach dem, was kommen muß. Die Burnusse wehen im leichten Winde, die Männer schreiten feierlich und schmutzig dahin. In Ehr- furcht begleitet von einer Schar nackter, brauner, wollhaariger Kin- der, die Backschisch wittern. Die Clairons klingen wioder. lieber die letzten Sandhügel schieben sich Soldaten heran. Fremdenlegionäre. Sie marschieren in den Schatten der Oase.
Gewehrpyramiden wachsen aus dem Boden, abgeworfene Tor- nister liegen wie im Scharmützel umher, die Zeltstadt der Legio- näre ist erstanden. Wir suchen nach deutschen Landsleuten. Das Peleton kennt nur Iren, Dänen, Oesterreicher und Südländer. Ihre Gesichter sind leer, von tiefer innerer Müdigkeit gerahmt. Die Augen in den braunen Höhlungen hoben die erregende Weite der Wüste getrunken, sie sind gesättigt von all den grellen Lichtern und halb geschlossen. Ihre schweißnassen Glieder lähmt Resignation. * Der stoubumwölkte Sonnenuntergang bemalt die Flanken der fernen Sandhügel mit trüber Kupferfarbe. Der Himmel mird immer blauer und milder. Der Abend meldet sich. Im Westen, wo die Sonne hinter der Hügelkette verging, steht wie ein Wundmal«ine scharlachrote Wolke am Horizont. Die harte Gut des Tages weicht den tiefblauen Schatten der anbrechenden Nacht. Jeder Laut er- stirbt. Das wundervolle Licht des südlichen Kreuzes geht am Him- mel auf, der bleichviolette Schein durchleuchtet den Aether. Die Wüste hat ihren flimmernden Rand an die Nacht verloren? Im Lager tönt das kratzbürstige Grammophon, dem der Wüsten- fand die Kehle aufrauhte. Legionäre kommen aus den Zelten näher heran und lauschen mit heftiger Neugier alten Schlagern. Drüben, gegen den Abend zu, lehnt ein Negerweib an den Palmen — ein massiger Haufen nachtschwarzen Fleisches, nach dem sich die Soldaten sehnen. Das Grammophon verstummt. Die breiten Flammenzungen der Lagerfeuer lodern lautlos in die Nacht hinein. Ganz leise, wie sehnsüchtiges Schluchzen eines Kindes nach der Mutter, klingen Melodien auf. Fremdartig und doch heimisch. Ein«rschütterndes wehmütiges Lied.
Nur ein« einzelne Stimm« singt drüben, an den Feuern der Legionäre. Plötzlich bricht das bangende Schweigen. Einer nach dem anderen fällt ein. Schwer tönen die Akkorde. Mit verfchleier- ten Augen singen die Legionäre in die Tropennacht hinein. Sie singen und niemand empfindet mehr die störende Nähe des anderen. Spannungen lösen sich, die immer zwischen weißen Men- schen in diesen Ländern stehen. Die Oede und Freudlosigkeit des Wüstendaseins verliert sich in die dunklen Worte des Liedes. Viele Sprachen klingen. Am ersten Feuer singt ein Soldat zur Negerin hinüber. Es ist zweite Stimme und deutlich zu unterfchei- den, wahrscheinlich hat er die Melodie selbst erfunden. Es klingt, wie all diese Legionäre hier sein müssen: müde, stöhnend unter der schweren Last ihres Innern. Jeder Nerv begreift das Lied, in das die Legionäre so viel- sprachig ihre halbbewutzten Empfindungen und Gedanken hinein- gesungen haben. Di« Doganten der algerischen Wüste, denen es gleich ist, was morgen geschieht, die kaum den Willen yaben, an Vergangenes zu denken, halten Zwiegespräche mit sich selbst. Im Lied allein formt sich Hoffen und Erinnerung. In den Augenblicken tönender Einsamkeit bewegt die Legionäre, deren brandrote Ge- sichter unbeweglich auf den bordierten Kragen der offenen Waffen- röcke sitzen, immer das gleiche. Der Schlaf will nicht kommen. In der Ferne tönt das Singen der Heimatlosen, die nur im Dunkel der Nacht den Gedanken freien Lauf lassen, mitten unter Barbaren .
Die Schauer der Tropennacht verlieren sich. Der Tag erwacht mit tollen Lichtexplosionen. Groß und rot steigt die Sonn« über dem Sanidmeer auf. Ueberall wieder das horizontweite, einförmige Sonnenflimmern, das der Sand zurückwirst. Der Himmel wird all- mählich weiß, daß er sich schwarz vor den Augen schattet. Ueber dem Horizont steht als dunkler Streifen die Oase. Wie ein Abschieds- grüß trillert ein Clairon seinen Ruf herüber. Ein Gruß der Heimat- losen, den die heiß« Luft der Wüste echolos verschluckt!---
ema.wi/im,: Sieber im WüUeu jori
Die Sonne bohrt ihre Strahlen in diesen Steinhaufen, der ein die Gegend machtvoll beherrschendes Wüstenfort ist. Eine dumpf brütende Hitze hinterläßt die Sonne als stets bleibende Erinnening an sich, auch des Nachts. Wenn längst die merkliche Kühle der Wüstennacht um die Mauern des Forts spielt, liegt in den Ge- wölben selbst noch die Hitze als heiße Lustschicht, die dem Menschen die» Freiheit der Eigenbestimmung raubt. Unaufhörlich laufen die elektrisch betriebenen Luftfächler, aber sie geben unangenehme Zug- luft und keine wohltuende Kühle. Die leicht surrenden Apparate wirbeln gleich Sonnenstäubchensäulen Sand auf. Er ist schon seit langem der erbittert bekämpfte Feind der Fortbesatzung. Sand, Sand, diese feinkörnige Masse wird zu gigantischen Bergen, die sich kühn und mutwillig vor dem Wüstenfort auf- türmen, sie wird zum zermahlenden Belag, der durch jede Oeffnung des Forts dringt, der den Schreibtisch des Kommandeurs bedeckt, der in die Eßgeschirre der Soldaten kriecht. Sand, Sand, nichts als Sand, man schmeckt ihn, man riecht ihn, man kann ihm nicht ent- gehen. Kampslos, mutlos macht er den Menschen. Er ist ein Feind, gegen den Widerstand wie Angriff gleich erfolglos sind. Sonne und Sand sind Würger, die durch das Fort schreiten, doch hat sich jetzt zu ihnen der Tod selbst gesellt, das Fieber. Die Europäer dachten, sie hätten es ein sür allemal niedergerungen. Sie
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Für die letzte Klasse hatte es noch gereicht. Gelbrot stand die Sonne hinter einem der tausend Minaretts von Stambul , da zog man das Fallreep hoch. Nun schleppte mich der französische Kasten noch Süden. Stumpf gleichgültig schlugen die Wellen an die Bordwand. Dort hinten, irgendwo am Kai, stand mein Bruder. Dicker schwarzer Rauch aus unserem Schornstein legte sich aus das Kielwasser und versperrte den Blick. Unermüdlich vorwärtsstoßend schnitt der schlanke hohe Bug immer wieder neue Wellen in Stücke. Auf Mittelmeerdampfern geht es in der letzten Klasse meist nicht sehr appetitlich zu. Dieser hier war noch besser als der italienische Schwarzmeerdampser, auf dem wir zwischen Ochsen und Wasserbüffeln schlafen mußten. Die Araber und Juden hier im Verdeck allerdings hätten lieber bei diesen Tieren geschlafen, als nebeneinander. Dazu war noch französisches Kolonialmilitär da. das weder Araber noch Juden liebte. In Bayrut kamen andere Menschen an Bord. Dabei viel Militär. Drei davon standen am anderen Tag am Reeling und schallten ins Meer. Ihre Mützen, ihre Mäntel sahen so abgerissen aus wie die Uniformen unserer Soldaten, als sie achtzehn nach Hause kamen. Die drei Gesichter waren lederfarben und verbraucht. Ihre Finger zitterten manchmal leicht, sie waren gelb von tausend Zigaretten. Als sie Deutsch sprachen, wußte ich, daß sie aus der Fremdenlegion kamen. Syrien hatte sie nicht fressen mögen. .„Wie bist du dazu gekommen?" fragte ich einen. „Es war eine einfache Sache," meinte er.„Ich war vierzehn aktiv. Lag von vierzehn bis achtzehn gegen die Franzosen im Dreck und wußte nicht warum. Wie ich heimkam, war meine Stadt polnisch. Es gab Krieg gegen die Sowjets und neue Truppenaus- Hebung. Da desertierte ich. Aber ich war den Krieg nun schon ge- wähnt und drei Tage später unterschrieb ich den Kontrakt in Straß- bürg. Seitdem— Vive la Legion!" „Was wollte der Blasse gestern mit dem Sergeanten Maier," setzte ich das Gespräch fort.„Ist das ein Deutscher?" „Und ob!" knurrt der Dicke zornig.„Von Frankfurt am Main ist dieses unverschämte Schwein." „Hattest du was mit dem?" frage ich. „Nicht von Pappe" meint der Dicke.„Es war vor zehn Wochen. Der Kerl hatte einen Suff aus Schnaps, fuchtelte mit der Dienstpistole. Ich schlug ihm auf die Pfote, daß sein Schuß in den Dreck fuhr und die Waffe dazu. Der Kerl war blau vor Wut und schrie vom Kriegsgericht in Bayrut . Suff hin, Suff her— Maier war Sergeant! Bon. denke ich, die Jahreszeit ist gut. Um zwei Uhr morgens war der Maulesel gesattelt Muskete, Patronen, Arrak hatte ich, also zog ich los. Nur ein paar Autos traf ich in der ersten Nacht. Ich grüßte und sie grüßten— so war alles in Ordnung. Es war bereits die zweite Nacht und Palästinagebiet. Rechts ein Arm vom Jordan, links Geröll, Felswände. Das Maultier wollte nicht mehr. Ich hätte es zu Tode prügeln müssen. Hinter einem Felsblock, unter einem schäbigen Schatten, dachte ich noch einmal nüchtern nach. Also— zurück.
Auf einem Posten der Kolonialen mache ich Meldung. Spaziert und Weg verloren. Auch mit dem Datum kann ich mogeln. Beim Regiment ist der Kapitän auf Inspektion. Mein Glück, Leutnant Gildon ist ein feiner Knopf." „Also, die Hauptsache ist, du bist wieder da" meint er.„Service ist Service. Zum Spazieren braucht man Permission. Acht Tage ins Loch!" Der Maier bekam fünfzehn für die Affäre. Meine acht waren noch geschenkt, wegen Mannschastsmangel. Da gab es viel Arbeit an der Libanonbahn. „Na," meint der Dicke,„Glück Hab ich ja gehabt." Dann spuckt er noch einmal kräftig.„Vier Jahre Tonking, dann ist Retrait!" * „Halts Maul," sage ich,„wir sind hier nicht auf einem vater- ländischcn Abend. Die Töne kannst du in der Schnauze behalten!" Ich war wirklich ärgerlich. Erstens war mir ein Schluck Rotwein in die unrechte Kehle gekommen und dann hatte der Kerl da mit der„Stolzen Flagge schwarzweißrot" losgequietscht. Nicht, daß der vielleicht..national" gewesen wäre, er wollte bloß seinen Mut zeigen. Deshalb zetert er auch los.„Ihr mit eurer schäbigen Angst, ihr—" Aber der Dicke fährt ihm über das Maul.„Du kannst allein singen, morgen, wenn du nüchtern bist." „Oh, ihr, hupp— ihr versteht mich nicht— hupp— Heimat— hupp." Der Blasse war eben gerührt. „Na," beruhigt der Emil,„ihr könnt ja auch was singen, woran nicht jeder gleich merkt, daß ihr besoffen seid. Dann brauchen sie den da"— dabei deutete er auf mich—„nicht gleich wegen Auf- wiegelung zur Desertion verhasten" „Ich bin nicht besoffen—" will der Blasse wieder losplärren. Aber der Dicke schaut ihn nur strafend an und sagt:„So singt doch mal, na— Am Brunnen vor dem Tore." Allgemeines Gegrunze der Zustimmung. Eine etwas zittrige Stimme mischt sich mit einer dröhnenden— eine gröhlende mit einer klingenden. Seltsam mag es dem fronzöfischen Ohr klingen: Du fändest Ruhe dort, du fändest Ruhe dort. Schweigend füllt der Dicke die Becher „Ich desertier— ich desertier in Alexandria, " flüstert der Blasse. „Das kannst du machen, wenn sie dich für die nächsten fünf Jahr hoben," grient Emil.„Vorläufig wärst du in drei Wochen fertig. Vor vier Iahren sind wir auf der Reede gelegen. Warum bist du nicht geschwommen? Weil du gesunken wärst, wie ein Stein, du besoffenes Huhn, du!" „Na, ist egal," sagt der Dicke„Für Indochina Hab ich nun meine fünf Jahre. Mir nur leid um die Fatma— war ein hübsches Mädel." „Ja, ein hübscher Schneck— das sagen viele—" hetzt der Blasse los. „Schweig!" herrscht ihn der Dicke an.„War nie dabei. Was gehts mich an. Wenn ich kam. war sie mein.— Mein!" schreit er den Blassen an. Und leise sagt er dann:„Sie war— ein hübsches Mädel."
haben Chinin in Mengen, aber das Fieber brach doch aus und holte sich seine Opfer. Es ist unheimlich heiß. In dieser Glut werden selbst die Träume gedörrt, und das menschlich« Hirn wird matt. Im Lazarett liegen die Kranken. Der junge Bauernsohn. Ihm war es zu langweilig im Heimat» dorf. Er wollte weg von der schweren Arbeit, fort von den ab- gezirkelten Feldern, die trotz allem Sich-Abrackerns nicht so viel Er- trag abwarfen, daß man sorgenfrei durchs Leben kam. Er wollt« fort aus dem Dorf, wo einer den andern kennt. Fernweh trieb ihn in den Kolonialdienst. Und jetzt wird sein Blut aufgesogen vom Fieber. Der junge Bauer weiß, daß er dem Tode entgegensiecht. Er hat keine Angst vor dem Tod, aber er hat Angst vor dem Be- grabenwerden. Unaufhörlich denkt er an die kühle Erde daheim. O, wie so frisch und würzig Erde duften kann. Erde, heilige Erde, aus der alles Leben sprießt, nach der alles Leben zurückgeht. Er sehnt sich nach der Erde. Doch werden keine Erdschollen auf feinen Sarg poltern. Seine dürren Finger tasten über seine Bettdecke und verspüren Sand. In den Sand wird seine Leiche kommen. Er stirbt schwer, er hinterläßt Eltern und Freunde und Kameraden, und doch sind seine letzten Gedanken nicht bei ihnen. Ihn packt ein Grauen vor dem Sand, und er schreit den Tod an:„Ich will nicht in den Sand verscharrt werden!" Der Tod greift auch nach dem jungen Seeniann. Er ist der Sohn eines Fischers. Seit frühester Jugend suhr er mit dem Vater hinaus aufs Meer, legte Netze aus und holte sie wieder ein. So primitiv und gefahrvoll, wie man es in dem kleinen Fischerdorf ge- wohnt war. Der junge Seemann kannte nicht die Welt, er kannte nur das Meer, und er dachte, die schwankenden Bootsplanken seien Wohnung und das Meer fei Heimat, bis er Anna Kathrin kennen- lernte. Anna Kathrin haßte das Meer. Es hatte ihr Großvater, Vater und Bruder genommen. Es standen die Schrecken zu vieler Sturmnächte in ihrer Seele. Für sie schien die Sonne immer nur wie durch einen Vorhang von Tränen. Selbst wenn die Wolken wie leichte Boote am klarblauen Himmel segelten, dachte sie immer an die vielen unfreundlichen Monate des Jahres, in denen die dunklen, schweren Wolken gleich unhcildrohenden Raubvögeln über den Dächern der kleinen Häuser des Fischerdorfes liegen. Anna Kathrin wollte zur Ruhe kommen, und darum sehnte sie sich nach einem Häuschen irgendwo landeinwärts. Und der junge Seemann fuhr mit Anna Kathrin an ihrem Verlobungstage in ein kleines, einsames Walddorf. Dort faßten sie sich an die Hände und starrten in den blauen Himmel und staunten beide, wie ruhig die Bäume standen. Sie waren gerade gewachsen und nicht vom Sturm zer- zaust und vom Wind nach der Seite geneigt wie an der See. Diese Ruhe, er wollte sie ihr verschossen, der junge Seemann, und er ging in die Kolonien, die sür so viele der Umweg zum Glück bedeuten. Nun liegt er hier sterbend. Die Nervenkraft ist aufgezehrt. Er weiß, er schafft nichts mehr, weder für sich noch für die Anna Kathrin. Er kämpft' dagegen, aber die Tränen laufen ihm über die Wangen ... Bis ihn jene Ruhe umfängt, die Anna Kathrin sich wünschte. Mit dem Traum von einem stillen Dorf in praller Mittagsfonnenglut geht er ein in das Reich des Todes. Er sieht nicht das Sterben der andern. Er liegt in einem Zimmer allein, er, der jung« Ossizier. Sein Bursche sitzt bei ihm, beruhiat ihn, denn er glaubt, daß der junge Offizier in Fieber- Phantasien tobt. Doch trotz der hämmernden Fieberwellen in seinen Schläfen ist der junge Offizier bei vollem Verstand. Er sehnt sich nach seinem Kinde, nach seinem Kind, das er bislang verleugnete. Es trat für ihn unerwünscht in die Welt. Er verließ die Mutter, verleumdete und verdächtigte sie: denn das Kind war ihm in seiner eigenen Familie ein Hindernis, und seine Familie gebrauchte er zu seiner Karriere. Sein Vetter war auch Ofsizier. Wie leicht hätte die Gunst der reichen Tanten umschlagen können, und der Vetter hätte alle Vorteile genossen. Darum verließ er Kind und Mutter. Jetzt weiß er, daß er stirbt. Sein Leben hat ein Ende, aber sein Kind ist die Fortsetzung seines Lebens, könnte Sinn, könnte Inhalt werden. Wie bald wird er vergessen sein, kein treuer Freund wird um ihn trauern. Seine Eltern werden jammern, weil der Sohn ihnen unerfüllte Hoffnung blieb. Er, er aber schreit nach seinem Kinde. Keiner hört ihn, ein grenzenloses Gesühl der Ein- lamkeit überfällt ihn. niemand will ihn verstehen. Angst schnürt ihm die Kehle zu und mit dem Gedanken:„Jetzt verstößt dein Kind dich", röchelt er in seine Todesstunde hinein. Aus dem Fort schafft man viele, viele, die am Fieber starben. An den Umfassungsmauern des Forts, an denen gleich salzigen Nordseewellen der Sand nagt, geht mit großen, langsamen Schritten ein Beduine vorbei. Dank seines weißen, ihn umhüllenden Mantels rieselt ein kühlender Luftstrom ihm in den Nacken. Der Beduine deutet mit der Hand nach dem Fort und sagt zu seinem Sohn: „A.IIaK Hu akbar"; Gott ist größer, das Klima ist mächtiger als die größte Kolonialmacht.