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Jlf. 293 49. Joftraang 0�* Sreifag, 24. 3ttnl 1932

An fremden �ifchen Plauderei/ Ton Filarie Thereje

Der Globetrotter kommt hereingeschneit in Europa , Asien . Afrika , Australien und Amerika , setzt sich an den Tisch und ißt mit. Gegen bar. Die Gasisreundschast ist tot auf der ganzen Welt. Wirk- liche Gastlichkeit,... wo der Fremde nur an die Tür zu klopfen braucht, an den Tisch gebeten und zu Bett gepackt wird... habe ich einzig und allein noch bei den Südseekannibalen ange- troffen. Wenn auch nur noch ein Stückchen kalter Missionar von vorgestern da ist, es wird mit Herzlichkeit dargereicht. Nachts rückt die Familie ein wenig zusammen und der Gast schläft mit im Haupt- lingsbett. Da sticht ihn keine Feder, aber es beißt ihn ein Floh. Es gibt noch Länder, in denen anstandshalber die Form gewahrt wirdl ein Portugiese wird niemals in Gegenwart eines Frem- den essen, ohne ihm vorher herzlichst und ausdringlichst angeboten zu haben. Aber wehe, wenn der Fremde nimmt!!! Solch ein Schmutzfink!!! Sich auf Kosten anderer durch die Welt zu fressen! In ein portugiesisches Bimmelbähnchen steigt eine portugiesische Bauern- familie ein. Glucksender Portwein wird aus der Flasche getrunken und im Kreise angeboten. Ja, da darf man einmal mitnippen, die Geste wird mit lächelndem Dank für internationale Brüderlichkeit quittiert. Nun kommt eine große Blechbüchse zum Vorschein, eine ehemalige Olivenölbüchse! darinnen Huhn in Maismehlbrei. Der Portugiese hält nichts vom Waschen, aber viel vom Essen. Hühner, Trauben, Oliven und Sardinen wachsen ihm direkt in den Mund. Die Familie zerteilt das Huhn, indem von allen vier Ecken aus jemand an einem Bein und an einem Flügel zieht und dann wird angeboten. Wenn Sie einmal lange Gesichter sehen wollen, greifen Sie zu, nehmen Sie ein Hühnerbein! Nein, es ist nix aus der Welt für nix. Man bekommt in Neu- s e e l a n d oder in Neufundland ein Mittagessen auch nicht billiger als in Berlin . Ueberall auf der Welt ist es gleich schwer an die Futterkrippe zu kommen. Nur der Speisezettel ändert sich ein wenig und die Gesellschaft. Es sei denn Menue und Gesellschast der internationalen Luxus-Hotels und Dampfer. Da ist alles, olles immer wieder dasselbe in Grün. Besonders die Konversation. Süßgelächelte, gezuckerte, traditionelle Phrase. Ob nun im Speise- saal des Zep, im Wüstenlager-Hotel oder im Grand... es ist dasselbe. Es hängt einem zum Halse heraus, man möchte ein paar Revolutionen hineinkrachen lassen in dies verlegene Gelächel, man möchte eine Feuerspritze losspritzcn gegen die ganze Gesellschaft, man möchte etwas sagen, daß sie alle glatt unter den Tisch fallen! Am langweiligsten sind vornehme Engländer. Ganz vornehme Engländer reden überhaupt nicht. Am liebsten hätten sie hinter ihrem Stuhl einen Lakaien stehen, der ihnen ab und zu den Mund auf- und zuklappt, um der Höflichkeitspslicht zu genügen. Und wo die Maske fällt, wo die Leute reden wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, wo sie ihren kleinen Aerger und ihre klein« Wut herausschreien in die Welt und ihr kleines Wollen undWun- dern, da sieht man, daß die Menschen aus der ganzen Welt dieselben sind, daß die Menschen überall auf der Welt nur um chre eigenen kleinen Begehrlichkeiten rotieren. Wovon, glauben Sie, spricht jetzt gerade Mrs. Lenay beim Mittagessen- aus ihrer australischen Farm? Daß Billys StieselsohUu nur 4 Wochen gehalten haben und daß ihr Boarder, Mr. Tycen, doch immer wieder die Zigaretten- asche auf den Boden wirft. Und Mr. Tycen findet, daß es nun schon sehr lange sehr heiß war. Und Mrs. Leany meint, daß sie morgen einmal dieEar" haben will, sie kann sie doch nie, aber auch nie einmal haben, wenn sie schon einmal wo hin will. Ob in Australien oder Togoland, ob in Aegypten oder Alaska , Immer ist überall Alltag. Es gibt keinDraußen in der großen Welt", immer ist die Welt nur ein winzig kleines Fleckchen, auf dem man gerade steht bzw. sitzt. Bei Mrs. Hughes, in ihrem epheu- umkrabbelten herrlichen Haus in West che st er Eounty, dem Billendistrikt bei New Park, dort oben am Hudson, gibt es heute abend als Borspeise Maiskolben. Di« amerikanische Nationalspeise. Die ganze große weite Welt mit all ihrem Weh und Ach und Krach verschwindet vor dieser Tatsache: Maiskolben. Ob sie weich genug sind heute abend oder ob man sie hätte körniger sein lassen sollen? Und daß der Hun-d keine Hühnerknochen bekommen soll, sagt Mrs. Hughes, sie bleiben ihm im Halse stecken. Wer ihm wohl wieder die Hühnerknochen gegeben hat? Ueberhaupt bringt er sie immer herein auf den Teppich. Draußen rasen die Autos auf der geölten, gebohnerten Pracht- stroße wohin rasen sie? In winzig abgesteckte Milieuchen, wo alle Tage Alltag ist, wo man an allen Tischen Alltag spricht. Ja. das ist es, was der Globetrotter voraus hat vor allen anderen Menschen, er sammelt in der Erinnerung die tausenderlei von Bildchen vom Alltag zum buntesten Mosaik. Und wenn er an fremden Tischen im fremden Alltag sitzt und etwas Schönes sehen will, so sieht er heimlich tief in sich selbst hinein. In oll die Buntheit. Aus dem Alltag der anderen macht er Sonntag. Hier«in kleiner Ausschnitt aus meinem Mosaik. Eine kleine lebenswahre Photographie. Wie sammeln sich die Menschen? Wen setzt der Zufall an einen Tisch? Zum Beispiel um einen Pensions- tisch auf den Kanarischen Inseln, mitten im Atlantischen Ozean ? Das war damals wirklich eine bunte Gesellschaft. Eine deutsche Pension, lauter Deutsche. Ein Haus am Meer. Rechts und links die langgestreckte Küste und in der Mitte, unmittelbar aus dem Meer heraus steigt die beschneite Spitze des Vulkans der Nachbarinsel. Hinter uns ein Bananengarten, in uns, mitten in der Halle unseres Hotels, Palmen, die direkt aus der Erde durch die unbedachte Halle in die Höhe wachsen und aus denen einig« Papa- geien und heimische, hier spatzengraue Kanarienvögel henimklettern. So weit also ganz nett. Nur an den Menschen liegt es, wenn hier kein Paradies ist. Wir sitzen alle»m einen großen Tisch und essen deutsche Eier- kuchen. Ilm dieser Eierkuchen willen sind wir alle hier. Flucht vor der spanischen Oelküche. Was hält die Deutschen draußen in der weiten Welt zusammen? Nicht das Herz, nur der Magen. Mit dem Herzen war jeder bei einer anderen Sache. Besonders der P a st o r. Wie kommt heutzutage ein evangelischer Pastor auf die Kanarischen Inseln und wo kriegt er das Geld her, um sich all die schönen Hand-

gestickten Tisch- und Bettdecken zu kaufen... 100 Mark, 200 Mark, 300 Mark??? Er kam von Urugay, führ nach Berlin , und bummelte so zwischendurch ein bißchen in Atlantiks herum. Alle lieben Mit- menschen hier um den Tasch herum waren sich klar, daß hier ein« ganz große Schiebung vorlag. Wer zahlt das? Die deutsche pro- testantische Kirchensynode... oder wie heißt das Ding... wurde gefragt. Er macht ein« Propagandareise für Deutschland und hält Borträge unter Deutschen . Gratis. Aus irgendeiner deutschen Kasse springt das Geld. Wir waren alle, auch offiziell, in der deutschen Schule ver- sammelt, um zuzuhören. Ehrlich gesogt, was der Pastor da redete, war ein großer Stiebel. Hindenburg hat mich persönlich geschickt, sagte der Pastor...(Schade, daß ich da nicht einmal in der Wil - Helmstraße nachfragen und meinen persönlichen Bericht erstatten darf.) Aber er hat es nicht leicht, der Herr Pastor, so klagt er. Dies ist nur ein Beispiel wieso: er ging zum deutschen Uhrmacher hier auf der Insel, einem jungen Nachkmgsdeutschen, der hier sein Glück versucht.Man braucht auch einmal eine An- spräche zum Herzen"... sagt« der Pfarrer mit Salbe, als er in den Laden trat, wo der Junge in einer Uhr herumstocherte. Die Antwort:l. m. a., laß mich arbeiten". Herr Kemp aus Hamburg , der hier auf den Inseln deutsches Zahnpulver und allerhand andere deutsche Reinigungsmittel verkauft und tatsächlich damit verdient, fand das großartig. Er war über- Haupt bester Laune, denn mit dem nächsten Dampfer importierte er sich eine deutsche Braut. Ein bißchen verschnupft fühlte sich ein ganz altes deutsches Ehepaar, er 80, sie 70. Ein fabelhaftes Ehepaar. Wert jeder Titelseite jeder Illustrierten. Kleine deutsche Arbeiter aus Chemnitz : sie haben eine kleine Rente aus der Arbeit eines Lebens. Wenn sie zu Hause sind, sparen sie und sparen sie und jedes Jahr machen sie eine schöne weite Reise in die Länder ihrer Iugendträume. Tatsächlich sind sie alleine mit einem Führer auf Mauleseln hinauf geritten zum Krater des Vulkans, hinauf bis in Schneehöhe. Ihre Gesichter sind voll lochender Krähen- süße!!!

Ja, damals hatten wir wirklich seltsame Leute in unserer Pension. Da war R o m e r, der junge Deutsche, der in einer Nuß- schale ganz allein von Europa nach Amerika fahren wollte. Hier diese Insel war seine einzige Zwtschenlandungsmöglichkeit. Hier war er, um«in wenig auszuschnaufen von der bisherigen Anstrengung. Ein Mensch muß ein Schwein sein, sowas zu unternehmen", sagte der Pfarrer,es ist eine Versündigung gegen den eigenen Körper."Nehmen Sie nichts Lebendiges mit in den sicheren Tod, sonst straft Sie Gott ", sagte er zu Romer, während er sich den Eier- kuchen zerschnitt und das Apfelmus mit der Gabel vom Messer abstrich. Nehmen Sie meinen Moritzel mit", sagte ich zu Romer und schenkte ihm meinen Bleistift, an dessen Ende ein kleiner lustiger Kopf sitzt, den man hin- und herbewegen kann." Solche Dinge sind ein großer Trost", sagte Romer,auf d«r Fahrt von Lissabon bis hierher hat mir eigentlich ein Vögel- chen dos Leben gerettet. Zwei Tage lang hatte ich schon nichts mehr gegessen, ich konnte bei dem Wetter nicht an meinen Proviant heran, meine Haut war von Salzkrusten und Sonne zerbissen, meine Beine waren wie abgestorben ich kann nur ausstehen in meinem Boot, zum Gehen ist kein Platz, aber um meine Uebungen zu machen, hätte ich mich losschnallen müssen, und das konnte Ich bei dem Wetter nicht. Ich hatte auch kaum mehr die Kraft dazu. Da kam das Vögelchen zu mir an Bord geflattert, vom Lande ab- getrieben, ebenso hungrig, ebenso erschöpft wie ich. Ich stecke es unter meine Jacke und fühle sein Herzchen klopfen. Verlassen auf dem weiten, weiten Meer klopfte ein Vogelherzchen gegen mein». Ich mußte für Futter sorgen. Das war meine Rettung. Am Morgen war das Vögelchen tot. Da habe ich geweint." In einer ganz stillen Mondnacht paddelte Ramer in seinem Schälchen hinaus ins weite Meer hinüber nach Amerika . Er ist bis Kuba gekommen, er hat die Wette gewonnen: auf dem Weg« zur Triumphfeier nach New Dork ist er dann in den Küstenstürmen um- gekommen. So wie der Wind uns zusammengeweht hatte, so wehte er uns wieder auseinander. Da saßen wir beisammen um die Eierkuchen. Nach ein paar Wochen ging der Pfarrer über die Wilhelmstraß«, landete ich in New York , in Ellis-Island schlief der Zahnputzsritze mit seiner Braut, holte sich das alte Ehepaar in Chemnitz seine Rente und trieb Romers Leiche auf dem Ozean. Jeder lag wie er sich gebettet hatte. Wir Tischgenossen, wie sie der deutsche Eierkuchen draußen in der Welt zirsammensügt.

3)er andere QefichtspunM AuseinanderfetSBung mit Erik Sieger/ Ton 111. Andler

ImBerliner Tageblatt" macht Erik Reger (der Autor eines vielvermerkten Jndustrieromans) in einem AufsatzD i e Hundertjährigen" gegen alle jene Front, die sich auf dem Gebiet der Literatur, ohne dort zu Hause zu sein, hervortun wollen. Neben dem Schriftsteller in Not der Schrift st eller aus N o t" heißt es dort,hier ist einer der Fälle, wo Weichheit, Härte, Güte Grausamkeit ist".(Nebenbei: stört ihn, derBeherrschung des Handwerks" undPünktlichkeit und Genauigkeit" fordert, das unbeholfene zweiteist" nicht?Wird" oderwäre" müßte es heißen. Solche Fahrlässigkeit wäre wohl einemAußenseiter der Literatur" nachzusehen, nicht aber einem so strengen Richter und Fachmann.) Nein, es ist nicht so, wie er es darstellt: es streben nichtalle vagabundierenden Elemente dem Hafen der Literatur zu": weder sind die vielen, ehrliche Arbeit suchenden Brotlosen als Vagabunden anzusprechen, noch streben sie alle der Literatur zu. Daß sie in so großer Zahl aufs hohe Meer geraten und in ihren leichten Kähnen der Gefahr dieser Sturmzeit preisgegeben sind, ist nicht ihre Schuld: es fehlte noch, daß man, statt zu helfen und zu retten, alle Häfen unbedingt und erbarmungslos sperrte: kein Ruhmestitel wäre es, solche Sperre angeregt zu haben. Und daß die Literatur und die Künste überhaupt besondere Freihäsen sind, daran läßt sich, zum Trost der Rettungsuchenden, nun einmal nichts ändern. Da ist ein anderer Freihafen: die Musik. Um ein wenig Geld zu verdienen, ziehen viele Leute, die an eine solche Art des Erwerbs nie gedacht hätten, singend und spielend von Haus zu Haus. Es ist ihnen zu gönnen, wenn sie nicht vergeblich an den Musiksinn und das Mitleid ihrer Mitbürger appellieren. Aber nach dem in der Literatur gegebenen Beispiel werden wohl bald die zünftigen Musiker ein Einschreiten verlangen oder selbst einschreiten gegen jene, die, ohne eine Musikhochschule absolviert zu haben, auf der Straßeunlautere" Konkurrenz treiben. Und wie steht es nun gar in der M a l e r e i? In jeder großen Stadt gibt es heute viel zu viel Maler. Denn niemand kauft Bilder, es sei denn solche, die als gute Kapitalanlage gelten, also hauptsächliche Bilder toter Maler. Den Lebenden aber zeigen die früheren Freunde ihrer Kunst ihre vollgehängten Wände und im ganzen ist ja, da so viele Wohnungen leer stehen, dieHängefläche" statt größer kleiner geworden. Was nützt es den Malern, daß sie zünftig und brave Hüter der Gildenheiligkeit sind, daß sie«ine Jury haben, die den Dilettantismus fernhallen soll? In Wirklichkeit sind die Grenzen zwischen Kunst und Dilettantis- mus in der Malerei erst recht verwischt: gibt es doch Kritiker und auch Maler!, denen technisches Können an und für sich schon verdächtig erscheint und die den Primitivismus in jedem Bettacht fördern und fordern. So leben denn in ihren Gilden die Könner und die Pfuscher friedlich beieinander. Friedlich und eingefriedet. Schützt aber das ihre zünftige Arbeit? In Paris gab es vor kurzem einenSalon der A e r z t e"; das heißt: die Aerzte hatten eine Ausstellung, eine Kunstausstellung veranstaltet! Und der Präsident der Republik, in Person, eröffnete sie feierlich!... Die Maler nahmen es ohne Widerspruch hin, muhten es hinnehmen, denn die Kunst ist nun einmal frei. Das sollte jedes Schaffensfeld sein. Weih man doch, daß Autodidakten in jedem Berufszweige zu Leistungen gelangen, die denen der fachlich Geschulten ebenbürttg sind. Als Adolf Menzel

nach seinen ersten Anfängen in der Kunstakademie um ein Stipendium ersuchte, wurde ihm bedeutet, Stipendien bekämen nur begabte Schüler. Er verließ die Akademie und bildete sich allein weiter, viel weiter als alle seine Kameraden. Und wie oft kommt es nicht vor, daß ein zum Künstler Geborener entweder in einer kunstfremden Umgebung aufwächst oder in einem Kunstbezirke, der seiner Begabung fremd ist, die ersten Schritte wagt. Baudelaire schrieb in sein Tagebuch:Ich hatte Talent, weil ich Muße hatte." Nun eben: wenn einer arbeitslos wird, h a t er Muße und ent- deckt sein Talent, findet sich selbst, woran ihn eine seinem Wesen nicht gemäße Tätigkeit bisher gehindert hatte. Gottfried Keller , einer der größten deutschen Stilisten, war bekanntlich in seiner Jugend Maler. Seinem Brotberuf nach war er nie Schrift- steller. Und den Eiferern gegen Liebhaberschrifttum sei vor Augen gehalten, daß die meisten berühmten Dichter der klassischen Zeit nicht vornehmlich von ihren Schriften lebten, also im Grunde keine Berufsschriftsteller waren. Aber mancher Federfuchser unserer Zeit möchte den Berg Parnaß mit Stacheldraht umzäunen und dann auch noch durch Unterabteilungen dafür sorgen, daß die Dramatiker nur ja kein« Romane schrieben, die Romanschreiber keine lyrischen Ge- dichte, die Lyriker keine Kritiken usf. Auch die Unterzünfte müssen heilig sein: und daß nur ja kein Unberufener eindringe! Wer ist nun berufen und wer nicht? Dünkel und Vermessen- heit, das feststellen zu wollen! Bekannt sind, auf jedem Kunstgebiet, die Fälle von Verkennung höchster Begabungen durch Berufs- genossen, deren Urteil und Klarblick sonst über allen Zweifel erhoben erscheinen. So hat Goethe Kleists Genie nicht erkannt: Zwar hat er in verstümmelter Gestalt denZerbrochenen Krug " auf die Bühne gebracht, aber im ganzen doch den größten deutschen Dramatiker ablehnend behandelt. Doch wer fiir berufliche Abgrenzung schwärmt, bettachte darauf- hin eben Goethe. Worauf beruht seine überragende Größe? Darauf, daß er nicht nur Schriftsteller war, sondern auf vielen Ge- bieten heimisch und mit Leidenschaft tätig: und daß die Dichtkunst eigentlich nur dem Ausdruck seiner Universalität diente. Nur die entschiedenste Vermengung aller Wissenschaften und Künste konnte eine so umfassende Erscheinung zeitigen. Es leuchtet ein, daß sich fachliche Beschränkung in der Literatur nur als B e- s ch r ä n k t h e i t auswirken müßte, als Verengung des Horizonts, dessen Weite und Unbegrenztheit eben den Schriftsteller kennzeichnet. Wessen Seele zum Spiegel taugt, ist berechtigt, das empfangene Licht zurück und in die Welt zu strahlen: das ist das Entscheidende, nicht aber die handwerkliche Geschicklichkeit des Schreibenkönnens. Es gibt Schriftsteller, denen die Sprache vollkommen zu Gebote steht, aber ihr Erleben ist zu arm; und es gibt, im Gegensatz zu ihnen, Menschen, die in den gewöhnlichsten Berufen äußerlich und innerlich viel erleben, ohne es zu Papier zu bringen. Erwacht in diesen, durch äußeren Antrieb, die Lust des Gestaltens, zu der sich oft auch die Fähigkeit gesellt, so schaffen sie interessantere, wert- vollere Werke als jene anderen vom Fach. Dieser äußere Antrieb braucht nicht gerade Not zu sein, ist es aber doch in den meisten Fällen. Erinnert sei an Balzac , der, tief in Schulden geratxn, sein gigantisches Lebenswerk schuf, um wieder flott zu werden. Eines der ersten Bücher Hamsuns warHunger". Der Held ist ein Schriftsteller. In Not: oder aus Not. O das ist unwesentlich: ich sehe da keinen Unterschied, ob einer als Schriftsteller in Not geraten ist oder ob er, weil er in einem anderen Beruf Schiffbruch

MTfc.», j JB ri r» m.- S.W- a m i Marken für 0.15, 0.50, 1-, 5.- und 10- M. sind B f l« den Abfeilunden und Im Bezlrkssekrefarlal SM lillSI 11119 ft 1 S*llBlsU9 Vif 11*1»(Kasse), SW. 68, LlndenslraOe 3, 2. Hof, 2 Treppen zu haben. PosfsdieffiHonlo 141 57(Adolf Holz).