Friedrich IVeigeU/ Schulgefchichien: IMißverSiehen
Die Schule ist aus. Auf den Fluren beginnt lautes Rufen, Laufen, Toben. Plötzlich hört man erregtes Schreien und Weinen. Der Lehrer tritt aus dem Klassenzimmer um nachzusehen, was passiert ist. Im Kreise einiger Mädel steht die Reifste seiner Klasse und weint, während die anderen drohend und schimpfend gegen eine chorde Jungen anschreien, die am Ende des Flures lachende Necke- reien entgegenrufen. Einer von ihnen, ein Junge von 14 Iahren. steht etwas niedergeschlagen zur Seite und bringt seinen Anzug in Ordnung. „Was ist denn hier los?" „Der Gerhard hat der Else den Mantel weggenommen und sie dann oerhauen, als sie ihn wiederhaben wollte!" erklärt rasch eins der Mädel. Die Jungen haben sich währenddessen davongemacht, und nur Gerhard, der abseits stehende Sünder, bleibt, um seine Tat zu verteidigen, wie es scheint. Der Lehrer ruft die beiden Beteiligten, Else und Gerhard, ins Klassenzimmer. „Erzähle doch einmal den Vorgang", fragt er, zur Else gewandt. Erst zögert sie. Einen raschen Seitenblick wirst sie auf Gerhard, der mit niedergeschlagenen Augen dasteht und innerlich kämpft, dann holt sie tief Atem und in halb entschuldigendem Tone spricht sie: „Ich kam aus der Tür und wollte meinen Mantel nehmen, da riß ihn Gerhard vom Haken und stürmte davon. Wie ich ihm nachjage und den Mantel von hinten erfasse, dreht er sich um und schlug mir ein« Ohrfeige." „Stimmt das? Der Lehrer richtet einen fragenden Blick auf Gerhard. Der zuckt mit den Schultern, ohne daß man erkennen kann, was er damit meint. Etwas würgt ihm in der Kehle. Er wirst scheue Blicke auf Else, al« fürchte er sich, etwas zu verraten.
„Geh nach Hause, Else, ich sag« dir morgen, was ich in der Sache tun werde", sagt der Lehrer zur Else, als er eine Weile den Gerhard beobachtet hatte. Als die Else weggegangen ist, legt der Lehrer seine Hand auf Gerhards Schulter, schaut ihn sehr nachdenklich an und spricht, ohne einen Vorwurf in der Stimme:„Erkläre mir das, Gerhard." Der steht voll innerer Erregung da, er würgt und stößt snd- lich heraus:„Ich wollte sie ja gar nicht schlagen!" „Was wolltest du denn?" „--- Sie ärgern--!" „Warum denn ärgern?" „Weil die andern mich immer mit ihr necken." Schließlich schält sich folgender Tatbestand heraus: Gerhard und Else sind Nachbarkinder. Sie spielen zusammen, gehen gemeinsam zur Schule und nach Hause und er half ihr oft den Mantel an- ziehen. Darüber neckten ihn die anderen Jungen, nannten ihn Bräutigam(bei Kindern ein Schimpfname) und ulkten ihn als Kavalier an. Nun gilt es bei Knaben gewöhnlich als Vorzug, recht wenig galant aber um so mehr burschikos und unflätig zu sein. Um den Beweis seiner„Jungenhastigkeit" zu erbringen, hatte Ger- hard der Else den Mantel genommen. Er wollte aber nur erreichen, daß sie ihm folgte, bis ihn die anderen nicht mehr sahen, um ihr nachher wieder zu helfen. Dadurch, daß sie ihm den Mantel entriß, zerstörte sie seinen schönen Plan und versetzte ihn in ungeheure Er- regung. Die andern lachten ihn aus, fein Liebesbeweis wurde von Else nicht begriffen, und in dieser Erregung rutschte ihm die Hand aus, wodurch er sich bei den Jungen der Klasse rehabilitierte. Eine Unterredung des Lehrers mit Else am folgenden Tage stellte zwischen dieser und Gerhard das alte Verhältnis wieder her.
Mörders treibt und am Ende aus Selbstenttäuschung in den Tod geht— wenn ein Bantbeamter sich in ein Mischlingsmädchen ver- liebt, sie heiratet, chre Seele nicht fängt, ihre Liebe verliert und sich am End« von Steinen an den Füßen ins Wasser ziehen läßt— wenn ein Kranker sein Leben aus der glücklichen Insel beschließen will, gesundet, jahrzehntelang im ausblühenden Lebensgefühl um die Liebe einer von einem Matrosen verlassenen Eingedornen ver- geblich ringt, in seiner Erfolglosigkeit und gleichzeitigen Bewunde- rung der Frau sich von deren ersten Gatten das Idealbild eines Menschen macht und schließlich aus einen ungeschlachtend, ver- schlampten, widerlichen Seemann stößt, um dessentwillen die ahnungslose Frau ihn sich die ganzen Jahre hindurch in vergeblicher Liebe oerzehren ließ— oder wenn ein Mlssionor, der ausgezogen ist, durch bewußte drakonische Hartherzigkeit die eigene seelische und geistig« Armut den Eingedornen auszuzwingen, bei dem ungesuchten Bekehrungsversuch an einer Frau aus dem Dirnenviertcl von Honolulu durch seine erwachte Sinnlichkeit Schifsbruch erleidet... so sind das keine südseeischen Schicksale, sondern europäisch mensch- iiche, unromantische. Es gibt wahrscheinlich gar keine Südsee, zu- mindest für diejenigen, die mit der Reisefahrkarte dorthin gelangen. Die Natur, die Zauber der Landschaft hätten«inen mildernden Aus- gleich in den Novellen schaffen können. In ihnen gibt es keine die Menschen aufnehmende und ausgleichende Landschaft: die Dramen sind vom Standpunkt des Opfers, des Zioilisationsmenschen, geschrieben, über dessen Leben das Damoklesschwert der künstlerischen Konsequenz schwebt. Ueberhaupt: der Konsequenz. Man liest das Buch nicht in einem Zuge durch, sondern Novelle für Novelle: denn jeder ihrer Abschlüsse ist hart, endgültig. Srich Qrifar: Winder vor der Wamera Eines Tages fand ich«inen Straßenjungen, dem man ansah, daß er sich seit mindestens acht Stunden ohne Aufsicht auf der Straße herumtrieb und da er auch eine Mutter hatt«, die nicht jedesmal, wenn der Junge sich einen neuen Winkelhaken in seinen Anzug gerissen, die Nähnadel in die Hand nahm, um zuzunähen, was doch Minuten daraus wieder entzwei war, glaubte ich ein ideale» Objekt für meine Kamera gefunden zu haben. Aber statt den Jungen einfach zu knipsen, stagte ich ihn, ob er sich photogra- phieren lassen wollte. Er hatt« nicht» dagegen, aber als ich meinen Apparat glücklich eingestellt hatt« und mich im Geiste schon über dos schöne Bild freute, das ich an diesem Tg« nach Hause bringen würde, lief der Junge weg. „He, Junge, wo willst du denn hin?" rief ich hinter ihm her. „Ich will nach Hause, mich waschen und ein andern Anzug an- ziehen!" Aus war es mit der schönen Aufnahme, denn bis ich dem Jun- gen klargemacht, daß ich ihn so- photographieren wollte, wie ich ihn gefunden und daß auch die Glockenseile, die ihm aus den Nasen- löchern baumelten, mit auf das Bild sollten, war es bereits so dunkel, daß ich beim besten Willen keine Aufnahme mehr machen konnte. Später war ich klug genug, die Kinder nicht erst zu fragen, ob sie geknipst sein wollen, aber auch dann liefen sie weg.„Unsa Mutta wills nich haben," bekam ich mehr als einmal zur Antwort, wenn so«in Knirps, den ich schon auf der Platte zu haben glaubte, plötzlich wie der Teufel losrannte. Einmal bin ich mit so einem Knirps zu seiner Mutter gegangen und erfuhr dann, daß häufig Photographen kommen, die die Kinder photographieren und nachher die Eltern belästigen, sie möchten ihnen ein Bild abkaufen.„Aber ganz im Gegenteil," sagte ich zu der Frau.„Ich schenk« Ihnen einen Abzug und der Junge kann gern noch ein paar Groschen dazu be- kommen, wenn ich ihn photographieren darf." Da hatte die Mutter nichts mehr«inzuwenden, aber in oeni Viertel, wo mir das passiert ist, darf ich mich nicht mehr sehen lassen, denn sowie man mich hier erblickt, stürzen gleich ganze Legionen von Kindern auf mich zu und brüllen mir ihren Schlachtruf:„Onkel, photographier mich!" in die Ohren. Aber es gibt auch Kinder, die die Lust, gute Ratschläge zu er- teilen, in die Näh« des Photographen treibt. Bon dieser Sorte meinte mal einer zu mir:„Onkel, ich weiß ein schönes Bild, das photographieren immer alle." Es war schwer, im klarzumachen, daß ich«in Bild suchte,„was nich immer alle photographieren". Auch Kritiker gibt es. Als ich einmal ein altes Haus photo- graphierte, dessen Abbruch lokales Interesse hatte, meinte ein Junge zu mir:„Das gibt ober kein schönes Bild. Da macht mein Bruder aber schönere." Da mochte er ja wohl recht haben, aber in diesem Falle kam es wirklich nicht daraus an, ein schönes Bild zu machen. Man soll die Kinoer nie fortjagen. Es gelingt doch nicht. In London -East Hab« ich einmal zwei Jungen, die sich an meine Per- son geheftet hatten, wegzujagen versucht, aber ich konnte anstellen, was ich wollte, immer wenn ich knipsen wollte, standen sie mir wieder im Wege. Ich wurde wütend, aber ich sah bald ein, daß Wut nichts nützte und in diesem Viertel auch nicht angebracht war, denn ich hätte nicht nach meiner Mutter rufen können, wenn einer der Jungen plötzlich mit seinem großen Bruder angerückt wäre. So machte ich denn gute Miene zum bösen Spiel und freundete mich mit den Jungen an. Ich versuchte sie für meine Motive zu inter - essieren und das gelang mir so gut, daß die Jungen mich schließlich auf eine Menge Ding« aufmerksam machten, die ich ohne sie gewiß nie gesunden hätte. In Limehouse jedoch, wo ich ein paar Chinesenjungen, die friedlich im Rinnstein spielten, auf meine Platte bringen wollte, hatte ich weniger Glück, denn ehe ich meinen Apparat zücken konnte, kamen schon die Mütter herbeigestürzt und rissen die Kinder ins Haus,©ie hatten Angst, ihren Kindern würde was passieren Das war reiner Aberglaube, aber ich tat gut daran, mich so schnell wie möglich zu verdrücken, denn bis an die Grenz« des Chinesenviertels verfolgt« mich dos Kreischen uno Schreien der Chinesenweiber, in das schließlich auch noch ein paar Negerfrauen einstimmten. Unangenehmer war ein Zwifchenfoll, den ich in Warschau mit Kindern hatte. Ein kleiner Zeitungsjunge hotte es mir angetan. Leider stand er so unglücklich im Schatten, daß ich, um ihn gut auf die Platte zu bringen, warten mußte, bis er in die Sonne trat. Da konnte ich lange warten. Schließlich verlor ich die Geduld und bot den Jungen, in die Sonne zu treten.?lber ehe der Junge ver- stand, was ich von ihm wollte, halten sich«in paar andere Zei- tungsjungen, die in der Nähe standen, eingefunden. Sie begriffen schneller, wo» ich wollte und bauten sich in Reih und Glied vor mir auf. Mit der Aufnahme war es nun nichts und so ging ich denn weiter, ohne den Jungen geknipst zu haben. Doch ich hatt« die Rechnung ohne die Jungen gemacht, die sich enttäuscht an mein« Persen hefteten. An jeder Straßenecke wurden es mehr. Ich lief, ober auch die Jungen liefen. Schließ- lich betrat ich«inen Laden. Ich hoffte, wenn ich herauskäme, wür- den die Kinder fort sein, aber ihre Zahl hotte nur noch zugenom- men. Schließlich sprang ich auf einen fahrenden Straßenbahnwagen und entkam. Zum Gsück hatten die Leute, zu denen ich unter so dramatischen Umstanden in'die Straßenbahn stieg, Kästners Emil und die Dstsk- tioe noch nicht gelesen, sonst hätte es passieren können, daß ich. statt selbst ein« Aufnahme zu machen, in das Register der War- schauer Polizei aufgenommen worden wäre.
SeanStameau: 3)ie Qefchichie eines Straßenraubes
Michel war wochenlang durch ganz Paris gelaufen, um Arbeit zu suchen, aber er fand keine. „Ich gebe es auf", sagt« er sich endlich,„und wenn man mir nichts geben will, werde ich einfach nehmen." Und er beschloh zum ersten Male in seinem Leben irgendeiner alten Frau die Handtasche zu stehlen, sie zu ermorden, falls es er- forderlich sein sollte. Er hätte zwar gern etwas Größeres unter- nommen, in einem Hotel einzubrechen, den Geldschrank eines Bankiers oder Juweliers zu öffnen. Aber dazu mußte man wenigstens zu zweit sein, und er war allein, bejammernswert allein. Cr gehört« keiner Bande an, hatte nicht einmal ein Auto wie die großen Leiter nächtlicher Unternehmungen. Er besaß nur einen Schundreoolver, den er auf einem Flohmarkt gekauft hatte, und der unter seiner eigenen Nase losgehen konnte, wenn er Glück hatte. Aber schließlich muß man ja mit allen Dingen klein anfangen. Zu- nächst würde er einmal die Tasche stibitzen, die großen Sachen würden dann später an die Reihe kommen. Michel war ein junger Bursche von achtzehn Iahren, klein, schmächtig, stolz. Er war gerade mit der Gewerbeschule fertigge- worden, hatte davon geträumt, bei einem Großindustriellen ein« Stellung zu bekommen und auf ehrliche Weise sein Glück zu machen. Aber wenn das möglich war? Wenn man Hunger hat, keine Kleidungsstücke mehr besitzt, wenn es an allem mangelt, was zur Jugend gehört: Geld. Glück, Feste... Er suchte sich eine geeignete Straße und wartete: kurz nach Mitternacht war es noch ziemlich belebt. Aber bald zweifellos... Und beim Warten kamen ihm höchst ungelegene Erinnerungen: er dachte an seine Heimat, seine Eltern, brave Arbeiter, die um diese Zeit längst schliefen, und die nicht ahnten, daß Michel in diesem Augenblick eine abscheuliche Tat vorhatte. Er seufzte und fegte diese Träumereien mit einem Schlage hinweg. Wenn er Gefahr lief zu krepieren, ob seine Mutter es ertragen hätte, ihn betteln zu sehen, in diesem Alter?. In einem Winkel stand er nervös, und als es vom Kirchturm halb eins schlug, sah er ein altes Frauchen— mit Tasche versehen— herantrippeln. Er sprang aus seiner Ecke hervor, den Revolver in der rechten Hand:„Geld oder ich schieße!"... Die Frau erschrak: „Großer Gott, mein Geld? Ich habe gar nichts, mein Junge! Wenn ich etwas hätte, würde ich es dir geben, aber ich bin arm." Und ganz weiß vor Angst wich sie immer weiter zurück. „Sie werden mich nicht töten, denke ich. ich habe doch nur fünf Franken bei mir, höchstens." Michel zögerte. Ihr Dialekt verwirrte ihn, es war die Sprache seiner Mutter und Schwestern, sie war eine Landsmännin. „Nein", sagte er leise,„ich werde Sie nicht töten." „Es war also nur ein Scherz?" „Ja. nur ein Scherz." Und er setzte im reinsten gascogner Dialekt hinzu:„Wir müssen doch aus der gleichen Gegend stammen, gute Frau!" „Großer Gott", rief sie aus,„wir sind aus dem gleichen Land, aus Bayonne . Pau, Dax , woher sind Sie?" Er steckte den Revolver in die Tasche. „Ja, ich bin von dort her", erwiderte er,„haben Sie keine Angst, wo wohnen Sie. ich werde Sie begleiten, Sie könnten sonst am Ende belästigt werden." Er ging neben ihr her, folgte ihr mit kleinen Schritten, sprach van der Gascogne und rief Erinnerungen wach. Und jedes Wort dieser Sprache, die er als erste gesprochen hatte, wirkte auf ibn wie «ine Teufelsbeschwörung, und all' feine schwarzen Gedanken ver- flogen. Die Wort« ließen in ihm das süße Echo seiner Kindheit wieder erklingen... und in feiner düsteren Seele begann es sich seltsam zu regen. Er näherte sich ihr. fast hätte er ihr feinen Arm angeboten. Aber die gute Frau zitterte«in wenig, als er näher kam... Zum Teufel, er war ein Strolch, der ihr Geld nehmen wollte und ihr den Revolver unter die Nase gepflanzt hatte... Sie äugte bald nach rechts, bald nach links, in der Hoffnung,«inen Polizisten zu er- spähen... Michel aber— eingewiegt in den vertrauten Klang seiner heimatlichen Sprache— merkte nichts von ihrem Mißtrauen. Er ging friedlich, sichtlich aufgeheitert, fast glücklich neben ihr. Doch plötzlich bemerkte er zusammenfahrend auf fünfzig Schritt Ent- fernung das verdächtige Licht der Laterne eine? Polizeireviers. Er wich zurück: „Weibsbild, du", schalt er, ,chu wolltest mich also verhaften lassen, was? Scher dich zum Teufel, oder du kannst etwas erleben! Mit oder ohne Dialekt... Und du hättest mich vielleicht retten können... So eine Gemeinheit!"
Und Michel lief weg in ein einsames Gäßchen. Die Frau sah ihm erschreckt nach und murmelte:„Vielleicht hat er Recht gehabt, der kleine Bursche hätte wieder anständig werden können, wenn ich länger mit ihm gesprochen hätte. Das war sicher sein erster Streich, was wird er jetzt tun? Was wird er tun?" „Halloh, halloh!" rief sie mit schwacher Stimme in der Richtung der kleinen Straße, in der er verschwunden war.„Wo sind Sie? Hallohl Kommen Sie zurück!" Sie machte sich bereits Vorwürfe, daß sie ihn zur Polizei bringen wollte, um ihn loszuwerden. Sie hatte da« Gefühl,«ine entgleiste Seele in Händen gehalten zu haben, die sich sowohl zum Guten wie zum Schlechten hätte wenden können. Und sie hatte Schuld, wenn vielleicht schon heute Nacht... Sie rief noch einmal in die Finsternis hinein, aber kein« Stimme antwortete, kein Mensch erschien. Alles war schwarz, still, entsetzlich geheimnisvoll. Plötzlich kam von fern her ein gellender Schrei, der Schrei einer Frau...„Hilfe!"...„Hilfe!"... Erschreckt schlug die Aste das Zeichen des Kreuzes und floh selbst wie eine Mitschuldige. Bsreditjzre L>b«rset2ung von Gret« BlurnonthaJ.
Xolar Siolland: lieber ein Südfeebuch Der moderne englische Gesellschaftskritiker W. Somerset Maugham hat in seinen(von Else Aldendorff übersetzten) „Menschen der Südsee"(Verlag E. P. Tal u. Co., Leipzig , Wien 1932) sechs Novellen zu einem Kreis geschlossen; sechs außer- ordentlich scharf und ohne sentimentale Umschweife gefaßte Menschen- schicksale, die sich aus dem Milieu der Südsee-Injellandschaft pla- stisch hervorheben. Der exotische Handlungsuntergrund schien für den Dichter kaum mehr zu bedeuten als das gerade nächstliegende Mittel, dem Gesell- schaftstier Mensch den dicken Schugmantel der tausendfachen zivili- satorischen Nebenbeziehungen, Nebenberücksichtigungen und ent- schuldigenden Nebenabhängigkeiten vom Kern seiner Persönlichkeit herunterzuziehen und den Kampf der nackten Seelen freizulegen. Es ist somit kein Buch der Südsee, sondern ein Buch über die in das uns irgendwann einmal glaubhaft gewesene Südseeparadies hereingebrochenen Zivilisationsmenschen, die hier auf einen? von den heimatlichen gesellschaftspolitischen Verbindlichkeiten losgelösten Aktionsboden neben sonstigen geschäftlichen Zielen die Verpflichtung übernommen haben, ihre Persönlichkeit auszutoben. Als Angreifer, Herrische wie auch als Schwächlings und Leidende; denn die ent- scheidende Intoleranz bleibt in ihrer Wirkung gleich. Irgendwo leben die Eingeborenen, irgendwo tauchen sie als Untergeordnete bescheiden im Wirtschaftsprozcß aus, höchste??? sind sie in die Nebenrolle als Liebeszuträger oder ehemalige Urheber- partner der mitaktierendcn Mischlinge zurückgedrängt. Das Paradies ist entromantisiert: es bietet sich dar xvie alles aus der verschwim- wenden Ferne in die Nähe Gerückte: als ein nüchternes un- imposantes Nebeneinander von detaillierten, zweckdienlichen Er- scheinungen. Es ist wie das Gemälde einer exotischen Landschaft mit Häusern, Bäumen. Inseln und dem Meer— aber der Maler hat über all dem dos Blau des Himmels, die verbindende Atmosphäre, fortgelassen, weil es nicht mehr in das Bereich des gegen- ständlich Faßbaren gehört. Dos Paradies ist auch e?ttmorolisiert, denn es kann mir eine Moral zwischen z>»ei Partnern geben, der Zivilisationsr?erstar?d aber zerschneidet die Moral in berechtigte Mög- lichkeiten, die sich gegenseittg reiben und die dranratischen Partner in einem gegenseitig blinden Kampf untergehen lassen. Di« Novellen suchen sich unter den in der Südsee Zugereisten, Zureisenden oder auf der Scheide zwischen Zivilisation und Natur Stehenden krasse Charaktertypen heraus, Menschen, denen man wahrhaftig nichts Schlechtes nachsagen kann und die sich hier auf vernünftig« europäische Weise betätigen: als Cxistenzstrsber, Macht- hungrige, Gesundungsbedürftige, Liebeshungrig« ur?d unberührte Wirtschaftsfaktoren. Da öffnet sich das Land, der indifferente Aktionsboden stellt ihnen von sich aus einen Gegner entgegen, an dem sie sänrtlich unsenttinental. ohne romantischen Glorienschein zugrunde gehen. Sie lösen sich auf in den Tod oder in den Verzicht auf ihren Charakter. Das geschieht so. als müßte und könnte es nicht anders fein. Und der Dichter gibt keinen Kommentar dazu. Wenn zum Beispiel ein selbstbewutztsecnsdurstiger Administrationssekretär seinen Vor- gesetzten um dessen Machtgefräßigkest willen vor den Revolr>er seines