3>er Bmbrecker kleines Abenteuer um Wlomarl/'Don Carry Brachvogel
An einem schönen Sommerabettb des Jahres 1791, der über dem anmutigen Kurort Baden bei Wien lag, kehrte der k. k. Leutnant a Malfatti sehr verärgert in seine Wohnung zurück, die er vor etlichen Stunden so vergnügt verlassen hatte. Verdrießlich wars er sich in einen Stuhl, murmelte vor sich hin:„Der Kuckuck soll ihn holen!— Dieser verflixte...1— Dieser DideldumdeU" Es kamen noch etliche ähnliche Worte aus der Tiefe de« Gemüt» und des Kafernenhofes, und je länger der Leutnant vor sich hin murmelte, um so mehr glichen sie sich an Kraft dem ärarischen Sprachschatz an. Warum war der Leutnant v. Malfatti so verärgert? Verdruß mit der Mannschaft? Ruffel von einem Vorgesetzten? Oder ein garstiger Gläubiger? Nein, nichts von alledem! Die Verärgerung hing mit einem Kurgast weiblichen Geschlechts zusammen, mit der reizenden blonden Gattin eines Wiener Musikus, die den poetischen Vornamen Kon- stanze trug. Sie war luftig und ein klein wenig kokett, wie es"einer richtigen Wienerin wohl ansteht, lieh sich die artigen Ritterdienste des Leutnants gern gefallen, lachte ihn aber wunderhübsch und weidlich aus, wenn in dem Ritter immer wieder der Mann der Ordnung und Disziplin aufspringen wollte, der in dieser Hinsicht an Frau Konstanze allerlei auszusetzen fand. So rügte er z. B- unermüdlich, daß sie, wenn sie ausging, das Fenster ihres bescheidenen Stäbchens sperrangelweit offenstehen ließ, obgleich dos Stäbchen zu ebener Erde und in einer einsamen Gasse lag, so daß seder Dieb und Einbrecher es bequem gehabt hätte. Aber, wie gesagt, Frau Konstanze hatte für die ernsten Vorhaltungen des Leutnants mir ihr helles Lachen:„Gehn's, bei mir find't einer eh' nix! Bei einem armen Hascherl, wie ich bin, sucht auch keiner was!" Dann seufzte sie ein wenig, und ein Schatten von Traurigkeit huschte über ihr Gesicht. „Wein Wolferl muß g'rad wieder gar kein Geld haben, sonst hätt' er mich schon lang einmal besucht! Er schreibt auch gar nix vdm Kommen, und ich mein' doch, daß ich schon eine halbe Ewig- kest von daheim weg bin und von ihm!" Der Leutnant hatte nichts erwidert, denn er fand es überflüssig, sich von Wolferl", dem Gatten, unterhalten zu lassen. Dagegen kam er mit schöner Beharrlichkeit abermals auf das stets offen- stehende Fenster zu sprechen und schilderte anschaulich die Gefahren, die Frau Konstanze durch solch leichtfertige Handlungsweise über sich selbst heraufbeschwor. Sie jedoch entgegnete zwischen Lochen und ein wenig Unmut:„Tun S' mich net immerfort erziehen wollen! Der Wolserl versucht's schon gar nimmer, weil er weiß, daß es bei mir doch nix hilft!" So hatte sie gesprochen, und als heute nachmittag der ovdnungs- liebende Leutnant sie zu einem Spaziergang mit anschließender Jause im Grünen hatte abholen wollen, da fand er zwar ihre Türe ver- sperrt, ihr Fenster aber— natürlich!— wieder sperrangelweit offen. Er hatte sich ob der verschlossenen Türe geärgert, die besagte, daß Frau Konstanze schon ausgegangen und also jede Hoffnung auf Spaziergang und Jause zu Zweien geschwunden sei, aber nicht minder hatte er sich ob der einladend ausgeschlagenen Fensterflügel erbost, die jedem Dieb und Einbrecher zuzurufen schienen:„Bitte, treten Sie näher!" Verdrießlich schlenderte er ziellos hierhin und dorthin, immer hoffend, Frau Konftanze doch noch zu erspähen, und in dieser Hoff- nung immer wieder betrogen. Dann, als es schon stark dämmerte, ging er nochmals an ihrer Wohnung vorbei und meinte, nun müsse die neidische Tür doch endlich entriegelt sein. Was aber erblickte er, als er sich in der stillen Gass« dem Hause
„Machen S' keine Pflanz! Wenn die Tür zugstperrt ist, bleibt mir ja mir der Weg durchs Fenster!" Dem Leutnant verschlug es die Rede. Auch brauchle er all sein« Kraft, um die weißbestrumpften Zappelbeine festzuhalten, die seinen Fingern entrinnen wollten. Es war ein regelrechter kleiner Kampf, der da stattfand, und die Polizei schien doch schwerhörig zu sein, näherte? Er erblickte, was ihm ebenso verbrecherisch w>e natürlich �nn sie war noch immer nicht erschienen. Dafür aber kam eben
erschien, denn längst und vergeblich hatte er es Frau Konftanze prophezeit-- ein Mann schickte sich an, in ihr Zimmer einzusteige». Ein recht anständig gekleideter Mann von Neiner Statur, der schon auf dem Fensterbrett stand, und eben bereit war, den Sprung ins Zimmer hinein zu machen, als— welch ein Glück!— der Leutnant herbeieilte, den Einbrecher bei den weißbestrumpften Waden packte und aus Leibeskräften schrie:«Polizei! Polizei!" Die weißbestrumpften Waden zappelten in den sie umklammern- den Händen. Ein Kopf, auf dem eine weiße Lockenperücks saß, drehte sich dem Leutnant zu, und ein Mund, der zwar nicht nach Verbrechertum, wohl aber nach Schelmerei aussah, ermahnte ihn: „Machen S' doch keinen solchen Spektakel! Die Polizei in Oesterreich ist nie schwerhörig gewesen! Und überhaupt, was geht Sie das an, wenn ich hier einsteige?" Das Gesicht des Leutnants wurde dunkelrot über soviel Unver- schämcheit.„Was es jeden anständigen Menschen angeht, wenn er einen Einbrecher erwischt!"
Frau Konftanze hcim, sperrte ihre Türe auf, blieb einen Augenblick erschrocken auf'der Schwelle stehen, als sie die zwei ringenden Männer erblickte, stieß sie einen Schrei aus, und— stürzte lockend in die Arme des Einbrechers, der sich bei ihrem Anblick mit einem Ruck der Verzweiflung von dem Leutnant gelöst hotte. ..Wolferl! Nein, die Ueberraschung! O du lieber Kerl, warum i hast denn net g'schrieben, daß du kommst---?1" Man wird ohne weiteres begreifen, daß der Leutnant kein Verlangen trug, mitanzuhören, warum Wolferl nicht geschrieben hatte, und warum er just heute unvermutet gekommen war. Man begreift wohl auch, daß er dem Ankömmling all die vorerwähnten Freundlichkeiten zuerkannte, obschon er, bei Licht betrachtet, gar leinen Grund hatte, ihm feindselig gesinnt zu sein. Denn nur diesem vermeintlichen Einbrecher hat es der k. k. Leutnant von Mal- fatti zu oerdanken, daß sein Name aus die Nachwelt gekommen ist, indem nämlich besagter Einbrecher kein anderer war, als— Wolf- gang Amadeus Mozart.----
Friedrich DVeigell/ Schulgelchichten: Jßiebe
Zwei Jahre hotten sie beide zusammengesessen aus einer Bank. der Heinrich und da» Lieschen. Vom ersten Tage an, als er zur Schule kam und sie fremd neben sich aus der Bant sah, war er ihr Trabant. Damals hatte sie ihn groß angeschaut, oerwundert den schüchternen Jungen mit ihren lebhaften Augen belächelt und ihm, a!» er ganz traurig werden wollte und zum Taschentuch griff, die Wangen gestreichelt und getröstet. „Gelt, du bist jetzt mein Freund", hatte sie ihm zugeflüstert und freundlich genickt.„Du mußt mir helfen, wenn die anderen Jungen frech werden." Heinrich hatte ernsthaft wieder genickt. Seine Tränen waren verschwunden. Cr war stark geworden bei ihren Worten und wollte den anderen zeigen, wie mutig er sein konnte. Sollte sich nur einer an das kleine Mädel da heranwagen. Was für entzückende Zähn- chen die Klein« zeigte, wenn sie lachte, und wie weich waren ihre Finger vorhin gewesen, als sie ihn streichelte. Auch Grübchen hatte sie, ttese, neckische Grübchen. Ob er ihr auch über die Backen streicheln durfte? Er hätte es gern getan, aber er fürchtete, sie zu beleidigen. „Wie heißt du denn?" fragte ihn die Kleine. „Heinrich", sagte er kleinlaut und schämte sich, solch einen dummen Namen zu haben. Wie häßlich und gemein der klang. „Und ich heiße Lieschen", erwiderte sie. Lieschen! ach wie schön, dachte er. Ja, so mußte si« heißen, Lieschen, Lieschen, immerfort konnte er das sprechen. Das ging so leicht durch die Lippen und klang wie ein Lied. „Du heißt aber schön", meinte er. „Und ich nenne dich Heinerle, weißt, das ist auch so schön", rief sie freudig, und er freute sich mit. Ja, das war etwas anderes als Heinrich. Heinerle, Heinerle— Hurra— Heinerle. So hatten sie Freundschaft geschlossen und treulich gehalten. Lieschen half ihm bei seinen Arbste», tröstet« ihn, wenn er vom
Joachim Sange: Sächiifcher Sonnenuntergang An fler Ostsee. Die Sonne geht unter. Das Meer erglänzt weit hinaus. Auf der Lartdungsbriicke eine ausgesprochen sächsische Familie. Sie kuckt sich aus feuchten Augenritzen den Sonnenunter- gang an. Er vorerst noch den Börsenzettel.. und das Kind— also ein Kind will bekanntlich immer furchtbar viel wissen, aber ein sächsisches Kind, das will überhaupt alles wissen. „Mammah!" „Was fähld'n dir, mai Hase?" „Mammah, wo gähd'n c>e Sonne jäddsd hin?" „Wo de Sonne jäddsd hingähn dud, mai Harze? Die gähd dir nundr ins Määr, niwwah, unn morchn frieh, wään dr Babba unn de Mammah unn dr Eurrvl noch im Bädde liechn, dann gähd je«iddr nuff." Kurze Pause. „Mammah, wie is'n das nuh ahwr, wann de Sonne ins Määr nundrgähd?" „Wie das is, wann de Sonne ins Määr nundrgähd? Ruh baß ämmal scheen nusf, mai Sießhahn, das warn mr glaich ham, das wär'ch dir mah glaich erglärn, wie da» is, wänn de Sonne ins Määr nundrgähd. Also nun schdälle dir ämmal vor, mai Härze, das Määr, das is änne große Dasse Gawwee...." „Ahwr das Määr is doch geene Dasse Gawwee, Mammah!" „Ai srailich is das Määr geene Dasse Gawwee, mai Hase, das is schoh richdch, daß das Määr geene Dasse Gawwee is, du sollsd dir ja ooch bloß ämmal v o r s ch d ä l l n, daß das Määr änne Dasse Gawwee is. In Wärglchgaid is das Määr nadierlch egal Wafsr, niwwah, ahwr du sollsd dir jäddsd ämmal dängkn, daß das Määr ä Dobb midd Gawwee is, niwwah, unn de Sonne, das is dir ä Schdiggchn Guchn...." „Ae Schdiggchn Guchn?" „2Ie Schdiggchn Guchn. Radierlich nur. wämmr sich'» bloß vorschdälln dud, mai Haje. Du sollsd dir doch jäddsd ämma; egal dängkn, das Määr is ä Dobb Gawwee vom liebn Godde. niwwah, unn de Sonne is ä Schdiggchn Guchn vom liebn Godde, niwwah, unn nuh will dr liebe Gvdd sai Schdiggchn Guchn ässn, niwwah, unn dänn nimtttd dir ähmd sai Schdiggchn Guchn unn didschd's in sain'n Gawweedobbe...." „In sain'n Gawweedobbe?" „Ai gewiß, in sain'n Gawweedobbe, mai Hase. Das haißd in Wärglchgaid nadierlch ins Määr, niwwah, ahwr'ch sooch dir dos doch bloß so, damidd daß de das richdch frschdähsd." „Du soachsd das bloß so, Mammah?" „Ai frailch, mai Härze, saach'ch das bloß so'ch wollde dir doch botz ämmal glarmachn, wie dos is, wänn de Sonn« ins Määr nundrgähd." Jetzt ist der Boter mit feinen Effekten ferttg. „Aechah, was machst) de dänn dam Ginde egalweg sonne Mährdn vor, Mubdr!" „'ch mache däm Ginde Mährdn vor?'ch mache däm Ginde doch geene Mährdn vor. Ich erglär däm Ginde doch bloß nach sainm FrschdSndnis. chle das is, wänn de Sonne ins Määr nundr- gähd." „Nach sainm Frschdändnis erglärjd de däm Gurrdl das? Ahwr dr Gurrdl is doch gee Wigglgind»ich mähr. Dr Gurrdl machd
doch schoh ä Halbs Jahr in de Schule.' Däm gann mr das doch schoh wissnschowdlch baibringn, wie das is, wänn de Sonne ins Määr nundrgähd. Gomm ämmal hör zum Babba, Gurrdl! Nuh ward dr Babba däm Gurrdl ämmal blausibl machn, wie das gommn dud, daß de Sonne ins Määr nundrgähd. niwwah? De Sonne. die gähd dir nämlch gahnch ins Määr nundr!" „Die gähd gobnch ins Määr nundr?" „Rai, mai Gurrdl, die gähd dir um geen'n Brois nich ins j Määr nundr. Die schdähd." „Die schdähd?" „Die schdähd. Unn nuh baß ämmal scheen nuff! De Aehrde, ds is Sir doch änne große. Guchl, niwwah?" „Aenne Guchl?" „Nuh frailch, mai Gurrdl. änn« richdche Guchl is dir de Aehrde, so gucblrund wft ä Ball" „Wie mai Gummiball, Babba?" „Nuh frailch, egalweg so guchlrund wie dai Gummiball, mai Gurrdl. Unn de Aehrde, Die schroäbd dir doch nuh so im Wäbdn- räume rum unn drähd sich dabai um de Sonne, niwwah, immr egalweg rum von Osdn nach Wäsdn drähd sich de aide Flaume." „Jäodsd ärrsck>d de dich ahwr mächdch, Baul!" „Ich ärre mich?'ch du mich doch nich ärrn!" „Ahwr nuh frailch ärrschd de dich! De Aehrde drähd sich doch nich von Osdn nach Wäsdn, die dräho sich doch von Wäsdn nach Osdn." „Die drähd sich von Wäsdn nach Os>dn? Ae Momändchn mah! Wämmr sich mah vorschdälld. mir dröhn uns jäodsd...." „Wämmr sich vorschdälld? Ahwr das is doch gahnch nesdck), daß mir uns das ährschd ämmal vorschdälln!" „Das is gahnch neetich. daß mir uns das ährschd ämmal vor- schdälln?" „Nuh frailch is das gahnch needch, daß mir uns das ährschd ämmal vorschdälln dun, daß mir un? drähn. Mir drähn uns doch!" „Mir drähn uns doch? Ae Momändchn mah! Ja nadierlch drähn mir uns. das is ja richdch, daß wir uns drähn, ahwr mir gänn'n das doch nich söhn, daß mir uns drähn, unn däswäächn is es doch needch, daß wir uns das ährschd ämmal bloß vorschdälln dun, daß mir uns drähn, wämmr uns ooch in Wärglchgaid drähn, niwwah? Wämmr sich also vorschdälld, mir drähn uns egalweg um de Sonne rum, dänn misln mir uns nadierlch von Wäsvn nach Osdn drähn, domidb daß uns das so schaind, als ob de Sonn« im Osdn nuffgähn dud. Na, das Hab'ch doch gesoachd!" „Das hast) de gesoachd? Das hasd de nich gesaachd odr'ch will nich säälch wävdn." „Achah sroilch Hab'ch das gesaachd! Was mochsd de egalweg sonne Mohroe? Machsd een'n noch ganz wärblch im Gobbe! Also nuh bah ämmal nuff, mai Gurrdl... Gaddfrdimmch. wo is dänn dr Junge hingeloadschd?" „Gurrdl!— Mai Hase!" „Da gibbd mr sich nuh de räädlchsde Miehe, oäm Jungn änne gediechne wissnschawdlche Bildung zu iewrmrddln, unn dänn machd sich dr Gärl mir nischd dir nischd uff de Soggn. Na worde!" „Ach du mai liebr Godde nee, da dud'r dir ganz dichde am Wassr schdähn unn ward vir glaich nainschdorzn'" „Gurrdl, soford machsd de hierhär!" „Mammah, dr Mond gähd nuff. Wie is'n das nuh, Mammah, wänn dr Mond nuffgähn dud?"
Lehrer angesahren wurde und sorgte sich um seine Hefte und Bücher, daß sie sauber blieben. Heinerle aber war chr starker Beschützer und untertäniger Diener. Er teilte sreundschaftlich alles mit ihr. Bekam er einen Bonbon vom Konfitürenverkäufer, dann aß er nur die Hälfte und brachte Lieschen folgenden Tages das übrig« in der Tasche, wo es neben Nägeln, Schnüren, Taschentuch, Glasscherben und ähnlichen Dingen wohlbehalten lag. Auch die Bretzel von der Bäckerfrau mutzte Lieschen kosten, wenn sie auch freilich meistens schon zerbrochen war und nur noch Krümchen in der Tasche mit Sand untermischt sich fanden. Lieschen wies nichts zurück. Sie säuberte den Bonbon, las die Kuchenkrümel aus dem Schmutz und freute sich über das leuchtende Gesicht Heinerles, der ihr aufmerksam zuschaute. Aber er zeigte sich auch als Held. Wehe dem Jungen, der Lieschen anrempelte. Wie eine Katze sprang er an chm empor und schlug in rasender Wut um sich. Er wagte sich dabei an die Größten der Schule, denn Lieschen war bald von allen umschwärmt. Aber sie hielt zum Heinerle. Sie bewunderte ihn und nannte ihn „Heinrich", wenn er einen Kampf gut überstanden hatte; denn dann erschien er ihr groß und stark. Und nun sollten sie sich für ein halbes Jahr trennen. Lieschen kam aufs Land zu Berwandten, um sich zu erholen. Sie hatte schmale blasse Wangen in der Schule bekommen und war bei weitem nicht mehr so lebhaft wie früher. Aus dem Lande sollte sie Lust und Frohsinn, rote Backen und blitzende Augen wieder holen. Wie freute sich Lieschen auf die Kühe und Pferde, auf die Blumen und Wiesen, auf Wald und Wasser, Himmel, Sonne — ach und tausend Dinge, die so ganz anders wären als in der Stadt, wie sie dem Heinerle erzählte. Er stand mit traurigen Augen dabei und brachte keinen Ton von den Lippen. Nur noch wütender. wurde er, wenn jemand Lieschen belästigte, wenn die anderen Kinder ihn hänselten. Am letzten Tage chres Schulbesuchs war er krank. Er hatte fieberglänzende Augen, als ihn seine Mutter früh weckte, und darum zwang sie ihn, im Bett zu bleiben. Aber bald war er wieder munter und durfte sich anziehen und in der Sonne spielen. Heinerle schlich' vor Lieschens Haus und wartete still, bis sie aus der Schule kam. Als er sie von wettem allein erblickte, während er sie sonst immer begleitete, schlich er sich von chr un- bemerkt nach Haus. „Heinrich, schläfst du denn?— Der Bengel träumt den ganzen Tag zum Fenster hinaus", schimpfte der Lehrer ärgerlich. Er konnte es gar nicht verstehen, was mft dem Jungen los war. Früher war er rege bei der Sache gewesen, wenn es ihm auch schwer gefallen war, so gab er sich doch redlich Muhe, es den anderen gleichzutun. Jetzt versagte er vollständig. Seine Aufgabe erledigte er nie, sein Heft wurde schmutziger, wenn ihn die Jungen beschimpften oder neckten, dann ließ er stch's gefallen oder wurde unmäßig, daß der Lehrer dazwischen gehen mußte. Strasen halfen nichts. Zureden versagte, der Lehrer sprach mit der Mutter, sie drohte, zwang ihn zum Stubenarrest— alles war vergeblich. Heinrich— er war jetzt nur noch Heinrich— blieb faul, müde, träge und verbissen. Der Sommer neigte sich seinem Ende zu. Die Herbstferien waren vorüber. Die Klaffe Heinrichs erwartete Lieschen vom Lande zurück. Wie verstört und aufgeregt Heinrich jetzt oft wurde! Plötz- lich mitten in der Stunde stand er in seiner Bank auf und sah zum Fenster hinaus. Fragte ihn der Lehrer nach der Ursache, dann er- widerte er, eine Schwalbe hätte ihn interessiert oder ein Hund hätte einen anderen verfolgt. Lieschen kam. Die Stunde hatte noch nicht begonnen. Leise plaudernd saßen die Kinder beisammen. Freundlich lächelnd wie immer trat sie in die Tür. Die Backen waren wieder rot. Die Zähne blitzten und die Grübchen schelmten neckisch. Aus den Augen aber sahen die Sonne und die Blumen, der Wald und das Wasser. Heinrich war wie der Blitz ausgeschnellt von seinem Platze, ein kurzes Erstaunen in seinen Augen, ein' Sprung und er stand neben Lieschen. „Lieschen", wie ein Lerchentriller kam es jauchzend aus seiner Kehle, daß die anderen erstaunt aufsahen. Aber schon hotte er ihre rechte Hand ergriffen, mit beiden Händen drückte er sie. daß Lieschen schmerzlich den Mund verzog, aber ruhig blieb. Einen kurzen Ruck— ein lauter Ausschrei— Lieschen hielt weinend ihren rechten Zeigefinger hoch. In roten Tropfen rann das Blut herunter, unaufhörlich, ein dünner Strahl. Die Klaffe tobte. Heinrich stand blaß und erschreckt da. Aber nur einen Augenblick— ein wütender, verabscheuender Blick traf ihn, dann sauste eine Hand aus seine Bocke, daß es knallte—- Lieschens Linke hatte ihn getroffen, kräftig, wütend.> Da öffnete sich die Tür. Der Lehrer stand auf der Schwelle. Heinrich versuchte pfeilschnell an ihm vorbeizusausen. Der Äehrer faßte ihn noch am Kragen und schleppte ihn wieder zurück. Der Junge fand kein Wort der Entschuldigung und erhielt eivie strenge Strafe wegen groben Unfugs und bösartigen Verhallens.' Lieschens Finger war noch lange sehr schlimm, dir Zähne Heinrichs hoben sich scharf als Rarben noch später ab. Die beiden Kinder mieden sich und waren nie wieder gemeinsam zu sehen. Heinrich aber ist ein sehr ungezogener Junge geworden, der.Schrecken der ganzen Schule.