i. Um zehn Uhr abends begann jhattie ihre Wäsche einzusprengen: achtundzwanzig Bettücher und ebenso viele Kissenüberzüge und Hand- tücher- Um elf Uhr blies sie die Lampe in der Vorhalle ihrer kleinen Waldherberge aus und ging zu Bett. Sie hatte nicht mehr als einen Blick übrig für den westlichen Himmel, der grell orongcnrot leuchtete, als ginge mit breitausgegossener absonderlicher Farbenglut die Sonne verspätet unter. Der Waldbrand hatte heute wieder weit um sich gegrifsen. Der Mann, der den Postkarren fuhr, hatte gesagt, morgen würde er wohl kaum bis Norman durchkommen können. Um dreiviertel zwölf hörte Hattie einen gewaltigen Spektakel über ihrem Kopf. Sie zog ihren roten, wattierten Schlafrock über, schlüpfte in ihre Pantoffel, entzündete eine Lampe und stieg die enge Stiege zum zweiten Stockwerk der Herberge empor. Etwa drei Minuten lang stand sie mit vorgcstrrccktem Kaps vor der Tür von Nr. 202 und lauschte. Dann stopfte sie ihren Zopf in den Kragen des Morgenrocks, knöpfte den abgenützten Schnurverschluß fest zu und klopfte an die Tür. Die Stimme eines Mannes gröhlte:„Kommen Sie rein!" Sie hört«, wie der Schlüssel umgedreht und die Tür ausgemacht wurde. Durch den schmalen Spalt sah sie einen wirren Schopf struppiger Haare, ein rotgeädertes und verquollenes Auge und eine hängende Unterlippe. Zm Hintergrund des Zimmers sah sie, wie ein dicker behaarter Arm ein« Flasche schwang. Tläser standen mitten zwischen den zerwühlten Bettüchern. Jemand hustet«, dröhnend laut, was als Scherz gedacht war. „Meine Herren", sagte Hattie,„solch lärmendes Betragen kann ich leider in meinem Hause nicht dulden. Wenn Sie schon aus einem «Mstlindigen Hause eine Schankwirtschaft machen müssen, wn Sie es wenigstens ohne derartiges Getöse. Rings um Sie herum schläft alles." Einer der Männer ahmte das nächtliche Geschrei eines ocrliebten Katers noch. „Halt's Maul!" brummte der Mann bei der Tür. „Ich danke Ihnen schön, Herr Stiegler!" sagte Hattie.„Ich habe Ihnen also jetzt gesagt, was zu lagen war. Gute Nacht!" Hattie kroch wieder in ihr Bett. Hattie schlief sofort ein und schlief wie ein Stück Holz, bis«in Automobil unter ihrem Fenster hielt. Nach einer Minute hörte sie die Glocke, die an der Eingangstür festgeschraubt war, durchs Haus schrillen. Hattie bekleidete sich mit Morgenrock und Pantoffeln, steckte die Lampe an und schlurfte durch Eßzimmer, Wohnzimmer und Bor- halle. Als sie das Houstar öffnete, schlug das sanft glucksende Schurren der Wellen vom kiesigen, flachen Seeuser her an ihr Ohr. „Sind wir hier richtig? Ist das Griggs Hotel?" „Griggs Hotel. Was wünschen Sie?" Die beiden schlüpften an Hattie vorbei zur Tür herein: ein junges Mädchen, in ein scharlachrotes Eape gehüllt, mit ganz kurzen. dicht und muschelig um den Kopf stehenden, blonden Ringelhaoren und ein junger Burlch, der schwerlich schon alt genug war, um bei den Wahlen mitstimmen zu können, mit einem Schnurrbärtchen, das nur wie ein Schatten auf der Lippe lag. „Gittigitt, ist mir kalt!" sagte das Mädchen. Mit so wenig Lärm als möglich folgten sie Hattie Uber die Treppe hinauf und den Gang hinunter, bis zu Nummer 209. Hattie sperrte die Zimmertür auf und zündete die Lampe an, die aus der Kommode stand.. „Jetzt werde ich Ihnen was zum Esten richten." Sie kochte auf dem Spiritusbrenner� den sie für solche Fälle bereit hielt Kaffee, machte ein« Platte voll belegter Brote zurecht und setzte sich an einen der leeren Tische, während das Paar aß. „Wie steht es mit dem Waldbrand?" erkundigte sich der junge Mann. „Ich lebe schon vierzehn Jahre hier", entgegnete Hottie,„und jeden Herbst, bis aus dreimal, ist es das gleiche gewesen." „Besteht die Gefahr, daß der Brand sich bis hierher ausdehnt?" Das junge Mädchen erhob sich vom Tisch um aus dem Fenster zu sehen. Sie legte die gewölbten Hände an die Schläfen, um da» Lampenlicht, das sie blendet«, auszuschließen. „Bei einem Waldbrand kann man da? nie vorher wissen", antwortete Hattie.„Dabei hängt alles vom Wind ab." Die Mahlzeit war schnell beendet und sie stiegen die Treppe wieder hinauf. Hattie sah, daß der Iünaling seinen Arm um die Taille des Mädchens legte, und daß sie ihm ihr Gesicht zuwandte. II. Um fünf Uhr früh begann in Griggs Hotel der Morgenlärm. Hattie aber war schon beizeiten auf dem Posten, um ihn nicht zu sehr anwachsen zu lassen. Sie hatte sich rasch angekleidet und sich gewaschen, ohne zu viel Wasser zu verspritzen. Sie hatte sich die Haare gekämmt und die Schlafzimmerstir leise hinter sich zugezogen, weil Aloin, der Mann, noch schlief. Als sie in die Küche kam, erhob sich der Hund räkelnd von seinem Lager. Es war ein altes Tier. Das Aufitehen kostete ihm Mühe. Er bellte, um herausgelassen zu werden..Hattie stand einen Augen- blick an der offenen Hintertür. Sie sah keinen Himmel. Die spitzen Gipfel der Tonnen verschwammen in einer Wolke orangejorbenen Rauches. Hattie trat in die Waldlichtung hinter der Küche hinaus und spaltete mit Alvins Axt ein wenig Kienholz. Mit ein paar Tropfen Petroleum brachte sie das Feiker auf dem Rost des Küchenherdes in Gang, setzte den Wasserkessel aus und schob den Plättstahl in die Glut. Dies getan, zog sie die Jalousien im Speisezimmer und im Wohnzimmer auf. An schönen Togen blendet« die Morgensonn« aus dem blanken Seespiegel so sehr, daß die kleinen gelben Kringel über die Geranien, den Iudenbort und die glatten, glänzenden Blätter des Gummibaumes tanzten. Heute aber war die Sonn« nur eine trübe, rote Scheide, deren Licht weniger blendete als Vollmondschein. Hattie bereitete das Frühstück. Kaffee und Hofermehlkuchen, Würstchen, Toast und Eier: für den Wildhüter und für den Kutscher des Postwagens, der das ganze Jahr über im Hotel wohnte, und für zwei Holzfäller, die von Norwoy herübergekommen waren. Die Männer aßen, die Nase aus ihrem Teller, schlürften mit voll kauendem Mund ihren Kaffee und kauten noch mit vollen Backen. während sie ihre Mundtücher zusammensalteten. Nachdem sie sich die Taschen aus den Zahnstocherbehältern gefüllt hotten, gingen sie in der Stube mit großen Schritten auf und ad, um sich die Bein« zu vertreten und gruben sich dabei in den Backenzähnen herum. Hattie hotte Zeit, sechs Bettücher zu plätten, ehe der ihr wohl- vertraut« Ruf einer Mesterklinze an einem Glas sie abrief. Sie strich die losen Enden ihre? Haares in den Knoten zurück und rollte chre aufgekrempelten Aermel herunter, ehe sie ins Eßzimmer trat. Es mv da» Mädchen und der jung« Mann, wie sie richtig vermutet hatte.
Des Mädchens blonder Kopf ruhte in der Ellenbogenbeuge des Armes auf der Rückenlehne des Stuhles. Ihre hoch schlafbeschwerten Augen wichen nicht von dem Jüngling, der die Zeitung las, die die Post tags zuvor gebracht hatte. „Nach dem, was die hier schreiben, würden wir wohl besser tun, gar keinen Versuch zum Weiterfahren zu unternehmen." „An Ihrer Stelle würde ich auch nicht weiterfahren", entgegnete Hattie.„Nicht bevor der Wind umgeschlagen hat. Es brennt schon jetzt von Norway in unserer Richtung her." Sie bestellten alles, was ihnen Hattie aufzählte: Kaffee, Hafer- mehlkuchcn, Würstchen, Toast, Eier. Als Hattie in die Küche zurück- ging, rannte sie gegen Alvin, der durch die Spalte bei der Tür- anzel ins Eßzimmer spähte. „Da bist du!" sagte jhattie.„Du tätest besser daran, anzufangen, das Geschirr abzuräumen." Alvin war gekränkt. Dennoch band er sich eine Schürze vor den Bauch und klapperte mit Tellern und Tassen, als ob er überaus eilig arbeite. Während das jung« Paar aß— sie brauchten geraume Zeit dazu— kamen auch noch andere Gäste herunter. Wie meistens in Griggs Hotel waren es ausschließlich Männer, in der Mehrzahl alte regelmäßige Kunden von Hattie. Sie wußte, daß einige hier- herkamen, um zu fischen: andere, wie Stieglcr, hatten ihre Geschält« am gegenüberliegenden Seeuser. Ihre Frauen brachten sie nie mit. Aber sie bezahlten ihre Rechnungen, benahmen sich meistens leidlich ordentlich und waren höflich und anständig gegen Hattie. Während die Männer aßen, blieb Hattie möglichst viel im Eß- zimmer. Sie mar ein bißchen bange wegen des jungen Mädchens. Es kam nicht so oft vor, daß junge Damen in Griggs Hotel weilten. „Der Wind bläst heute recht scharf. Frau Griggs." „Allerdings, mein Herr, das wt er." „Vielleicht werden wir alle heute noch auf und davon laufen müssen. Wäre nicht das erstemal, daß mir sowas passierte. Ich war in Cloquet , l9l8, bei dem großen Brand." Als sie begannen, ihre Servietten zusammenzufalten, ging Hattie ins zweite Stockwerk hinauf, um die Zimmer aufzuräumen. Beschmutzte Bettücher, übergeschwappte Krüge, Waschschüsseln mit
Der Tischler Holl ist arbeitslos. Seine Frau und bie drei Kinder hungern. Oft finden sich im Hause kaum noch harte Brot- rinden, die man im Wasier auskochen kann, oder die Pellen von Kartoffeln. Selten ein Stückchen Kohle oder ein Span Holz. Di« Fenster sinid mit Eis verkrustet— als wolle sich das Elend vor fremden, Verständnis- und gefühlsarmen Blicken abschließen. Der Tischler Holl läuft vom Arbeitsnachweis zum Wohlsahrtsamt und vom Wohlsahrtsamt zum Arbeitsnachweis. Und er weiß, daß das eine wie dos andere zwecklos ist Trotzdem läuft er immer wieder. Hier hascht er nach einem Fetzen Hoffnung auf Arbeit, dort nach einem Happen Milch, Brot oder Kohle. Alles zusammen«in Nichts, keine Linderung der Not, höchstens ein kurzes Darüber-Hinweg- Täuschen auf Tage— nein— auf Stunden! Ein Tropfen Milch, ein paar Scheiben Wurst oder gar einmal«in viertel Pfund Roß- tleisch— welche Wirkung! Welche Zuversicht und Hoffnungs- freudigkeit gleich! Wie rasch vergessen sind da die Stunden der Entbehrungen: wie lichtvoll erscheint die Zukunft! Es ist dies der immer wibderkehvende gleiche faule Zauber, der das Elend umgoukelt und hinhält, bis zu dem Augenblick, wo selbst dieser Zauber ausbleibt oder seine Wirkung verliert und an seine Stelle die Verzweiflung und— der Wahnsinn treten. Noch ist der Tischler Holl nicht so weit, aber bald— baid—, wenn die Frau, selbst fürs Leben, für den Kampf schon zu schwach, noch einem vier- ten Kinde das Leben schenken muß. ein Leben, da? gleichbedeutend mit?od ist. Kaiim hat das Kind das Atmen gelernt, hustet es sich schon die Lunge heraus. Wächst doch an den Wäreden der Schimmel, sind doch die Fensterscheiben von Eis verbarscht. die Brüste oer Mutter vom Hunger ausgesogen, welk und nahrungslos. Den Tod des Kindes empfindet der Tischler Holl als Erlösung von einer ungewollten Lost, die ihm da? Gesetz auf seine van Arbeits- losigkeit ohnedies schon arg geschwächten Schultern aufgebürdet hat. So..schlecht" denkt der Tischler Holl— er ist froh, daß die Natur wenigstens so einsichtsvoll und barmherzig war—, er freut sich darüber, als gab's nach vielen Wachen wieder einmal Roßfleisch. Er hat„kein Gefühl" mehr. Er hat ein Herz wie ein Mörder... Verbrecher...?luch das ist er schon. Stiehlt nachts Kohlen. Ein Dieb— ein Mörder— was noch?!' Ja, das Elend erkennt keine Gesetze an, tritt sie mit Füßen, achtet ihrer so wenig wie der Menschen, die es unter feinen Tritten zermalmt. Wenn er wenigstens Gewilsenshille hätte, der Tischler Holl?I Hat sie nicht. Schlägt doch dos Gewissen der Welt nicht mehr. Weshalb soll denn gerade das seine noch schlagen?! Wo früher da? Herz in ihm geseslen hat, hängt jetzt an dessen Stelle ein seelenloser Blutklumpen. Auch bald aufgefressen vom Hunger — wie olles, alles— und wie'» auch jetzt die Frau auffrißt. Longe, lange hat es gedauert, bis die Not stärker war als die Frau, die immer noch hotte hungern können, wenn sie die Kinder satt wußte, die weiß Gott noch wie lange hätte da? durchholten können, wenn ihr nicht die letzte Kraft da? neugeborene— neu- gestorbene— Kind genommen hätte. Jetzt wirft es sie hin, das Fieber verbrennt diesen Körper, der bloß Haut un>d Knochen ist. bis dieses armselige Stück Proletarierleben zu Asche zersallt— we hundert und tausend andere. Jetzt ist es auch mit dem Tischler Holl au». Für ihn ist die Frau kein« von den Hunderten und Tausenden— für ihn ist da? e i n Mensch, sein einziger Mensch. Also weiß er doch noch, was das Wort Lieb? bedeutet! Gerade jetzt, wo er w»iß, datz der emsige Mensch, der ihm Liebe gegeben ha», genommen worden ist. Wo rindet er jetzt nach Liebe? Wie kalt und herzlos, mit welcher Selbst- Verständlichkeit sieht doch di« Welt seinem Schicksal zu... Schon kommen sie ihn holen— von wegen der gestohlenen Kahlen. Sie haben das Leben feiner Frau nicht retten können-- jetzt soll er auch noch ins Gefängnis... Der Tischler Holl„versteht die Welt nicht mehr"— ober er verharrt nicht wie der selige Meister?lMon Hebbel? in dumpfer Resignation, sondern verliert darüber den Ber - stand und kämpft gl? Wahnsinniger einen Kampf gegen Staa'?-! gemalt lind sein e-genez längst beschlosienes Schicksal— nämlich jenes, das ihn zum Untergong bestimmt hat.
grauen Reifen, über den Boden gestreute Zigarettenasche und ab- gebrannte Streichhölzer. In Nummer 299 saß die junge Dame auf der Bettkante und seilte sich die Nägel. „Ich bitte um Entschuldigung", sagte 5?attie. „Kommen Sie ruhig herein", sagte die Fremde. So begann 5)attie mit dem Zimmer. Die Sachen der Reisenden lagen ausgebreitet auf dem Toilettetisch. Geräte mit Perlmutter- griffen, eine Bürste aus Elfenbein mit einem blauen Monogramm, ein Lippenstift. Auch Parfüm mußte in dem Raum verwendet war- den sein, denn es duftete süß. Im Bett, achtlos und zusammen- geknüllt hingeworien, fand Hattie ein Stück mattrosa Seide mit eingesetzten SpitzeninedaiUons. Es war— sie wußte es— ein Nachthemd. Hattie schüttelte das hauchfeine Ding aus, glättete es, faltete es zusammen und legte es obenauf in ein offenstehendes Handköfferchen. „Sie sagten doch, daß Sie aus Minneapolis kämen", begann Hattie:„ich bin nämlich dort zu Haus. Aber jetzt bin ich schon vier- zehn Jahre weg." „Wirklich?" „Warten Sie einen Augenblick!" sagte Hattie und lief die Stieg« hinunter in das untere Stockwerk. Von dort brachte sie«ine Photo- graphie, die im Wohnzimmer über dem Gummibaum gehangen hatte, mit herauf.„Das ist unser Haus. Es ist sehr hübsch. Alles Stein!" „Welche davon sind Sie?" fragte das junge Mädchen und be- trachtete die Familiengruppe, die in Reihen auf den Stufen vor dein Haus aufgestellt war. Hattie zeigte auf das Neinste Mädchen, das die Haare wie Alice im Wunderland mit einem runden Steckkamm nach hinten gehalten trug. „Wenn ich genügend Geld oerdient hob«, ziehe ich wieder hin. Ich war schon einmal vor zehn Iahren so weit gewesen, da sagte die Bank Konkurs an. Ich habe einen Anteil auf Nutzholz von einem Wald bekommen, der nördlich von hier liegt. Es kann sein, daß der Anteil eines Tages noch bar Geld wert fein wird, wenn nicht alles zuvor abbrennt." Hatties Rede wurde vorn Telephon unterbrochen, das drei kurz« und zwei lange Signale gab. Die Stimme des Telephonisten klang unsicher:„Hören Sie mich, Frau Griggs? Ich habe den Auftrag. Sie und die anderen Leute da unten zu warnen. Es hat ganz den Anschein, als ob Norway ausgebrannt wäre. Wir bekommen keine Antwort von dort. Und der Wind weht gerade in Ihrer Richtung. Frau Griggs!"(Schluß folgt.)
Das fft die Geschichte des Tischlers Holl. Sie ist typisch— sie ist Mossenschicksal— sie ist das Schicksal der Zeit.
Es wurden viele Bücher über den Krieg geschrieben, und man mag sagen, was man will, sie haben bestimmt manches dazu bei- getragen, den Krieg in seiner ganzen Unmenschlichkeit abzulehnen. Es gab das Zeitdrama, das die Probleme unserer Zeit ausrollte und manchen sozialen Tiefstand auf das schonungsloseste entblößte. Es gab und gibt auch noch den Zeitroman, der sich ebenfalls, wie schon der Name sogt, mit unserer Zeit auseinandersetzt. Aber sie alle sind von keiner derartig unmittelbaren, ja geradezu unheimlich an den Leib des Lesers rückenden Wirkung wie das soeben im Der- lag„Der Bücherkreis" erschienene Buch eines bis dahin völlig un- bekannten Autors. Ich weiß nicht, ob er tatsächlich so heißt oder bloß sich so nennt— jedenfalls Albert Klaus hat seinen Arbeitslosenromon„Die Hungernden" nicht in vier Wänden, in denen er sich furchtsam vor dem Leben abschloß, erNügelt und geschrieben. Nein! Er kommt bestimmt selbst aus der Armee der sechs Millionen Arbeitslosen Deutschlands und ist auch selbst den Kreuzweg von Wohlsahrtsamt zum Arbeitsnachweis und wieder zurückgegangen. Er hat bestimmt auch selbst, wenn ihm mal da? Glück widerfuhr, Arbeit zu haben, in so einer Knochenmühle von Fabrik wie dos von ihm geschilderte Klingenbergsche Unternehmen gestanden. Er hat mit den Opsern von Ausbeutung der Arbeit»- krast und den Schicksalzgenossen der zu Arbeitslosigkeit Berdammten gelebt, gelitten, verzweifelt, gehofft und vor ollem aber— das Wichtigst«— eine große Erkenntnis davongetragen. Eben jene Erkennt- nis eines menschen-, volks-, staatenmordenden Systems— das des auf Ausbeutung der Volkskräft« und auf rücksichtsloseste Profitjagd ausgehenden Kapitals. Dieses System enthüllt sich schonungslos,, wenn der Autor ein- mal in seinem Buche schreibt:„Es war olles im Ueberfluß vor- banden, verfaulte, zerfiel, verdarb. Woran lag es also? An der Verteilung und daran, daß nur des Profits halber produziert wurde, nicht aber, um das Volk mit allem zu versorgen." Albert Klau» packt dos Arbeitslossnproblem dort, wo«s zu packen ist. Er zeigt die Ursache der Arbeitslosigkeit auf. Es genügt ihm nicht, das furchtbare, leider typische Schicksal des arbeitslosen Tischler? Holl und seiner Familie zu schildern. Er erklärt es! Der Untergang dieser Proletariersomili« durch ein System, da? längst in sich selbst überwunden ist, sich aber mit der ganzen Macht seines Kapitals und in Hessen Sold« stehenden„vaterländischen" Kampstruppen behaupten will, ist bis ins Mark aufwühlend, ja geradezu Empörung auslösend. Drei Kinder hungern und frieren schon, die ohnedies aber schon von Entbehrungen entkräftete Frau wird gezwungen, ein viertes zu gebären, damit dieses, kaum zum Leben erwacht, an Kälte und Unterernährung zugrunde gehen muß. Das fo-dert das Gesetz. Eines von vielen, das die kapitalistische Weltordnung zu ihrem Nutzen geschaffen hat. Wenn zuletzt der Tischler Holl gegen diese morbide, bi» in seine Keim« vergiftete und verfaulte Gesellschostsordnung zu Kampf« zieht und zur Gewalltat schreitet, so hat dies nichts mehr mit Ge- fetzwidrigkeit zu tun. Nein! Hier zeigt sich, wie Empörung über langes Unrechtdulden in Verzweiflung umschlagen kann. Vor dieser Verzweiflung de? Tischler? Holl sei gewarnt! Sie kann sich oller bemächtigen, die wie er leiten und dulden für ein nicht nur gejsg-, sondern menschenwidriges Handeln von Ausbeuterwm, dem es nicht genug war, da? Volk zu verelenden, sondern das heute seine niedrigen Interessen mit Pulver und Blei gegen die Arbeiterschaft durchzusetzen bestrebt ist,„damit kein Hoffnungsschimmer das Leben erhellt... dann, ja dann, dann wird eine? Tages der Stern ver- sinken in tiefdunkle Nacht. Dann ist olle? aus und vorbei. Dieser Tag darf nicht kommen!... Je größer die Not und da? Elen», um so fester im Glauben an die neue Zeit! Die kommen wird und muß! Das drilte Jahrtausend wird nichts mehr vom Kapitalismus wissen, es wird der Triumphzug de? Sozialismus durch di« Welt sein. Feststehe Zuhue zujammendeitzey in Xjatz unh Luifti"
3)ie hungernden Sierichl über einen Jlrbeitslolenroman/ Ton Xudfer