bevor das Reich nicht über anonyme Behauptungen in der Rundfunkrede hinaus seine Anschuldigungen gegen Preußen genau darlege. Er brachte sodann eine längere schriftliche Stellungnahme des Heidelberger Staatsrechtslehrers Professors Dr. Anschütz zur Verlesung.
Zum Schluß der Vormittagssigung gab Reichsgerichtspräsident Dr. Bumte einige Anregungen über die Beantwortung von Fragen, die nach seiner Auffassung noch geklärt werden müssen. Es sei aufgefallen, daß die Reichsregierung im Gegensaz zu den früheren Fällen der Einsegung von Reichskommissaren in Thüringen und Sachsen in diesem Fall ihre Maßnahmen auf die Abfäße 1 und 2 des Artikels 48 gestützt hobe. Auch wäre wünschenswert, die Auffassung der Reichsregierung über die Auswirkungen ihrer Anordnung, insbesondere in der Frage der Vertretung im Reichsrat, fennenzulernen, wie auch zweckmäßigerweise der Saz in der Begründung zu erläutern sei, die Selbständigkeit des Landes Preußen werde nicht angetastet; die Reichsregierung erwarte vielmehr, daß eine baldige Beendigung des auf Grund der Notverordnung geschaffenen Zustandes eintreten werde ein Gedanke, der auch in der geftrigen Rundfunkrede des stellvertretenden Reichskommissars Dr. Bracht angeklungen habe.
Die Berhandlung wurde sodann auf 4 Uhr nachmittags vertagt,
Der Vertreter des Reiches spricht.
In der Nachmittagsfizung legte Ministerialdirektor Dr. Gottheiner den Standpunkt der Reichsregierung zu den Anträgen der Klageparteien, dar. Er behandelte hauptsächlich die Frage der Zulässigkeit der einstweiligen Verfügung. Bei den Entscheidungen, in denen der Staatsgerichtshof bisher eine einstweilige Verfügung für zuläffig erklärt habe, habe er sich immer darauf beschränkt, einen einstweiligen Zustand zu regeln, ohne der Hauptentscheidung irgendwie vorzugreifen.
Freiheitsgrußaus Cefterreich
Genossen und Genossinnen!
Mit leidenschaftlicher Teilnahme begleitet die deutsch österreichische Arbeiterschaft euren Ents scheidungskampf um die deutsche Demokratie.
Ihr müßt siegen, Genossen und Genossinnen! Denn das Schicksal der Demokratie in Mitteleuropa , das Schicksal des europäischen Friedens, das Schicksal der Arbeiterklasse und des Sozialismus in der Welt hängt von den Ergebnissen eures Kampfes ab!"
Ihr kämpft für uns ebenso wie für euch!
Am 12. November 1918, an demselben Tage, an dem das deutsch - österreichische Volk die Festung Habsburg gebrochen hat, hat es sich den Anschluß Deutschösterreichs an das Deutsche Reich zum Ziel gesetzt. Wenn aber in Mitteleuropa die Reaktion siegt, im Reich die ostelbischen Junker, in Oester: reich die Schwarz- Gelben obsiegen, dann ist die Sache des Anschlusses für Jahrzehnte verloren!
Wir glauben an eure Kraft, Genossen! Darum glauben wir trotz alledem an das sozialistische Groß- Deutschland der Zukunft.
Unsere heißesten Wünsche begleiten euch in eurem Wahlkampf.
Gruß den Genossen Severing und Otto Braun , die rechtswidrige Gewalt von der Stätte ihres historischen Wirkens gestoßen hat!
Ehrerbietigen Gruß dem Andenken aller deutschen Arbeiter, die von faschistischen Landsknechten im Freiheitskampfe ermordet worden sind!
Brüderlichen Kampfesgruß der deutschen Sozialdemokratie, der Eisernen Front!
Freiheit!
Wenn angenommen wird, daß der Staatsgerichtshof in der Hauptsache zu der Entscheidung gelangt, daß die Ginseßung des Reichstommiffars fich im Rahmen der verfassungsmäßigen Befug- Der Sarteivorstand der Deutscfi- österreichiscfien Sozialdemokratie niffe des Reichspräsidenten bewegt, so würde sich
aus einer etwaigen einffweiligen Berfügung ein mit dieser Hauptentscheidung unverfräglicher Zustand
ergeben. Der Reichskommissar wäre dann gegen Verfassung und Recht seiner rechtmäßigen Befugnisse e nttleidet worden. Der Antrag steht also in unlöslichem Zusammenhang mit der Hauptsache. Demnach kann der Staatsgerichtshof nach seiner ständigen Rechtsprechung eine solche einstweilige Verfügung nicht erlassen.
Der neue Antrag Preußens geht dahin, daß der Staatsgerichtshof eine rechtliche und tatsächliche Regelung treffe, die sich in ganz bestimmter Richtung bewegen soll. Damit wird dem Staatsgerichts hof eine Aufgabe zugemutet, zu deren Erfüllung er nicht in der Lage ist. Ich fasse den Antrag dahin auf, daß Preußen für das gegenwärtige Verfahren nicht mehr unbedingt an der Forderung festhält, daß der Reichskommiffar sich jeder Amtshandlung enthalten soll, sondern daß es diese Forderung einschränkt. Die in dem Antrag genannten Befugnisse sollen Befugnisse der bis herigen preußischen Staatsminister bleiben. Da mit wird aber in die Hauptsache eingegriffen. Es fehlt also das Auseinanderfallen zwischen der Entscheidung in der Hauptsache und der Entscheidung über den Erlaß einer einstweiligen Berfügung, das vom Staatsgerichtshof selbst als Voraussetzung für einen solchen Erlaß aufgestellt worden ist.
Die Reichsregierung steht auf dem Standpunkt, daß sie non endgültigen Beamtenernennungen, fomeit dieje nicht zur Erreichung der 3mede notwendig find, feinen Gebrauch machen merde, bag sie sich aber
das Recht nach dieser Richtung nicht streitig machen laffen fann. Insbesondere mußte sie im Falle des Polizeipräfiben. ten von Berlin die Ernennung vornehmen, weil eine lediglich fommissarische Betrauung eine erhebliche Beeinträchtigung der Autorität des Staates zur Folge gehabt hätte.
Wenn aber der Staatsgerichtshof tatsächlich annehmen sollte, daß dieser Antrag eine zulässige Grundlage für den Erlaß einer einstweiligen Verfügung bilden tönnte, so muß, da die Reichsregie rung feine Gelegenheit gehabt hat, den Antrag in seiner ganzen Tragmeite zu prüfen, ihr Gelegenheit gegeben werden, noch ein gehend auch schriftlich dazu Stellung zu nehmen.
Zusammenfassend stellte Gottheiner fest:
Sowohl der Antrag in feiner ursprünglichen Form wie auch in der neuen Formulierung stehe in einem so unlöslichen Zu sammenhang mit der Hauptsache, daß er feine geeignete Grundlage für den Erlaß einer einstweiligen Verfügung bildet. Er bitte daher den Antrag zurüdzuweisen.
Berletzung des Beamtenrechts.
Als Spezialist für das Beamtenrecht legte sodann Profeffor Giese- Frankfurt a. M.
dar, wie einschneidend die Verordnung des Reichspräsidenten in das Beamtenrecht eingegriffen habe. Ihm sei fein Gesez bekannt, wonach preußische Staatsminister und andere Beamte, wenn sie der Einladung zu einer Sigung nicht folgten, abgesetzt werden tönnen. Nach Absatz 2 des Artikels 48 tönnten nur die sieben dort aufgezählten Grundrechte außer Kraft gesetzt werden. Darunter besänden sich aber nicht die den Beamten nach Artifel 129 ber. Reichsverfassung gewährleisteten Rechte. Ein Borgehen nach Artitet 48 2bjay 1 sei zwar nicht an die Schranken befonderer ver. jaffungsmäßig gewährleisteter Rechte gebunden, aber
eine Reichserefufion fönne sich nur gegen ein bestimmtes Land, vertreten durch die Landesregierung, wenden, nicht aber gegen Beamte, die nicht Minister sind.
Die Reichserekution als die ultima ratio des Reiches gegen die Länder habe außerdem als wesentliche Verfahrensvoraussetzung die Mängelrüge nach Artikel 15 RB., die hier nicht einmal versucht worden sei. Somit sei das Vorgehen auf Grund von Artikel 48 überhaupt unzulässig. Mit Rücksicht auf die weittragenden Auswirkungen der festgestellten Benachteiligung von Beamten durch das Reich sei der Erlaß einer einstweiligen Verfügung nicht nur juristisch, sondern auch politisch in höchstem Maße gerechtfertigt. Der Präsident fordert das Material des Reiches.
Darauf griff Reichsgerichtspräsident Dr. Bumfe er nent in die Verhandlung ein und betonte, daß der In halt des vorliegenden Antrags nicht so schwierig sei, daß man ihn nicht ohne weiteres besprechen könnte. Nach der bisherigen Klärung erschienen ihm umfangreiche schrift. liche Auslegungen oder gar eine Vertagung nicht mehr erforderlich. Der Vertreter der Reichsregierung erklärt, daß er es in der heutigen Verhandlung ab. lehnen müsse, die tatsächlichen Vorgänge, in denen die Reichsregierung die Voraussetzungen für ihr Einschreiten erblickt, bekanntzugeben, daß er aber
Die Ländertonferenz in Stuttgart .
Eine farblose amtliche Mitteilung.- Papens Bekenntnis zum Föderalismus.
Stuttgart , 23. Jull.( Eigenbericht.)
Amtlich wird mitgeteilt: In der in Stuttgart abgehaltenen konferenz der Staats- und Ministerpräsidenten der Länder, die unter dem Borfiß des Reichskanzlers stattfand, wurden die wichtigsten Fragen der Außen- und Innenpolifif in vertraulicher, eingehender Aussprache erörtert, woran sich alle anwesenden Regierungen beteiligten. Die Konferenz nahm mit Befriedigung von der Zusicherung Kenntnis, daß die Reichsregierung durchaus auf föderalistischem Boden stehe und die Rechte der Länder nicht antaften wolle. Der Reichskanzler befont, daß in Preußen nur vorübergehende Maßnahmen getroffen werden müßten, um die Ruhe und Ordnung sicherzustellen. Eine Anwendung auf andere Länder fomme nicht in Frage, da die Ruhe und Ordnung dorf nicht gefährdet feien. Die Reichstagswahlen sollen durchgeführt werden, und die Reichsregierung hoffe, den Belagerungszustand in Berlin und Brandenburg in den nächsten Tagen wieder aufheben 3u fönnen. Die Konferenz mar fich einig über die Notwendig. keit, die Autorität der Reichs- und Länderregierungen ungeschmälert aufrechtzuerhalten.
der Reichsregierung die schärfste Mißbilligung ihres Vorgehens in Preußen zum Ausdruck gebracht worden ist.
Bon Papen hat dann mit besonderem Nachdruck versucht, glaubhaft zu machen, daß dieses Vorgehen feine Weiterungen haben würde, da in den anderen Ländern nicht die Voraussetzungen vorhanden feien, wie sie in Preußen gegeben gewesen seien. In diesem Zusammenhang versicherte er, daß der Charakter der preußischen Re. gierung als einer nur gefchäftsführenden keine Bedeutung für die Entschlüsse der Reichsregierung gehabt hätte. Ihr sei es lediglich um die Wiederherstellung der nach ihrer Meinung gefährdeten öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu tun gewesen. Zur Zeit sei die größte Sorge für sie, die Durchführung der Reichstagswahlen sicher. zustellen.
Bon den Vertretern Süddeutschlands wurde besonders zum Ausbrud gebracht, daß in weitesten Kreifen der Bevölkerung, bes balb eine so ftarte Beunruhigung entstanden fel,
weil man des Glaubens sein mußte, daß die Berfassung bergewaltigt würde.
Der Reichsfangler erwiderte hierauf, daß die Reichsregierung gar nicht daran dente, und daß sie auf streng föderalistischem Boden zu verharren beabsichtige. Es war übrigens nicht ohne Intereffe, daß die Notwendigkeit, an der föderalistischen Gliederung des Reiches unter allen Umständen festzuhalten, Don sämtlichen anwesenden Länderregierungen betont wurde, auch von denen, die unter nationalsozialistischer Leitung stehen.
Das über die Stuttgarter Ronferenz der Staats- und Minister präsidenten der Länder ausgegebene amtliche Kommuniqué ist, wie zu erwarten mar, sehr farblos ausgefallen und daher nur eine ich wo a che Miedergabe des tatsächlichen Berlaufs der Verhandlungen, sowohl in fachlicher Hinsicht wie auch bezüglich der Formen, in denen sie sich abgespielt haben. Wir sind zu der Annahme berechtigt, daß von sämtlichen Regierungen der Länder,| Reichsregierung parteipolitisch in teiner Weise ge. in denen die Nationalsozialisten nicht vertreten find,
in Aussicht stellen könne, daß diese Vorgänge in der schriftlichen Auslegung zur Hauptsache im einzelnen dar. gelegt werden würden.
Dr. Bumfe betonte demgegenüber, daß er erneut darum bitten müsse, alles in Frage kommende Material so schnell wie möglich bekanntzugeben, da auch in der heutigen Verhandlung über die einstweilige Verfügung schon der Boden für die Verhandlung in der Hauptsache vorbereitet werden solle.
Die zur Erörterung stehenden Fragen erregten die Oeffentlichkeit in einem Umfang, der sich faum be. schreiben lasse. Aus diesem Grunde dürfe die Entschei dung nicht um Wochen hinausgezögert werden.
Im weiteren Verlauf der Verhandlung vor dem Staatsgerichts. hof betonte Ministerialdirektor Dr. Brecht, das preußische Staatsministerium baue mit seinem Antrag eine Brüde, um über die nächsten Wochen hinwegzukommen.
Der Zustand, der jeht in den Minifterien herrsche, fei furchtbar. Es sei ganz unmöglich, daß es noch vierzehn Tage so weiter. gehen fönne.
Eine vorläufige Regelung sei, unbeschadet der endgültigen Rege lung, unbedingt nötig. Der Redner richtete an den Vertreter der Reichsregierung den Appell, bei der Bemühung nach einen Ausmeg behilflich zu sein.
Bei der sich entwickelnden Aussprache zwischen den Ministerial direktoren Dr. Brecht und Dr. Gottheiner fam es teilweise zu scharfen Auseinandersehungen.
Präsident Dr. Bumfe bemerkte, der preußische Antrag gehe nach seiner Auffassung auf eine gütlich- schiedliche Gewaltenteilung hinaus. eine solche Gewaltenteilung für unmöglich. Dr. Gottheiner erklärte jedoch im Namen der Reichsregierung
fommissar maßgeblich zu entscheiden habe oder das bisher ge Es gebe nur zwei Möglichkeiten, daß entweder der Reichs. preußische Staatsministerium. Eine solde Entscheidung würde aber eine Entscheidung zur Hauptsache bedeuten. Jebe andere Regelung würde aber zu einem unerträglichen 3ustand führen.
Selbstverständlich hat sich auch auf dieser Konferenz der Reichs. fanzler gegen den Vorwurf verwahrt, daß er im Auftrag der Nationalsozialisten gehandelt habe. Seine Versicherung, daß die
bunden fei, wurde sfeptisch aufgenommen.
Das würde nur weitere Gegensäglichkeiten in die preußische Ver. waltung hineintragen.
Da das Land Preußen seine Pflicht zur Bekämpfung einer staatsfeindlichen Partei, die den gewaltsamen Umsturz der Verfassung betreibe, nicht in genügendem Maße erfüllt habe, sei das Vorgehen der Reichsregierung vollkommen verfassungsmäßig.
Die beantragte einstweilige Verfügung sei teine echte Berfügung, sondern fie bezmede die Bo- rwegnahme einer Hauptentscheidung.
Dieser Auffassung treten die Rlagepertreter ent schieden entgegen.
Im weiteren Verlauf der Aussprache richtete der Vorsitzende an den Vertreter der Reichsregierung die Anfrage, ob nach seiner einer einstweiligen Verfügung abgesehen, die Vorschläge des heute Auffassung, von der Rechtsfrage und auch von der Möglichkeit eingereichten neuen Antrages prattisch gangbar erscheinen. Eine weitere Frage ging dahin, welche Lage etma bestehen würde. wenn der Staatsgerichtshof sich zu einer vorläufigen Regelung nicht entschließe, dann aber nach absehbarer Zeit in der Hauptsache eine Entscheidung erlaffe, die ganz oder in gepiffem Maße zugunsten der Antragsteller ausfallen würde. Dr. Gottheiner betonte nochmals, daß nach Ansicht der Reichsregierung eine Ge= paltenteilung, wie sie in dem preußischen Antrag liege, im möglich fei und fein für das Staatswesen gedeihliches Er. Interesse der einheitlichen Führung der preußischen Politik un. gebnis haben würde. Die zweite Frage fönne nicht beantwortet werben, menn man nicht misse, in welchem Umfange und nach welcher Richtung die Entscheidung zugunsten der Antragsteller aus. fallen fönnte. An der Verfassungsmäßigkeit ihres Borgehens habe die Reichsregierung feinerlei Zweifel.
Zum Schluß der Berhandlung richtete der Borsigende an alle Beteiligten die Bitte, die schriftlichen Erklärungen und Gegenerklärungen, die nach der Geschäftsordnung des Staatsgerichtshofes notwendig seien, mit der größtmöglichen Beschleunigung abzugeben,
damit
das Verfahren in der Hauptfache so schnell wie möglich zu Ende gefürht werden könne.
Mach 148 Uhr abends wurde die Berhandlung gefchloffen und die Berfändung der Entscheidung des Staatsgerichtshofes auf Montag. 1 Uhr, festgesetzt.