Nr.345- 4Y.Iahrgang Sonntag, 24. Juli-l9Z2
Jeden Moniag prasselk ein neuer hieb auf die Aermslen der Armen nieder. Am vergangenen Montag war es die Salz st euer, die jetzt mit 12 Pfennigen auf jedem Kilo- gramm Speifefalz lastet, und am kommenden Montag werden den Erwerbslosen nur noch die gekürzten Unter- stühungssätze ausgezahlt. Auf der einen Seite also Steuern auf die letzten Körnchen Salz, auf der anderen Seite Entzug des bescheidensten Existenzminimums für die darbenden Unterstützungsempfänger. Dabei ist noch nicht abzusehen. wann die Attentate auf den Brotkorb der Arbeiterschaft enden werden, heute schon wissen die Hausfrauen nicht mehr ein noch aus. fast verzweifelnd fragen sie sich jeden Morgen, woher sie das Esten für den Tag nehmen sollen. Monatelang haben schon die Bratpfannen nichts mehr anderes gesehen als Margarine, mehrmals in der Woche müssen sich die Esser mit Kartoffeln und einem Stück Salzhering begnügen und dennoch sind als nächstes der Salzhering und die Margarine ausersehen, mit neuen Abgaben belastet zu werden. Wenn seit der vergangenen Woche ein Zweipfund- pakel Salz mit 12 Pf. belastet ist, dann bedeutet dies für die Erwerbslosen und die Kurzarbeiterfamilien entweder den Wegfall des Arühstücks an einem Tag oder den Verzicht auf jenen halben Liter Milch, den man sich bisher noch zu leisten versuchte. Es war lieftraurig anzusehen, wie am vorletzten Sonnabend die Frauen in die Koufmannsläden gingen, ihre Groschen zählten und dann zwei oder vier oder noch einige Pfund Salz mehr verlangten. So versuchten sie, sich für die nächsten Wochen vor der Salzsteuer zu retten. Aber wenn man den Arbeitern nunmehr auch noch den Salzhering und die Margarine nimmt, dann ist es vollbracht: dann zahlen die Armen vielleicht noch die Miele, um ein Dach über dem Kopf zu haben und abends wird es wieder trocken Brot mit Salz geben. Hitlers Galzsteuersoldaten. Ze höher die Vazis stiegen, desto tiefer sank die Lebenshaltung der Armen. Diese Tatsach« muh noch in der letzten zur Verfügung stehenden Woche unermüdlich ins Volk gehämmert werden, in jedem Kaufmannsloden, in jeder Markthalle, auf jedem Wochen- markt müssen die Freiheitskämpfer stehen und den Hausfrauen jagen, worin Hitlers Schuld besteht. Jetzt wird es den Salzfteuer- foldaten, wie die Berliner plötzlich Hitlers SA.-Leute getauft haben, angst und bange. Treppauf, treppab laufen sie und stecken die Türschlitze und Briefkästen voller Flugblätter, in denen es heißt: „Wir sagen fort mit der Regierung der unsozialen Notverordnungen, der Rentenkürzungen und der Salzsteuer!" Zu spät dieses Rufen: Haltet den Dieb! Jedesmal, wenn die Frauen in die Solzmetzen fassen, denken sie an die Hungerverordnungen der Papen -Schleicher- Regierung, die Hitler mit seinen Salzsteuersoldaten toleriert. Dabei hätten die Hausfrauen noch vollkommen recht, wenn sie sagten: „Aber was wollen Sie denn eigentlich, Pellkartoffeln und Heringe sind ja gar kein billiges Essen, wie es immer behauptet wird." In der Tat, wer bei einer vier- oder fünsköpfigen Familie jedem einen Hering kaufen wollt«, der kann auch grüne Bohnen.oder Mohr- rüben mit Schoten kochen, das kommt dann beinahe noch billiger. heule werden die Salzheringe in vier, süns Stücke geschnitten und es kostet jedesmal einen kleinen Kampf um die dicken Mittelstücke und die Verlierer müssen mit den mag«ren Schwanzstücken fürlieb nehmen. Auf jedem Hering lastet heute bereits ein Zoll von einem halben Pfennig. Wenn es nach den Wünschen der Nimmersatten Interessenten geht, wird man diesen Zoll oerdrei- fachen. Dabei ist besonders bei der Margarine nicht recht einzu- sehen, was die geplante Margarinesteuer eigentlich bezwecken soll. Niemand wird deswegen mehr Butter essen, nur weil die Margarine teurer geworden ist. Im Gegenteil. Wer dem Gartenbau bisweilen noch ein Pfund Johannisbeeren abnahm, wird dies dann sein lassen, und wer dann und waim der Landwirtschaft ein Stück Schweinebauch abkaufte, wird auch dies unterlassen, denn er muß ja jetzt acht Groschen für«in Pfund Margarine aufwenden, die vorher noch zum halben Preis zu haben war. Zurück zu 4862. Die jetzt wieder eingeführte S a l z st e u e r ist wohl die un- gerechteste aller indirekten Steuern. Sie kommt einer Kopssteuer gleich, mehr noch, sie belastet die Armen weit schwerer als den Wohlhabenden. Denn diese Beoölkerungskreise ernähren sich über- wiegend von Fleischkost, die nur wenig Salz beansprucht, die Armen dagegen brauchen für ihre reizlose Pflanzenkost(Kartoffeln und Gemüse) ungleich größere Mengen Salz. Je größer die Not, hesto höher der Salzverbrauch. Eine Gegenüberstellung des letzten Vor- kriegsjahres mit dem Jnslationsjahr 1322 beweist dies schlagend. 1913 wurden in Deutschland 544 000 Tonnen Speisesalz verbraucht, das heißt auf den Kopf der Bevölkerung 3,1 Kilogramm. 1922 aber, in den Tagen des Hunaers, wurden in Deutschland verbraucht 811 000 Tonnen Speisesalz, pro Kopf der Bevölkerung 13,2 Kilo- gramm! Für 1923 liegen leider keine genauen Ziffern vor, da man in jenem Jahr in denjenigen Reichsgebieten, wo es drunter und drüber ging, mehr zu tun hatte, als den Salzverbrauch aufzu-
schreiben. Die Salzsteuer ist ein Rückfall in die finsterste Reaktion. Von jeher haben Potentaten aller Art in der Besteuerung des Salzes eine willkommene Pfründe gesehen: überall in der Geschichte stößt man auf„S a l z z e h n t e n", S a l z g e r e ch t s a m e", „S a l z z ö l l e" und„S a l z m o n o p o l e". Die letzte Salzsteuer- aera hat das deutsche Volt von 1867 bis 1326 ertragen müssen, damals vor sechs Jahren war endlich diese ungerechte Steuer ge- fallen. Und jetzt, im Sommer 1332, hat die Regierung der Barone die Salzsteuer zu den gleichen Sätzen wieder eingeführt wie 1867, nämlich 12 Pfennige für jedes Kilo Speisesalz. Bebel kontra Bismarck . Solange es Sozialdemokraten gibt, haben sie gegen die Salz- steuer angekämpft. August Bebel selber war es, der in der Reichs- tagssitzung vom 1. Mai 1872 eine schneidende Kritik an diesem Steuersystem übte. Bebel sprach unmittelbar nach Bismarck . Bismarck hatte wieder einmal schwerstes Geschütz ausgefahren. Er sähe schon, wer gegen die Salzsteuer ist,„zentrifugale Elemente, denen eine Befestigung des Reichs nicht wünschenswert ist". Und er schloß seine Verteidigungsrede für die Salzsteuer mit den Worten: „uns fehlt noch in einem für mich schmerzlichen Matze das Gefühl der staatlichen Verantwortlichkeit in unserer Eesamtvertreter- sitzung!" Sehr lebhaft ist es an jenem Nachmittag vor 60 Jahren im Deutschen Reichstag zugegangen und selbst Eugen Richter konnte im Laufe der Debatte immerhin feststellen:„Es sind heute gerade dreißig Jahre her, daß der preußische Finanzminister den ersten vereinigten ständigen Ausschüssen erklärte, daß es Sr. Majestät dem Könige zur allergrößten Befriedigung gereichen würde, wenn diese Abgabe gänzlich aufgehoben werden würde!" Aber was nutzten damals alle Argumente: Bismarck verstand es, die Salzsteueranträge in einem Bundesratsausschuß begraben zu lassen, wo sie niemals mehr das Licht der Welt erblickten. Anklage gegen die Salzsteuer. Zu einer neuen stürmischen Salzsteuerdeballe kam es in der Reichslagssihung vom 20. März 1836. Die sozialdemokratische Frak- tion(Antrag Auer und Genossen) hatte gefordert,„vom 1. April 1837 ab das Salz von jeder Abgabe und Steuer zu befreien". Die Begründung des Antrages hatte der inzwischen längst verstorbene Genosse Schultze, Königsberg , übernommen. In einer glänzenden, heute noch aktuellen Rede faßte er alle Gründe gegen den Fort-
bestand einer Verbrauchsbelastung durch die Salzsteuer zusammen. „Meine Herren, sagte Schultze, die Salzsteuer ist eine der ungerecht- sertigsten Steuern, die es überhaupt bei uns in Deutschland gibt, und zwar schon deshalb, weil sie auf ein unentbehrliches Genuß- mittel gelegt ist, für das es kein Surrogat gibt und übrigens ein Genußmittel, dessen der Mensch sowohl wie das Tier sich unter keinen Umständen entziehen und entsagen kann. Aber die Salzsteuer ist auch deshalb ungerecht, weil sie gerade die Armen und Aller- ärmsten am allerschwersten lrisst: denn es steht unstreitig fest, daß namentlich die ärmeren Klassen sehr viel mehr Salz konsumieren müssen, als es bei den wohlhabenderen der Fall ist. Ich erinnere daran, daß bereits in früheren Jahren eine Reihe von Statistikern nachgewiesen haben, daß aus den Kops einer wohlhaben- den Familie jährlich nur 10,5 Pfund Salzverbrauch entfallen, auf eine Handwerkerfamilie jährlich 13,6 Pfund. Noch ungünstiger ge- staltet sich aber das Verhältnis für eine Arbeiterfamilie, die vor- zugsweise aus Kartoffeln und Hülsenfrüchte angewiesen ist.. Genosse Schultz« bezog sich dann auf die Ergebnisse der Ein- kommensteuer, nach denen damals eine Arbeiterfamilie nur ein durchschnittliches Einkommen von 500 Mark im Jahr hatte und fuhr fort:.... da ist es selbstverständlich, daß derartige Leute sich für ihren Lebensunterhalt weder gutes Brot noch gutes Fleisch be- schaffen können, sondern daß ihre Nahrung lediglich aus Kartoffeln und Hülsenfrüchten besteht und daß, selbst wenn die Leute Brot zu sich nehmen, sie in Ermangelung der Margarine und der Butter der hohen Preise wegen gezwungen sind, trocken Brot mit Salz und trockene karlosfeln mit Salz zu essen!" Selbst der Fraktion?» redner der Nationalliberalen mußte in jener Reichstagssitzung zu- geben, daß die Salzfteuer eine Kopfsteuer ist, aber die Reichsregie- rung saß auf ihren Bänken und schwieg und als man schließlich von 1.15 Uhr bis 5.35 Uhr genug getagt hatte, stimmte die Mehr- heit des Reichstags den sozialdemokratischen Antrag prompt nieder. * Was wissen davon die Salzsteuersoldaten des Herrn Hitler? Ueber die Taten der Regierung zu diskutieren, ist ihnen ohnedies verboten und so stehen sie stramm und stützen ein Kabinett, das die Salzfteuer von 1867 in voller damaliger Höhe wieder eingeführt hat! Dafür wird ihnen jedoch am 31. Juli die Quittung erteilt wer- den! Die Verbraucher wählen die allen Kämpfer gegen jedwede Salzsteucr, die Sozialdemokraten,
Liste 1.
Ms Eer'ln.
Täglich wächst die Heerschar der Freiheitskämpfer.- Getarnte Nazis.
Seit dem vergangenen Mittwoch steht der Reichstags- Wahlkampf im Zeichen des Belagerungszustandes. Jeden Morgen stehen vor den Anschlagsäulen die Männer und Frauen und diskutieren, was der Wehrkreiskommandeur verordnet hat. Unterdessen hat in der Reichshauptstadt ein erbitterter Flaggenkrieg begonnen. Daneben wird an den Hauptverkehrsplähen Berlins der Kampf um den Wähler vor allem mit Flugblättern geführt. -i- Soweit sich bisher ein Ueberblick über den Flaggenkrieg ge- Winnen läßt, kämpfen Neukölln und der W e d d i n g knapp vor dem Osten Berlins um den Sieg im Hissen der Freiheits - sahnen. Im Norden wie im Süden sind ganze Straßen- züge geradezu vorbildlich beflaggt: überall sieht man neben den schwarzrotgoldenen Reichsfarben die drei Frei- h e i t s p f e i l e. Es ist dabei nicht weiter verwunderlich, wenn den Nationalsozialisten daran liegt, besonders in den Arbeitervierteln ihre Flugblätter zu verteilen. Da die Braunhemden jedoch genau wissen, daß ihnen dort kaum jemand ein Flugblatt abnehmen wird, haben die Verteiler jegliche Abzeichen abgelegt und obendrein die Flugblätter gewissermaßen„getarnt". So werden von den Ratio- nalsozialisten in den Arbeitervierteln den Passanten Flugblätter in die Hand gesteckt, die am Kopfe bezeichnenderweise entweder die drei Freiheitspfeile oder den Sowjetstern tragen. Erst bei näherem Hinsehen bemerken die Arbeiter, daß in Wirklichkeit die Partei der Fürsten und Prinzen um ihre Stimmen wirbt. Jedenfalls ist es ein sehr klägliches Zeichen, wenn sich die Nazis durch derartige
Tod des Segelfliegers Gronhoff. Absturz an der Wasterkuppe. Fliegerlager Wasserkuppe, 23. Zull. Der ausgezeichnete Segelflieger Günther Grönhofs fand in den späten Rachmiltogsstunden bei einem Fluge durch ein Gewitter den Tod. wahrscheinlich versagte die Steuerung, und das Flugzeug stürzte ab. Grönhoss sprang mit einem Fall- schirm ab: anscheinend war aber die höhe zu gering und der Fallschirm konnte sich nicht mehr richtig entfalten. Beim Ausprallen aus die Erde wurde Grönhofs tödlich verletzt.
Taschenspielertricks an die Wählermassen Berlins heranmachen müssen. Uebrigens war gestern nachmittag allgemeine Flugblatt- Verbreitung in Groß-Berlin: alle Parteien, die noch einige Hoff- nung hegen, im kommenden Reichstag vertreten zu sein, wandten sich an die Berliner Wahlberechtigten, so daß in den Abendstunden die Hauptplätze Berlins mit Papier wieder übersät waren. Die Eiserne Front hatte zum Wochenende auf eine Flugblatt- Verteilung auf den Verkehrsstraßen verzichtet. Dafür waren alle verfügbaren Kräfte, soweit sie nicht zur Landagitation eingeteilt waren, treppauf, treppab unterwegs, um jede Berliner Haushaltung über die Ziele der Eisernen Front in der gegenwärtigen Zeit aufzuklären. Die Nazis, die schon glaubten, das Recht der Flugblattverteilung allein für sich in Anspruch genommen zu haben, waren nutunter sehr erbost, vor ihren Wohnungstüren die Freiheitspfeil« auftauchen zu sehen. Allerdings gaben sie sich meist kaum die Mühe, die Flug- blätter der Eisernen Front zu lesen, sondern sie warfen sie in ihrer Wut zum Fenster hinaus. Dann warteten die Nazis, bis unsere Flugblattverteiler die.Häuser verließen und mit einem Mal« unkte es von irgendwoher:„Landesverräter",„Deserteur" oder was den Leuten gerade so einfiel. Unsere Flugblattverteiler aber, die zu chrem überwiegenden Teil in der Arbeiterbewegung grau geworden sind, stellten sich dann einfach auf die Straße und begannen zu reden. Knapp, aber scharf. Natürlich kommen alle Leute sofort ans Fenster, um zu sehen, was denn auf der Straße los sei, und in diesem Moment setzten unsere improvisierten Redner ein: Wer gegen diese Schmach ist, der stimm« ein in unseren Ruf„Freiheit!". Und freudestrahlend berichten tagtäglich die Kämpfer der Eisernen Front, wie plötzlich die Frauen und Männer, die bislang sozusagen sich neutral verhalten hatten, diesen Ruf aufnahmen und begeistert mit einstimmten:„Freiheit!" Die Nazis aber machten recht lange Gesichter. Dabei achten die Massen des Volkes sehr deutlich auf Kleinig- keiten. Die Männer, die in den Wartesälen der Arbeitsämter sitzen: die Frauen, die an den Marktständen vorbeigehen, um zu sehen, wo es das billigste Gemüse gibt, sie sind durchaus nicht stumm. Zehntausendmal wurde gestern und vorgestern der Satz gesprochen: „Haben Sie schon gehört, um 4 Uhr früh haben sie die Leute aus dem Bett geholt." Diese Massen vor den Anschlagsäule» ergehen sich nicht in theoretischen Tüfteleien. Sie begreisen unmittelbar, woher der Wind neuerdings weht, und überall find sie wieder dabei, sich einzureihen in die große Kampsfront für die Freihest. Heut« in acht Tagen wird abgerechnet!