Schüsse in der Naunynfiraße. Eine unbeteiligte Frau durch Kopsschuß niedergestreckt. Im Osten der Stadt, tn der N a u n y n st r a ß e, sammelten sich gestern abend vor dem N a z i l o k a l, an dem in den Abende stunden eine große Hakenkreuzfahne gehißt wurde, Hunderte von Kommunisten an. Ein Ueberfallkommando griff ein, um die Demonstranten zu zerstreuen. Dabei soll, wie die Polizei erklärt, au« den Häusern Naunynstrahe 20 bis 28 auf die Schupo- beamte« aus den Fenstern geschossen worden sein. Die Beamten schössen gleichfalls scharf und durch eine Kugel wurde eine Frau, die im Hause Naunynstraße 25 wohnt und aus Neugierde am Fenster stand, in den Kops getroffen. Schwerverletzt wurde das unschuldige Opfer ins Krankenhaus gebracht. In der Stralauer Straße kam es gestern abend zu einer Straßenschlacht zwischen Kommuni st en und Nationalsozialisten. Ein Kommunist wurde durch einen tiesen Messer st ich in den Hinterkopf erheblich verletzt. Mehrere an der Schlägerei Beteiligte erlitten leichte Verletzungen. Von der Polizei wurde dem Handgemenge ein Ende bereitet und zehn Mann festgenommen. Es handelt sich um fünf Hakenkreuzler, einen Kommunisten und vier Parteilose.
Zwischenfall bei einer Demonstration. Wafsengebrauch der Polizei.- Demonstrant schwer verletzt. Im Norden und O st e n der Stadt versuchten gestern abend größere Kommunistengruppen zu demonstrieren. In einem Falle, an der Ecke der Stargarder und der Senefelderstraße, machte die Polizei von der Schußwaffe Gebrauch. Ein Kommunist dessen Personalien bisher noch nicht feststehen, wurde durch«inen schweren Bauchschuh niedergestreckt. Der Verletzte fand im Krankenhaus am Friedrichshain Ausnahme. Der blutige Awischen- fall soll dadurch entstanden sein, daß einige Beteiligte des etwa 1000 Mann starken kommunistischen D«monstration«zuges gegen die Mannschaft eines Polizeiautos tätlich vorgingen. Die Schupo schoß zuerst in die Lust und gab dann mehrere scharfe Schüsse ab. Nach der Schießerei löste sich die Menge von selbst auf. Fast zur gleichen Zeit hatte sich in der Koppen, und der Palisaden st raße ein kommunistischer Demonstrationszug von ZOO Teilnehmern gebildet. Die Menge wurde von der Polizei zer- streut. Es erfolgten drei Festnahmen.
Gefängnis für Zeitelverieiler. Erste Urteile auf Grund des Ausnahmezustandes. Von den nahezu 200 Kommunisten, di« in den letzten Tagen wegen Derteilens von Flugblättern mit der Aufforderung zum Generalstreik festgenommen wurden, hatten sich vor dem Schnell- geeicht die b«Iden ersten, die Erwerbslosen Kurt Krüger und Karl Schreiber, zu verantworten. Die beiden Angeklagten waren am 22. Juli, also einen Tag nach der Verordnung des Militärbefehlshabers von Rundstedt gegen den Generalstreik, heim Verteilen von Flugblättern festge- nommen worden. Das Gerickst erkannte gegen beide Angeklagte gem>iß dem Antrag des Staatsanwalts auf eine Gefängnis- strafe von j« einem Monat. Tovessturz eines Gerüstarbeiters. B«im Abbau eines Gerüstes von der Fassade des Hauses Friedrichsgracht 27 ereignete sich gestern gegen IS Uhr ein todlicher Unfall. In der Höhe des zweiten Stockwerkes war der ZSjährige Gerüstbauer Han « Kowall aus der Cauerstr. 25 in Chorlottenburg an einem Fenster mit dem Lösen der Quer- Verbindung beschäftigt. Plötzlich verlor K. den Halt und stürzte kopfüber auf die Straße hinab. Der Verunglückte wurde mit einem Schädelbruch und schweren inneren Verletzungen durch die Feuer- wehr in die Charit« gebracht, wo er kurze Zeit nach seiner Ein- lieferung starb, ohne das Bewußtsein wiedererlangt zu haben.
Typographla: Hierdurch werden alle Sänger gebeten, zu der Einäscherung des Vorstandsmitgliedes Hermann Bühles am Donnerstag 17� Uhr im Krematorium Gerichtstraße pünktlich zu«rscheinen.
„Die Wahl ist geheim!" Aber du kannst deinen Stimmzettel zum Fenster herauechängen. Denn du bist Kämpfer für die Freiheit! Freiheitssahnen heraus! So mahnte die Eiserne Front, so stand es im„Vor- wärt»", und dieser Appell an Frecheitsgeist und Bekennertum hat ein vieltausendsaches Echo gefunden. Schon bei den Wahlen vom 13. März, vom 10. April und vom 24. April stand Berlin unter dem Zeichen des„F l a g g e n k a m p f e s". Wir haben die Methoden gegeißelt, mit denen die Nationalsozialisten für bares Geld Ge- sinnungen zu erkaufen oersuchten. Diese Kampfesart ist gewiß nicht immer ohne äußeren Erfolg geblieben. Aber«in« Fahrt gerade durch die Wohnstraßen der Proletarierviertel zeigt, wo diese Saat des Unkrauts nicht gedeihen kann und wo die Menschen gegen das Gift des Gesinnungskauses immun sind. Darüber hinaus ist es besonders vom soziologischen Standpunkte aus interessant, fest- zustell«», in welchen Bezirken der Stadt sich die Nazis zeigen und wo sie abgewimmelt wurden. Oer verseuchte Südwesten. Wenn man vom„Vorwärts"-Haus in der Lindenstraße in die Porckstrahe«inbiegt und dann durch Schöneberg fährt, nachdem man vorher einen kleinen Abstecher durch die Gneisenaustratze nach der Hasenheide zu gemacht hat, kommt man zu der Feststellung: hier haben zum mindesten in den Vorderhäusern die Nationalsozialisten die Ueberhand. Hier wohnt der Mittelstand, der schon immer zu allzu großem Teile nicht über eine weltanschaulich begründete polstische Ueberzeugung verfügte und deshalb ein willkommenes und willfährige» Opfer für da« verlogene Phrasentum der Hitler -Partei ist. Aber auch in dieser hakenkreuzverseuchten Gegend lassen sich die Kämpfer der Freiheit nicht klein kriegen. Immer wieder sieht man die Fahnen der Freiheit, und gegenüber dem Bahnhof Großgörschen- straße prangt an einem Hause«in riesige« Transparent, das von der schwarzrotgoldenen und der roten Freiheitsfahne umrahmt ist und die Wort« trägt: wir wählen Liste 1 Sozialdemokraten. Es ist vielleicht bezeichnend, daß sich gerade in diesen Gegenden sehr viele SA.- Kasernen befinden und daß hier die Gefahr, von braunen Rowdys angefallen zu werden, außerordentlich groß ist. Oer«.stille, vornehme� Westen. Je m«hr man nach dem neuen Westen kommt, um so weniger spürt man vom Kampf der Flaggen und Symbole. Daß die ou»- gesprochenen Geschäftsstraßen ausfallen, ist nur natürlich. Aber auch in den Wohnstraßen ist es recht still und friedlich. Ab und an eine Fahne, dann wieder eine ziemliche Weile nichts, dann eine ganz breite Etage mit Hakenkreuzfahnen, vielleicht au»«inem Unter- mieterzimmer das Zeichen der Republik oder die drei Pfeile der Freiheit. Hier tritt der Unterschied zwischen Vorderhaus und Hinter- haus noch besonders deutlich in Erscheinung: die Menschen, die am 81. Juli ihre Stimme für die Freiheit, für die Liste 1 Sozialdemo- kratie abgeben werden, wohnen nach hinten heraus. Seltsam berührt es, daß auch hier wie anderswo die schwarzweißrote Fahne fast vollkommen weggefallen ist. Lleber Moabit nach dem Wedding . Die Fahrt nach Moabit zu bringt zuerst ein Bild, das dem Westen ähnelt: auch im Hansaviertel beispielsweise herrscht ziemliche Stille im Kampf. Das ganze Bild ändert sich mit einem Schlage, wenn man dann zum W« d d i n g herüberkommt. Rote Freiheitsfahnen, schwarz- rotgold, schwarzrotgold mit drei Pfeilen, wieder die Freiheitsfahn«, zwischendurch kommunistische Sowjetfahnen, die in einzelnen Straßen sogar stark vertreten sind, aber nahezu verschwunden, manchmal ganze Straßen lang überhaupt nicht, dann wieder ganz vereinzelt zu erblicken ist das Zeichen der Knechtschaft: die Hakenkreuz- sahne. In der B u t t m a n n st r a ß e ein großes Transparent:„wählt Liste 1" über die ganze Breite hinweg. Und immer wieder rot.
schwarzrotgold, drei Pfeile. Ein einziger Triumph des Freiheits- gedankens, ein einziger Appell zum 31. Juli und eine einzige oer- nichtend« Ueberführung der nationalsozialistischen Arbeiterverräter: An Berlins Arbeiterviertel kommt ihr nicht heran. Oer rote Osten. Es geht weiter vom Wedding , über den Gesundbrunnen , der Danziger Straße zu und dann rund herum durch das Viertel am Schlesischen Bahnhof . Hier gibt es, wenn man von ganz wenigen Einzelerscheinungen absieht, nur zwei Fahnen, die miteinander im Ringen liegen. Die Fahne der Freiheit und die Fahne der Sowjets. Es ist schwer, zu sagen, wer von beiden obsiegt. In der Lange Straße zeigt die eine Straßenseite beinahe Wohnung an Wohnung die drei Pfeile der Freiheit. In anderen Straßen wieder hat das kommu- nistische Zeichen eine schwache Uebermacht. Aber wo ist denn das Hakenkreuz geblieben, das im alten Westen so prahlte? Es ist weg, es ist verschwunden, es ist wie ausgelöscht. Diese„Arbeiter- partei" hat in Arbeitervierteln nichts zu suchen. Neulölln wählt Liste 1. Die Fahrt herüber nach Neukölln ist eine Bestätigung, viel- leicht sogar noch eine Bekräftigung des erhebenden Eindrucks, den Friedrichshain und Wedding bieten. Hier stehen ganze Straßen unter dem Zeichen der roten Freiheitsfahne, hier ist manchmal Fenster an Fenster beflaggt. Die Weserstraße, die Hobrechtstraße, die Finowstraße, di« Reuterstraße ein einziges Meer von Rot und Schwarzrotgold! Wie ein Symbol wirkt es, wenn man an einem Naziheim varbeikomnü, da» im Parterre gelegen ist. Da haben sich, bewacht von den gekauften Söldlingen des Kapitals, die Hitler - Lappen herausgewagt. Aber in den Wohnungen darüber zeigen sich stolz und sieghaft die Fahnen der Republik , die Fahnen der Eisernen Front. Eine bezeichnende Episode zum Schluß: Ein Flugblattverteiler der Sozialdemokratie, ein alter Feldsoldat des Weltkrieges, ist in Neukölln von Nazilümmels als Landesverräter befchimp-ft worden. Dies« Gemeinheit ist durch hektographierte Flugzettel in der Nachbar- schalt bekanntgemacht worden. Was war die Folg«? Di« An- wohner kamen, um Freiheitssahnen zu bestellen, und obwohl sie nicht der Sozialdemokratischen Partei angehören, zeichneten sie sich für unser Freiheitsopfer ein. Gsmeinheit und Lüge strafen sich eben selbst. Perlin » Arbeiterschaft führt de» Wahlkampf im Zeichen der Freiheit. Sie wird mit der Liste 1 der Sozialdemokratischen Partei Deutschland » siegen? Kampfmeihoben der SA. Mit wie niederträchtigen Mitteln die SA.-Trupps arbeiten, be- weist ein Borsall, der sich in diesen Tagen in der B a e r w a l d- straße, Ecke Gncisenaustraße. abspielte. Ein junger Arbeiter, der seine trank« Mutter besucht hatte, be- fand sich bei einbrechender Dunkelheit aus d«m Heimwege. Eine Gruppe von etwa sechs Menschen in Zivil kam ihm entgegen und grüßte Ihn mit öem Rufe:„Rot Front !" Der Arbeiter, der politisch nicht organisiert ist, aber mit d«n Kommunisten sympothi- siert, antwortete mit dem gleichen Gruße. Darauf schlugen die sechs unter Rufen wie:„So einer bist du!" auf ihn « i n. Angesichts der Uebermacht ergriff der Ueberfallene, der unter anderem einen heftigen Hieb-gegen das Kinn erhielt, die Flucht. Es ist einwandfr«! festgestellt, daß es sich bei den Tätern um HA.» Leute aus ven umliegenden Heimen handelt. Gemeinere Kampf- Methoden sind wohl nicht mehr auszudenken.
Herr Jett hängt seinen Mantel nach dem winde. Wie uns aus unserem Leserkreise mitgeteilt wird, ist das Lokal des Wirtes Zelt, Kopsnhagener Straße 17, inzwischen zu einem Nazilokal geworden. Kämpfer der„Eisernen Front" trinken ihr Bier anderwärts.
Osksr /JJ' V/ � st J\ HM J/ i tÜJt?! Jk. � In Gedanken daran grinst Amman Weikli voll Ham, als er dem Ohnmachtsmann am Pfahl den schweren Sack um den Hals hängt. Dem wird der Kopf niedergerissen von dem unerwarteten Gewicht, und die mit teuflischen Fratzen be- malte Ketzermütze fällt vornüber über den Holzstoß, gradaus vor die Füße des Rottenhauptmanns Käs, der eben vorbei will, um dem Pfalzgrafen Ludwig die volle Ordnung seines Haufens zu melden. Käs hält mit aufgehobenem Fuß inne, wie aus Angst, in einen stinkenden Unflat zu treten. Dann aber, den Elsenschuh zurückgesetzt, wieder in sicherem Stand, mit beiden Sohlen auf dem Boden des Brühls, nimmt er einem den Spieß aus den Händen, gabelt damit die Insel auf, reicht sie solcherart dem Henker hin und schreit dabei Hus an: „Auf daß sie mit den Teufeln verbrannt werde, denen du gedient hast, du Chetzerchaib!" Amman Weikli nimmt die Mütze mit spitzen Fingern vom Spieß(er muß behutsam umgehen mit ihr; denn sie ist ja Papier und nicht etwa Fleisch!) und setzt sie dem Böhmen aufs Haar, das durch und durch der belle Schweiß feuchtet. Hus vergißt seine Bangigkeit und lächelt. Er hat zwar den zornigen Zuruf des Hauptmanns nur !zur Hälfte begriffen, doch er ist erstaunt und verwundert über die ameisige Eile, mit der sein Gehirn, knapp einen Atemzug vorm Tod, die neue, bisher nie gehörte Vokabel „Chaib" aufnimmt und sie sich einprägt derart gründlich, als ob es dieses Wort für Ewigkeiten behalten müsse. Die Latein- schule fällt ihm ein. Zwölf Jahre Zucht unterm Bakel ver- leugnen sich eben nicht, nicht einmal auf dem Scheiterhaufen. Wie recht hatte doch Ieronym mit seiner scherzhaften Dis- putationsthese, der Mensch sei weiter nichts als eine Klaffi- fikationsbestie. Doch Hussens Lächeln hat noch andern Grund. Das wütende, mißtönige, sich überstürzende Falsett des Hauptmanns hat ihn die Augen aufschlagen lassen, und da sieht er nun vom Holzstoß hinunter in ein Gesicht, das ohne
Lachen überhaupt nicht zu ertragen ist. Aus Eisenkappe und Kettenkrause leuchtet es bleich und mondig heraus. Von Ge- ficht keine Rede: diese Hauptmannsfresse ist nur ein wort- protzender Hinterer. Das Lächeln des Gequälten durchschneidet wie ein Segler die anbrandenden Wellen der Vergangenheit. Wo, denkt er, habe ich dies Gesicht jemals im Leben ge- sehen? Die nächste Sekunde schon bringt ihm die Antwort. Das unruhige Gemurr und Gerurr der um die Richt- stätte versammelten Masse schwemmt ihn nach Böhmen zu- rück. Die letzten Jahre ziehen vorbei wie ein hoher, zer- klüfteter Kreidebord. Und als die Erinnerung ihn ans Ufer wirft, ist er in Prag , mitten drin in der Aula der Universität zur Zeit des Nationenstreits. Da sind sie tobend aufgestanden wider ihn, diese Gssicyter. Was ihnen an Gründen abging, haben sie durch Geschrei ersetzt. Nachher mit List. Als er schon glaubte, den Sieg in Händen zu haben, hat ihn der König getäubt mit dem Spruch:„Du mit deinem Genossen Ieronym machst mir fortwährend Wirrnis: wenn diejenigen, deren Amt es ist, nicht vorkehren, werde ich euch für den Scheiterhaufen sorgen!" Ja, nun brennt es. dies Feuer! Nicht von Wenzel angezündet, dem gekrönten Säufer, aber doch von diesen Gesichtern, die mit ihrer Ueberzahl die Welt füllen, und die ihm nicht vergessen können, daß er ewig und immer ihr Widerpart war. Nun sind diese runden Zweckgesichter über ihn Meister geworden: denn sie sitzen in der Mitte der Welt und an der Welt Rande. Sie sitzen überall. Wo die Welt ein Amt hat, sitzen sie. Sie werden noch sein und Herr- schen, wenn er längst nicht mehr ist... Das Hauptmannsgesicht meldet sich nochmals: „Umdrehen den Ehaib! Ein Ketzer, der auf der Scheiter steht, hat sein vermaledeites Gefräß gegen den Niedergang der Sonne zu kehren, nicht gegen den Aufgang!" Der Henker unterbricht einen Augenblick seine Hantie- rung und schaut wie fragend den Stadtvogt an. Der nickt bejahend, und die drei farbigen Federbüsche seines Helmes wippen bestätigend mit. Auch andere Stimmen mischen sich ein. „Ja, dreh ihm die Fratze gegen N.edergang!"� Wie ein Hund vor den Steinen duckt sich Am?-» Deckst vor den Zurufen und zieht das Genick e i Scha.ck um den Aufenthalt, aber es geht nicht anders. Schnell willfazn er. macht die Halskette locker und schiebt sein Opfer mit harten Kniestößen an die andere Seite des Pfahls.
Die an den Pfahl gefesselten Hände gehen nicht rasch genutz mit. Das Knacken der gequälten Knochen ist bis in die hinterste Reihe des Ringes zu hören. Elender Schmerz! Hus begreift. Er ist nicht mehr in Prag , an der Stätte seiner Kämpfe und seiner Triumphe, sondern in Konstanz an seiner Letztstatt. All die da unten, deren gierige Augen ihn verschlingen, sind nicht Zeugen seines Siegs über Böswillige, Neider und Widersacher, nein, sie sind Zeugen seiner Nieder- läge, seines schmählichen Tods. Die Vision dieser Nacht hat doch recht behalten. Eine unbekannte Macht hat ihn festgekeilt an der Schachtafel des Lebens, eine grauenvolle Hand hat ihn an den Mattplatz gestellt. ,„Ie»u Christ«, fill Del vivi, qui passus es pro nobis, wiserere rnei!" Immer wieder murmeln es seine blaugewordenen Lippen, aus denen alles Blut wich. Doch seine Gedanken irren von neuem ab zu dem Schachspiel, als das ihm sein Leben ge- gölten. Er hat gemeint und w«r stolz darauf, Herr der gescheckten vierundsechzig Felder zu sein, Blindspieler an mehreren Brettern, Führer der angreifenden vorwärtsdrängenden weißen Steine. Aber die Zweifel belchrein und umschwirrn ihn wie Raben. Ist er wirklich der Leiter und Anreger ge- wesey, Herr seiner Züge? War er vielleicht letzten Endes doch weiter nichts als ein vorgeschobener, geschundener Stein? Sturmbock, den überlegene und überlegenere Kräfle zum An- griff benutzten? Den sie fallen ließen wider alle Regeln, als es harl auf hart ging? Es läßt sich nicht leugnen: er hat gerne Schach gespielt. Sein ganzes Leben, soweit er sich dessen bewußt ist. war glatt ein Schachzabel. Dem König hat er gedient und der alle Felder beherrschenden Dame. Der Stoßwucht der Türme hat er die widerstrebenden Bauernlinien geöffnet. Die diplo- niatisck>en Läufer hat er an die wirksamsten Plätze gestellt. Die Springer, unter denen Ieronym sein glänzendster war. tummelten sich in immer kühnerer, verwegnerer Gangart. Seine größte Liebe und seine subtilste Kunst aber wandte er an di? Führung der Bauern. Sie. die mindesten und ver- achtetsten Figuren im Brett, hat er allmählich zu den wirk- samsten gemacht. Wer widersteht noch ihrer geschlossenen Linie? Doch zu welchem Zweck dies alles? Daß es in Hohn und Spott osrflackre auf brennender Scheiter? „.Jesu Christe, fili Dei vivi, qui passus es pro nobis, wiserere weil"(Fortsetzung folgt.)