Schiffer£awreni§ Qefchichte Srssählung ton Sugene 3)abH
Von Kindheit an hatte Laurent seine Zukunft vor sich gesehen. In seiner Familie war man Schifser. Und nach dem Großvater fuhr nun Laurents Bater auf der Adrienne. Laurents Großeltern bewohnten ein Dorf oberhalb Greils. Ihr kleines, gartenumgebenes Haus blickte auf die Oise , die am Fuße des Abhangs vorüberfloß. Jeden Tag lief Laurent am Flusse hin bis an eine Schleuse. Dort beobachtete er die Manöver und hörte auf die Rufe der Schiffer. Er folgte den Kähnen und stellte sich an das Hafenbecken, wo halbnackte Schauerleute arbeiteten. Am Ufer lagen Berge von Sand, die er auf allen vieren erkletterte und von denen er sich wie eine Tonne hinunterrollen ließ, nachdem er von der Höhe Ereil und die ragenden Schornsteine seiner Fabriken gesehen hatte. Mit den Kameraden veranstaltete er Spiele. Wenn sie müde waren, setzten sie sich auf die Böschung über dem grünen Wasser, in das die Schlepper ölige Spuren zeichneten, der Wind die Blätter wehte, die Männer allen Schmutz warfen. Langsam glitt alles der Seine zu, die die Oise bei Conflans-Sainte-Honorine erreichte. Beim Klange dieses Namens träumte Laurent von einem fremden, fernen Land. Spät kehrte er nach Hause zurück. Man drohte, daß man es Vater schreiben werde, der bald in Paris war, bald in Nauen , bald im Norden, bald im Osten. Nun, so würde endlich ein Brief kom- men, dachte Laurent, dessen Umschlag er studieren könnte, und ein Bericht, der viel schöner wäre als ein Märchen. Zuweilen begleitete auch der Großvater Laurent auf seinem Spaziergang. An der Schleuse setzte sich Großvater auf einen Stein und gab seinem Enkel Erklärungen. Laurent mußte ihm die Na- men der Kähne vorlesen, und der Kleine tat es gern, weil der Alte dann von seiner Vergangenheit erzählte. Ueberall war er gewesen: in Belgien , Deutschland und Holland . Laurent, der zu seinen Füßen saß, fragte: Werde ich das alles auch sehen?", und der Alte ant- wartete seufzend:„Du trittst an Vaters Stelle, wie er an meine Stelle getreten ist." Wenn sie heimkehrten, ging die Sonne unter. Ihre letzten Strahlen liebkosten das dunkle Wasser, über dem die Libellen mit gläsernen Flügeln kreuzten. Die Angler rollten ihre Leinen ein, die Zillen machten fest, und im Hintergrund stieg bläulicher Rauch auf. In der Schule lernte Laurent so gut wie nichts. Man hatte ihm einen Atlas gegeben, und er brachte Stunden damit zu, in ihm zu blättern und alle Flüsse und Kanäle, auf denen er einst fahren würde, rot zu unterstreichen. Er lebte seinen Traum, hatte nie den Wunsch nach einem anderen. Fragte man ihn, was er werden wolle, sagte er:„Ich werde Schiffer wie Vater." So hatte er den Spitznamen Schiffer-Laurent bekommen. Mit Vorliebe hielt er sich auf einer flachen Sandbank auf. Seine Kameraden entfernten sich watend vom Ufer. Einer über- querte die Oise , und Laurent bewunderte ihn. Es war ein be- sonders heißer Sommer. Die Kähne glitten langsamer vorwärts, und die Schlepper brüllten wie müde Zugtiere. Laurent badete früh und abends. Cr übte sich im Schwimmen, und als er er konnte. Mußten die Großeltern es sehen. Der Alte meinte,„Nu kannst du auf der„Adrienne" fahren." Einige Monate später verlor Laurent seine Großmutter. Er weinte. Doch Vater kam, den er so selten sah. Vater erklärte dem Alten:„Ich nehme den Kleinen mit." Er blieb ein paar Tage da, um alles zu ordnen. An dem Abend, der der letzte war in Laurents bäuerlicher Existenz, ging er noch einmal ans Ufer der Oise . Die Gräser neigten sich, die Wasser sangen, ein frischer Wind drehte schaumige Strudel. Laurent ging nach Hause und schlief zum letztenmal in einer Stube. Mit Vater kam er nach Eonflans-Sainte-Honorine oder, wie sie hier sagten, Conflans-Fin d'Oise. Die„Adrienne" war ein schönes Fahrzeug, fest, mit bauchigen Flanken, braun gemalt mit hellgrünen Streifen. Sie lag gut im Wasser, gehorchte dem leisesten Ruder- druck und war fein gehalten. Laurent ging in die Kajüte, wie er so oft in seinen Träumen getan hatte. Er sah zwei übereinander stehende Betten, einen viereckigen Tisch, Strohstühle, Wandschränke und, auf einem Bord, die Photographie der Großeltern. Laurents Mutter war eins Blondine mit sommersprossigem Gesicht und mit wasserhellen, blauen Augen. Sie arbeitete den ganzen Tag. Sie fegte, scheuerte, schälte Gemüse, bereitete das Essen zu, während der Kahn mit seinen Holz, Sand, Steine oder Kohlen tragenden Schwestern die Seine hinabsuhr. Bald war Laurent eingelebt. In Bluse und langen Hosen lief er bloßfüßig auf dem Kahne hin und her und hörte nicht auf Mut- ters Angstrufe. Hinten stand Vater und hielt die Ruderstange fest in seinen großen Händen. Laurent beugte sich hinab und sah auf das Boot, das der„Adrienne" folgte. Wie gern hätte er darin gesessen, um auf eigene Faust zu fahren! Wenn es durch eine Schleuse ging, drängten sich die Kähne um den Schlepper, der, wie ein gutmütiges Ungeheuer, Rauchwolken von sich blies. Man fuhr weiter, und an kahlen oder baumbepflanzten Ufern sah Laurent
®eiil|clie Sossiatillen Lorenz von Stein bis 1800). Es geht eine gewaltige Bewegung durch unsere Zeit. In joden Glauben, in jedes Herz greift sie mächtig hinein, zugleich Liebe und Kampf findend, wo sie auftritt. Sie redet uns von einer schönen Zukunft, voll von kühnen Bildern und stolzen Gestalten. Es ist die Freiheit, bei deren Namen die Gegenwart Europas bis ins Innerste tief bewegt erzittert. Soll eine Bewegung wahr sein, so muß sie nicht bloß ihr Ziel kennen. Jeder Punkt, der sich zwischen Beginn und Ende findet, muß einzeln überwunden und aufgelöst daliegen, wenn mit dem letzten zugleich die Ruhe in ihm gefunden werden soll. Ueberspringt sie auch nur eine einzige Stufe, so muß sie zurück, und das Be- gonnens gegen den jetzt zweifachen Zweifel noch einmal beginnen. Die innere Unsertigkeit des Wahren ist ihm ein größerer Feind als der Irrtum. Jens Freiheit aber— ist s i« uns eine innerlich fertige zu nsnen? Ist sie abgeschlossen und vollendet mit einer Staatsform? Haben wir das, was uns bisher trieb, wahrhaftig schon verstanden und punktweise bis an die Grenze verfolgt, an die es denjenigen treiben muß, der sich ihm hingibt? Was ist es denn, was uns auf Volke Vertretung hoffen läßt? Was ist es, was in uns die B o l k s erziehung fordert? Was ist es, was wir von der Tages« presse eigentlich hoffen? Eilt der Gedanke, wenn er anders airf- richtig ist, nicht hinqps über jene enge Grenze des vagen Liberalis- mue, zu der Idee, daß in jedem höchsten, seinem Wesen n«ch gemein- iamen Gut die Persönlichkeit alz solche unendlich berechtigt ist? Und die Idee— ist sie in ihrem tiefsten Grunde eine andere, als die der G l« i ch h e i t? Ist dem aber so, wo ist denn die rechte Aus- gäbe und die wahre Grenze dieser Gleichheit der Person?
Dörfer mit ihrem Fährprohm, Städte mit ihrer steinernen Brücke. Dann kam wieder eine Schleuse, wo man ewig warten mußte, bis man an der Reihe war. Endlich war man in Rouen . Das war eine riesengroße, verräucherte alte Stadt, die ganz beherrscht wurde von spitzen Kirchtürmen. Hier war der Fluß viel breiter. Inseln ragten daraus auf, und man spürte fast schon die Gezeiten. In einem Jahr fuhren sie, durch den Kanal von Tancarville, bis nach Le Hbvre. Zum ersten Male sah Laurent das Meer, die weißen Segler und alle die Schiffe, die so anders waren als die „Adrienne". Aber ohne Sehnsucht fuhr er die Seine wieder hinauf. Auf dem Flusse erlebte er die Jahreszeiten: den Winter, da das Wasser schmutzig und so häßlich war, daß es dem Meere zuzueilen schien, um sich zu verstecken, und da an manchem Morgen die „Adrienne" in einem Eispanzer saß, den man mit dem Bootshaken zerschlagen mußte. Den Frühling, da unter zartgrünen Bäumen friedliche Angler ihre Schnur auswarfen. Den Sommer, dessen Mittagssonne das Wasser wie flüssiges Metall zwischen den dunklen Ufern hinströmen ließ. Den Herbst, der die welken Blätter aufs
Wasser streute. Schön war es zu allen Jahreszeiten, schön waren die Jahre überhaupt. Aber sie eilten davon wie die Wellen. Seine Eltern wurden alt. Er nahm Vaters Platz an der Ruderstange ein, wusch das Deck, treidelte die„Adrienne" an die Schleusen, warf das Tau, wenn angelegt werden sollte. Auch der Kahn alterte. Laurent fühlte, daß der Boden unter seinen Füßen nachgab: er hörte die Balken knarren, wenn sie die Seine aufwärts fuhren, er hörte die Spanten ächzen, wenn die Ladung allzu schwer war. Er tat olles, was nötig war, er teerte, kalfaterte und malte. Aber schließlich mußte die„Adrienne" doch ins Dock. Laurent konnte nicht gut sehen, daß fremde Hände sie berührten. Er lies von Bord und fuhr nach Paris , wo er sich am Kanal Saint-Martin und am Hafen von La Billette umhertrieb, in einer Gegend also, die er vom Kahn her kannte. Zuweilen kam er bis zur Place de la Bastille , wo er die Seine wiedersah. Dort hatte ihn eines Abends eine Frau angesprochen---- Sie waren weitergefahren. Die„Adrienne" hatte ihre Jugend wiedergesunden, glitt mit Behendigkeit durchs Wasser. Doch Lau- rents Eltern wurden immer ichwächer. Der Vater litt an den Fol- gen zahlloser Rebelmorgen und Regentage. Die Mutter arbeitete noch wie sonst. Sie mußte. Das Wasser sang ein Lied, leise oder laut, langsam oder schnell, je nachdem, wie die Tage waren. Und die Zeit verging. Laurent verheiratete sich. Die Eltern gingen an Land, in das Dorf, in dem Laurent als Kind gelebt hatte. Er blieb allein auf der„Adrienne", als ihr Herr.(Schluß folgt.)
WeUbild und Weiianf S)urehSchnUl durch die Jlltr&nomie der Qegenrtarl/ ton S)r. Siruno Allmann
Im vergangenen Jahrhundert hat ein Kompetenzenstreit in der Wissenschaft zu scharfen Debatten geführt. Naturforscher und Philosophen nahmen das Recht auf weltanschauliche Prägungen ausschließlich für ihre Fachgruppe in Anspruch. Es sah — um 1900 herum— so aus, als ob den Naturforschern das Mo- nopol zugesprochen werden mußte, weil die ewig gültigen Bausteine der Weltanschauung, die wissenschaftliche Grundlage der Weltanschauung, angeblich von ihnen allein beigesteuert werden könnten. Da fegte eine Revolution in verschiedenen Spezialgebieten das Weltbild der damaligen Naturwissenschaft fast völlig beiseite. Zwischen st adium. Zunächst wollte die alte, von Kant und L a p l a c e aufgestellte Theorie der Entstehung unseres Sonnensystems nicht mehr mit neuesten Entdeckungen zusammenstimmen. Die Bahn des Jupiter und Ultranus um die Sonne, das wurde festgestellt, verläuft in einer mit der Theorie unvereinbaren Richtung und verschiedene Monde, der achte Jupitermond, der zehnte Mond des Saturn, ein Mond des Mars, des Neptun , des Uranus bewegen sich in Bahnen, die sie nach der angeblichen Ablösung vom Zentralkörper der Sonne gar nicht einhalten können. Kant und Laplace mußten revidiert wer- den, aber bis heute ist noch keine Weltanschauungslehre aufgestellt worden, die sich so allgemeiner Geltung ersteut hätte wie seiner langen Zeit nach die Kant-Laplacesche Kosmonogie. C h a m b e r l i n s„P l a n e t e s i m a l t h e o r i e", die die Entstehung der Planeten aus Gasschwaden der Sonne herleitet, sowie etwa die Entstehung des Nordlichts aus abgeschleuderten Teilchen des Sonnenkörpers, bleibt prinzipiell im genialen Gt- dankengefüge der Kant-Laplaceschen Lehre. Sie besteht den Ein- wand, gegen den die alte Hypothese wehrlos ist, aber kaum besser. Die Astrophysiker sind auch zum großen Teil mit L o ck y e r s Meteoritentheorie, nach der unser Planetensystem sich aus Msteoritenschwärmsn gebildet habe, unzufrieden. In letzter Zeit ist Hörbigers „W e l t e i s l e h r e" populär geworden, wahrscheinlich deshalb, weil sie sine anschaulich prächtige Konstruktion von der Entstehung des Kosmos darbietet und zum erstenmal wirklich eine Welt bildungslehre, keine bloße Schöpfungs- theorie unseres Planetensystems, enthält. Diese„Glazial- kosmogonie" nimmt ursprünglich zwei Weltkörper an: einen Riesen- glutball, der etwa zehnmilliardenmal schwerer ist als unsere Sonne, und ein vereistes Gebilde von etwas größerem Umfang als die Sonne. Der Eiskörper fei in den Glutball gestürzt und der dadurch entstandene hochgespannte Wasserdampf habe gewaltige Mengen des größeren Körpers in den Weltraum geschleudert. Aus diesen Kata- strophenmassen seien die Fixsterne, seien Planeten, Monde und unsere Sonne entstanden. Den Physikern und Meteorologen will auch diese Hypothese nicht recht einleuchten. So stehen wir vor einem paradoxen Sach- verhalt. Alle Forschungsergebnisse haben den Weltentstehunqsvor- gang nicht aufgeklärt, sondern problematischer erscheinen lassen, als er den Gelehrten erschienen ist, die von der Kant -Laplaceschen Theorie überzeugt waren. Man entschließt sich zu einer oder der anderen neuen Hypothese geradewegs nur aus dem Grunde, weil der Stolz des Forschers es nicht erträgt, über das gewaltige Kapitel Weltbildung ganz unorientiert zu erscheinen. Das neue Weltbild. Wie sieht aber— für den Naturwissenschaftler— die ent- st a n d e n e Welt nun aus? Doch auch anders als für den Gelehrten vor einem Menschen- alter. Die Welt der heutigen Astronomie ist gegenüber der Betrach- tungsweise von 1900 ebensoviel größer geworden als die Welt des nachkopernikanischsn Gestirnsforschers gegenüber der Auffassung mittelalterlicher Zeiten. Mit einem Milchstraßensystem, zu dem auch unsere Erde gehört, käm der Astronom Anno 1900 au«. Die neuere Beobachtungstechnik erlaubt« ihm, noch weitere Milchstraßen- systeme, also immer neue Riesenmossen von Sternen, zu entdecken,«ine Sterndrist, bis zu deren äußersten Entfernungen der Lichtstrahl mit seiner Sekundengeschwindigkeit von 300 000 Kilo- meiern erst nach 150 Millionen Iahren gelangen soll. Diese ungeheuren Raumeinschätzungen schienen der alten An- nahm« von der Unendlichkeit der Welt eine Stütze zu bieten. Mit dieser Annahme hat aber die auf der R e l a t i v i t ä t s l e h r e beruhende Physik gebrochen. Da Universum, lehrt Einstein , ist endlich, wenn auch unbegrenzt, eine Gestalt, die nur unter Zu- grundelegung des gekrümmten Raumes möglich ist. Allerdings will Einstein seine These nur so lange aufrechterhalten, als die Wissen- schaft gestattet, den Durchmesser de» Universum » bi« zu 240 Milliar- den Lichtjahren anzusetzen. Einstweilen verweilt also die Astronomie bei der Vorstellung des«Mächen Raumes, der trotzdem wie eine Kugelfläche umgrenzt sein kann, weil er gekrümmt ist. Die alt« Frage des Kinderliebes:„Wieviel Stern' am Himmel stehn?" hat ein englischer Astronom, E d d i n g t o n, während de» Kriege» beantwortet. Er stellt 18 Größenklassen von Fixsternen aus, insgesamt sollen gegen 150 Milliarden solcher Sonnenkörper da» Universum bevölkern. Außer den Fixsternen gibt e» im Welt- ro»m noch sehr viel«, sehr ausgedehnte Gosmassen. Sie erscheinen der« unbewaffneten Aug« al» zerstreut«, schwach leuchtende „Nebelflecke ". Weltkörper sind es auch, als Sonnen kann man
sie nicht bezeichnen, weil ihre Teckperatur sehr gering ist. Sie glühen nicht, sie leuchten nur. Ueber Größe, Dichtigkeit, Bswegungsrichtung, Farbe, Alter, Geschwindigkeit der Fixsterne und Nebelflecke wissen die Astronomen heute mancherlei Angaben zu machen. Sie ergänzen packend und anschaulich das Bild der Weltkörper größten Formats, das auch in diesen Punkten teilweise erheblich von dem Weltbild der Gelehrten voriger Generation abweicht. Auch über unsere Erde denkt der Forscher heute anders als der Kollege vor einem Menschenalter. Die Vorstellung eines Körpers mit glutflüssigem Kern, der von Zeit zu Zeit die Vulkane zum Auswurf feuerhaltiger Stoffe zwingt, ist ausgegeben. Hart an der Oberfläche vulkanischer Gegenden befinden sich glutslüsstge Massen, das Erdinnere beharrt, wie die Geologen von heute sagen, im„plastischen", d. h. festen, geformten Zu st and. Tief in der Erde, 2900 Kilometer, soll eine Schicht schwerer Metalle, hauptsächlich von Nickel und Eisen, lagern, darüber verschiedene Steinschichten von Sulfid und Oxyd, etwas höher große Schächte magnesiumreicher Silikatgesteine. Zu oberst befinden sich, vermutlich bis zu 6 Kilometern, die reinen Silikatgesteine wie Granit und Schiefer. Es ist noch kein Bergmann mehr als 2Vt Kilometer in die Tiefe gedrungen, der Forscher kann seine Mutmaßungen über den Gehalt des Erdinnern nur aus Schwereberechnungen der Erd- flächen anstellen. Selbswerständlich ist er erst recht auf Mutmaßungen anqe- wiesen, wenn er von der Welt der Größten, der F i x st e r n e, über unseren Planeten, zur Welt des Kleinsten, zu den letzten Teilen der Materie, den untermikroskopisch winzigen Bausteinen des Weltalls, betrachtend übergeht. Auch da hat der Forscher seit 1900 gewaltig umgelernt. Die mechanische Naturauffassung von damals, die alle Vorgänge an festen, flüssigen und gasförmigen Körpern auf reine Bswegungsvorgäng« kleinster Pfeile, der Atome, zurückführte, ist preisgegeben. Was man so Materie oder Stoff nannte, soll im Grunde aus Elektrizität bestehen. Aus einer positiven elektrischen Hauptmasse, um die negative Elektronen mit unvorstell- bar großer Geschwindigkeit kreisen, denkt sich der Naturforscher die Materie zusammengesetzt. Die 72 Grund st offe der Chemie von 1900, die ein Jahrzehnt später schon aus 80 angewachsen waren, sind gar nicht artverschieden. Sie sind alle elek- trische Energiequanten und nur durch die ungleiche Anzahl und Ge- schwindigkeit der umlaufenden Elektronen um ihren positiven elek- trischen Atomkern gewinnen sie verschiedene Form und Kraft- äußerungen. Eine großartige Vereinfachung der Erkenntnis, dabei eine merkwürdige Annäherung an die Lehre des Griechen Demo- krit, der— 500 Jahre o. Chr. Geburt— die Grundstoffe eben- falls nur als quantitativ verschiedene, in Größe, Form, Zahl der Atome abweichende Naturgebilde ansah. Was ist damit gewonnen? Verzichten wir, mit der Schilderung dieses skizzenhaften Ab- risses der Natur und ihrer Vorgänge fortzufahren, etwa neben die magmentarische Oberflächendarstellung der anorganischen Sphäre der Welt eine solche der organischen zu setzen. Die Frage dürfen wir uns aber doch schon an dieser Stelle vorlegen: was ist mit dieser Art naturwissenschaftlicher Betrachtungen gewonnen? Zunächst keine garantiert endgültige Einsicht über Gestalt und Entwicklung im Universum. Die Forschergene- ration um die Jahrhundertwende hat mit diesem Anspruch einen bösen Hereinfall erlebt, die Gelehrten werden sich das hoffentlich für immer als Warnung vor ähnlichen Anmaßungen merken. Wir müssen also darauf gefaßt sein, daß eine künftige Forschergeneration unsere Betrachtungen über Himmel und Erde und alles, was den Gesamtrohmen der Natur ausfüllt, samt und sonders verwirft, genau so, wie die heutigen Wissenschastsvertreter die Naturauffassungen von 1900 großenteils verworfen haben. Sodann merken wir uns das ein für allemal: es ist mit diesen Belehrungen nur ein Weltbild geboten, keine Weltanschauung. 'Ich sehe, wenn ich Hörbigers „Glazialkosmogonie" folge, er- staunliche Dinge und Vorgänge. Ich st e l l e mir zwei ungeheure Weltkörper vor: ich sehe sie in Karambolage geraten, ich male mir die Zertrümmerung gewaltiger Massen und ihre Losreißung vom Zentralkörper aus, ich f ü g e die Trümmer mit bildlicher Vor- stellung-kraft wieder zu Weltkörpern zusammen und schaue inner- lich den so geformten. Sternenhimmel über mir. Ein gewaltiges Gemälde, da» die Naturforschung entwirft, aber doch immer nur ein Bild, ein Weltbild. Beim Geben, beim Vorstellen, beim Ausmalen, beim innerlichen Schauen bleibt es, wie viele Belegstücke einer natürlichen Welt- Verfassung ich auch der Forschung und Feststellung unterwerte. E» bleibt erst recht dabei, wenn ich da» Weltbild mit Zutaten der bio- logischen Wissenschaft ergänze und etwa nach dem darwinistisch- lamorckistischen Schema mir ein Bild van der Entstehung der Arten mache.„Welch ein Schauspiel!" Zur Weltanschauung formt sich da» Weltbild erst dann um, wenn ich die faustische Frage im weitesten Ginn« beantworten kann:„Wie faß ich dich, unendliche Natur?" Ich muß über Ginn und Zweck der Weltbestände, über die Möglichkeit und Notwendig- keit de» Zusammenhang» und Ineinandergreifen» der Weltbestände, größten wie kleinsten Formats. Auskunst erteilen können, dann, und nicht vorher, Hab ich eine Weltanschauung.