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Morgenausgabe

Nr. 359

A 177

49. Jahrgang

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Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Dienstag 2. August 1932 Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschl

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Das neue Geficht.

Ist dieser Reichstag arbeitsfähig?

Von Paul Löbe .

Der Deutsche Reichstag wird in Zukunft nur fünf aus­schlaggebende Parteien aufweisen: je zwei Flügelparteien rechts und links und eine schmale Mitte.

Da die sieben Abgeordneten der Deutschen Volkspartei und einer vom Landvolk getrost zu den Deutschnationalen gezählt werden können und die Bayerische Volkspartei zum Zentrum, bleiben gut gerechnet noch vier bis sechs Mann übrig, die sich in keine der großen Gruppen einordnen lassen. Wirklich entscheidend sind nur noch Sozialdemokraten und Kommunisten auf der Linken, Nationalsozialisten und Deutschnationale auf der Rechten und in der Mitte das Zentrum mit den Bayern .

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Welche parlamentarischen Arbeitsmög lichkeiten bietet dieser neue Reichstag? Er hat zunächst eine sichere nationalsozialistisch- kommunistische Mehrheit, die ohne jede Hilfe das Kabinett Papen- Schleicher stürzen fann ganz abgesehen davon, daß es dabei an der Mitwirkung der Sozialdemokraten nicht fehlen soll. Die nationalsozia­listisch- kommunistische Mehrheit ist jetzt in der Lage, allen ihren radikalen, antikapitalistischen sozialistischen Anträgen zum Siege zu verhelfen selbst wenn die Sozialdemokratie so schlecht und verräterisch wäre, wie es vor der Wahl be­hauptet wurde, und ihnen dabei nicht helfen würde. Aber sie wird helfen. Jedenfalls fönnen die beiden äußersten Flügel für alle die Versprechun­gen Mehrheiten herstellen, die sie den Wählern gegeben haben. Es beginnt der Anschauungsunterricht für ihre Gläubigen, die im Lande so zahlreich vorhan­den sind.

Da es aber zu einem dauernden positiven Zusammen­wirken dieser ungleichen Mehrheit nicht kommen kann, muß eine andere Basis für Regierungsbildung und Regierungsführung gesucht werden. Eine Rechtsmehr­heit, wie sie Herr Hugenberg erträumte, ist nicht vorhanden. 230 Nationalsozialisten und 37 Deutschnationale und 7 Volks­parteiler und ein Landvolk- Mann bleiben zusammen immer noch um 20 bis 25 Stimmen unter der Mehrheit, während Brüning in der letzten Abstimmung im alten Reichstag noch 30 über der Mehrheit besaß.

Ohne die Mitte, ohne Zentrum und Bayern ist eine parlamentarische Regierung nicht möglich, und Bemühungen der Herren Papen und Schleicher dürften zunächst darauf gerichtet sein, diese Mitte mit den Nationalsozialisten zu irgendeinem Bakt zu bringen, der ihnen das Weiterregieren ermöglicht. Ganz leicht wird das nach den hinter uns liegenden Kämpfen nicht sein. Die Nationalsozialisten stehen jetzt auch im Reiche vor dem Scheidewege: dem Teufel der Koalition den kleinen Finger zu reichen oder weiter auf die Mehrheit zu warten, die trotz aller Erfolge der letzten beiden Jahre in weite Ferne gerückt ist. Denn sie haben weder den ,, Marxismus ", noch das Zentrum in ihrer Position schwächen können und Splitterparteien, die aufgefressen werden können, sind nicht mehr vorhanden. Es ist nicht die ,, andere Hälfte des Volkes", die sie nach Herrn Straßer noch zu belehren hofften, sondern nahezu zwei Drittel haben sich dieser Belehrung noch immer unzugänglich erwiesen.

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Die Aussichten auf eine eigene Majorität müßten also

auf eine Zeit verlegt werden, bei welcher den erfüllungs­hungrigen Anhängern die Geduld reißt, den freigebigen Spendern vielleicht auch das Geld ausgeht. Dadurch wird die Neigung zu Kompromissen in den höheren Stellen der Partei wachsen und es dürften sich die ersten Differenzen zum Troß ergeben, der auf alles oder nichts eingestellt ist. Scheitert auch das Zusammenwirken zwischen Zentrum und Nationalsozialisten, dann ist die Gefahr des Weiter regierens mit Notverordnungen und Ver­fassungsdehnung in nächste Nähe gerückt. Dann wird sich die starke Regierung" soviel wie möglich von dem Reichstag freizumachen suchen, der sich ,, nicht fähig und willig gezeigt hat, im Rahmen der ihm durch die Verfassung zugewiesenen Obliegenheiten mit ihr Hand in Hand zu arbeiten", wie es in dem Wahlaufruf heißt.

Für die im wesentlichen ungeschwächte Sozial­Demokratie, die sich gehalten hat, trotzdem der ganze Ansturm und die zügelloseste Beschimpfung von rechts und links gegen fie gerichtet war, ergibt sich eine flare Linie in dieser Wirrnis:

Wir werden der Mehrheit des Reichstags, die das Wort sozialistisch im Munde geführt hat, die praktischen

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Hitler- Ultimatum an Papen ?

Uebergabe der Macht gefordert?

Paris , 1. Auguft.( Eigenbericht.)| listische Partei soll außerdem verlangen, daß man ihr die Macht in Preußen ausliefert.

Die Spätausgabe des ,, Ami du Peuple" veröffentlicht folgende Havas- Meldung aus Berlin :

,, Im Laufe der Nacht zum Montag hat der Generalstab der Nazipartei unter dem Vorsiz Hitlers in dem Büro des Braunen Hauses in München die politische Lage in mehreren Konferenzen geprüft, an denen vor allem Hauptmann Röhm, Hauptmann Göhring, Gregor Straßer , Rechtsanwalt Frank und der persönliche Adjutant Hitlers , Brüdner, teilgenommen haben. Im Laufe dieser Unterredungen, die fich bis in die frühen Morgen­stunden ausgedehnt haben, scheinen wichtige Beschlüsse ge­faßt worden zu sein. Straßer, Göhring und Frank find beauftragt, worden, sich sofort nach Berlin zu begeben, um diese Wünsche der Reichsregierung mitzuteilen. Sie werden zu diesem Zwecke gleich nach ihrer Ankunft eine Unterredung mit dem Reichswehr minister haben, der von der Nationalsozialistischen Partei als der starte Mann der gegenwärtigen Regierungsfombination und die Hauptstüße jeder neuen Kombination angesehen wird. Wenn man Informationen aus guter Quelle Glauben schenken darf, sollen die Emissäre im Namen Hitlers eine tiefgehende Umbildung der Reichsregierung verlangen, die darauf hinauslaufen würde, fast die ganze Macht der Nazipartei zu übergeben.

Reichskanzler von Papen soll einem von Hitler bezeichneten Kanzler Platz machen.

Diese Mitteilung soll gewissermaßen

die Form eines Ultimatums

haben. General von Schleicher soll davon in Kenntnis gesetzt werden, daß, wenn er die Forderungen Hitlers ablehnt, sofort eine heftige Offensive gegen die Reichsregierung ein geleitet werden würde, bei der auch die Person des Reichswehr­ministers nicht geschont werden soll."

In dem Augenblick, in dem die Reichsregierung vor diesem angeblichen Ultimatum Hitlers fapitulierte, wäre der Reichspräsident nur noch eine Schattenfigur und praktisch abgesetzt. Hitler aber, den eine erdrückende Bolks­mehrheit als Reichspräsidenten abgelehnt hat, wäre der tat­fächliche Herr Deutschlands . Zugleich wäre, wenn auf die Einberufung des Reichstags ,, verzichtet" würde, die Ver­fassung von Weimar gewaltsam beseitigt und der Bürger­frieg in Deutschland sozusagen offiziell eröffnet.

Daraus ergibt sich die Pflicht der Regierung, Ulti­maten der geschilderten Art unter allen Umständen zurückzuweisen. Zunächst aber ist sie zur Auskunft ver­pflichtet: Existiert ein solches Ultimatum und wie stellt sie sich zu ihm?

Ebenso soll die NSDAP . das Innenminifterium erhalten. Dagegen foll General von Schleicher Reichswehrminister bleiben. Was den Reichskanzler v. Papen hat, wie verlautet, seine ur­Reichstag anbetrifft, so würde man einfach darauf verzichten, sprüngliche Absicht, gleich nach den Wahlen auf Urlaub zu ihn einzuberufen, da die Nazis im voraus je de Koagehen, aufgegeben und seine Abreise von Berlin ver­lition mit dem Zentrum ablehnen. Die Nationalsozia schoben.

Der Terror in Königsberg .

Zwanzig Verdächtige verhaftet.- Nazi- Auto beschlagnahmt.

Die Terroristen gehören der Partei an, die Herr v. Papen als die aufbauwilligen Kräfte der Nation", als die Partei der nationalen Wiedergeburt" bezeichnet hat.

Herr von Papen hat in seiner Rundfunkrede nach| Reichsregierung wie den Reichskommissar für Preußen an Amerika versichert, daß die Ruhe und Ordnung in Deutsch ihre Verantwortung zu erinnern! land wiederhergestellt sei. Die Nationalsozialisten haben darauf eine Antwort erteilt, die man nicht nur in Deutschland , sondern in der ganzen Welt hört! Ihre Anhänger sind zu terroristisch- anarchistischen übergegangen, wie sie Deutschland bisher nicht fennen gelernt hat.

Methoden

Jn Königsberg wurden fozialdemokratische und kommunistische Führer zu gleicher Stunde in ihren Wohnun­gen überfallen und niedergeschoffen. Ebenso wurde auf den Regierungspräsidenten von Bahrfeldt, der eben erst von dem Reichskommiffar feines Amtes enthoben wurde, ein gleicher Anschlag verübt. Bon Bahrfeldt ift Bolksparteiler. Es wurden Bombenanschläge gegen Häuser der Arbeiterschaft und gegen Zeitungen unternommen.

In Braunschweig wurden Bombenanschläge gegen das Eigentum der Arbeiterbewegung wie gegen die Wohnung des Oberbürgermeisters verübt.

In Schleswig- Holstein wurden in zehn Orten Bombenanschläge gegen Wohnungen von Sozialdemo­traten und Kommuniffen, gegen Konjumvereine und Ber­

tehrslokale verübt!

Herr von Papen und Herr Dr. Bracht haben in öffentlichen Rundfunkreden erklärt, daß die Ruhe in Preußen wiederhergestellt sei. In Wahrheit sind die bürgerkriegsähn­lichen Zustände in Breußen schlimmer als zuvor! Das ist nicht die Schuld der Kommunisten allein das ist vor allem die Schuld der Nationalsozialisten!

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rung genügen würde, um den Blutopfern ein Ende zu Die Behauptung, daß die Absetzung der Preußenregie­machen, ist durch die Ereignisse widerlegt!

Terroristische Afte wie in Königsberg und Schleswig­ Holstein haben sich unter der Regierung Braun- Severing nicht ereignet! Wie kommt es, daß unter der kommissarischen Verwaltung die Nationalsozialisten zu anarchistischen Me­thoden übergegangen find?

sozialisten behauptet, fie müßten zur Selbsthilfe greifen, weil Vor dem Gewaltatt in Preußen haben die National­die Regierung Braun- Severing fie nicht schühe. Jeht decken fie ihre Terrorafte mit ähnlichen Behauptungen gegen die tommiffarische Verwaltung.

Der Bölkische Beobachter" erklärt, der Aus­

Das sind wohlverbürgte, durch das halb amtliche WTB. verbreitete Nachrichten! Wir stellen das fest, weil zur selben Zeit, als diese Nachrichten be- nahmezustand in Preußen sei mit dem Ergebnis aufgehoben fannt wurden, der Reichskommissar für das preußische worden, daß heute der marristische Blutterror mit verdoppel­Innenministerium, Herr Dr. Bracht, eine drohende Kund- ter Scheußlichkeit und Gemeinheit wieder auflebe. gebung gegen die Presse erlassen hat, damit sie nicht durch falsche Nachrichten aufheße.

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,, Wir verlangen deshalb kategorisch von der Regierung, daß fie für die Sicherheit der Straße endlich Sorge Wir werden uns dadurch nicht abhalten lassen, sowohl die trägt. Die letzten Wochen haben gezeigt, daß die Einsetzung

Vorschläge zur Milderung und Behebung der Krise durch staatliche Eingriffe und soziale Maß nahmen unterbreiten und erproben, wie weit sie gewillt sind, die dem Volke gegebenen Versprechungen zu erfüllen.

Jeder Anschlag auf die Staatsbürgerrechte des Volkes aber wird unsere energische Abwehr finden.

Je deutlicher sichtbar diese unsere Tätigkeit dem deut­ schen Volke gemacht wird, um so eher wird an Stelle der betäubenden Hypnose der Schlagworte wieder die nüchterne Kritik und die ernsthafte Prüfung treten. Mit diesem Vorfag treten wir in den Reichstag ein, dessen Arbeitsfähigkeit auch wir mit den stärksten Zweifeln jentgegenfehen.