Die Regierung ohne Parteien.
v. p a p e n :«.Meine Herren, von jetzt ab müssen Sie mich wieder kennen. Wer soll mir denn den Vertrag von Lausanne ratifizieren?"
Wissel! gekündigt. Oer Abbau des Schlichtungswesens beginnt.
Wie wir erfahren, ist der Schlichter für Berlin -Bran- d e n b u r g, unser Genosse Rudolf Wissell , vom Reichsarbeits- minister zum 1. September gekündigt worden. Nach dem Abbau der sozialdemokratischen und republikanischen politischen Beamten er» folgt nun ganz folgerichtig der Abbau sozialdemokratischer Schlich- ter. Durch diese Kündigung wird sich das Ansehen des derzeitigen Reichsarbeitsministers gewiß nicht heben. Genosse Wissell hat während seiner langjährigen Tätigkeit als Schlichter in einem Bezirk, der vielleicht mehr als sonst einer in Deutschland von wirtschaftlichen Konflikten erschüttert wird, mit großem Geschick, sozialem Verständnis und einem von allen Par- teien anerkannten Takt sein schwieriges Amt ausgefüllt. Er ist in der Ausübung seiner Tätigkeit manchmal scharf angegriffen worden
und die Kommunisten haben jede Gelegenheit benutzt, um ihn mit den heftigsten Vorwürfen zu bedenken. Es wird aber keinen Ge- werkschafter geben, welcher politischen Richtung er auch angehören mag, der jemals mit Wissell in seiner Eigenschaft als Schlichter zu tun gehabt hat, und Wissels Scheiden nicht bedauern wird. Von den Scharfmachern im Unternehmerlager aufs heftigste befehdet, hat Wissell es verstanden, sich durchzusetzen. Auch die Unter- nehmer haben ihm nie die Anerkennung seiner außerordentlichen Sachkenntnis und seiner stets korrektm Geschäftsführung absprechen können. Do der neue Reichsarbeitsminister sich mit der Absicht trägt, das Schlichtungswesen abzubauen, ist es durchaus logisch, daß er mit einem der hervorragendsten Vertreter des Schlichtungswesens den Anfang macht.
Was nun? Von der Mahnung zur Ver fassungstreue bis zur Empfehlung des Staatsstreichs. Die Betrachtungen der Presse über den Ausgang der Reichstagswahl werden überschattet von der Frage: was soll nun geschehen, wie soll in Deutschland regiert werden? Die Antworten darauf wechseln, sie gehen bis zur offenen Pro- paganda für den Verfassungsbruch. Die„Germania " rechnet der Rechten vor, daß d i e Illusionen der Rechten zerstört worden sind. Das Volk fei mit dem Aufgebot seiner ganzen Kraft für die Siche- rung seines Rechts und seiner Freiheit eingetreten. Im An- schluß an diese Feststellung wird die unbedingte Achtung vor der Verfassung gefordert: „Wir wissen nicht, welche Folgerungen aus der gestrigen Eni- scheidung von der gegenwärtigen Reichsregierung gezogen werden, die alles andere als eine Bestätigung ihrer Amtsführung erfahren hat. Wir wissen auch nicht, ob und wie es gelingen wird, den neu- gewählten Reichstag, in dem eine nationalseziolifch-kommunistische Mehrheit besteht, zu einer arbeitsfähigen Einrichtung zu machen. Wir wissen nur und fordern, daß nach dieser Wahl die Zeil verfaffungsrechllicher Experimente und machlpolilifcher Aktionen vorbei ist, nnd daß die bereits be- gonnenen zu liquidieren sind. Die Reichsrcgierung hat keinen Auftrag, noch weniger als bisher, die verfassungsrechtlich höchst anfechtbaren Methoden fortzusetzen, mit denen sie ihre Politik bisher geführt hat. Sie hat keinen Auftrag, weiter die Parteiwünsche der Nationalsozialisten zu erfüllen, wie sie das bisher nicht zum Segen des deutschen Volkes getan hat. Sie hat dagegen die Pflicht zur höchsten Besonnenheit und Zurück» Haltung, bis der neugewählle Reichstag seine Funktionen über» nommen hat. Sie hat vor allem die Pflicht, dm Reichstag zu dem verfaffungs- mäßig gegebeneu Termin einzuberufm und vor ihm zu er- scheinen. Der Tag, an dem das geschieht, wird über mehr entscheiden, als über das Schicksal einer Regierung. Die„Kölnische Zeitung " zielt auf eine Tolerie- rung einer Rechtsregierung durch das Zentrum ab: „Cs wäre demnach die Aufgabe des Zentrums in der nächsten Zeit, eine Rechtsregierung zu tolerieren. Wir glauben allerdings, daß das gegenwärtige Kabinett in seiner jetzigen Zusammensetzung eine solche Tolerierung nicht finden würde. Es ist auch schon aus anderen Gründen erforderlich, die Nationalsozialisten sichtbar mit Berant- wortung zu belasten, und die Rechtsregierung der nächsten Zeit so zu gestalten, daß die Nationalsozialisten fest an diese Regie- rung gebunden sind. Wenn die Nationalsozialisten sich bisher dem zu entziehen suchten, so ist durch den gestrigen Wahlausfall auch für sie«ine gewiffe Veränderung der Lage entstanden. Bisher konnten die Nationalsozialisten immer noch hoffen, daß sie weiterhin an- wachsen würden und ihnen eines Tages die alleinige Macht zufallen könnte. Jetzt ist jedoch die nationalsozialistische Welle zum Stillstand gekommen, und damit dürften auch die Hoffnungen auf die alleinige Machtübernahme einstweilen geringer werden." Weiter nach recht? hin springt man leichtfertiger mit der Verfassung um. Die„Deutsche Tageszeitung" stellt zunächst fest, daß die Erwartungen der Rechten enttäuscht worden sind, kommt aber dann mit logischem Bocksprung zu dem Schluß: nun erst recht Papen-Kurs! Die„K r e u z- Z e i t u n g" empfiehlt dem Kabinett der Barone, den Wahlausgang so anzusehen, als ob es eine Mehrheit erhalten habe: „Es war das erste Mal, daß eine deutsche Regierung durch die Auflösung des Parlaments das Volk zur Entscheidung darüber auf- rief, ob es mit ihr einverstanden fei oder nicht. Die Antwort auf diese Frage haben nicht allein die 17 Millionen Wähler gegeben, die für die Rechte gestimmt haben, sondern ebenso auch die 7 H Millionen Wähler, die nicht zur Wahl ge- gangen sind und die damit bekundeten, daß sie keinen Grund hätten, die Beseitigung dieser Regierung zu wünschen." Ob die Erfinder dieser Konstruktion daran gedacht haben, daß nach diesem Rezept die Regierung Braun» Severing bei der letzten Preußenwahl eine Mehrheit für sich reklamieren könnte? Die„Deutsche Zeitung" ruft offen zum Staatsstreich: „Es ist gut, daß nach Lage der Dinge im neuen Reichstage Koalitionsverhandlungen und ähnliches nicht m ö g- lich sein werden. Sie dürfen auch nicht mehr möglich sein. Der Weg weist zu gänzlich neuen Formen, die an dieser Stelle bereits bei Antritt der Regierung Papen angedeutet worden sind. Damals schrieb(am 3. Juni) die„Deutsche Zeitung": „Aus Wehrmacht und Wehrbewegung, aus rühm- reicher Ueberlieferung und jugendlichem Zukunftswillen muß in den kommenden Monaten die Front erwachsen, die zur Trägerin der neuen Staatsgesinnung und des neuen Staates bestimmt ist." Ueber den weiteren Gang der Dinge wird sich die Staats- macht mit der Bewegung der Nation zu verständigen haben. Das Zentrum und überhaupt irgendwelche Parteien wird man dabei nicht befragen. Das organische Hineinwachsen der nationalsozialistischen Bewegung und des konservativen Gedankengutes der Deutschnationalen in den Staat ist unaufhaltsam. Die Neuregelung in Preußen, die mit einer Neuordnung des Verhältnisses zum Reich— Beseitigung des Du- alismus— Hand in Hand gehen muh, wird vielleicht den Anfang dieses Prozesses von innen heraus bilden." Hier wird die Diktatur von Reichswehr und SA. ge- fordert! Der„Angriff" will einfach die kommunistischen Stimmen für ungültig erklären: „Die Möglichkeit einer Regierungsbildung auf parlamentari- scher Grundlage scheint bei diesem Reichstag allerdings nicht ge- geben. Sie wäre nur dann herbeiführbar, wenn man sich dazu entschlösie. den in der KPD. verkörperten Bolsche- wismus als außerhalb der Rechtsgrundlage eines geordneten und christlichen deutschen Staatswesens stehend anzusehen, wozu sich jedoch die Regierung Papen wohl kaum durchringen wird, obwohl der 2». Juli chr gezeigt haben könnte, daß eine solch« Maßnahme ohne besonderes Risiko durchzuführen sein würde, und darüber hinaus die Toten, die dieser Wohlkampf gekostet hat. eine Mahnung für jede verantwortungsbewußte Reichsführung bedeuten. Wie man aus Regierungskreisen erfährt, gedenkt das Kabinett Papen den Reichstag noch im August einzuberufen. Nach der Wahl des Reichs- tagsprästdenten, den die NSDAP , zu stellen haben würde, will sich
die Regierung dann anscheinend vom Parlament eine Ermächtigung geben lassen, eine bestimmte Zeitdauer hindurch auf dem Verord- nungswege zu regieren und das„Hohe Haus" baldmöglichst in eine längere Vertagung schicken. Es ist aus verschiedenen Gründen nur schwer anzunehmen, daß eine solche Ermächtigung von diesem Reichstag« gegeben wird. Gelangt man nicht doch zur Aus- schaltung des Kommunismus in irgendeiner Form und dadurch zur Schaffung klarer national bedingter Verhältnisse, so wird man sich dann wohl zu weiter- gehenden außerparlamentarischen Regierungs- schritten entschließen müssen." Schließlich erzählt der„R e i ch s b o t e" in schöner Offenheit: „Die Lage ist alles andere als einfach, wenn man nur über die parlamentarischen Möglichkeiten nachdenkt. Und doch gäbe es«ine allerletzte Lösung, die allerdings nicht mit Hilfe parlamentarischer Rechenkunststücke bewältigt werden kann: Um- bau der R e i ch s v e r fa sf u n g, Ausschaltung des Reichstages, Verstärkung der Präsidialgewalt des Reichs- Präsidenten in größerem Maße, als es bisher bereits geschah, und Ausbau zweier getrennt arbeitender ständischer und landschaftlicher Körperschaften." Der Wille zum Anschlag gegen die Verfassung ist aus der Rechten jedenfalls vorhanden! Ausflügler retten Lemmer und Stolper. Ein paar hundert Hamburger Ausflügler, die ihr Wahlrecht erst am späten Abend aus den Hamburger Bahnhöfen aus» geübt haben, haben mit Mühe und Not die Stimmen aufgebracht, die der Staatspartei im Wahlkreisoerband Hamburg-Schles- w i g- H o l st e i n für die Erlangung eines weiteren Grundmandats und damit eines zweiten Reichslistenmandats noch fehlten. Damit hat die Staatspartei doch noch vier Sitze im neuen Reichstag selb- ständig behauptet. Außer Dr. H e u ß, dem die SV 900 Stimmen der Staatspartei in Württemberg-Baden zugute kamen, und Dietrich, dem Spitzenkandidaten der Reichsliste, sind demnach noch der Hamburger Anwärter Dr. Stolper und der Gewerk- schaftssekretär Ernst Lemmer als zweiter Mann auf der Reichs- liste gewählt worden. Dagegen sind über 130 000 Stimmen der Staatspartei infolge der ebenso selbstbewußten wie unklugen Ab- lehnung einer Listenverbindung unter den Tisch gefallen— abgesehen davon, daß weitere Hunderttausende von bürgerlich-demokratifchen Wählern offenbar nur deshalb eine andere Partei, vor allem das Zentrum, gewählt haben, weil sie mit Recht befürchteten, ihre Stimme wegzuwerfen.
Gin KpO.-Schwindel. Eine Zurückweisung von kommunistischen Zwecklügen. Genosse Landtagsabgeordneter Otto Meier bittet uns um Abdruck folgender Erklärung: „Mir ist mitgeteilt worden, daß die inzwischen verbotene„Rote Fahne" in ihrer Sonntagausgabe Mitteilungen enthält, nach denen ich mich während des Wahlkampfes öffentlich in abfälliger Form über den preußischen Ministerpräsidenten Genossen Otto Braun ge- äußert haben soll. Davon ist kein Wort war. Es handeft sich hier
offenbar um einen letzten, und zwar recht plumpen Wahlschwindel. Jeder Versammlungsleiter hätte mich sofort unterbrochen, wenn ich mich in einer Wahloersammlung in der angedeuteten Form über den Genossen Braun ausgelassen hätte. Otto Meier ." Glückwunsch aus Wien . An parteivorstand und Eiserne Front. Wien , 1. August(Eigenbericht). Folgende Telegramme sind nach Eintreffen des Reichs- tagswahlergebnisses abgesandt worden: Parteivorstand SPD . Berlin . Voll Genugtuung dar- über, daß sich die deutsche Arbeiterklasse im gestrigen Kampfe unter allerschärfsten Bedingungen behauptet hat, bleiben wir euch in engster Solidarität verbunden. Frei- heit! Parteivorstand der deutschösterreichischen Sozialdemokratie. Abg. Karl Höltermann , Magdeburg . Daß der Angriff der Faschisten abgewehrt wurde, erfüllt die öfter- reichischen Republikaner mit großer Befriedigung. Wir beglückwünschen die Eiserne Front, die die Hauptlast zu tragen hatte, und versichern sie unserer brüderlichen Sympathien. Zentralleitung Reppblitanischer Schuhbund. Sie Stimme der Bruderpartei. Die„Arbeiter- Zeitung " schreibt zu dem Ergebnis der Reichstagswahl: Das Gesamtergebnis der Wahl ist ein deutliches Urtell des Voltes gegen die Regierung der Junker. Besteht in Deutschland noch ein Rest der Demokratie, dann müßte die Regierung Papen zurücktreten. Die Hakenkreuzler in ihrer Gesamtstärke haben nur 37,2 Proz. der Wählerschaft hinter sich. Sie erreichen in ihrer Gesamtstärke nicht annähernd den verhältnismäßigen Anteil der Wählerschaft, den in Oesterreich die Sozialdemokratie mit ihren 43 Proz. besitzt. Selbst mit den Deutschnationalen zusammen haben die Nazis in Deutschland nur ebenso viel wie die Sozialdemokratie in Oesterreich allein. Auf der Linken hat sich die große festgefügte Partei der deutschen Arbeiterschaft, die Sozialdemokratie, glänzend geschlagen. Gegenüber der vorigen Reichetags- wähl hat sie freilich Stimmen und Mandate eingebüßt. Liegt doch die bittere Zeit der Tolerierungspolitik dazwischen. Aber wenige Wochen der Opposition und des scharfen Kampfes gegen die ver- einte Macht der Staatsgewalt und der Hakenkreuzler haben gezeigt, daß die Sozialdemokratie nicht nur unerschüttert, sondern vom altenKampfgei st beseelt und von neuem Schwung belebt im erfreulichen Wiederaufstieg ist.
Amerikanische Schüler in Berlin . Am Montagnachmittag trafen, aus Weimar kommend, 18 amerikanische Schüler. Angehörige der Tabor-Akademie in Marion(Massachusetts ), zu einem 14tägigen Aufenthalt in der Reichshauptstadt ein. Die Schüler, die mit dem Berlinbesuch ihre große Deutschlandreise ab- schließen, wohnen bei verschiedenen bürgerlichen Sportklubs. Auch Stadtbesichtigungen und Ausflüge in die Umgebung Berlins werden die jungen amerikanischen Gäste unternehmen.