Morgenausgabe Nr. 373 A 154
49. Jahrgang
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Verlinee Vottsvlatt
Mittwoch 10. August 1932 Groß-Äerlin 10 Pf- Auswärts 15 pf,
Jenteawesan der Gozialdemokrattschen Partei Deutschs«?
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Die Todes-Notverordnung Gegen Terrorherrschaft- Verlängerung des Burgfriedens
Nach tage- und wochenlangen Ankündigungen soll jetzt die Todesverordnuna im Reichsgesetzblatt veröffent- licht und damit in Kraft gesetzt werden. Gesetzgebungswerke von solcher Tragweite werden unter dem„neuen System" per Telephon erledigt. Der Wortlaut der Verordnung, die ein Gesetz darstellt, wird in Berlin fertiggestellt, nach Neu- d e ck in Ostpreußen durchtelephoniert und dort vom Reichs- Präsidenten unterzeichnet. Man sage nicht, daß das„neue System" nicht schnell zu arbeiten vermöge! Nur daß diese Schnellarbeit auch gute Arbeit sei, wird man noch— ohne Todesstrafe— bezweifeln dürfen. Wenn man die amtliche Erläuterung der noch nicht veröffentlichten Verordnung ansieht, hat man den Ein- druck, daß hier ein großer Aufwand schmählich vertan wird, ohne daß durch alle"diese scharfen und schärfsten Maßnahmen irgendwie der normale Zustand wiederhergestellt würde, wie er vor der gewaltsamen Entfernung der verfassungsmäßigen Preuhenregierung bestand. Glaubt man, die Granatenwerfcr und Todesschützen aus dem Hitlerheer würden sich durch die Androhung einer Todes- strafe von ihrem Räuberunwesen abhalten lassen, wenn sie gleichzeitig in ihren Parteiorganen als Helden und Märtyrer gefeiert werden dürfen? Es liegt doch auf der Hand, daß diese Ehrenmänner sich als Herren der Lage fühlen, nachdem sie am 17. Juni durch die gleiche Regierung Papen sozusagen legali- s ie r t worden sind. Es darf nur an die Begründung erinnert werden, die zu dem Verbot der SA. gegeben wurde: „keine Reichsregierung kann es dulden, daß Irgendeine Partei den versuch macht, einen Staat im Staate zu bilden, und sich Rlachk- mittel schafft, durch die sie in der Lage wäre, unter Umständen ihre Ziele auch mit Gewalt durchzusehen." Die Verordnung, die so begründet wurde, ist vom Reichs- Präsidenten am 13. April unterzeichnet. Nur wenige Wochen später hat der Reichspräsident— nur auf Vorschlag eines neuen Kanzlers—, die braune Armee der„aufbauwilligen Kräfte" feierlich wieder zugelassen! Seit diesem Tag datiert die Reihe der Morde, der Ueber- fälle, der Bombenwürfe, datiert das Wachstum der„bürger- kriegsähnlichen Zustände". Und sie sind gesteigert worden durch die R e ch t s u n s i ch e r h e i t, die seit dem ver- fassungswidrigen gewaltsamen Vorgehen in Preußen ein- gerissen ist. DieZahlderErmordetenseitderAb- setzung Severings ist ein peinliches Zeugnis gegen die Regierungskunst der Barone! Fast"so peinlich wie die beiläufige Mitteilung in den Er- läuterungen zur Todesoerordnung, daß man zunächst nichts tun werde gegen die,„die aus dem Hintergrunde die Massen zu Gewalttätigkeiten aufreizen", das heißt, die Hänge- reden und die Ankündigungen der„Nacht der langen Messer" oder des„K ö p f e r o l l e n s" können weiter betrieben werden, ohne daß ein Hahn danach krähen werde. Und„Der Angriff" des Dr. Goebbels kann ungeniert weiter zum Morde aufreizen wie die ganze natio- nalsozialistische Presse. Ihnen wird nichts geschehen. Gegen sie würde auch schon der§ 130 Strafgesetzbuch genügen, der von der Anreizung zu Gewalttätigkeiten spricht. Aber er müßte angewendet werden. Daß das nicht ge- schah und nicht geschieht, ist ein Zeichen der Schwäche, die auch durch die schärfsten Notverordnungen nicht gemildert werden kann. * Amtlich wird mitgeteilt: Anläßlich der Bekanntgabe der Juni-Berordnung gegen politische Ausschreitungen hat der Reichspräsident für den Fall des Wiederauflebens politischer Gewalt- tätigkeiten neue scharfe Ausnahmevorschriften angekün- digt. Tie lebten Wochen haben in Deutschland bisher unerhörte Gewaltakte gebracht. Reichspräsident und Reichsregierung haben sich daher entschlossen, zur Unterdrückung des politischen Terrors von den schärfsten Mitteln Gebrauch zu machen. Politische Gewalttaten werden durch die Verordnung des Reichs- Präsidenten vom 9. August 1932 unter schwerste Strafdrohungen gestellt, für die ernstesten Fälle wird die Todesskrase angedroht. Das geltende Recht sieht die Todesstrafe vor für den Mörder, der mit Ueberlegung tötet und für schwere Sprengstossoerbrecher Künftig hat auch der sein Leben verwirkt, der ohne Ueberlegung in der Leidenschast des politischen Kampfe», aus Zorn und Haß einen töd- lichen Angriff auf seinen Gegner unternimmt oder einen Polizei-
beamten oder einen Angehörigen der Wehrmacht tötet. Auch der wird mit dem Tode bestraft, der durch eine Brandstiftung oder ein anderes gemeingefährliches Verbrechen den Tod eines Menschen ver- ursacht. Zuchthausstrafe nicht unter lll Iahren trifft denjenigen, der eine schwere Körperverletzung durch Anwendung einer Schußwaffe oder bei einem tätlichen Angriff auf einen Polizeibeamten verursacht. Die gleiche Strafe trifft alle, die sich an Aufruhr oder Landsriedensbruch in erschwerter Weise be- teiligen. Mit Zuchthaus wird künftig ferner eine Reihe von Gewalt- tätigkeiten bestraft, die bisher nur mit leichten Strafen bedroht waren. Alle aus politischen Beweggründen begangenen Körper- Verletzungen, wenn sie von mehreren gemeinschaftlich mit einer Waffe oder einem gefährlichen Werkzeug verübt sind, stehen künftig unter Zuchthausstrafe, ferner alle Gewalttätigkeiten, die mit Schuß- waffen begangen werden und jeder tätliche Angriff auf«inen Polizeibeamten, wenn er auch nur zu einer einfachen Körper- Verletzung geführt hat. Zuchthaus ist ferner angedroht für die leichteren Fälle des Aufruhrs und des Landfriedensbruchs und, im Hinblick auf Vorkommnisse der letzten Zeit, für den aus politischen Beweggründen begangenen er- schwerten Hausfriedensbruch. Um die neuen schweren Strafdrohungen mit Nachdruck zur Geltung zu bringen, hat die Reichsregierung für diejenigen Bezirke, in denen dafür ein Bedürfnis hervorgetreten ist, im Benehmen mit der zuständigen Landesregierung Sondergerichle errichket. Die Sondergerichte sind Gerichte des Landes. Sie arbeiten nach einem beschleunigten Versahren. Ihre Urteile sind keinem Rechts- mittel unterworfen und deshalb sofort mit ihrer Verkündung rechts- kräftig und vollstreckbar. Neben den durch die Verordnung des Reichspräsidenten neu geschaffenen Tatbeständen sind den Sonder- gerichten grundsätzlich auch alle leichteren Fälle der im politischen Kampf vorkommenden strafbaren Handlungen zugewiesen, Fälle von minderer Bedeutung sollen jedoch in der Regel dem ordentlichen Verfahren zugeleitet werden. Es war erwogen, weitere strafschärfende Bestimmungen gegen diejenigen zu treffen, die aus dem Hintergrund
die Massen zu Gewalttätigkeiten ausreizen. Einst- weilen ist jedoch von einer solchen Maßnahme mit Rücksicht darauf abgesehen worden, daß Z 11 der Verordnung des Reichspräsidenten vom 14. Juni 1932 bereits Gefängnis nicht unter 3 Monaten für den androht, der öffentlich zu einer Gewalttat gegen eine be- stimmte Person oder allgemein zu Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen auffordert oder anreizt. Es wird nach- drücklich dafür gesorgt werden, daß diese Strafvorschrift gegen jedermann, auch gegen die Presse, die zu einem Teil in letzter Zeit in unverantwortlicher Weis« gehetzt hat, unnachsichtlich zur Anwendung gebracht wird. In der Bevölkerung sind auch neuerdings von verschiedener Seite Hoffnungen auf eine umfassende Amnestie erweckt worden. Die Reichsregierung erklärt, daß eine Amnestierung politischer Straftaten in schroffstem Gegensatz zu chrer mit den neuen Verordnungen verfolgten Absicht stehen würde, politische Ge- walttaten unnachsichtlich mit den schärfsten Maßnahmen zu be- kämpfen. Sie wird diesen Standpunkt jedem etwa auftauchenden Wunsch nach einer Amnestie mit Nachdruck entgegensetzen. Zunächst sieben Sondergerichte. Die am Dienstag beschlossenen Sondergerichte werden zunächst eingesetzt in: Königsberg , Elb mg, Kiel , Berlin , Breslau . Hamm und Düsseldorf . Burgfrieden bis Ende August! Die neueste AuSnahme-Verordnung. Durch eine besondere Verordnung des Reichspräsi- denken wird der bisher vom 1. bis 10. August befristete „Burgfrieden"— das heißt das Verbot irgendwelcher öffentlicher politischer Versammlungen— vom 12. bis zum 31. August ausgedehnt. Den Parteiorganisationen bleibt also weiterhin ver- boten, öffentliche Versammlungen zu politischen Znfor- mationen der Wähler zu veranstalten.
GA.-Bevolver knacken. Regierungsverhandlungen unter beiderseitigem Waffendruck.
Die„Nationalsozialistische Parteikorrespondenz " bringt einen hochparteioffiziösen Artikel mit der Ueberschrift„Re- gierungsbilduna gemäß dem Wahlergebenis oder erneute Sabotage des Volkswillens?" Sie will denen, die nicht alle werden, einreden, die Bildung eines von Hitler geführten sog.„Kabinetts der Persönlichkeiten" entspreche dem Wahl- ergebnis, alles andere aber sei eine„Sabotage des Volks- willens". Durch diese Theorie wird der Willensausdruck von fast zwei Dritteln des deutschen Volkes, die ein nationalsozia- listisches Parteiregiment a b l e h n en, ganz einfach nullifiziert. Alles, was die Korrespondenz vom Volkswillen, der Hitler will, vom stürmischen Fortschreiten der nationalsozialistischen Bewegung und ähnlichem erzählt, sind bloß trunkene Re- densarten, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben. Die Groteske erklimmt ihren Höhepunkt, wenn die Kor- respondenz zum Schluß behauptet, eine Hitler -Regierung ent- spreche„dem Sinn der Verfassun g", und die Auf- fassung des Reichspräsidenten , den Charakter des Reichs- kabinetts als einer überparteilichen Regierung aufrechtzuerhalten, liege durchaus„auf der Linie der NSDAP ." Die„Ueberparteilichkeit " der NSDAP , hat sich bisher nur darin gezeigt, daß sie ihre Bombenattentate ge- legentlich bis zur Volkspartei ausdehnt und Deutschnationale noch lieber prügelt als Kommunisten. Die Auslassung der„Nationalsozialistischen Parteikorre- spondenz läßt übrigens darauf schließen, daß sich die Lage v e r st e i f t. Hitler wird von seinen Unterführern getrieben, aufs Ganze zu gehen und die Alleinherrschaft über Deutschland zu fordern. Hält er an dem Standpunkte des Alles oder Nichts fest, dann bleibt der„Präsidialregierung" nichts anderes übrig, als entweder zu kapitulieren oder den Kampf aufzunehmen. Einstweilen hat sie durch ihre Terror-
Notverordnung und durch gewisse polizeiliche Vorsichtsmaß- nahmen, besonders im Regierungsviertel, ihre Position zu stärken versucht. Auf der anderen Seite jagen Gerüchte von Bewegungen der SA. und SS., die es gar nicht mehr er- warten können, für den Bürgerkrieg eingesetzt zu werden. So schreibt der„Deutsche ": Die letzten Tage haben gezeigt, daß die nationalsozialistische Füh- rung ihr« Leute, besonders die SA. und SS, nicht mehr fest in der Hand hat. In einigen Gegenden und Orten haben einzeln« natio- nalsozialistische Trupps eine ArtPrivatkrieg auf eigene Faust begonnen. wie wir erfahren haben, waren ganze SA.-Formalionen nur mit Mühe zurückzuhalten, zu„marschieren". Den„rücksichtslosen Kamps", wie ihn Goebbels will, fortzusetzen, das wäre gleichbedeutend mit einer ernsten Gefahr für Staat und Volk. Daß die Polizei— von der Reichswehr erst gar nicht zu reden— wenn sie richtig angesetzt wird, die SA. und SS. zu Paaren treiben kann, darüber besteht kein Zweifel. Eine andere Frage ist, ob es der Regierung nicht gelingen wird, durch Fortsetzung ihrer bisheriam Politik auch noch dieses Kapital zu verwirtschaften. Diese Politik des Entgegenkam- mens an einen gewalttätigen und erpresserischen Gegner droht über die„bürgerkriegs ä h n li ch e n Zustände" weif hinaus- zutreiben. Adolf Hitler verhandelt, so wie er es von München her gewohnt ist, mit dem Revolver in der Hand. Versteht die Regierung nicht, ihm den Revolver aus der Hand zu schlagen, dann ist ihr binnen kurzem ein ruhmloses Ende gewiß.