Morgenausgabe Rr. 383
A 189
49. Jahrgang
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Berliner Volksblatt
Dienstag 16. August 1932 Groß-Äerlin 10 Pf- Auswärts 15 pf.
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Nazis jeht gegen Bawne. Vernichtungskampf den Deutschnationalen angesagt.
Dem Verurteilten steht seit altersher das Recht zu, eine Weile über die Richter zu schimpsen. Von diesem Vorecht macht auch das Organ des Dr. Goebbels in oller Form Gebrauch. Nachdem Hindenburg den„Führer" hat abblitzen lassen, schimpft der„Angriff" wie ein Rohrspatz aus das reaktionäre Intrigantentum", besonders aus dem Hugenberg-Lager, auf die„reaktionären Dolchstößler", mit dem restlos aufgeräumt werden und die„im Augenblick gefährlicher als selbst der Marxis mus " feien I Das will schon allerlei heißen. Der„Marxismus "— wie ihn die Nazis verstehen— war doch bisher dos größte aller Uebel. Aber jetzt gibt! plötzlich noch ein größeres:«die Elique von größenwahn- sinnigen Reaktionären und egoistischen Saboteuren de» nationalen Freiheitwillens, die sich im H u g e n b e r g- L a g e r zusammen- gefunden und aus engstirniger Parteiverbohrtheit noch einmal die Machtergreifung Adolf Hitlers und damit die deutsche Freiheitserhebung durch übel st« Intrigen hinaus- geschoben hat. Wie herrlich die„ausbauwilligcn Kräfte" des Herrn von Papen doch zu schimpfen verstehen, nachdem ihnen etwas schief gegangen ist. Ja sie versteigen sich sogar zu— doch das muh man wörtlich genießen: „Eine Diktatur gegen das gesamte Volt oder ist aus die Dauer unmöglich, auch wenn man n o ch s o viele Bajonette besitzt, und das geheimrätliche Bäuchleia des Herrn hugenberg allein bietet auch noch keine geeignete Plattsorm für eine Regierung. Diese Grundlag« wäre zu schwabbelig. Bisher war es die Spitze eines guten Witzes, wenn man die „Polsterwangen der marxistischen Bonzen" fabulierte und die jungen Leute bei Hugenbergs hoben wacker darin mitgetan. Jetzt soll das„geheimrätliche Bäuchlein" eine neue Zierde des nationalen Witzes werden. Da kommen aber die Herrschaften von „Lokol-Anzeiger" und von der sittenstrengen„Nachtausgabe" in eine peinlich« Verlegenheit! Wir sehen inzwischen dem ergötzlichen Kampf zwischen den germanischen Helden mit und ohne Bäuchlein mit sehr gemischten Gefühlen zu. Denn es will uns schier bedünken... Adolf hat immer recht! Grundsätzliche Betrachtungen seiner Offiziösen. Die Pressestelle der R e i ch s l e i t u n g der NSDAP , in München , die dem großen Adolf unmittelbar unterstellt ist, veröffentlicht sogenannte„grundsätzliche Betrachtungen", in denen es heißt: „5)itl«rs Ablehnung der Vizekanzlerschast unter der Herrschaft von Papens war eine Tat! Diese Entscheidung des Führers ist dem nationalen Deutschland aus der Seele gesprochen. Der durchsichtige Versuch, die NSDAP , durch einen wohlüberlegten Schritt, durch«ine Belastung mit der Ve r a n t- w o r t u n g ohne gleichzeitige Führungsmöglichkeit, gewissermaßen aus kaltem Wege zu erledigen, ist an dem klaren und weit- blickenden Entschluß des Führers restlos gescheitert. Der Führer i st s i ch s e l b st, der Bewegung und dem Volte treu geblieben! Die NSDAP , hat sich nicht um ein paar Minister- sessel an jene Kräfte verkaust, die gegen den Willen des Volkes regieren und ihm durch die Zerschlagung der national- sozialistischen Freiheitsbewegung die Waffe aus der Hand winden wollten, die allein imstande ist, den Gordischen Knoten des deutschen Schicksals zu zerhauen. Um des Volkes willen Haider Führer ein für die Mentalität der bürgerlichen und marxistischen Parteien sicherlich verlockendes Angebot zurückgewiesen. Die Politik der Re- gierung von Papen, hinreichend gekennzeichnet durch die die Aermsten der Armen auss schwer st e belastende und für die NSDAP , untragbare Notoerordnung, kann niemals die Politik der NSDAP , sein. Eine Regierung, in der die NSDAP . nicht führt, sondern nur vertreten ist, wird niemals eine Wende des deutschen Schicksals herbeiführen können... Das ist der Wille des deutschen Volkes, der bei den Wahlen seinen Ausdruck gefunden(mit 63'Proz. der Stimmen gegen Hitler ! Red. d.„Vorwärts") und dem nunmehr auch die Staatspolitik Rechnung zu tragen hat. Demgemäß hat Adols Hitler die Führung der Reichsregierung gefordert. Von der alleinigen und ausschließlichen Uebernahme der Re- gierung ist seitens der NSDAP , nicht die Rede gewesen. Aber was über allem politischen Leben eine Selbstverständlichkeit ist. was man selbst dem Marxismus zubilligt, wird der NSDAP , unter den fadenscheinigsten Beoriindungen vorenthalten. Darauf konnte es für den Führer der NSDAP , nur eine Antwort geben, und zwar: Nein! Wie richtig Adolf Hitler gehandelt hat, wird die Zukunft zeigen."
An geöltem Selbstlob hat es bei dem„Führer" nie ge- fehlt. Und was er selbst auf diesem Gebiete noch nicht gelernt hatte, das haben die zahlreichen Offiziere in seiner Umgebung nach bewährtem Muster der Kriegspressequartiere zusammen- gelobhudelt. Der Schmus der Natfoz. Parteikorrespondenz paßt ganz in das Bild von Schmussolinien! SA. spielt mit dem Feuer. „Auf den Barrikaden sehen wir uns wieder." Eberswalde . 13. August.(Eigenbericht.) Der stellvertretende Kommandierende der Berliner Sturm- trupps. Major von Arnim, stattete am Sonnabendnachmittag in einem Flugzeug den 60 SA.-Führern, die seit einigen Tagen auf Schloß Harnekop bei Bad Freienwalde , dem früheren Haeseler- Besitz, untergebracht sind, um an Sonderkursen für Maschinengewehr und Gasangriffe teilzunehmen, einen Besuch ab. Nach einer Besichtigung mehrerer Angrifssmethoden, die die SA.-Führer vorführten, hielt Major von Arnim folgende Ansprache: „Wir hoffen, daß die Besprechung, die in dieser Stunde zwischen unserem Führer und Hindenburg stattfindet, zur Erfüllung unseres billigen Verlangens führen und Hitler zum Reichskanzler ernannt werden wird. Sollte es aber nicht dazu kommen, werden wir kämpfen. Ihr wißt, daß seit Montag die Sturmtrupps marschbereit find. In ganz Deutschland sind wir zur Mobilisierung und zum Marsch auf Berlin vorbereitet. Es braucht nur auf den Knopf gedrückt zu werden und die Truppen ziehen los. Wir hoffen, daß wir die Macht mit legalen Mitteln erlangen können. Wir werden uns aber auch nicht scheuen, illegal vor- zugehen, wenn das der einzige Weg zur Macht ist." Am Sonntagmorgen wurde an die SA.-Führer plötzlich der Befehl ausgegeben, sich feldmarschmäßig gerüstet in Bereitschaft zu halten. Sonntag mittag wurde den Führern mitgeteilt, daß sie so- fort wieder ihren Truppenteilen in den einzelnen Orten und Städten zugeteilt werden würden. Am Rachmittag erschienen ungefähr acht bis zehn Automobile, die einen Teil der SA.-Leute von Schloß harnekop nach Berlin zurückbrachten. Die übrigen Führer wurden mit der Eisenbahn nach Berlin ge- bracht. Bezeichnend ist der nachstehende Vorfall aus dem Bahnhof Sternebeck, der nächsten Bahnstation. Von Schloß Harnekop her marschierten sämtliche SA. -Führer in voller Ausrüstung am Sonn- tagnachmittag noch einmal vor dem Bahnhos auf. Nach Absingen des Horst Wessel -Liedes trennten sich die Führer. Als der Zug aus der Station fuhr, riefen die Führer der vor dem Bahnhof stehenden Volksmenge zu:„Auf den Barrikaden sehen wir uns wieder." Zur Stärkung der Staatsautorität. Bracht ebnet der SA. den Weg in die Polizei. Bracht, der stellvertretende Reichskommissar für Preußen, lockert auch die letzten Beschränkungen, die dem Eindringen der SA.- Leute in den Polizeikörper gezogen waren. Wegen unflätiger Angriffe auf„das System" war durch Severing im Jahr« 1930 den preußischen Polizeibeamten jede Betätigung für den so- genannten„Verband der Schutzpolizeibeamten Preußens" während des Dienstes und in den Polizeiunter- fünften verboten worden, ebenso die Verbreitung des Organs dieser kleinen Gruppe„Die preußische Schutzpolizei". Es handelt sich um die in Polizeikreisen unter dem Namen „Iosaupeit-Verband" bekannte, unter dem Einfluß des Abgeordneten B o r e k stehende Vereinigung, die zwar klein an Zahl, aber als Nazizelle in der Polizei desto unverschämter in ihrer Redesorm war. Dr. Bracht hat nun den Verbotserlaß Dr. Severings aufgehoben, die Betätigung für die genannte Nazizelle aus- drücklich freigegeben, den Behörden auch wieder amtliche Be- Ziehungen zu diesem Verband verordnet und sich nur darauf be- schränkt, dem Verbpndsorgan mit väterlicher Mahnung eine„maß- volle und sachliche Sprache" zu empfehlen. Man sieht, daß das Bracht-Kommiisariat die Autorität des Staates in aller Form „wiederherstellt". Attentatsschwindel zusammengebrochen. Der Ire Don M a- l o n e, der wegen angeblicher Attentatsabsichten auf den englischen Minister Thomas in Ottawa verhaftet worden war, ist von den Einwanderungsbchörden angewiesen worden. Kanada zu verlassen. Bei den Verhandlungen vor dem Polizeigericht wurde kein B e- weismaterial für seine angeblichen kommunistischen Absichten erbracht.
Adolfo Gch Mussolini. Oer deutsche Möchtegern-Oiktator. Nun sind Hitlers Pläne endlich und unwiderleglich e n t- hüllt; über die ausführliche amtliche Darstellung hinaus, die am Sonnabend nach dem Empfang des nationalfozialifti- fchen Führers durch den Reichspräsidenten herausgegeben wurde, find noch von Regierungsseite einige Ergänzungen bekanntgegeben worden. Diese Einzelheiten gipfeln in der Mitteilung, daß Hitler vom Reichspräsidenten — und zwar wörtlich—„die gleiche Stellung für sich ver- langt hat wie Mussolini nach dem Marsch auf R o m." Man weiß nicht, worüber man mehr staunen soll: über den G rö ß e n w a h n, der aus diesem Verlangen spricht, oder über die Dreistigkeit, mit der der Regierungsrat aus Braunschweig , der selber bereits den Cid m-i die Reichs- Verfassung abgelegt hat, an das Staatsoberl upt das An- sinnen richten konnte, die Verfassung ihm un. seiner Partei zu Liebe zu brechen. Denn daran kann nunmehr kein Zweifel bestehen. Was Hitler von Hindenburg verlangte, wird erst in seiner ganzen politischen und rechtlichen Tragweite verständlich, wenn man sich vergegenwärtigt, welche Stellung der Führer der italieni - schen Faschisten nach seinem geglückten Marsch auf Rom in der zweiten Septemberhälfte von 1922 mit Zustimmung des Königs von Italien bekleiden durfte. Auch Mussolini vertrat damals nur eine Minderheit des italienischen Volkes. Aber er genoß, genau so wie Hitler in Deutschland , die mehr oder minder stillschweigende Zustimmung eines großen Teils des reaktionären Bürgertums. Der König ließ sich darauf ein, ihm unter dem Druck seiner schwarzbehemdeten Banden die Ministerpräsidentschaft zu übertragen und ihm weitgehende Vollmachten nicht nur für die Regierungsbildung selbst, sondern auch für die Ausschreibung von Neuwahlen zu erteilen. Auch im neugewählten Parlament konnte Mussolini trotz behördlichen Wahlterrors eine faschistische Mehrheit bei weitem nicht er- reichen. Aber die bürgerlichen Gruppen wagten größtenteils nicht, gegen ihn offen Stellung zu nehmen, weil er, immer noch mit Duldung des Königs, damit drohen konnte, auch das neue Parlament im Falle eines Mißtrauensvotums d o v o n- zujagen, ohne nochmals an das Volk zu appellieren. So ungefähr wollte also Hitler in Deutschland regieren. Er wäre vor den Reichstag getreten und hätte seinen Willen mit der Drohung durchgesetzt: wenn man mich stürzt, dann wird der Reichstag einfach nach Haufe geschickt— Neuwahlen gibt es nicht! Er meinte, daß diese Drohung genügen würde, um sich das Zentrum gefügig zu machen, und damit hätte er zunächst eine Zeitlang regiert. Aber allein in dieser Drohung hätte eine flagrante Verfassungsverletzung gelegen. Sicher wäre es nicht bei diesem Bruch der Ver- fassung geblieben. Die ihm fehlende Mehrheit hätte er sich noch auf andere, ebenso gesetzwidrige Art verschafft. Man entsinnt sich, daß noch vor kurzem in der nationalsozialistischen Presse die Forderung erhoben wurde, daß den kommunistischen Abgeordneten mit Gewalt das Betreten des Reichstagsgebäudes verwehrt werde. Eine weitere Forde- rung ging dahin, die Kommunistische Partei überhaupt für ungesetzlich zu erklären, so wie es nicht nur Mussolini , sondern auch Pilsudski getan hat. Auf diesem Wege der gewaltsamen Entrechtung seiner Gegner hätte es für Hitler, wenn man ihm erst die„ganze Staatsmacht" ausgeliefert hätte, kein Halten mehr gegeben. Nach den Kommunisten wären sehr bald wohl auch die übrigen„Marxisten", also die Sozialdemokraten und die Gewerkschaften, der Zerstörungswut eines rasenden Diktators zum Opfer gefallen. Danach hätte auch noch das Zentrum das Schicksal der italienischen katholischen Volkspartei(Popolari) teilen müssen. Was aus den in der Weimarer Verfassung fest- gelegten Grundrechten des deutschen Volkes, vor allem der Arbeiterschaft, was besonders aus der Koalitionsfreiheit, aus der Redefreiheit, aus der Pressefreiheit geworden wäre, braucht man sich gar nicht einmal in seiner Phantasie aus- zumalen— Hitler selber hat auf das ihm vorschwebende Beispiel des faschistischen Italien hingewiesen! König Victor Emanuel III. hat vor bald zehn Jahren dem Mussolini den kleinen Finger gereicht in dem Glauben, daß das wohl nur eine Episode sein würde und daß über kurz oder lang die verfassungsmäßigen Zustände wiederher- gestellt werden können.?lber diese Episode dauert nun sthon zehn Jahre und dem ersten Schritt abseits vom Wege der Verfassung sind inzwischen so viele andere gefolgt, daß prak-