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N Wenn das$ahriMoraufgeM... Aus den Aufzeichnungen eines ArbeHers/ Ton Alberi Souhülon
Siebeneinhalb Uhr. Wir waren schon ein ansehnliches chäuflein, wir Wartenden. Lange, ehe«s losging. Erst gegen acht ösfnete die Fabrik. Jeder hatte der erste, hatte der Tür am nächsten sein wollen. Bald wimmelte es von Menschen. Die Arbeiter, die zur Arbeit kamen, sahen nicht gerade beglückt aus, daß sie hinein in die Fabrik durften. Sie hatten verdrossene Montagsgestchter, ver- krampst noch von der Arbeit der letzten Woche. Der Sonntag hatte sie nicht glätten können. Die meisten waren jung. Wir Arbeits- losen sahen vergnügter aus als jene. Die Hoffnung leuchtete sicher aus unseren Augen. Die Sonne flimmerte schön silbern in diesen ersten Herbsttagen. Um acht Uhr zehn wurde das eiserne Tor geöffnet. Die Fa- brck wurde sichtbar. Hell und sauber, riesig, mit majestätischer Fasiode. Die Reinlichkeit der Betonbauten, des sandbestreuten Hofes, der Rasenflächen machten Eindruck auf uns. Ein Ange- stellter, mit einer Nummer auf der Brust, pfiff schrill auf einer Pfeife. Wir wunderten uns, daß man die Arbeiter auf diese Weise zur Arbeit rief. Sie gingen hinein. Neidisch sahen wir sie vor- überziehen. Ms die letzten vorbei waren, besetzten wir die Türen, unsere Arbeitskleider unterm Arm, den Blick nicht vom Pförtner lassend. Wir waren vielleicht an zweihundert. Einige Männer im Iackettanzug kamen ins Personalbüro und berieten untereinander. Sie riefen den Pförtner zu sich. Nachher kam er wieder auf uns zu. Eins unsichere Hoffnung trieb uns ihm entgegen. Es werden heute keine Leute eingestellt." Ein Murren der Enttäuschung folgte dieser Erklärung. Die Flut drängte durch das Tor. Der Pförtner trieb uns auf den Weg zurück. Niemand ging fort. Mehreren unter uns war Arbeit versprochen worden. Wir konnten diesen Gegenbefehl nicht verstehen. Die Schultern wurden schlaff. Wir sahen«inander an. Unterhaltungen kamen in Gang. Man drängte sich um«in paar Leute, die über das Haus unter- richtet schienen. Sie sagten, die Arbeit wäre entsetzlich schwer, man ginge wieder, so bald man nur könnt«. Einige übertrieben ficht- lich, um uns zu entmutigen und uns davon abzubringen, hier Ar- beit zu suchen. Es hätten dann weniger gewartet. Und sie hätten mehr Aussicht gehabt, eingestellt zu werden. Wir sind hier, um Geld zu verdienen", meinten alle.31a' türlich ist diese Arbeit hart. Es geht, so lang« es geht. Man ver­dient, so lange man oerdient. Manche haben Glück. Manchmal klappt es. Man muß es versuchen. Natürlich ist man noch nicht drin. Aber wenn man drin ist, wird man ja weiter sehen. Na- türlich ist es hart an der Kette. Es geht, doch aber ums Geld." Wir alle waren derselben Meinung: wegen des Geldes war man hier. Oft mußte man Platz machen, um Autos durchzulassen. Das waren die Chefs. Ach, so viele! Es ist überall dasselbe", sagten die Kameraden,, Heute sieht man nur noch Chefs." Wir stellten die albernsten Betrachtungen an. Vor unserer Nase hing eine große kupfern« Tafel: Aktiengesellschaft mit IZOOOOllOO Frank Kapital." Wir bildeten auch ein« Gesellschaft. Bei dem Gedanken an unsere paar Pfennige versuchten wir uns vorzustellen, was hundert- dreißig Millionen Franken wohl wären. Ein blaues Auto kam am Junge Frauen und Mädchen drin. Sie stiegen aus und begaben sich in die Büros. Da waren aber welche dabei, Donnerwetter! Jungs Arbeiter stießen sich mit dem Ellbogen an: O, dort die schöne Göhr« in Blau  !" Ein Philosoph unter uns sagte: Nicht für uns. Und vielleicht ist dos auch besser so. Man hat jo ohnehin schon genug Schererei." Der Pförtner erschien von Zeit zu Zeit. Wir fragten ihn aus. Ms hätte er uns«instellen können! Er glaubte es wohl auch selber. Wer er sah ganz gutmütig aus. Langsam wiederholt« er immer wieder: Es hat keinen Zweck zu warten. Schade um eure Zeit. Wir stellen heute nicht ein." Und morgen?" Kommt morgen wieder." Er trieb uns hinaus, denn einer drängte unwillkürlich den andern vor, und wir hätten den ganzen Hof überschwemmt. Wir wollten aber immer noch nicht gehen. Wir wußten nicht mehr, wie lange wir schon warteten. Wer«ine Uhr hatte, wagte nicht nach- zusehen. Eine Gruppe wollt« wissen, daß jede Hoffnung vergeblich wäre, da die Fabrik entlaste. Allgemeine Bestürzung. Aber nie- mand ging weg. Die Wirkung war verfehlt. Die Schwätzer sprachen von etwas anderem. Da man sich nicht entschließen konnte. die Tür freizugeben und immer noch nach dem Hof drängte, stieß uns der Pförtner zum letztenmal zurück und schloß uns das Tor vor der Nase zu. Plötzlich überfiel uns ein furchtbares Gefühl der Verlassenheit. Zwischen unserer Hoffnung und uns waren eiserne Türen! Lange starrten wir darauf. Wenn geöffnet wurde, um ein Auto durchzulassen, rückten wir enger aneinander. Die. welche auf den Böschungen der Gräben saßen, warfen uns fragende Blicke zu. Der Pförtner kam heran und zählte uns. Ein paar redeten ihn an. Die von der Böschung kamen schnell zu uns, weil sie glaubten, es gäbe etwas Neues. Die Tür war aber schon wieder geschlossen. Wir starrten sie wieder an wie Hunde, die darauf warten, daß man ihnen einen Knochen zuwirft. Die Böschung wurde wieder besetzt. Es fiel uns sehr schwer, uns austcchtzuhalten. Bald singen wir an. hin und her zu gehen. Die Gruppen Insten sich aus. Schweigen herrschte über dieser verirrten Herde. Einer trennte sich vom andern, um ferne Traurigkeit zu verbergen. Man fühlte, man würde noch weinen, wenn man sich nur ein bißchen mehr gehen ließe. Als der Vormittag beinahe um war, wandten sich einige langsam zum Gehen. Andre folgten ihnen. Auf morgen", sagten sie. Bald bemerkten wir, daß wir nur noch fünfzehn waren. Wie auf Verabredung gingen wir nun alle auf einmal. Es gab nichts mehr, worauf man warten konnte. Man trennte sich wie alte Kameraden, schüttelte sich die Hände.
Am nächsten Tage fanden wir uns alle wieder«in. Wir waren zugleich voller Hoffnung und voller Ergebung. Ein feiner Regen rieselte unaufhörlich hernieder. Wir hatten den Kragen hoch- geschlagen und den Kops tief in den Schultern. Der Pförtner kam auf uns zu. ein Papier in der Hand. Man stieß sich. Wir um- ringten ihn. Wir hielten alle den Atem an. Er verlas drei Namen! Ich war dabei. Die andern fielen wieder zusammen, wichen zurück, schüttelten traurig den Kopf. Ein« Bewegung kam in die Truppe. Viele sahen nach der Brücke hin, über welche die Trambahnen fuhren, dann pflanzten sie sich trotzig an den Torflügeln und an den Mauern auf. Der Regen tropfte eintönig weiter.
Sie ließen den Blick nicht von uns. Wir warteten darauf, daß man uns abholen und an unsere Posten führen würde. Wir wußten nicht, was wir tun sollten. Hundertfünfzig preßten sich gegen den Eingang und starrten uns mit neidvollen, verzweifelten Blicken an. Die Augäpfel behielten eine fieberhafte Starrheit. Wir versuchten, ihnen den Rücken zuzukehren, brachten es aber nicht fertig. Ihre Augen riefen uns. Ihre durchnäßten Mützen und Schultern glänzten. Am liebsten wäre man zum Traurigsten hin- gegangen und hätte gesagt: Hier, nimm meinen Platz!" Endlich holt« man uns ab.
Jaja, wenn man Hunger hat! Ihr habt niemals gehungert? Ach! Ihr habt niemals gehungert? Man hat verteufelt komische Gedanken, wenn man hungert! Gedanken von einer entsetzlichen Logik. Gedanken, die man nicht immer hat, und die doch furcht- bar einfach sind. Wenn man hungert und niemand einem etwas zu essen gibt. Wenn man an so viele Türen klopft und sagt: Ich bin arbeitslos, ich habe Hunger. Ich möchte arbeiten. Ich will nicht betteln. Ich will mein« Arme oerdingen. Ich will meine Stirn verdingen. Ich will euch mein« Arbeit für Brot geben. Da es ja so eingerichtet ist, daß man nur essen kann, wenn man ge- arbeitet hat. Ich beuge mich eurem Gesetz. Ich bitte euch, es selber auch zu achten. Ihr wollt mir keine Arbeit geben? Nirgends wollt ihr mir Arbeit geben? Ihr sagt, es gäbe keine? Es werde kein« geben? Ihr hättet keinen Platz für mich? Ihr hättet keinen Platz in eurem Hause? In eurer Fabrik, in eurer Stadt, in eurer Welt? Keinen Platz für«inen Menschen, ganz einfach für einen Menschen! Ihr habt also schon alles fertig? Ihr habt schon alles
erfunden? Ihr habt das Wunderbare vollbracht? Ihr habt eins unerhörte Welt geschaffen! Ihr habt ein unerhörtes Weltall ge- schaffen! Ohne indessen, inmitten aller eurer gigantischen Arbeiten, aller eurer gigantischen Pläne auch nur eine Sekunde daran zu denken, daß es eines Tages in eurem Gebäude an Platz fehlen würde flir etwas, das neben eurem Werke ganz klein ist für den Menschen! Ihr habt eine seltsame Welt verwirklicht, in der ein armer Mensch nicht einmal auf seinen Fußspitzen Raum hat! Und plötzlich hat sich dieser Mensch vervielfältigt! Und dieser Mensch ist ein ganzes Volk geworden! Ihr antwortet: Was können wir dafür! Die Geschäfte gehen schlecht! Ihr wißt ja selbst, daß die Geschäfte schlecht gehen! Die Geschäfte! Die Geschäfte! Was ist das: die Geschäfte? Haben wir ein Geschäft aus unserm Leben gemacht? Ihr habt aus allem ein Geschäft machen wollen! Natürlich konnte das nicht ewig dauern! Aus allem ein Geschäft machen, heißt, die Welt er- schöpfen! Die Geschäfte gehen schlecht? Ihr sprecht davon wie von einem Hagelschlag, der euch die'Weinberge verwüstet, wie von einer Heuschreckenplage, die über eure Gärten gekommen, wie von einer Geißel, die in Gestalt von schädlichen kleinen Tieren euch heim- gesucht und euch verseucht hätte. Ihr sprecht davon, als wäre es euch vom Teufel oder vom Himmel geschickt worden. Die Geschäft« gehen schlecht? Die Geschäfte gehen gar nicht! Weder nach der einen, noch nach der anderen Seite! Sie gehen weder wie die Autos noch wie die Krebse. Di« Geschäfte sind niemals von selber gegangen! Di« Geschäfte sind immer Krüppel gewesen. Die Ge- schäste das sind die Menschen, die sie führen! Wenn ihr zugebt, daß die Geschäfte schlecht gehen, so gebt ihr zu, daß die Menschen versagen! Die Menschen wissen nicht mehr, wie sie ihre Geschäft« mit ihren Krüppelkrücken leiten sollen. Welche Menschen? Ihr! Ihr wißt nicht mehr ein noch aus! Die Welt, die ihr geschaffen habt? Ihr seid darin verloren! Vor euren Blicken dreht sich alles! Eure Hände tasten nach dem Geländer! Ihr fühlt, wie der Boden unter euren Füßen schwankt! Schiffbrüchige seid ihr! Weil ihr nicht davor zurückgeschreckt seid, uns in eurer Welt dem Hunger preiszugeben dem Hungern...! (Autorisierte Uebersetzung au? dem Französischen von Lina Frender.)
Sin Wind fiiirml Sick ins£eben Aufzeichnungen von einem Spielplaiz/ Ton Anns Trauiii
Aus der Flucht vor dem allzu epischen Erleben der Weltstadt hat man sich auf einer der Bänke niedergelassen, die einen buchenüder- schatteten Kinderspielplatz im Tiergarten umstehen. Eigentlich zu idyllischen Zwecken, denn dem Freikonzert gemischter Vogel- und Kinderstimmen zu laufchen, ist beruhigender Genuß. Alles in allem, noch immer die lieblichste Musik. Und es erspart nach der Borstel- lung den Stellungskrieg um die Garderobe.(Warum versuchte ein Theaterorganisotor wie Reinhardt noch nicht eine pazifistische Lösung des Garderobenproblems? Wie viele Nahkämpf« würden allabend- lich vermieden!) Hier also im Freilichttheater ist alles vereinfacht, wiewohl die Szene sogar des Opernhaften nicht entbehrt: die dunkelgrünen Ku- lifsen der Bäume, die ovale Kleinbühne des Sandspielplatzes um- ringend. Das ewig stimmend« Bogelorchester ist originellerweise mal höher in die Aeste und Wipfel verlegt. Es ist ein auf rein idealer Basis aufgebautes Bühnenunrernehmen. und die zwerghaften Mu- sikanten sind noch nicht in Lohntarife interessiert. Sie machen Musik lediglich aus Ekstase. Die Spieler sind teils auf ihre Rollen bereits tieflinnig konzentrierte, teils noch etwas tolpatfchig darauzustol- pernde Menschenkinder. Regie: der liebe Gott. Auch die kleine etwa zweijährige Hannelote von der Neben- dank ist zur Nachmittagvorstellung erschienen und ist soeben aus ihrem Kinderwagen gehoben worden. Nach einigem Hin und Her, unter leisen Schwankungen chrer Babnkraft, schlägt sie den Gravi- tationsgesetzen, die es immer auf sie abgesehen haben, ein Schnipp- ck.en, indem sie sich an der Bank, etwas seitlich, festkrallt mit den winzigen Rofenknöspchen von Fingern, die damit soeben zum ersten Male zu stützenden Händen geworden sind. Da sie aus dieser erdhaft gesicherten Stellung wunschlos, wenn auch lebhaft interesstert, dem wirren Treiben auf dem Sandplatz zu- schaut, hat die Mutter ihr« Häkelarbeit ouiaenommen. Ist doch Hannelore nach nie von ihrer Seite In weitschweifende Abenteuer entwichen. Auch ich. bei aller Sympathie, lebe nur Möglichkeiten hilflosester Tastvorführungen und wende meine Aukmerklamkeit wieder der Kinderbühn« zu. Dort nimmt die Vorstellung wie es sich für deutsche Kinder ein balbes Menichenalter nach der großen Revolution gehört einen durchaus ordentlichen Verlaus. Alles geht so weit ganz leidlich, bis psötzlich.. Hat sich ein« Versenkung unvorschristsmäßig ouigetan? Oder ein Theaterdonner etwa, der sozusagen nicht auf dem Programm? O das wären einlach«, elementar« Dings. Was aber hier ausbricht, ist weit furchtbarer, ist gar nicht zurückzudämmen in seiner rücksichts- losen Wucht. In da? kleine Mädchen nämlich von der Nebenbank im blauen Kittelkleid, in die.Hannelore, ist auf einmal etwas ge- fahren. Ein Wunsch, ein unentwegter Will«: Sie will plötzlich zur Bühne, will durchaus nicht länger passiver Zuschauer sein, will erobern Und zwar da? ganze Leben, aul einmal. im Sturm! Die Mutter, wie alle Mütter, merkt diesen Drang erst als letzte. Sie ahnt noch nicht, wo das hinaus will. Es kann ja überboupt nicht weit hinauswollen. Mit dem ersten Paar schneeweißer Glacä- schuhchen stürnit man doch nicht blindlings davon. Da steht sa noch der Kinderwagen.mit baumelnder Klapper.(Und welch beschämen- den Einzelheiten mögen seine Tiefen bergen!) Die Mutter also häkelt ruhig weiter. Die Kleine aber hat bereit» da» erst« Hindernis erreicht, welches eine iürsvrolickie Stadtverwaltung ihren jüngsten Bürgern errichtet hat. Nämlich die etwa zwanzig Zentimeter hohe Holzumrondung, welche die Bühne umrahmt. Dieses Hindernis gilt es mit einsamer Krait zu nehmen, will man sich in des Lebens Sandgeiilden spielerisch betätigen. Diesseits dieler Umrandung sind Milchilaschen. Windeln, Muttsr und Schutz: jenseits droben gezückte Blechloffel und Schippen. lauert Getümmel und Gefahr. Und auf dieses Schlachtfeld los, mitten hinein, marschiert Hannelore. Zunächst versucht sie wie wir all« mit einem schlauen Seitenblick dos Leben im Frontalangriff zu nehmen, es gewisser- maße« zu überrumpeln, ehe das Leben selbst etwas davon merkt, Hannelore macht dos so: selbst noch diesseits der Brettennnrandung. greift sie mit beiden Fäustchen krampihait geballt gleich nach der qesomten Sandburg, die ein grünbehoster Ritter aus Berlin  - Neuwestend sich dort errichtet hat. Doch auch hier, wie bei allen aufs Ganz« zielenden Unternehmungen hat das Leben d'e optische Täuichung bereit Oder faßte Honnelore nur nach der Butterblum«, die der Buroenbauer im schwindelnden Triumphgesühl der höchsten .Finne aufgesteckt hat? Man wird es nie erfahren. Ob Burg, ob Butterblum«, Hannelore, mit zu ihrem Kinderbimmel erboben-n Händen, wankt, strauchelt, stürzt und kommt mittHngs auf die horte Umrandung zu lieoen. Schon wartet dos versammelte Publikum auf den hochdramatischen Einsatz eines weinerlichen Labysoprans aus
dem schmerzhost enttäuschten, betauten Kelchmundchen der kleinen .Hannelore. Das verehrte Publikum wartet vergebens. Sie schenkt sich diesen verräterischen Aufschrei, wirft einen blitzschnellen Blick in die Richtung der ahnungslosen Mutter. Und schon schwellen ihre Pausbacken rot und gewaltig an von der Anstrengung, zunächst mal aus dieser würdelosen Log« ins Gelände der Milchslaschen und Windeln, in den sicheren Hasen eines soeben unter höchstem Einsatz verlassenen Babytums? Nein und dreimal nein! Vorwärts, immer vorwärts, meine Damen und Herren! Wenn's auch langsam geht. Und beim großen Regisseur! es geht schneckenhast, ober es geht vorwärts. Das soeben noch blitzblanke Kittelkleid ist auch gerade kein vorteil- hafter Wasfenrock beim Hinüberrutschen. Es verfitzt sich, wird gänz- lich unprogrammäßig hochgestreift, elendig beschmutzt. Noch gilt es. die auch nicht mehr schneeweißen Glacäschuhchen über die Rampe mit Hinuber zu schleifen. Die Beine wären schon längst drüben.,. da... endlich. Sie haben sich einsichtsvollerweise von selbst ab- gestreift und bleiben, in verdutztem Winkel zueinander stehend, zurück. In Strümpfen geht halt olles leichter. Und schon taumelt Hannelore jenseits der Umrandung in eine mehr oder weniger aufrechte Position empor. Doch ihr horchpostenartiges Herannahen ist nicht unbemerkt ge- blieben. Und zwar ist es ausgerechnet der Ritter von der Burg, der sie nicht ohne Mißfallen beäugt. Ihm ahnt nichts Gutes für seine Schöpfung. Er ergreist seinerseits Abwehrmaßnahmen gegen die heranschleichend« Amazone im verdächtig langen Faltenkleid. Auch Hannelore fühlt instinktsicher, daß der erste Mann in ihrem Leben sein Höchstes nicht kampflos preisgeben wird. Sie oerändert also ihre Taktik, geht nicht stracks auf das Ziel ihrer atemlosen Be- mühungen los, sondern entschließt sich zu einem kleinen Tummel- taumelbummel rings um die Sandarena. Ich sehe noch, wie sie sich zu einem kleinen Jungen niederbeugt und ihm beim Herausziehen feiner Schaufel aus einer Berg- und Talbahnanlage behilflich ist. Hannelore hat uns alle hinters Licht geführt. Sie hat jenen Tummeltaumelbummel um die Arena im vollsten strategischen Be- wußtsein angetreten. Auf einmal gellt ein wilder Aufschrei des Burg- ritters schrill über das Theater hin. Hannelore ist eben im Begriff, wieder von der Bühne abzutreten, aber nicht ohne ein weithin sicht- bares Ebrenzeichen ihres Debüts: die Butterblume von der Sand- bürg höchster Zinne. Scbon hat sie in stolperndem Galopp die Holz- rampe erreicht. Sie weiß, diesmal kann sie sich das schneckenhafte Hinüberkriechen nickt leisten. Schnelligkeit ist ihr Sieg. Es geht um die Beute. Es gilt, die Blume hinüberzuretten aus dem Kampf- getümmel des Lebens in ihr Kinderlond, dorthin, wo die Mutter wartet. Und in ihrer höchsten Not und Bedrängnis, als olles ver- sagt, als ihr die Knie wanken, da geschieht ein großes Wunder, nickt geringer als das Wunder der Heiligen Johanna: ein schützender Geist kommt ihr zu Hilfe, bebt sie sankt zu sick hinüber aus ollem Schrecken und aller Bangnis, hinüber über die schwindelnd hohe Planke, über das harte, schmerzende Hindernis. Ganz leicht, wie ein Engel auf Flügeln, fchwebl Hannslore in den geichützren Hyfen ihres Babytums. Der starre Ausdruck grirn- miger Entschlossenheit weicht von ihr. Da? Fäustchen, welches die B'ume wie eine Fahne hält, wird wieder rund und rajaiartsn. Während sie ihres ersten Siege? goldene Trophäe der Muiter hin­hält, hoch über iyre verwirrten Locken, wei� über ihre eigene Win- zigkeit in den Himmel hinein, lächelt Hannelore. Ihr Gesicht ist wieder Antlitz geworden, ein Babyonrlitz, ein leuchtendes Blumen. best voll blühenoer Grubchen.
ffialznc-Ttorie Alles Gluck»Tb durch Mut und Arbeit errungen. Die Ungerechtigkeit kommt am Ende dem zustatten, der unter ihr am meisten gelitten hat. Große Herzen sind nur schwer dafür zu haben, an ichlechts Gefühle, Verrat und Undankbarkeit zu glauben Nachficht kann manchmal der höchste Grad non Verachtung sein. Erst durch Unglück kommt man zur Erkenntnis der menschlichen Gemeinschaft. Wäre Balzac   frei, die Arbeit hätte ihn bald gekettet. Form ist nur Uebung, Gewohnheit und Technik Alles Geistige aber hat im Herzen seinen Zusammenhang. Die Welt ist unendlich, und das menschliche Gehirn ist ebenso groß wie die Welt. Talent ist niemals einseitig Ueb-rsetzt und gesaaiinelt von Walter Meckauer  .