Rr. 417 49. Jahrgang
ZIRMGARD KEUN:
6]
Pit
3. Beilage des Vorwärts
Gilgi
eine von uns
"
,, Bit, ich bin aus Versehen zur Welt gefommen.
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,, Das sind viele."
,, Meinst du nicht, man müßte seinen Eltern dankbar sein?"
,, Wofür?"
Für Geld und Gefühle und alles mögliche."
,, Bilgi , du weißt, ich hab' teine Zeit zu albernen Gesprächen."
JB, Gilgi , trint, Gilgi . Sie hockt auf der ärmlichen Feldbettstelle, die Beine übereinander geschlagen, das Kinn auf die Hände gestützt.
,, Ich friere, Pit."
,, Dann mußt du irgend wohin gehen, wo's wärmer ist." Bit ist unfreundlich, das ist er meistens. Gilgi nimmt's ihm nicht übel.- Ein armes Luder der Pit. Geld hat er nie. Volkswirtschaft studiert er- und seinen Lebensunterhalt verdient er sich mit Stundengeben. Mitunter spielt er Klavier in frag würdigen Kneipen. Manchmal hat er Hunger. Sie ist befreundet mit ihm seit Jahren. Sie hat ihn gern, man fann sich auf ihn verlassen.
Pit fizt am Tisch, hat vor sich Bücher, Hefte und eine Kanne mit schwarzem Tee. Gilgi weiß, er fann ihr nichts davon anbieten, weil er nur eine Tasse besitzt. Pit ist nicht eingerichtet auf Besuche.
Gilgi sieht in das nackte, kahle Zimmer, ein schäbiges Zimmer in der Kölner Altstadt. Sie sieht Pits roten Haarschopf, sein weißes Gesicht mit den bösen, scharfen Mundfalten, seine kleinen, hellen Augen. Verrückter Pit! Er fönnt' es so gut haben. Sein Vater hat das schönste Haus in Marienburg, hat Geld und einen guten Namen. Pit ist sein einziger Sohn
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Warum bist du von Haus fortgegangen, Pit?"
,, Was geht dich das an?" Er mag nicht gefragt werden.
Was willst du übrigens? Wenn du mir mit Lurusproblemen tommst, fliegst du raus!" Bilgi zieht sich die Bettdecke über die Knie, unterhalb des Kopfkissens wird ein säuberlich gefaltetes Nachthemd sichtbar, weiß Barchent mit roten Börtchen. Rührend", lacht Gilgi . Pit steht auf und schiebt das Nachthemd unters Kopftissen. Rot und giftig sieht er Gilgi an: ,, Was hast du dich hier so breit zu machen!" Finger von den Weibern , er fann feine Weiber gebrauchen, es geht auch ohne sie, sie sollen nicht herkommen und fich ausgerechnet hier aufs Bett setzen. Das zuckt in den Händen, er möchte das Mädchen da prügeln. Langsam geht er an den Tisch zurück, stößt sich die Kante in die Hüfte. Ohrfeigen rechts und links. Ohrfeigen.
01993
Schweinerei. Ich muß flaren Kopf behalten, mein Verstand ist mir ohnehin schon zu schwach.
Pit, ich wollt' dich was fragen, ich geh' vielleicht auch ganz von Haus fort und mach' mich selbständig."
,, Hättste schon längst tun sollen." Warum zieht sie den Rock denn nicht runter. Da, wo der Strumpf aufhört, ist ein Streifen helles Fleisch sichtbar. Ein Schwein bin ich. Ohrfeigen.
Ich weiß nicht, Pit, ob es anständig ist, feine Eltern..."
Anständig!!" Krracks, Pit hat einen Bleistift zerbrochen, mitten durch. ,, Wenn du anständig sein willst, liebe Eltern, Vaterland und Hunde! Heirate und frieg Kinder. Jedem Embryo sein Paragraph 218. Der Staat will Kinder, laufen noch nicht Arbeitslose_genug auf der Erde rum." Pit redet sich in But.
,, Hör' auf, Pit, du brauchst nicht so giftig zu werden, den Simplicissimus' fann ich auch im Café haben." Da will man den nun was fragen, aber der hat nur seinen Sozialismus und sowas im Kopf. Ich versteh' nichts von Politik, ich seh' da nicht durch. Bilgi fährt sich mit allen zehn Fingern durchs Haar. Mit Pit ist nichts anzufangen heute. Sie hat ihm ihre blödsinnige Geschichte erzählen wollen. Seit acht Tagen bleibt ihr jeder Bissen im Halse stecken, den sie zu Hause ißt. Das fann so nicht weitergehen, da muß
was geschehen. Wenn die sie in die Welt ge= setzt hätten, na schön, dann könnten sie auch für einen sorgen, solange man nicht für sich selber sorgen kann. Aber so! Ja, wenn man sie lieb hätt' und zu ihnen gehörte, dann würd' man sich eben mit Gefühlen bezahlt machen. Aber nehmen, nehmen, nehmen-
Pit allein
und nichts geben können- pfui Teufel, man tommt sich ja so gemein vor! Und wenn man jetzt fortginge! Schöner Dank das, ihnen so weh zu tun. Und nun dachte man, Bit könnte da raten, der findet manchmal ein Wort, das alles hell macht, wie' ne hundertferzige Birne, aber hat gar feinen Zweck, hilf dir selbst, Gilgi !- sie wird Pit ihre Geschichte nicht erzählen.
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Seit wann ist sie überhaupt so mitteilsamsbedürftig? Ein schlimmes Zeichen! Wackelt
Die Räuber
Sonntag, 4. September 1932
da etwa schon der Boden unter den Füßen? Quatsch, sie steht noch fest.
Bit malt zadige Arabesten auf ein Blatt Papier . Er ärgert sich, daß er soviel geredet hat. Wenn das Mädchen doch ginge! Die streicht sich da mit der Hand übers Knie. Die trägt seidene Strümpfe und riecht nach
Blumen und Eau de Cologne . Willst du eigentlich noch lange bleiben?" Gilgi sieht auf. Was macht der. denn für Augen? Dummer Junge, was ist los mit dir? Sie steht auf und stellt sich neben ihn. Du verrücktes Luder, du", ihre Hand streicht ihm durchs harte, rostrote Haar. Das ist ein anständiges Mädel, ein guter Kamerad, die mißversteht's nicht, wenn man ihr grob tommt. Bit hält still, wie Gilgi ihm durchs Haar fährt, übers Geficht die Hand riecht nach Veilchen - ,, du dummer Pit, mit der ( Phot. Paramount ) Arbeit allein geht's nicht. Verstand ist schön, aber der Mensch hat sonst noch allerlei, was von Bedeutung ist, du bist auf dem besten Wege, den Anschluß ans lebendige Leben zu verpassen." Sie möchte noch mehr sagen, aber das ist nicht so einfach. Na, er wird schon verstanden haben, was sie meint. Such' dir ' n nettes Mädel, das dich gern hat, braucht ja nicht für die Ewigkeit zu sein.
,, Laß meine Hand los, Pit, du tust mir weh." ,, Geh jezt, Gilgi ." ( Forts. folgt.)
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Wiedersehn, Pit."
Eine Balkangefchichte von Gerhart Herrmann Mostar
Irgendwo auf dem Wege nach Skoplje habe ich mal wieder irgendeine Paßhöhe überschritten nicht auf einer Straße; auf einem schmalen Pfad, den im allgemeinen nicht Menschenfüße, sondern die Hufe der flettertüchtigen kleinen Gebirgspferdchen auszutreten pflegen. Wie dieser Steig sich jetzt wieder senkt, muß ich an meinen letzten Wirt Jascha Sturitsch denken und lächeln: seine redseligen Warnungen vor dem Weg hier flingen mir in den Ohren, ich fühle an den Oberarmen noch die Druckstellen seiner maffigen Hände, mit denen er mich festzuhalten versuchte: Räuber seien in der Gegend, ein Teil der Bande des Herrn Prpitsch, den ja Gott segnen möge, weil er nur den Reichen raube, den Armen aber gebe, und er selbst, Jascha Sturitsch, sei ja gottlob arm ich jedoch sei ein Fremder, und mit Fremden, mer fönne wissen, wie Herr Prpitsch-
J
Ich hatte mich lachend losgerissen und war gegangen; von den wilden Erzählungen, die in Europa über die Unsicherheit des Balkans umherschwirrten, hatte ich noch taum eine bestätigt gefunden, und wenn Freund Prpitsch wirklich zu den Armen hielt( und das war wahrscheinlich, denn die Armen ihrerseits hielten jedenfalls zu ihm und deckten ihn vor den Gendarmen) also dann konnte mir's schon recht sein, dann mußte er mein Busenfreund werden.
Hinter der nächsten Weghebung drei Menschen, nur an den wippenden Hüten kenntlich- und ehe ihre Gesichter emportauchen- verschwunden. Seltsam Seltsam etwa doch Hochwohlgeboren Prpitsch? Mir wird ein bißchen sonderbar, der Umweg, den Jascha Sturitsch empfohlen hatte, erscheint mir plötzlich lohnend genug, um umzukehren und zwei Stunden zurückzulaufen und ihn doch noch zu gehen... Aber dann siegt doch die Zivilcourage und der feste Glaube, daß es sich um harmlose, längst auf einem Seitenpfad verschwundene Bergbauern handelt, und ich gehe
weiter.
Ein Seitenpfad ist hinter der Bodenwelle zwar nicht zu sehen, wohl aber ein Felsstück, hinter dem man sich ausgezeichnet verstecken könnte, man zum Beispiel Herrn Mostar aus Schwabing überfallen
wenn
Wahrhaftig! Wie ich an besagtem Felsbloc vorbei will, tritt ein Mann auf mich zu, der mit einem Gendarmen eine gewisse, aber bei nähere Hinsehen doch recht entfernte Aehnlichkeit auf meist; sie liegt mehr im Grün der Kleidung und im schmierigen Schimmern der Knarre, als im Der nicht mal schlechtrafierten Gaunergesicht. Mann fragt mich höflich, wie spät es ist mohl um das Vorhandensein einer Uhr zu erfunden. Ich weise, zu meinem eigenen Erstaunen sehr ruhig, auf die Sonne: Mittag! Und hinter meinem Gegenüber werden zwei weitere Herren sichtbar, die in Kleidung und Gehabe ganz gut Zwillings oder vielmehr Drillingsbrüder von ihm sein könnten.
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Nach Ableugnung der Uhr wird der Fragende dringlicher und deutlicher und erkundigt sich nicht unhöflich, aber erwartungsvoll, ob ich vielleicht ,, novac" hätte
Geld?
Ich bejahe lächelnd.( Wirklich: ich fühle mich lächeln!)
,, Kolko?"
,, Deset Dinara"- zehn Dinar.
Die drei Herren lachen wie über einen guten Wiz. Ich überreiche, unaufgefordert, meine Geldtasche. Die Annahme wird nicht verweigert. Als man mit vereinten Kräften wirklich nur
Wanderers Gemütsruhe
Uebers Niederträchtige Niemand sich; beklage; Denn es ist das Mächtige, Was man dir auch sage.
In dem Schlechten waltet es Sich zu Hochgewinne, Und mit Rechtem schaltet es Ganz nach seinem Sinne.
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Wandrer! Gegen solche Not Wolltest du dich sträuben? Wirbelwind und trocknen Kot, Laß sie drehn und stäuben.
( Goethe.)
zehn Dinar findet, lacht man noch lauter und gibt fie mir zurüd samt Inhalt; zugleich aber meist man unmißverständlich auf den Umstand hin, daß ich eine Torba", einen Rucksack, trage.
Ich lächle weiter und nehme den Rucksack ab. Ich öffne ihn auf und frame aus, was darin iſt. Ad eins kommen die arg ramponierten Schuhe Ich selbst trage schon seit zum Vorschein. langem Opanten, die auch praktischer sind. Die drei würdigen Herren finden das auch. Sie betasten die Schuhe und verlachen sie.
Ad zwei meine Schlafdecke. Es geht ihr nicht besser. Einer zieht aus seiner Torba eine prachtvolle, hausgewebte, teppichdicke Decke hervor. Sie wird mit meiner verglichen, und meine geht an mich zurück.
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alles Strümpfe, Leinensäckchen, das Hemd dasselbe; alles für balkanische Verhältnisse minderwertig, und, um trotzdem was wert zu sein, wieder nicht geschmacklos genug. Die Heiterkeit auf beiden Seiten ist sehr herzlich geworden, als der Rucksack geleert ist.
Sie Aber meine neuen Freunde sind genau. weisen auf die Außentaschen hin. Sie entdecken meine Karte, die ich seit kurzem besize. Es ist eine Uebersichtskarte von ganz Jugoslawien . Sie wollen wissen, was das ist.
Es ist nicht ganz leicht, Analphabeten ohne höhere Schulbildung und ohne Sinn für Theorie flarzumachen, was eine Landkarte ist; zumal wenn sie kaum wissen, was Jugoslawien ist. Wir hocken uns in den schmalen Schatten des Felsens, und ich zeichne in den Sand einen Plan des Ortes, an dem wir uns befinden denn als guter Pädagoge will ich vom leichteren zum schwereren fortschreiten. Allein schon nach wenigen Minuten zeigt man mir sein Desinteressement, indem man vom schwereren wieder zum leichteren übergeht: nämlich zu den weiteren Gegenständen meiner Tasche. Aber in Anerkennung meiner Bemühungen bietet man mir eine Zigarette an. Ich drehe sie mir dankend. Entschieden ein Fortschritt: die Beziehungen werden freundschaftlich. Man framt denn auch bereits ohne mich weiter. Erstauntes Ah!" Man hat meinen Hornkamm gefunden. Es ist eine Ruine von einem Horn
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Charakterstück