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Beilage Sonnabend, 10. September 1932

Kinder

,, Mama  , zieh dich an! Wir wollen doch spazieren gehen." ,, Aber, Monette, du weist doch, was ich Papa heut zum Früh stüd gesagt habe: Wir erwarten Tante Yvonne mit ihrem kleinen Bobby..."

Monette, die verwöhnte Siebenjährige, macht ein Mäulchen: Ich wäre so gerne spazieren gegangen. Warum kommt sie ge= rade heute?"

,, Weil sie heute morgen mit dem Zuge hier angekommen ist. Seit zwei Jahren haben wir uns nicht mehr gesehen: es wäre nicht nett, sie jetzt auszuladen. Es wird dir doch auch Spaß machen,

fie kennenzulernen.. und deinen kleinen Vetter, den du noch nie gesehen hast."

,, Wie alt ist er?" So alt wie du." ,, Ist er nett?"

" Sicher. Voriges Mal hat Tante ihn nicht mit auf die Reise genommen. Ich kenne ihn also genau so wenig wie du."

Monette denkt nun nicht mehr an den Spaziergang. Sie blättert unachtſam in einem Bilderbuch; die Mutter liest im Lehn­stuhl ihre Zeitung.

Da flingelt's endlich. Das Zimmermädchen läßt eine hübsche junge Frau herein, die Monettes Mutter ziemlich ähnlich sieht, und

die einen großen Jungen hinter sich herzieht, der trozig, dabei schüchtern um sich blickt.

Die Schwestern fallen sich in die Arme. Yvonne, ich freue mich so

Ich auch, Odette! Schon seit Wochen

,, Das ist also Bobby! Groß für sein Alter!"

,, Das ist Monette? Sagt euch guten Tag, Kinder! Bobby..." Bobby füßt der Tante feierlich die Hand. Monette füßt er auf beide Wangen. Sie läßt es sich gnädig gefallen.

,, So, nun fennt ihr euch! Geht ins Eßzimmer! Seid artig und spielt schön! Nachher gibt's was zu naschen", sagt Odette.

Sie schiebt die beiden Kinder ins Nebenzimmer, schließt die Tür hinter ihnen und setzt sich zur Schwester. Eine Zigarette, Yvonne?... du siehst entzückend aus! Und das Kleid ist wirklich

schick! Man versteht also auch in der Provinz, sich anzuziehen!... Bierzehn Tage bleibt ihr? Wird dein Mann es so lange aus­halten?"

,, D, er hat hier tüchtig zu tun!"

,, Also geht's gut?"" Sehr. Und deinem Mann?"

,, Auch. Er ist tagsüber im Büro. Die Herren werden sich abends hier treffen. Ihr eßt doch bei uns.. Wie lebt ihr da unten, Yvonne; bist du zufrieden?"

,, Bollkommen. Die Stadt ist entzückend; ich langweile mich nie. Wir hoben gute Freunde. Paul begreift, daß ich mich mal zerstreuen muß; du verstehst! Er ist immer ruhig und friedlich dabei... keine Aufregungen, keine Sensationen... das gefällt mir gerade!... Und du? Bist du glücklich?"

"

D, mein Leben geht ganz in der Familie auf! Ich stehe mich, wie du, gut mit meinem Manne. Zwischen uns fällt fein böses Wort. Ich bin sehr glücklich mit ihm und unserm Töchterchen. Halt! hör mal... ich glaube, die Kinder streiten sich da... Die jungen Frauen hielten den Atem an. Durch die Tür hörte man aus dem Nebenzimmer Monettes eigensinnige Stimme: ,, Dein Spiel ist dumm! Im Eßzimmer ſpielt man nicht Verstecken! Ich werde dir ein feines Spiel zeigen. Wir sind ein Mann und eine Frau, die verheiratet sind. Paß auf! Wir sind beide ganz allein. Wir denken aber, feiner hört uns!"

Wahrheit

Frédéric Boutet  

,, Was nun?" fragte Bobbys Stimme gelangweilt.

,, Nun wird's lustig; du wirst ja sehen. Ich sage zum Beispiel zu dir: Ich habe heute einen Mantel gesehen, gar nicht teuer! Ich lasse ihn mir herschicken!" Nun mußt du lachen, lachen, aber nicht richtig: du weist schon, und du mußt zu mir sagen: Noch einen! Ja, danke schön: deine billigen Mäntel kenne ich! Die

tosten einem das Mark aus den Knochen..." Dann tue ich, als ob ich todunglücklich wäre und sage: So, du findest mich wohl verschwenderisch! Wo ich mir alles abfnapse..." Und dann du: ,, Jaa, du versagst dir alles! Nur, wenn ich's dir so weiter treiben lasse, bringst du uns an den Bettelstab!" Nun ich: Das ist aber stark! Nicht einen Pfennig darf ich für mich ausgeben. Dir fehlt alle Vornehmheit, mein Lieber! Du zwingst mich, dich zu erinnern, daß meine Mitgift..."

,, Das ist gar nicht lustig", unterbricht Bobbys Stimme.

"

,, Du bist blöd. Man tann's ja auch anders machen. Ich fann auch zu dir sagen: Was, da hast du wieder diesen lang= stieligen Novellier eingeladen?" Darauf du: Er ist nicht lang­weiliger als deine Freunde und Verwandten!" Da sag' ich: ,, Laß gefälligst meine Familie in Ruh! Ich habe keinen vorbestraften Onkel..." Du: Nein, aber eine Schwester in der Provinz, die ein Lotterleben führt..."

,, Was für ein Leben?" fragt Bobby.

,, Nichts verstehst du!!" faucht Monette, die selbst nichts zu er­flären weiß.

,, Nette Sachen sagt dein Mann ja von mir," murmelt Yvonne. Odette sitzt starr vor Staunen. Ja, um nicht unglücklich zu erscheinen, hat sie soeben gelogen Ihr Leben ist von heimlichen Stürmen durchwütet. Solche haßvollen Gespräche hat sie mit ihrem Mann.

Dpr. Abend

Spalausgabe des Vorwärts

Geburtstag

Von Mascha Kaléka

Wenn ich so gegen fünf nach Hause fahre, Gibt's Erdbeereis, Besuch und Radiotanz. Spät abends erst mach ich für mich Bilanz Und wünsch mich wieder in vergangene Jahre:

Ich möchte nochmal in der Tertia siten Und schwänzen, wenn die Günther Englisch gibt. Ich möchte nochmal in die Haustür rigen: ,, Jn Werner Birken bin ich toll verliebt!"

Ich möcht so gern nochmal Theater spielen, möcht heulen, wenn Luise Miller stirbt, Des Nachts vorm Spiegel wie die Baker schielen, Obgleich das den Charakter sehr verdirbt...

Möcht wieder mal auf Aleppelkähnen krauchen, Den Riesenwalfisch Untern Linden sehn, Und hustend erste 3igaretten rauchen, Jn einen Film für, über achtzehn" gehn.

Ich möcht nochmal- zum allererstenmal- Ganz still für mich den Pan von Hamsun lesen, An Menschen glauben, die das Jdeal Der halbverträumten vierzehn Jahr gewesen...

Nun bin ich groß. Mir blüht kein Märchenbuch. Ich muß schon oft ,, Sie" zu mir selber sagen. Nur manchmal noch, in jenen stillen Tagen, Kommt meine Kindheit heimlich zu Besuch...

zu hunderten geführt, im guten Glauben, nicht Der Nudelbrettschimmel

gehört zu werden... Nun hat man sie doch gehört! Wer? Ihr Töchterchen..., das beide gleichmäßig lieben, das einzige Band, das sie zusammenhält.

Bei den Worten der Schwester möchte Odette sich verkriechen! Sie lügt: Du bist wohl nicht gescheit, Yvonne! Das sind Zän­

Von Erna Büsing

Fahles Licht fällt in die Manege. Alle Sitzplätze des Zirkus

kereien unserer Nachbarn. Sie wird gehorcht haben...; ich sind mit Persenning zugedeckt, von dem Rund der Manege aus sieht

werde ihr den Mund verbieten..."

Yvonne hält sie am Arm zurück. Laß doch! Wenn sich, s nur um die Nachbarn handelt... es ist so lustig! Laß noch was hören!" scherzt sie.

"

Nun geht's weiter", sagt Monettes Stimme angeregt. Ich sage: Meine Schwester steht weit über der niedrigsten...( na! ich weiß nicht mehr das Wort; macht ja nichts...), die du so gern hast!" Sagst du: Das ist ein Leben!! Die reine Hölle! Wenn ich das geahnt hätte. Sag' ich: Nein, mein Lieb­ling, zum Aendern ist's nie zu spät!" Da sagst du: Gott sei Dant, nein!" Und nun schubse ich dich und sage: ,, Sei still! da ist das Kind!"| ,, Was für ein Kind?" fragt Bobby, der in den Sinn des neuen Spiels noch nicht eingedrungen ist. Monette stampft mit dem Fuß auf. Unsere Tochter natürlich! Wir sind doch verheiratet. Ver­stehst du noch immer nichts?"

"

Bobby geht ein Licht auf. ,, Natürlich verstehe ich's, sagt er

man in eine öde Wüste aus Sackleinwand. Es ist noch sehr früh, in den Markthallen der großen Stadt sammeln sich die ersten Käufer und doch sind die Artisten schon bei der Probe. In der kaum vergangenen Nacht hat die Todesnummer abgebaut und die Luft­nummer durchgearbeitet, um ihre Apparate anzubringen und jetzt, im eben verschwimmenden Morgengrauen, ist die Manege frei für

die Pferde."

Ein junger, schlanker Mann steht müde neben einem halb aus­geschlafenen Schimmel. Der ist schneeweiß, erfahren, ein prächtiges Tier, mehr Rücken als Pferd, der echte, rechte Nudelbrettschimmel, das Ideal für Stehendreiter.

Der Sprung aus der Manege aufs Pferd hat in der Abend­vorstellung nicht geklappt. Aber dieser Kurssprung ist der Clou jeder Zirkus- Jockey- Nummer. jeder Zirkus Jockey- Nummer. Infolgedessen muß er jetzt geprobt werden.

wichtig. Ich verstehe mehr als du, denn ich bin der Mann. Und dieses Signal und setzt sich in Bewegung, immer im gleichen

Die Peitsche wird gehoben, der Schimmel tennt ohne weiteres Galoppsprung. Der junge Mann versucht den Kurssprung, er gleitet ab, einmal, zweimal, regelmäßig. ,, Geh' nicht so nah' ans Pferd", schreit ein beobachtender Freund. Der junge Mann befolgt den Rat, aber es nüßt nichts. Der Schimmel bekommt eine neue, fein gestäubte Ladung Kolophonium auf den Pelz. Trotzdem hält der junge Mann sich nicht.

Er ist müde, schwerfällig sett er sich ausruhend auf den Rücken des Pferdes. Ein Tageslichtstrahl, der durch die hochangebrachten Scheiben des Rundbaues fällt, fringelt eigenartige Lichtreflere auf das Fell des Schimmels. Der junge Mann hascht sie mit den Händen und denkt im selben Augenblick an Sonne und Ausruh­möglichkeiten. Sein Schicksal heht ihn von Stadt zu Stadt und

so redet man nicht, wenn man verheiratet ist. Ich weiß es besser! durch drei Vorstellungen am Tage. Er ist stets unterwegs und Paß auf! Jezt bin ich also der Mann. Ich sage..."

"

Weiter kommt der Junge nicht. Seine Mutter ist von Odettes Seite aufgesprungen, ins Zimmer gestürzt und auf ihn losgefahren: Wirst du still sein, du ungezogenes Kind! Was willst du da zu­sammenphantasieren! Ich verbiete dir dies blöde Spiel..." So wurden beide Schwestern über ihr gegenseitiges Familien­leben aufgeklärt: die eine durch Monettes Reden, die andre durch das dem Knaben anbefohlene Schweigen!

( Berechtigte Uebersetzung von Ursel Ellen Jacoby.)

Ein anftelliger junger Mann

Von S. v. Radecki

Eigentlich sah er nicht einmal danach aus: schwächlich, ängstlich, linkisch schien er zu sein, nichts, was für einen guten Kaufmann zu sprechen schien. Endlich gelingt es ihm, auf einen braven Mann zu stoßen, der menigstens einen Versuch mit ihn wagen will. Ein bedeutender Belzhändler aus der inneren Stadt.

"

..

,, Also gut, junger Mann, ich engagiere Sie zur Probe ,, Sie werden es nicht bedauern. Ich verspreche Ihnen. ,, Versprechungen sind zu billig, um mir genügen zu können. Ich will noch am heutigen Tage wissen, woran ich mit Ihner bin. Hier ist eine Rechnung, die wir bereits siebenmal erfolglos dem Herrn präsentiert haben. Ich übertrage Ihnen das Einkassieren. Wenn es Ihnen gelingt, diesen Kunden zum Zahlen zu bringen, so find Sie bei mir ein gemachter Mann."

,, Verlassen Sie sich auf mich: das ist so gut, als ob ich das Geld schon in der Tasche hätte. Nur eine Erfundigung, wenn Sie gestatten. Glauben Sie, daß dieser Herr NN. noch viele andere unbezahlte Rechnungen bei seinen verschiedenen Lieferanten hat?" Der Pelzhändler brüllte vor Lachen:

,, Ob er sie hat! Er hat sie überall! Den fennt man doch in der ganzen Stadt! Die meisten meiner Kollegen haben bereits jede Hoffnung aufgegeben und mahnen ihn nicht einmal mehr!" Der junge Mann reibt sich die Hände und stürzt zu Herrn NN.

Zwei Stunden später ist er wieder zurück. ,, Hier, bitte", sagt er höflich zum Prinzipal und legt zwei Geld= scheine auf den Schreibtisch, hier sind die 2000 M."

Der reibt sich die Augen. Er zählt die Scheine, er hält sie aufmerksam vors Licht. Was ist das für eine Zauberei? Endlich sagt er:

,, Ah, mein Junge! Wie, zum Teufel, haben Sie das fertig. gefriegt?"

,, Ganz einfach. Ich habe NN. erklärt, daß ich, wenn er mir nicht zahlen werde, alle seine unbezahlten Lieferanten aufsuchen würde, die er nur in der Stadt hat, um ihnen zu sagen

tennt keine Stadt. Er fennt nur die Gegend um den Zirkus, seine Lichtreklamen, schlecht möblierte Zimmer und jammervoll verrauchte Artiſtenlokale. Und doch beneiden ihn um dieses Leben Tausende von braven Berufsgenossen, die arbeitslos auf der Straße liegen.

Er aber müßte einmal Ruhe haben. Er müßte einmal den Körper von Licht, Luft und Sonne umspülen lassen dürfen, er müßte einmal am Badestrand liegen können und sei der auch noch so primitiv und seine eigene ganze Tagesausrüstung im mageren Stadtköfferchen verpackbar. Dieses bißchen Ausspannung müßte mehr als die ewigen Proben. Jedoch, es sind drei Vorstellungen am Tag. Der Zirkus ist auf fünstliche Beleuchtung eingestellt, man zieht alle Gardinen zu, damit das Tageslicht nicht stört; denn die Helle wirkt auf diese Menschen genau so störend, wie auf einen erschreckten Nachtvogel.

Das Träumen nüßt nichts, der Kurssprung muß wieder glücken. Aber wie, wie. Ja, wenn ein Clown ihm beim Aufsprung, wie aus Unsinn, blitzschnell am Fuß fassen würde, dann hielte er sich, dann gings. Doch wäre ein solcher Sprung nicht korrekt.

Herrchens Sorgen haben sich den Schimmel mitgeteilt und sein

Kopf hinge vor lauter Traurigkeit auf der Erde, wenn er nicht so fest gezäumt wäre.

Die Peitsche wird erhoben, der junge Mann läßt sich leicht­füßig in den Sand nieder, der Schimmel geht im gleichen Galopp. als der junge Mann mit forschen Schritten, aber unsicher ankommt, hält der Schimmel seinen Hinterperron den Bruchteil einer Sekunde bedacht ruhig, damit das flinke Herrchen festen Fuß fassen kann. Der junge Mann steht wie angenagelt auf dem galoppierenden Pferde und jauchzt: Schimmel  , Schimmel, alter Zirkuszigeuner, du hilfft mal wieder."

Ich denke an die Menschen, wie sie gegenwärtig spürsinnig darauf warten, daß einer müde wird, um ihn dann vollends in die Erschöpfung zu hezzen. Und seufze: ,, Ach, lieber Schimmel  , heute gehört wohl die ganze Naivität eines unverständigen Tieres ,, Nein, nein!... um ihnen zu sagen, daß er mir gezahlt hat." dazu, um einem abgehegten Menschenfind zu helfen."

,, Daß er nicht gezahlt hat! Aber das missen sie längst, daß er nie zahlt!"