1932
Der Abend
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Nr. 440
B 212
49. Jahrgang
Altona , 17. September. ( Eigenbericht.)
Das Sondergericht in Meldorf verurteilte heute drei Nationalsozialisten zu Zuchthausstrafen zwischen 2 und 1½ Jahren. Außerdem wurden zwölf Nationalsozialisten zu Gefängnisstrafen zwischen 8 und 4 Monaten verurteilt. Etwa zehn Angeklagte wurden freigesprochen.
Am 25. Juli wurde in dem nahegelegenen Friedrichskoog eine Versammlung der Eisernen Front durch Nationalsozialisten unmöglich gemacht. Die Rednerin in dieser Versammlung sollte Luise Schröder sein. Die aus der Umgegend zusammengezogene SA. umstellte das Versammlungslokal und die angrenzenden Straßen. Infolge der nationalsozialistischen Drohungen wurde die Versammlung abgesagt. Das
Auto der Versammlungsrednerin wurde auf dem Heimweg bedroht und beschossen. Anschließend an diese Heldentat überfielen etwa 200 bis 300 SA. - Leute den Versammlungsraum verlassende Anhänger der Eisernen Front, wobei sie ausgiebig von der Schuhwaffe Gebrauch machten. Der 17jährige Schiffer Hermann Jäger wurde blutig geschlagen, durch Messerstiche im Gesicht und am Körper verlegt, und, als er vor Schmerzen schrie und stöhnte, mit Fußtritten bearbeitet, bis ihm ein SA.- Mann von hinten einen Dolch ins Herz stiek, der den sofortigen Tod herbeiführte. Die Leiche wurde von den Nationalsozialisten aus einem Fabrik fenster auf einen Abfallhaufen geworfen.
Im Verlauf des Prozesses konnte nicht festgestellt werden, wer der Mörder des Toten ist. Immerhin war es möglich, einige SA.- Leute, die sich bei dem Ueberfall besonders hervortaten, wiederzuerkennen. Gegen sie beantragte der Staatsanwalt Zuchthausstrafen von 2 bis
3 Jahren und Gefängnisstrafen von 6 Monaten bis zu einem Jahr. Das Gericht blieb wesentlich unter dem beantragten Strafmaß.
Vor dem Ende der Beweisaufnahme.
Kiel , 17. September. ( Eigenbericht.)
In dem großen Eckernförder Sondergerichtsprozeß sind bisher rund 100 3eugen vernommen worden. Die Nationalsozialisten hatten zur Stärkung ihrer sehr schwachen Position eine große Entlaftungsoffenfive eingeleitet. Mit welchen strupellosen Mitteln die Nationalsozialisten ihre Position zu stärken versuchen, das geht aus zwei Zeugenaussagen besonders flar hervor:
Ein SA. - Führer hat während des Sturms etwas entfernt vom Gewerkschaftshaus gestanden und wie er sagt ,, beobachtet". Dabei will er gesehen haben, wie aus einem Fenster zu ebener Erde eine schwere Art herausgeworfen wurde. Zu zwei neben ihm stehenden Marineangehörigen will er gesagt haben: Nun sehen Sie sich doch bloß mal an, was für gemeine Instrumente die im Gewerkschaftshaus haben." Auf Vorhalt muß er aber zugeben, daß die Art herausgeworfen wurde, als die Nazis schon im Gewerkschaftshaus drin waren. Tatsächlich haben
die Nazis diefe Art gehabt und damit das Klavier zertrümmert. Der zweite Zeuge, ein SA.- Mann, will gesehen haben, wie Buhs( der ermordete Landarbeiter) mit beiden Händen um sich schlagend aus dem Gewerkschaftshaus herauskam. Er sei plöglich umgefallen. Daß er geschlagen sei, will der Zeuge nicht gesehen haben. Als der Vorsitzende ihm dann aber sagte, daß er im Begriff stehe, einen Meineid zu leisten, gab der Zeuge sehr verlegen zu, daß er gesehen habe, daß S.- und SS.- Leute auf Buhs eingeschlagen hätten. Buhs hätte sich kaum gewehrt. Der Zeuge blieb wegen dringenden Verdachts der Mittäterschaft unvereidigt.
Sehr schwer belastet wurden die Nationalsozialisten durch eine ganze Anzahl neutraler Zeugen. Diese Zeugen haben schon auf der Holzbrücke, wo der Kommunist Rock überfallen und ins Wasser gedrängt wurde, Messer in den Händen der SS. Leute gesehen. Ebenso sahen Zeugen, wie die SS.- Leute beim Ueber flettern der Plante zum Gewerkschaftshaus schon Messer in den Händen hatten.
Mit 540 gegen 48 Stimmen
Paris , 17. September. ( Eigenbericht.)
Die französische Kammer hat Freitagnacht die Beratung über den Gefehenfwurf zur Konvertierung der Renten zu Ende geführt. Um fünf Uhr morgens hat die Kammer den Gesetzentwurf mit 540 gegen 48 Stimmen der kommunisten und der äußersten Rechten angenommen. Sämtliche Abänderungsanträge, die hauptfächlich von Vertretern der Rechten gestellt waren, wurden abgelehnt, ohne daß die Regierung die Bertrauensfrage zu stellen brauchte.
Die Finanzkommission des Senats prüft am Sonnabendvor
ichen Standpunkt darlegen sollte, mache große technische Schwierig keiten, und deshalb suche man einen anderen Weg.
lini werde wohl alles versuchen, um eine Befriedigung der deutReuter bringt eine Meldung aus Rom , in der es heißt, Mussofchen Forderung zu sichern. Der italienische Botschafter in London , Grandi, werde sich bemühen, Sir John Simon für eine Politik
mittag den Entwurf, damit das Plenum am Nachmittag mit seiner Ueberzeugung gewinnen sollte, daß hierdurch sein Ansehen ge= Beratung beginnen fann.
Der deutsch - französische Gegensatz.
England und 3talien wollen vermitteln.
Condon, 17. September. ( Eigenbericht.)
In Erörterung der deutschen Gleichberechtigungsforderung und der Haltung Englands zu diesem Problem bezeichnet es der diplomatische Korrespondent des„ Daily Telegraph " als möglich, daß die britische Regierung noch vor dem Zusammentritt des Büros der Abrüstungskonferenz am 21. September versuchen werde, die vormaligen alliierten Hauptmächte, besonders
Frankreich , zu gewiffen Zusicherungen zu veranlassen, die dann Deutschland entweder unmittelbar oder in Genf zur Kenntnis gebracht werden würden. Diese Zusicherungen sollten, wie der Korrespondent zu berichten weiß, umfassen erstens ein Ver fprechen, daß die Abrüstungskonferenz durch eine wesent liche Verminderung der Rüstungen das Mißverhältnis zwischen der militärischen Stärke der vormaligen Alliierten und Deutschland erheblich vermindern werde; zweitens eine Erklärung, daß eine Lösung der Frage der deutschen Gleichberechtigungsforderung als wesentlicher und unentbehrlicher Teil der zu erreichenden Abrüstungskonvention betrachtet werden solle.
Der Korrespondent meint allerdings, es sei möglich, daß Deutschland eine präzise und kategorische Form der Zusage verlangen und daß Frankreich sich gegenwärtig hierzu nicht bereit zeigen werde, erklärt dann aber, in britischen Kreisen sei man der Ansicht, daß zum mindesten in Genf ein vorsichtiger Anfang gemacht werden könne. Zum Schluß seines Artikels schreibt der Korrespondent, die Abfassung einer präzisen Formel, die den briti
Landtag am Mittwoch.
Aber feine Regierungsbildung.
Der Preußische Landtag ist nunmehr endgültig für Mittwoch, den 21. September, 1 Uhr nachmittags, einberufen worden. Un mittelbar vorher, um 12 Uhr, tritt der Aeltestenrat noch einmal zusammen. Wie bereits angekündigt, stehen auf der Tagesordnung der ersten Landtagsfizung die zweite und dritte Beratung des nationalsozialistischen Antrages auf Vorverlegung der preußischen Gemeindewahlen, über die jedoch der Gemeindeausschuß am Montag erst noch einmal beraten wird. Außerdem ist jetzt noch die Notverordnung über die Feststellung des preußischen Haushalts planes für 1932 auf die Tagesordnung gesetzt worden. Gleichzeitig mit dieser Verordnung sollen die noch von der Regierung Braun erlassenen Notverordnungen vom 8. Juni zur Sicherung des Haushalts, vom 21. Juni zur Aenderung der Schlachtsteuer und die Badepolizeiverordnung Dr. Bracht vom 18. August beraten werden.
Zinssenfungsaktion und Börse.
Die Spekulation wartet die Diskontfenfung ab. Die ohnehin ruhigere Sonnabendbörse war im ganzen freundlich bei abwartender Haltung. Die Spefulation, immer noch fast allein, engagierte fich menig; sie wartet die Diskontsenfung ab, die am Dienstag fommen soll. Bon den 3inssenfungsplänen der Reichs
zu gewinnen, die Frankreich zu einer liberaleren Haltung nötigen würde. Wenn Italiens Wünsche bei den kommenden Besprechungen in Genf unberücksichtigt bleiben, und wenn Italien die schmälert würde, dann werde Rom mit dem Völkerbund brechen. Wachsende Erregung in Frankreich .
Paris , 17. September. ( Eigenbericht.) Die Meldung, daß die Reichsregierung den Auftrag zur Inangriffnahme des Baues des Panzerfreuzers C erteilt habe, hat die durch die letzten Ereignisse in Deutschland hervorgerufene Aufregung in Frankreich bis zur Siedehize gesteigert. Selbst in sozialistischen Kreisen, in denen man bisher bemüht war, beruhigend zu wirken, beginnt man jetzt nervös zu werden. Die nationalistische und offiziöse Presse benutzt die Gelegenheit zu neuen Angriffen gegen Deutschland .
"
Der Matin" schreibt:„ Es sind nicht mehr Worte oder diplo= matische Spitfindigkeiten, die die deutsche Regierung jetzt den Arbeiten der Abrüftungskonferenz entgegenseßt, sondern Tatfachen, die vielleicht ernste Folgen haben können. Die Antwort Deutschlands auf die versöhnliche Note der französischen Regierung ist die Militarisierung der Jugend. Andererseits hat Berlin vor einigen Tagen angekündigt, daß die Arbeiten an dem Panzerkreuzer B beschleunigt werden sollen, und jetzt gibt es den Auftrag zur Kiellegung des Panzerkreuzers C, des dritten jener Westentaschenkreuzer, von denen auf den Flottenkonferenzen so viel gesprochen worden ist. Die Verlängerung des Rüstungs= maffenstillstandes scheint also trotz der Unterschriften nur noch ein toter Buchstabe zu sein."
Der Petit Parisien" erklärt, die Berliner Regierung bemüht sich gegenwärtig, der letzten Note Herriots in allen Punkten Recht zu geben. Der an die Marinewerft von Wilhelmshaven ge= gebene Auftrag beruhe nicht nur auf einer voreiligen Geringschäzung der Arbeiten der Abrüstungskonferenz, sondern er bedeute auch die Verneinung jenes Rüstungswaffenstillstandes, für den Italien die Initiative ergriffen habe und dessen Zweck gewesen sei, zum Erfolg der Abrüstungskonferenz. beizutragen.
regierung ist fie deshalb nicht übermäßig beunruhigt, weil sich die Aktion auf eine Zinskonversion zugunsten der Landwirtschaft und der Landschaften zu beschränken scheint, bei der der Staat so oder so offenbar wieder die Kosten trägt. Bei den Kurssteigerungen führten Berliner Kraft und Licht mit 109 gegen 107% s und ContinentalGummi mit 107 gegen 104%. Farben waren um 41 Uhr 102 gegen 101%, Siemens 138%, nach 138, AEG. 30% nach 30 und Gelsenkirchen 44 nach 43%.
Der Rentenmarkt zeigte im ganzen freundliche Tendenz. Bei Stadtanleihen blieb die Entwicklung uneinheitlich.
„ Deutsche Präsidialpartei."
Man sucht Anhänger für das Papen- Kabinett. Die Berliner waren nicht wenig erstaunt, heute morgen an den Litfaßsäulen einen Aufruf zu finden, in dem zwei unbekannte Herren zur Bildung einer Deutschen Präsidialpartei" auffordern.
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Der Zweck der Gründung wird in die Worte zusammengefaßt: „ Wir wollen die Regierung von Papen nicht allein lassen." Damit wie mit der Feststellung, daß 95 Prozent des Reichstags ,, die nationale Arbeit von Papens untergraben" wollten, wird zu= gegeben, daß sich die Regierung der Barone einstweilen noch in fast völliger Isolierung befindet. Der Aufruf versucht diesem Mangel abzuhelfen, indem er der Regierung Weihrauch spendet, ihre Gegner aber als" Parteibürokraten“ und„ Bonzen" beschimpft. Seine lobenden Bemerfungen über die Regierung sind, soweit sie