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Beilage

Dienstag, 20. September 1932

Der Abend

M

Spalausgabe des Vorwards

Frau und Gemeinschaft

Ein Beitrag zur Frauenfrage/ Von Dr. Else Möbus

,, Wir leben im Zeitalter einer großen sozialen Umwälzung, die mit jedem Tage weitere Fortschritte macht. Eine stets stärker werdende Bewegung und Unruhe der Geister macht sich in allen Schichten der Gesellschaft bemerkbar und drängt nach tiefgreifenden Umgestaltungen. Alle fühlen, daß der Boden schwankt, auf dem sie stehen. Eine Menge Fragen sind aufgetaucht, die immer weitere Kreise beschäftigen, über deren Lösung für und wider gestritten wird. Eine der wichtigsten dieser Fragen ist die Frauenfrage." Wie eine scharf umrissene Charakteristik der Gegenwart flingen diese Worte August Bebels in seiner Frau und der So­zialismus". Inmitten einer Welt erbitterter Kämpfe auf den Ge­bieten der Politik, der Wirtschaft und Kultur ist auch die Leistung der Frau in Gemeinde, Staat und Wirtschaft praktisch nahezu illusorisch gemacht. Das Problem Frau und Gemeinschaft ist verengert worden zu der Frage Frau und Familie. 3war gibt es unter den Frauen bis in bürgerliche Kreise hinein, bei aller Verschiedenheit im einzelnen, eine weitgehende Ueber­einstimmung in der Grundfrage, daß das Frauenstimmrecht not­wendig sei, daß die Frau in Staat und Wirtschaft, wichtige Auf­gaben zu erfüllen habe. Dieser freiheitlich gesonnenen Frauenfront aber steht eine andere gegenüber, die den Ausspruch Moellers van den Bruck ,,, das Frauenstimmrecht gehöre zu den Neben­sächlichkeiten der Revolution von 1918", sich zu eigen machte und freiwillig auf jede Aufgabe außerhalb des Familienkreises ver­zichten will. Klar und eindeutig kommt diese Einstellung in einer Jugendzeitschrift zum Ausdruck, in der nationalsozialistische Jung­mädchen ebenso begeistert wie naiv verkünden: Unsere Freiheit ist es, uns zu befreien von der Emanzipation der Frau. Unser Frauenrecht besteht darin, Ehefrauen und Mütter zu sein."

worten befand sich auch ein Brief einer jungen Frau, die wehmütig schrieb: Ja, wir haben alles, wir dürfen wählen, wir haben Eintritt in Universitäten und Berufe, wir sind gesellschaftlich und rechtlich frei, aber glücklich? Nein, glücklich sind wir nicht." Man möchte hier die Gegenfrage stellen: Wie viele Männer sind denn heute glücklich"? Und doch würde es niemand einfallen, von der Beantwortung dieser Frage nach einem sehr individuellen Begriff das Maß seiner wirtschaftlichen, sozialen oder politischen Leistung abhängig zu machen. Die große Frage der Gegenwart lautet ganz anders: Wer hat den Mut und den Willen, trotz der Katastrophen­stimmung durchzuhalten und an seinem Teil, wo es möglich ist, mitzuarbeiten? Auch die Beantwortung dieser Frage kann Glücks­möglichkeiten in sich schließen, die Frau und Mann gemeinsam zu empfinden vermögen, wenn sie sich bewußt sind, daß jede Tätigkeit in der Gemeinschaft wurzelt, einer Gemeinschaft, die nicht nur die eigene Familie umfaßt. Nicht von der Frage des individuellen Glückes, sondern von der Frage des Gewissens und der Verantwortung her müssen die großen Fragen der Gegenwart gelöst werden. Nicht obwohl, sondern weil die Ver­hältnisse so schwierig geworden sind, brauchen Staat und Wirtschaft die Mitarbeit von Mann und Frau.

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Infolge der Reichstagswahlen ist ein neuer Rückgang des Fraueneinflusses zu verzeichnen. Ueber 50 Proz. der Stimmen wurden von weiblichen Wählern abgegeben, aber der weibliche Prozentsaz ist im Reichstag auf sechs gesunken die Auswirkung der neuen Fraueneinstellung zur Gemeinschaft. Wieder ist ein Teil der ohnehin schmalen Basis, auf der parlamentarische Frauen­arbeit sich aufbaute, abgefunken. Um so mehr aber ist es wesentlich, daß innerhalb der breiten Massen der Frauen der Gedanke wieder stärker Wurzel faßt und stärker ins Bewußtsein aufgenommen wird, daß zum Volksstaat auch die Frau gehört, daß Frauenarbeit im Hause und auf den Gebieten der Wirtschaft und Politik teine Gegensätze, sondern eine Einheit sind. Gerade heute, wo die materiellen, die geistigen und seelischen Grundlagen der Familie schwer erschüttert sind, wo die Republik in ihrem Bestande bedroht ist und die Wirtschaft an sich selbst verzweifelt, wäre es verhängnis­voll, sich hinter das Trugbild eines ,, häuslichen Herdes" zu ver= stecken, an dem man geborgen sein könnte und einem Glückstraum nachzuhängen, dem in kürzester Frist ein böses Erwachen folgen Starte müßte. Das Leben erfordert etwas ganz anderes: Solidarität und lebendige Teilnahme an den großen Ge­meinschaftsaufgaben der Gegenwart.

Ist das Kind asozial?

Dieser Einstellung liegt eine völlige Berkennung der Tat Eine psychologische Betrachtung Von Dr. Ernst Bergmann

In früheren Zeiten, bevor es eine wissenschaftliche Psychologie| einwenden, daß das Kind ja anfangs einen ausgesprochenen Egois­gab, pflegte man das Kind als eine Art Engel hinzustellen, dem Don Natur alle Sünde und alles Böse völlig fern lag. Wie der große französische Philosoph Rousseau den Ürzustand der Völker für eine Art Paradies hielt, nach dem es zurückzustreben gilt, so hielt man auch den Urzustand des Einzelmenschen, die Kindheit, für eine Art paradiesischen. Erst durch das Leben selbst sollte der Mensch gleichsam böse werden, die Unvollkommenheit der sozialen Bustände, das Milieu, sollte den von Natur guten Menschen ver­derben. Das Böse wird erlernt, der Mensch ist ursprünglich gut.

mus zeigen muß, daß dieser Egoismus gesund ist und völlig normal. Denn wenn das Kind so ausschließlich für sich sorgt, so tut es ja eben weiter nichts, als was der in Bildung und Wachs­tum begriffene Organismus verlangt. Das Kind muß eben alle seine Kräfte bewußt und unbewußt auf sein eigenes Selbst ver­wenden, nur dann kann es gedeihen. Also braucht man den kind­lichen Egoismus noch keineswegs tragisch zu nehmen. Außerdem aber ergibt sich aus der besonderen Situation, in der sich das Kind ais unfertiges, werdendes Wesen befindet, noch ein neues, wichtiges nämlich das aus seiner Hilflosigkeit entspringende Minder­Moment für die stärkste Betonung der eigenen Person. Das ist wertigteitsgefühl. Bekanntlich bildet das Minderwertig= keitsgefühl den Grundstein eines der bekanntesten psychologischen

sächlichkeiten des Lebens zugrunde, zunächst der Irrtum, als ob die Frauenbewegung oder ,, das System", die republikanischen Parteien, der modernen Frau jemals das Recht auf Ehe und Mutterschaft streitig gemacht und nicht vielmehr durch entsprechende Gesetze gründlich fundiert hätten. Die zweite falsche Voraussetzung aber besteht darin, daß die moderne Frau völlig losgelöst von der Gemeinschaft, von Politik, Wirtschaft und Staat leben könne, daß sie ihre Aufgabe am häuslichen Herd erfüllen könne, während der Mann die öffentlichen Angelegenheiten ausübte. Hier wird völlig übersehen, daß auch die hingebendste Tätigkeit der Frau im Haus halt, ihre Höchstleistung als Mutter den Ruin der Familie nicht aufhalten kann, wenn Wirtschaft und Staat erkrankt sind, wenn Je mehr aber die Wissenschaft in den Tiefen des Menschen zu unerträgliche Arbeitsbedingungen vorhanden sind, wenn die Lohn­graben begann. je rücksichtsloser sie aufdeckte, was meist unter einer abzüge nicht einmal das Eristenzminimum als Grenze anerkennen und wenn Millionen von Familienvätern nicht wissen, wie sie Frau Schicht glänzend aussehender Eigenschaften sich an Dunklem ver­und Kinder ernähren sollen. Es gehören keine politischen Vor- birgt, desto kritischer mußte sie auch allmählich sich der Kinderseele Lehrsysteme unserer Zeit, der von Alfred Adler geschaffenen In­kenntnisse dazu, um diese engen Verflechtungen zwischen Gebieten. gegenüber einstellen, ja desto skeptischer mußte sie ganz besonders die jetzt wieder als ,, männlich" bezeichnet werden und der weib- ihr gegenüber werden. Sie konnte mit sehr guten Gründen geradezu

dividualpsychologie".

lichen Tätigkeit der Frau innerhalb der Familie zu erkennen. auf die Unmöglichkeit hinweisen, daß das Kind als reines und gutes selbständiges, lebensfähiges Geschöpf wird, braucht das Menschen­

Ob sie es wahr haben will oder nicht, ob sie es flar in ihr Bewußtsein aufnimmt oder es ablehnt die Frau ist nun einmal, an welcher Stelle sie auch steht, ein Teil des Staates, ein Teil ein Teil der großen Volks:

der

Wirtschaft,

gemeinschaft.

Gerade die Arbeit der Frau außerhalb des Hauses schuf der Ehefrau und Mutter erst wertvolle Grundlagen ihres Lebens. Hätte die Frau den Gemeinschaftsgedanken nicht weiter gespannt, hätte sie den Begriff Mütterlichkeit nicht vertieft, indem sie ihren Blid über die engen Grenzen der Familie hinaus auf alle Schutz- und Hilfsbedürftigen richtete, so hätten wir weder ein Wöchnerinnen­schutzgesetz noch ein Gesez zur Reglung der Heimarbeiterinnenlöhne. Und wenn das Gesetz für Jugendwohlfahrt, das mit den Worten beginnt: ,, Jedes deutsche Kind hat ein Recht auf Erziehung zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit" sich mit größtem Nachdruck der Heranwachsenden annahm und für sie ge­funde Entwicklungsbedingungen forderte, so liegt auch hier die jahrelange Vorarbeit außerhäuslich tätiger Frauen und Mütter zu­grunde. Um so schmerzlicher ist es, wenn heute junge, heranwachsende Mädchen, romantische Frauen in enger Anlehnung an reaktionäre, frauenfeindliche Tendenzen der eigenen Bewegung, das heißt Mil­lionen von Frauen und Müttern in den Rücken fallen und sich soweit betören lassen, die Rechtlosigkeit der Frau als Frauenrecht, die blinde Abhängigkeit als Freiheit zu feiern, ohne zu ahnen, was ihre Haltung geschichtlich und sozial der Frauengesamtheit und damit auch ihnen selbst schaden muß. Es gehört zu den tragischsten Erscheinungen der Gegenwart, daß Frauen in dieser Weise gegen sich selbst wüten, und es kann kein tröstlicher Gedanke sein, zu wissen, daß auch diese Jugend nach eigenen bitteren Erfahrungen einmal anfangen wird, das Problem der Frauenarbeit und der Frauenleistung zu durchdenken und damit auf den Beginn der Frauenbewegung zurückzugreifen.

Wesen vor die Welt tritt.

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Das Kind, eben gerade das leine Kind, ist ja ganz ausschließlich ein biologisches Wesen. Es ist zunächst nichts als ein Organismus, der seinen Funktionen Wachstum und Stoffwechsel durchaus angepaßt ist, der nur diese Funktionen, diese aber vollkommen erfüllt. Alle Lebens­äußerungen des Säuglingsorganismus sind von elementarer Zweck­mäßigkeit. Der erste Atemzug wird als Refler ausgelöst; der Mund des Neugeborenen ist ein Saugnapf von höchster Zweckmäßigkeit, das Saugen funktioniert fast mechanisch. Und so ist es mit allen Lebensäußerungen. Das, was man beim älteren Kind und beim Erwachsenen Seele nennt, scheint noch nicht vorhanden.

Aber so bleibt es natürlich nicht. Das normale Kind entwickelt sich geistig und seelisch, und damit wird es nun erst eigentlich zu einem menschlichen Individuum. Man hat diesen Prozeß die Ich findung genannt. Es geht natürlich nur langsam, stufen­weise vor sich. Zunächst lernt das Kind seine eigene Person von der Außenwelt zu unterscheiden. Das ist durchaus kein so einfacher Borgang. Wenn es schon angefangen hat, nach Gegenständen zu greifen, die es offenbar schon als Fremdkörper erkannt hat, so kann man doch häufig noch beobachten, daß es mit der Hand etwa noch nach seinem eigenen Fuß greift, als ob auch dieser ein Gegen­stand der fremden Außenwelt wäre. Eine Unsumme von Erfah­rungen ist nötig, um die endgültige und genaue Trennung zwischen der eigenen Person und der Außenwelt zu vollziehen. Bekannt ist, daß das Kind lange Zeit von sich selbst in der dritten Person spricht: Willi will Ball haben." Ist endlich nun diese Trennung ganz vollzogen, hat sich das Kind endgültig als selbständige Per­sönlichkeit von seiner Umgebung losgelöst, so tritt die Frage erst recht mit Deutlichkeit auf, ob dieses selbständige Ich auch für die anderen fühlt und denkt, ob es also von Natur aus sozial ist und sein kann.

Wo sollte dies soziale Gefühl eigentlich herkommen? Ist das Wer wird einwenden können, daß bloßer ,, Machthunger" die Kind zunächst ein rein biologisches Geschöpf, das nur die Befriedi­Frau bewege, in der Wirtschaft mitzuarbeiten, wenn wir etwa aus Amerika hören, daß Frauen eine national consumers league", gungen einfacher Reize, wie Hunger und Durst, erstrebt, so scheint eine nationale Liga der Konsumentinnen, gebildet haben, daß sie erst recht nicht ersichtlich, wieso es von Natur Sozialgefühl mit­unter anderem Waren boykottierten, denen ungenügende Heim- bringen follte, wo doch gerade der Prozeß der Ichfindung es gleich arbeiterinnenlöhne zugrunde lagen, um höhere Löhne für diese sam mit der ganzen Umwelt entzweit und so seinen Individualis= mus, seine Selbständigkeit und damit doch wohl auch Egoismus armen Frauen und Mütter zu erzwingen! Auch dies ein Beweis, welchen Einfluß solidarische Frauen ausüben können. Oder, um erst eigentlich recht vollendet. Wirklich zeigen viele Aeußerungen des etwas größeren Kindes oft einen geradezu erstaunlichen, ein ganz anderes Beispiel vom Zusammenhang zwischen Frau und ja peinlichen Egoismus. Wenn das Kind sich über den Besuch Wirtschaft herauszugreifen, denken wir daran, daß Millionen von Mark für die Einfuhr von Schminke und Puder ausgegeben freut, den die Eltern bekommen, so häufig einfach deswegen und nur dann, wenn es gewohnt ist, Näschereien, Spielsachen und der= werden, daß es also die Frau in der Hand hat, ganze Industrien ins Leben zu rufen und sie zu unterstützen! Und endlich ein kurzer gleichen zum Geschenk zu erhalten. Dieser Egoismus erstreckt sich Blick in Fabriken und Betriebe der Gegenwart: Wenn in einer sehr häufig auch auf die eigenen Eltern und Geschwister. Auch sieht man vielleicht als erste selbständige Handlungen eher Untugenden Bügelanstalt drei Frauen durch eine Bügelmaschine ersetzt werden, wenn 32 Knopflochmacherinnen ihre Arbeit verlieren durch Ein- als Gutes. Kleine Bosheiten, Ungezogenheiten, Eigenwilligkeiten führung einer Knopflochmaschine, wenn 150 Packerinnen über- find sehr oft viel deutlicher in die Augen springende Momente als flüssig werden durch eine Packmaschine wer könnte blind und angenehme Eigenschaften. Demnach wäre also der Mensch von teilnahmslos daran vorübergehen und leugnen, daß wirtschaftliche Natur egoistisch und vielleicht schon boshaft. Maßnahmen auch das Leben der Frau stärkstens beeinflussen! Wer soziale Verhalten, das der Heranwachsende und schließlich der Er­wollte leugnen, daß gerade heute, in einer Zeit völliger Verwachsene an den Tag legt, nichts als angelernte Tugend, Ergebnis von Erziehung und vielleicht fahrenheit der Wirtschaft, in der die Werte des Lebens jede Geltung verloren haben, die Mitarbeit gerade der Frau nötig sei, wenn der Begriff der Mütterlichkeit, der lebenerhaltenden, bewahrenden, behütenden Kräfte nicht eine Phrase sein soll!

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Vor einiger Zeit richtete eine füddeutsche Zeitung die Frage an die modernen Frauen, ob sie glücklich feien. Unter den Ant­

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Dann wäre alles

Berechnung. Der pessimistische

deutsche Hausdichter Wilhelm Busch hätte also recht mit einem wenig schönen, aber um so treffenderen Wort: Tugend will geübt sein Bosheit kann man schon allein."

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Aber gegen diese wirklich sehr pessimistische Auffassung lassen sich doch starke Gegengründe ins Feld führen. Man tann zunächst

Im Gegensatz zum Tier, das meist in ziemlich kurzer Zeit ein kind Jahre und Jahre zu seiner Entwicklung, in denen es fast völlig auf die Erhaltung durch seine Umgebung angewiesen ist. Indem es nun heranwächst, muß es sehr bald die Erfahrung seiner Hilf­losigkeit und Abhängigkeit von den Großen machen. Hieraus, so meint Adler, muß sich mit Notwendigkeit ein Gefühl der eigenen Schwäche und Minderwertigkeit herausbilden. Hinzu kommen Mängel körperlicher oder seelischer Art, die das Kind an sich zu entdecken glaubt, oder die ihm manchmal leider von seiner Um­gebung suggeriert werden, etwa wenn man in Gegenwart des Kindes von seinen Fehlern, besonders etwa von seiner Häßlichkeit spricht, überhaupt es heruntermacht". Was bleibt dem Kind dagegen zu tun übrig? Es muß das Bestreben auftreten, dies Unten"-Gefühl zu beseitigen, zu kompensieren", wie der Fach­ausdruck lautet. So entsteht also ein Geltungsstreben, das das ganze Leben anhalten kann. Ehrgeiz in allen Formen, Ruhm= sucht oder Eitelkeit entstehen so. Wir wissen, welche mächtige Rolle sie im Leben des einzelnen wie leider auch der Völker spielen. So gesehen scheint es also einwandfrei begründet, das Kind und den Menschen überhaupt als notwendig egoistisches Wesen aufzufassen. Der Mensch kann dann gar nicht anders, als dauernd sein eigenes Ich, seine Person, sein geistiges und leibliches Wohl zu fördern und somit nicht sozial, sondern rein egoistisch zu sein.

So wäre also alles, was wir an sozialem Tun, an menschlicher Güte und Freundschaft sehen, nichts als Berechnung, nichts als Mittel zum Zweck des eigenen Interesses? Es hieße doch wohl die Tatsachen des Lebens vergewaltigen, wollte man so denken. Was wir auch in diesen schlimmen Zeiten noch täglich an Liebe, Freundschaft und Opferbereitschaft sehen können, wenn wir nur genau hinblicken, macht die ausschließliche Annahme egoistischer Interessen unhaltbar. Auch Adler denkt nicht daran, den Egoismus als der Weisheit letzten Schluß anzuerkennen. Nach ihm ist viel= mehr gerade wieder aus biologischen Gründen jeder reine Egois mus eine Unmöglichkeit. Alles, was wir über die Ur­geschichte des Menschen wissen, spricht dafür, daß er seit Anbeginn niemals isoliert, sondern stets in Gemeinschaft mit seinesgleichen gelebt hat. Alle Kulturerrungenschaften, Sprache, Werkzeug usw.,

weisen in dieser Richtung, daß nämlich nur durch Zu= sammenschluß und Gemeinschaftsbildung jeder Fortschritt möglich war. Aus der Biologie des Menschen ist die Tatsache seiner sozialen Gebundenheit nicht wegzu­denken. So muß auch in seiner Psyche ein ursprünglicher Faktor vorhanden sein, ein seelischer Zwang zur Sozialität, der diese Bindung an den Mitmenschen seelisch vertritt. Will man hier von einem Instinkt nicht reden, so muß man von einem Gemein= schaftsgefühl sprechen, das ihm angeboren ist und das nur der Berührung mit den Mitmenschen bedarf, um in die Er­scheinung zu treten.

Aber Gemeinschaftssinn und egoistischer Individualismus liegen in einem ständigen Kampf miteinander. Wie schon der einzelne stets gegen den aus der eigenen Unvollkommenheit entspringenden Egoismus anfämpfen muß, um immer für seine Nächsten Sorge und Opfer auf sich zu nehmen, so muß dieser Kampf in der mensch­lichen Gesellschaft noch viel stärkere Formen annehmen. In Klasse und Stand, endlich unter den Nationen sehen mir diesen erbitterten Rampi ohne Unterlaß im Gange. Das 3: el ist immer, beim Kind mie beim Volk, den sozialen Sinn gegen die individuellen durch zusetzen!