Erna und ihr Freund. Es lostet Geld, wenn man den Schupo schlägt. Vor den Gerichtsschranken stehen Fräulein Erna und ihr Freund. Die beiden haben sich des Widerstandes gegen die Staats» gewalt, der Beamtennötigung und sogar der Körperverletzung schuldig gemacht. Der Tatbestand der Anklage ist der traurige Aus- gang einer Kneiptour. Und das kam so: Die beiden Angeklagten hatten eine vergnügte Bummelreise unternommen— es galt, Erna, die schlecht gelaunt war, in rosiger« Stimmung zu oersetzen. Unter dem Einfluß reichlich genossenen Alkohols schaltete der Freund mit dem Auto eine allzu forsche Ge- schwindigkeit ein und hätte bei dieser Gelegenheit fast den Verkehrs- schupo an der Ecke Joachimsthaler und Schaperstraße aus dem Ge- wissen gehabt. Der Beamte notierte sich daraufhin die Nummer dieses temperamentvollen Herrenfahrers: das bemerkte Fräulein Erna, machte ihren Freund darauf aufmerksam, woraus dieser wendete und den Vertehrsbeamten zu Rede stellte: als der Beamte jetzt die Vorweisung des Führerscheins verlangte, wurde ihm dies verweigert, ja noch mehr, Ernas vom vielen Alkohol er- hitztes Gemüt lief über und sie Ich lug dem Beamten ins Gesicht. Das konnte der Freund schließlich nicht aus sich sitzen lassen und so schlug er mit den Worten:„Sie wagen es, eine Dame anzupacken?" seinerseits auf den Beamten ein. Mit Hilfe des Publikums wurden die beiden Rabiaten dann schließ- lich nach der Wache geschafft, wo Fräulein Erna einen zweiten, hinzukommenden Schupo mit der liebenswürdigen Begrüßung empfing:„Wenn ich einen Revolver hätte, würde ich euch nieder- schießen, ihr verfluchten Schupos!" Die schlagfertige Dame fiel auch noch über diesen Beamten tätlich her. Vor Gericht oerließ sie dann plötzlich ihr Gedächtnis, sie stand jetzt klein und bescheiden vor dem Richter und schrieb die Schuld lediglich dem Teufel Alkohol zu. 240 M. Strase für„sie" und 1000 M. für„ihn", den kühnen „Rennfahrer", wird die beiden hoffentlich wieder auf den Boden der Wirklichkeit stellen. Dabei kamen sie noch mit blauen Augen davon.
Muttchen singt... In einer stillen Seitenstraße des Berliner Westens, mit schön gepflegten Vorgarten und stattlichen Wohnhäusern, vollführt eine armselige Alte allerlei Kapriolen. Mit zittrigen Knien macht sie kokette Tanzschrittchen, mit brüchiger Stimme singt sie Schlager. Die musikalische Begleitung hat ein Kosferapparat, der, alters- schwach wie seine Besitzerin, alle paar Minuten die Puste verliert und wieder aufgezogen werden muß. Chauffeure und Zeitungs- Händler ringsherum machen ihre Glossen,„die is doch aber mindestens ihre 17 Jahre alt", meint der eine, worauf die ganze Korona in ein orkanartiges Gelächter ausbricht. Die Männer amüsieren sich, die Frauen dagegen erleben das Tragische der Situation und es gibt kaum eine, die nicht in ihre Tasche greift. „Wenn man verliebt ist, dann gibt es keine Uhr", entströmt es ihren welken Lippen. Starr, wie«ingefroren, sitzt ein neckisches Lächeln auf ihren verhärmten Zügen.„Na, so jut gelaunt, Muttchen, bei den schlechten Zeiten", ruft ihr der Bollejunge zu.„Grade", meint die Alte,„immer feste singen und hopsen mußte, dann weeßte nämlich nich, bist du eijentlich meschugge oder sind? die anderen, die dich auf deine alten Tage auf die Straße treiben!" Und mit einem Knixchen quittiert sie den Sechser, den ihr der Milchjunge in ihre zittrige Hand drückt... Fallschirmabsprung aus 6 000 Meter Höhe. Siel, 20. September. Die Fallschirmpilotin Lola Schröter sprang aus einem Flug- zeug in 6000 Meter Höhe zwischen Neumünster und Siel ab und landete wohlbehalten in der Nähe des Selenter Sees.
Unter dem Schatten der Sondergerichte.
Wie eine große, schwere Hand liegt auf Menschen und Dingen in Moabit der Druck der Sondergerichtsbarkeit. Man spürt ihn nicht nur in den Verhandlungsräumen, in denen Verstöße, für die sonst kleine Gefängnisstrafen verhängt wurden, mit schwerem Zuchthaus belegt werden. Hier, wo gegen den öSjährigen Familienvater ebenso wie gegen den jugendlichen Arbeiter das furcht- bare Urteil„Zehn Jahre Zuchthaus" verkündet wird, weil sie ge- schoflen haben sollen, ist die Luft gewiß besonders drückend. An- geklagte brechen zusammen, Frauen schluchzen und aus dem Publi- kum heraus erwacht machtlose Erbitterung. Man merkt die Wandlung schon, wenn man durch das Portal in der Turmstraße schreitet. Der Zustand, den man sonst nur bei Monstreprozessen erlebte, ist Alltäglichkeit geworden: Gleich am Eingang muß sich jeder, der das Gebäude betritt, legitimieren, und der P 0 l i z e i s ch u tz draußen und drinnen ist verstärkt. Man sieht, vor allem, wenn man noch die vielen Zeugen aus den„Militär- ähnlichen Verbänden" hinzuzählt, mehr Uniformen als Talare. «.Das Wort hat der Herr Staatsanwalt!- Aber(und das ist sehr bedenklich) dos Bestehen von Sonder- gerichten wirkt auch in die Säle hinüber, in denen vor ordentlichen Gerichten verhandelt wird. Da stehen beispielsweise zwei junge Leute vor Gericht, weil sie mit einem Mosaikpflasterstein nach politischen Gegnern geworfen haben. Niemand ist dabei zu Schaden gekommen, und die Sache ist etwa zwei Monate vor dem Erlaß der Ver- ordnung über die Bildung von Sondergerichten vom 9. August passiert. Die beiden Angeklagten, die natürlich, wie so viel« chrer proletarischen Altersgenossen, seit Monaten oder Jahren arbeitslos sind, waren nicht in Untersuchungshaft genommen worden. So geringfügig schien ihre Tat. Der Staatsanwalt aber sagt in seiner Anklagerede:„Wie froh können die Angeklagten sein, daß ihre Tat nicht nach dem 9. August begangen ist. Dann säßen sie jetzt hinter jener Barriere und ihre Strafe würde sicher sehr hoch ausfallen." Diese Art zu plädieren, ist ohne Zweifel ganz außerordentlich g«- f ä h r l i ch:«ine solche Sprache muß befürchten lassen, daß vor allem Laienrichter zu einer Härte veranlaßt werden, die bei einer durch
den 9. August unbeeinflußten Würdigung mit der Schwere der Tat in keinerlei Einklang steht. Menschen unier sich. Wie sehr sogenannte politische Auseinandersetzungen mit der Faust oder dem Pflasterstein zwischen Anhängern der radi- kalen politischen Gruppen oft von Gericht und Oefsentlichkeit in ihrer Bedeutung überschätzt werden, zeigte eine Szene„zwischen den Schlachten", die man letzthin bei einem Prozeß erlebte. Die drei jungen kommunistischen Angeklagten, die sich hier wegen einer der beinahe alltäglichen Keilereien zu verantworten haben, sitzen vor, nicht in der Anklagebank. In der Anklagebank aber muß ein national- sozialistischer Zeuge Platz nehmen, der wegen eines anderen Ver- gehens in Untersuchungshaft sitzt und vorgeführt wird. Das Gericht beschließt, den drei Angeklagten während der Zeit der Beratung wegen der vielleicht zu erwartenden hohen Strafe das Verlassen des Verhandlungssoales zu verbieten. Kaum sind Staatsanwalt und Richter aus dem Raum heraus, als sich zwischen nationalsozialistischen Belastungszeugen und kommunistischen Angeklagten ein munteres Palaver abspielt. Man fragt, wie es denn„drin" ist, der Unter- suchungsgefangene erkundigt sich bei seinem„politischen Feind", wie es dem und dem Mädchen geht, ob in der und der Kneipe immer noch Musik ist und so fort. Aus dem Wandelgang kommt ein anderer nationalsozialistischer Zeuge und sein Pg. hinter der Barriere will von ihm Zigaretten. Der wachhabende Justizbeomte, ein jovialer Mann, der gern ein Auge zudrücken möchte, darf das nicht. Da fetzt sich der eine Kommunist neben den Nationalsozialisten auf die Zeugenbank, läßt sich die Zigaretten in die Tasche stecken und schmug- gelt sie dem Untersuchungsgefangenen zu. Diese jungen Leute nehmen eben eine kleine Keilerei lange nicht so ernst, wie das Gericht sie nimmt. Ein Zeuge von der Schutzpolizei meinte mit Recht:„Wenn doch die jungen Leute draußen auch so kameradschastlich zueinander wären! Bei den politischen Sachen sieht man gerade unter den Jugendlichen nur selten richtige Verbrechertypen..." In dem Haus« in der Turmstraße geschieht in diesen Wochen Furchtbares, und die Menschlichkeit scheint verbannt.
Achtung, SPD. -Betriehsuertrauensientel Donnerstag, den 29. September, 19H Uhr In den MusikersSlen, Kaiser- Wllhelm-Str. 31 Funktionarhonferenz aller SPD. - Beiriebs- und OewerhschattslunKtionSre Tagesordnung:..Der Machtkampf fUr sozialistische Weltgestaltung". Ref.: Arthur Cri spien Ohne Funktionärausweis der Partei und Parteimitgliedsbuch kein Zutritt. Das Betriebssekretariat
Die silberne Hochzeit begeht heute da- Ehepaar Ernst und Margarete L i e b i n g, gleichzeitig das 2Sjährige Jubiläum der In- haberschaft des„Saalbau Friedrichshain". Der Maurer August Buder und Frau Selma, Graudenzer Straße 10, begehen am 24. September das Fest der silbernen Hochzeit. Das Fest der Goldenen Hochzeil feiert heule Genosse Gustav H e i d e r und seine Ehefrau Emilie, geb. Nitschke, SO 30, Cuvry- straße 17. Seit dem Bestehen des„Vorwärts" gehört Genosse Heider zu seinen Abonnenten.
Die Lcsczeit beginnt. Dazu ein Nuckerfeldzug gegen die Leihbüchereien.
Die von Tag zu Tag länger werdenden Herbstabend« lassen das Buch wieder zu Ehren kommen. Im Vordergrund wird natürlich wieder das Leihbuch stehen. Gegen die Unter- nehmer jedoch, die meist mit Hilse ausgedehnter Fllialnetze diese Bücher ausleihen, ist ein Feldzug in Vorbereitung, der noch zum mindesten einigen Staub aufwirbeln wird. Die Superinten- deuten Sachsens haben nämlich beschlossen,„im Namen der evangelischen Oefsentlichkeit den Kampf gegen das zweifelhafte Schrifttum in den Leihbüchereien mit allen gesetzlichen Mitteln auf- zunehmen". Heute so etwas aussprechen, heißt ja, es bereits halb erfüllt sehen. Nun sind diese Lechbüchereien aus dem Berliner Leben fast nicht mehr wegzudenken; noch im letzten Jahre hat ihre Zahl um etwa 50 Proz. zugenommen und besonders die Arbeitslosen ge- hören zur Stammkundschaft dieser Geschäfte. Wenn allerdings gesagt wird, daß sie in Berlin monatlich 4 Millionen Bücher aus- leihen, dann scheint das reichlich übertrieben, aber soviel steht doch wiederum fest, daß weiteste Kreise der Berliner Bevölkerung ihren Lesehunger in der Leihbücherei stillen. Trotz der gegenüber den öffentlichen Bibliotheken sehr hohen Leihgebühr: aber der„Bücherfritze" wohnt um die Ecke und jeder Weg zur Stadt- bibliothek kostet leider 50 Pf. Fahrgeld. Nun könnten dies« Leih- büchereien ein Kulturfaktor außerordentlichen Ranges sein, wenn sie ihre Regale mit etwas dankbarerem Lesestoff füllen würden. Aber der Buchankauf der Berliner Leihbüchereien richtet sich an- scheinend nach der Farbigkeit des Buchumschlags: je knalliger, desto besser. Darunter jede Art von Sittenroman, beschränkt« Mach- werke, die— gar keiner liest! Man kann in einer beliebigen Stadt- gegend die Ausleiherinnen fragen:„Sagen Sie bitte, gehen diese Bücher eigentlich?" und immer wird die Antwort lauten:„Fast
gar nicht." Also eine ganz verfehlte Spekulation mit diesen„Sittengeschichten", aber ein willkommenes Angriffsfeld für alle Sorten Mucker. Weiter: der Star jeder Leihbücherei ist noch immer Edgar W a l l a c e. Obwohl diese Wallace-Bände in ein geradezu sträf- liches Deutsch übersetzt sind, glauben die Leihbüchereien nicht ohne diese Kriminalschmäcker auskommen zu können. Dies« und die Abenteurerliteratur ginge am besten. Nun ist das mit Wallace nebst Verwandten abermals ein Trugschluß. Man frage einmal den Nachbar:„Nanu, Sie gehen ja gar nicht mehr in die Leih- bücherei?"—„Das habe ich doch alles gelesen", wird der Mann sagen. Selbstverständlich hat er nicht alles gelesen, er hat nur seine 3, 4 Wallace hinter sich, er kennt Scotland Pard vom Keller bis zum Dach, dje Mister Clk und Reeder verfolgen ihn wie sein Schatten, das Dornröschen jedes Bandes dazu und nun schenkt sich der Mann die übrigen 27 Bände von Wallace. Er bleibt weg, denn wollte er eine der nur spärlich gesäten Neuerscheinungen von Wert haben, dann könnte es passieren, daß er 40 oder 50 Pf. Leihgebühr für eine Woche aufwenden müßte. Es hat nicht an Versuchen gefehlt, in den Arbeitervierteln Leihbüchereien mit gewähsterem Lesestoff auszuziehen. Die sind dann nur wieder ins andere Extrem gefallen und haben gleich Marxens„Theorien über den Mehrwert" auf die Bretter gestellt. Das las überhaupt niemand. Dabei ließ« sich schon ein Mittelweg finden, beginnend etwa beim„Uilenspiegel" und vorläufig endend in der Richtung Hamsun und Traven. Denn die Courts- Mahler-Rechnung der Berliner Leihbüchereien stimmt eben nicht, auch die Volksschüler kennen noch ihren „Michael Kohlhoas". Um im 20. Lebensjahr schließlich bei Pitti- gvilli zu landen, dazu brauchen sie nicht in die Leihbücherei gehen.
Ein entmenschter Vater. Schnlz-Waldenburg vor dem(Sondergericht. Waldenburg, 20. September. Bor dem hiesigen Sondergericht begann am Dienstagmittog der Prozeß gegen den früheren kommunistischen Land- tagsabgeordneten Richard Schulz wegen grausamer Mißhandlung seines elfjährigen Sohnes Werner. Der Andrang des Publikums war schon lange vor Beginn der Verhandlung derart stark, daß schließlich Polizeibeamte eingreifen und die Menschen- massen aus dem Gerichtsgebäude entfernen mußten. Die Vernehmung des Angeklagten ergab, daß Schulz mehrfach vorbestraft ist, jedoch behauptete er, daß hier nur politische Der- gehen vorgelegen hätten. Hinsichtlich der Mißhandlungen an seinem Sohn Werner gab er zu, von seinem Züchtigungsrecht oftmals Gebrauch gemacht zu haben, weil der Junge ungehorsam gewesen sei. Habe er dabei die Grenzen des Züchtigungsrechts überschritten, so sei dies aus„psychologischen Gründen" ersolgt. Schwere Mißhandlungen im Sinne der An- klage stritt Schulz entschieden ab; er erklärte, daß sein Sohn Werner öfters hingefallen sei und sich dabei die Verletzungen zugezogen habe. Nach längerer Verhandlung beantragte der Staats- a n w a l t gegen Schulz wegen Vergehens gegen§ 224(Körper- Verletzung) eine Zuchthaus st rase von 4 Iahren und 6 Jahr« Ehrverlust. Das Gericht verurteilte den früheren kommunistischen Land- tagsabgeordneten Schulz wegen Körperverletzung in lebensgefährdender Weise und grausamer Art zu vier Iahren Gefängnis. Das Urteil ist sofort rechtskräftig. Anschlag aufGchnellzugBerlin-Moskau Feldgeschützgranate auf den(Schienen. Riga . 20. September. Am Montagabend wurde, wie erst jetzt bekannt wird, auf den Schnellzug Moskau — Berlin auf lettländischem Gebiet west- lich Dünaburg ein Spreng st ossanschlag oerübt. An den Schienen war mit Draht eine scharfe noch aus der Kriegszeit stom- wende deutsche Feldgeschützgranate befestigt. Die Zünder waren so angebracht, daß bei einer Berührung mit den Rädern die Explosion erfolgen muhte. Glücklicherwelse schoben die Räder de» Schnellzuge » die Granate beiseite, wodurch eine Explosion vermieden wurde. Die sofort angestellten polizeilichen Nachforschungen sind bisher ergebnislos verlausen. Oer Wintergarten hat die Herbstsaison mit einem hervorragenden Programm ein- geleitet. Das Dayelma-Ballett ist wieder eingekehrt, tanzt seinen schnell beliebt gewordenen Cancan, aber auch einen neuen spanischen Tanz, den Fado, in der Musik dem Rumba ähnlich. Rudi Grosl ist einer der besten Tonimitatoren, die der Wintergarten je auf der Bühne hatte, er würzt seine Darbietungen mit allerlei Scherzen. Die drei Swifts, Keulenjongleure von Weltruf, sind gleichfalls im Wintergarten eingekehrt. Die beiden Hartwells zeigen Schwungseilakrobatik in höchster Vollendung. Die vier Resuas wir- beln auf Rollschuhen über ein rundes Podium, das leider zu weit im Hintergrund der Bühne steht Mercadante , eine schöne neapolita- nische Mandolinenvirtuosin, entlockt ihrem Instrument ein- schmeichelnde Melodien. Paul Beckers bringt als Hofmusikant die Lacher auf feine Seite, aber im zweiten Teil als saxophonspielender Hasenmatrose verpuffen seine Scherze. Die tönende Filmrevue zum Schluß verdient wieder Anerkennung.