Morgenausgabe
Nr. 447
A 218
49. Jahrgang
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Teils
Vorwärts
Berliner Boltsblatt
Donnerstag 22. September 1932 Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.
Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlan
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... haben wir unsere Truppen in einen günstigeren Kampfabschnitt zurücgenommen.
Desterreichischer Siegesbericht von 1914.
Was sich am Mittwoch bei den Nazipreußen zugetragen hat, ist mit den Worten ,, ungeordneter Rückzug" sehr milde bezeichnet. Die 162 trogigen Nazireden im Preußischen Landtag haben sich der Papen- Bracht- Diktatur gegenüber aufgeführt wie ungezogene Schulfnaben gegen den Lehrer, Sie haben ihm die Zunge herausgestreckt, und als der Lehrer nach dem Stöckchen griff beileibe noch nicht zuschlug,- da sind fie heulend auf die Knie gesunken: ,, Bitte, bitte, Herr Lehrer, ich will es auch gewiß nicht wieder tun."
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Schulter an Schulter mit Rotmord", unter Ausnutzung der kommunistisch- nationalsozialistischen Mehrheit des Landtags, hatten die Nazis den Mehrheitsbeschluß durchgesezt, daß kein Beamter den Weisungen Brachts und seiner Beauf tragten zu folgen habe. Eine trozige Kriegserklärung, ein hingeſchmetterter Fehdehandschuh. Doch es genügte die Mitteilung Brachts an Kerrl, daß er sich das nicht gefallen lassen würde, um sofortige Abbitte und Widerruf zu erzielen.
Die Sozialdemokratie gegen Nazi- Kerrl und die Sondergerichte. Kampfrede Heilmanns gegen Nazis und Kommunisten.
Der Preußische Landtag trat am Mittwoch nach etwa dreis| Dr. Bracht unter dem Druck des Herrn Reichspräsidenten von Hin wöchiger Pause wieder zusammen.
Kläglicher Nazirückzug vor Papen .
Bor Eintritt in die Tagesordnung gibt Abg. Hinkler für die nationalsozialistische Fraktion folgende Erklärung ab: Angesichts der Erklärungen der Presse des Herrenklubs und des Herrn Reichstanzlers von Papen bezüglich der Auffassung der nationalsozialistischen preußischen Landtagsfraktion zu den Rechten
und Pflichten der Beamten dem Reichskommissar in Breußen gegen
denburg, an dessen Verfassungstreue Zweifel nicht bestehen können ( erneutes Lachen links), im Rahmen der auch von ihnen beschworenen Verfassung handeln, sieht es die Fraktion der Nationalsozia listen für eine selbstverständliche Pflicht aller Beamten und Staatsangestellten an, auch ihrerseits Verfassung und Geseze in preußischer Pflichterfüllung zu beachten.( Andauerndes Gelächter links.)
Drei sozialdemokratische Anträge. Gegen Polizeiwillfür- gegen Kerri- gegen Gondergerichte
Abg. Jürgensen( Soz.) beantragt, die Tagesordnung durch einige Anträge seiner Fraktion zu ergänzen.
über erklärt die Frattion folgendes: Die Fraktion hat am 30. Auguft dem kommunistischen Antrag zugestimmt, da am gleichen Tage auf Anordnung der kommissarischen preußischen RegieIn dem ersten Antrag heißt es, daß am Tage der Reichstags rung sämtlichen Ministerialbeamten im Gegensatz zu den Gepflogen auflösung Kriminalbeamte in den Reichstag eingedrungen seien und heiten der früheren Regierung und im Gegensatz zu den Rechten der Bolksvertretung verboten war, die Räume des Landtags überhaupt ohne Zustimmung des Präsidenten und trok des Proteſtes des zu betreten und ihrer pflichtgemäßen Berichterstattung der Bolts Reichstagsdirektors Durchsuchungen von Schränken von Abgeord neten vorgenommen hätten. Die hierfür verantwortlichen Beamten vertretung gegenüber nachzukommen. In den letzten drei Wochen hätten sich zweifellos eines Verstoßes gegen die Reichsverfassung Diese blamable Niederlage vervollständigt den Eindruck, hat die preußische Regierung wohl unter dem Druck dieser Entschuldig gemacht. Verantwortlichkeit, Anlaß, Borbe. schließung daß sich seit Wochen die Partei Hitlers auf dem Rückzug der Volksvertretung zu vermeiden. Die nationalsozialistische Fraktion reitung und Durchführung der Attion follen um
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des Preußischen Landtags erklärt dazu,
daß sie nicht daran denke, von sich aus gegenüber einer im Rahmen ihrer verfaffungsmäßigen Befugnisse handelnden Regierung_ die Beamten und Staatsangestellten zu einer Verlegung ihrer Pflichten aufzufordern.
gehend einer parlamentarischen Untersuchung unter30gen werden, die von dem bestehenden Polizeiuntersuchungsausschuß vorgenommen werden soll. Der zweite Antrag besagt: Der preußische Landtagspräsident Kerri hat am Montag, dem 19. September, dem Reichspräsidenten von Hindenburg einen Besuch abgestattet. Er hat in Gegenwart des Reichskanzlers dem Reichspräsidenten über verschiedene politisch wich
von einer Stellung in die andere befindet. Als sie sich von dem Herrenklub um die Siegesfrüchte geprellt sah, da hat sie wohl laut aufgeschrien, hat in neu entdeckter Aristokratenfeindschaft der Regierung einer dünnen. Oberkaste" den Fehdehandschuh hingeworfen, und der ,, Angriff" hat unzählige Male gegen die Regierung der Barone" gewettert, er, der zwei Monate zuvor wegen dieses( Lachen links.) Soweit sich die Reichskommissare von Papen und tige Dinge Vortrag gehalten und ist dabei als angeblicher Schützer
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Ausdrucks ein Verbot des Vorwärts" verlangt hatte!
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Aber in der Pragis ist aus diesem Kampf nichts weiter geworden als ein paar drohende Gesten mit anschließendem feigen Rückzug. Inmitten rasender Enttäuschung hatten die Nazis im aufgelösten Reichstag noch einmal Beifallssturm gemimt, als Herr Göring jenen französischen Kammerpräfidenten imitierte, der nach dem Bombenwurf eines Anarchisten mit stoischer Ruhe erklärte: ,, La séance continue." Die Sigung geht weiter."- Herr Göring hatte das Auflösungsdekret Papens für ungültig erklärt und die nächste Sigung des Reichstags auf den kommenden Tag anberaumt. Ha, welch' ein Held! Aber es genügte die Mitteilung Papens, daß die Regierung eine zweite Sigung nicht zulassen würde, und siehe da! Herr Göring ließ sich a tempo ,, Don den Verwaltungsjuristen belehren", daß er im
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Unrecht sei.
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Seit jenem 13. August, an dem Hitler stolz eine zweite Rolle ablehnte, sind die Nazihelden von Angreifern zu Bitt ſtellern geworden. Sie, die stolz die Vernichtung aller anderen Parteien auf ihre Fahne geschrieben hatten,- sie wandten sich hilfesuchend von einer Partei an die andere mit der Bitte, sie möchte doch der NSDAP. gegen Papen an die Macht helfen. Zuerst fuhhandelten sie mit dem 3entrum. Eine Koalitionsregierung mit der schwarzen Best" sollte das Mittel sein, Papen und Bracht aus dem Sattel zu heben. Als das mißlang, schienen sogar die verruchten Marristen den Nazis gut genug, um ihre Machtwünsche zu befriedigen. Die Sozialdemokratie sollte ihnen helfen, zusammen mit dem Zentrum die Zweidrittelmehrheit zu bilden, mit deren Hilfe Hindenburg abgesetzt werden sollte. Es wär so schön gewesen. Aber die bösen Marristen wollten nicht.
Erfolgreiche Lohnkämpfe.
Abwehr der Papen- Verordnung.
Die Jagd der Unternehmer nach der 400- Mark- Prämie und nach der von der Reichsregierung zugelassenen Unterschreitung der Tariflöhne, zugleich aber auch der Abwehrkampf der Arbeiter gegen den notverordneten Lohnabbau ist in Berlin in vollem Gange. Am ärgsten scheinen die Berliner Metallindustriellen hinter der Arbeiterkopfprämie her zu sein, denn anders fann man es nicht erklären, daß bis jetzt fast ausschließlich in Betrieben der Metallindustrie der Versuch gemacht worden ist, von der Berechtigung zum Abbau der Tariflöhne auf Grund von Neueinstellungen seit dem 15. August Gebrauch zu machen.
Gestern berichteten wir darüber, daß die Arbeiterschaft der
Niles- Werte in Weißenfee am Montag die Arbeit eingestellt hatte, weil von der Direktion durch Anschlag für zehn Wochenarbeitsstunden ein
Abbau der Tariflöhne um 50 Proz. verfügt worden war. Zur Begründung für ihr Vorgehen hatte die Direktion geltend gemacht, fie habe seit dem 15. August über 40 Pro3. neue Arbeiter eingestellt und sei demzufolge nach der Verordnung der Reichsregierung vom 5. September zu dem angekündigten Lohnabbau berechtigt.
Der entschloffene Widerstand der gesamten Belegschaft hat die ftreichen. In einer Berhandlung mit dem Betriebsrat hat sich die Direktion der Niles- Werke veranlaßt, ihre Lohnabbaufegel zu Firmenleitung bereit erklärt,
auf den Lohnabbau zu verzichten.
Seit Wochen heulen die Nazis der Deffentlichkeit vor, daß die Regierung Papen- Schleicher sie um die Früchte ihrer Auf Grund dieses Zugeständnisses hat gestern, Mittwochvormittag, Wahlfiege geprellt habe, Daß man betrogen wird, kommt vor, nicht jeder Betrogene aber erweckt Mitleid, zumal, wenn er in seiner Wut gesteht, daß er dem angeblichen Betrüger den Aufstieg erst über seinen breiten Buckel ermöglicht habe! Aber das offene Hohngelächter fordert solch ein betrogener Betrüger heraus, wenn er sein Mißgeschick mit so wenig Würde zu tragen weiß, wie Hitler und seine Partei, wenn er aus But über den schlaueren Bartner alle Gesinnungen, Schwüre, Verheißungen binnen 24 Stunden über Bord wirft! Daß diese unentwegten Antiparlamentarier sich in so furzer Zeit zu Schüßern der Parlamentsrechte, zu Koalitions politikern, zu Schwärmern für eine regierungsfähige Mehrheit, zu Kuhhändlern und Kulissenschiebern, zu Geschäftchenmachern auf den parlamentarischen Korridoren wandeln würden.ja, mer hätte das vor drei Monaten voraussagen dürfen, ohne im oniteur des Herrn Goebbels als„ Strolch" und Verleumder" verdroschen zu werden!
Und nun zu allem noch die Feigheit, die in so wohl tuendem Gegensatz steht zu den großmäuligen Macht
prozereien nach den Wahlen. Am Tage nach den letzten Reichstagswahlen brachte der„ Angriff" das Bild Hitlers mit der Unterschrift:„ Der einzige, der fähig und berufen ist, die iezige Lage zu meistern." Bitte, wen und was meistert er? Uns scheint, Hitler wird gemeistert, er wird sogar blamabel geschulmeistert. Der Naziton gegen die Regierung ist bereits gestimmt auf die leibeigenen Bauern aus dem Florian Geyer ": 3 um ersten ist unsere demütige Bitt." Wenn Herr von Papen dem Nazipräsidenten Kerrl auf die Schulter flopft, dann schlägt Kerri die Hacken zusammen und sagt:„ Ich bin's gar nicht gewesen, der deutsch - ich nationale Vizepräsident ist's gewesen. Aber trotzdem nehme alles zurück"
,, Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei hat einen Sieg errungen, wie er beispiellos in der Parlamentsgeschichte Deutschlands dasteht."
die Belegschaft in einer Betriebsverfammlung die Wiederaufnahme der Arbeit beschlossen und diesen Beschluß noch gestern vormittag durchgeführt.
Einen ähnlichen Reinfall erlebte die Maschinenfabrit Stod in Marienfelde . Diese Firma verlangte für die 31. bis 40. Wochenarbeitsstunde einen Abbau der Tariflöhne um 20 Pro 3., weil sie angeblich seit dem 15. August 15 Proz. neue Arbeiter eingestellt hat. Ein Anschlag der Betriebsleitung, der die Forderung der Firma diktatorisch in die Tat umsehen sollte, wurde von der Belegschaft
Angesichts des Widerstandes der Belegschaft mußte fich die Betriebsmit dem Eintritt in die passive Resistenz beantwortet. Angesichts des Widerstandes der Belegschaft mußte sich die Betriebs
leitung schließlich bereit erklären, ihr Lohnabbaudekret zurückzuziehen.
Bei der Firma Wolff, Netter u. Jakoby in Adlershof ist der Versuch der Betriebsleitung, die Tariflöhne für zehn Wochenarbeitsstunden ab 19. September um 20 Proz. zu kürzen, ebenfalls mißlungen. Auch hier war von der Firma behauptet worden, sie habe seit dem 15. August 10 Proz. neue Arbeiter eingestellt. Trotz voraufgegangener längerer Kurzarbeit beschloß die Belegschaft den Kampf gegen diesen Cohnabbau und trat zunächst in passive Resisten 3. Der Erfolg war die 3uabbau angekündigt hatte. rüd nahme des Anschlages, in dem die Firma den Cohn
Diese Beispiele solidarischen Zusammenstehens, die sich in den nächsten Tagen sicherlich vervielfachen werden, dürften nicht nur den Unternehmern, fondern auch der Reichsregierung den Beweis liefer daß für die Arbeiterschaft das Maß des Lohnabbaues übervoll ist.
Das war der Tenor des ,, Angriff" nach der Preußenwahl. Und wie nußen die ,, beispiellosen Sieger" ihren Sieg? Sie flammern sich an ihre Präsidenten-, Bizepräsidenten- und Abgeordnetenstühlchen und brechen bei der geringsten Drohung, fie davon herunterzukehren, in ein Jammergeheul aus. Vor ein paar Monaten forderten sie noch strikt die Auflösung des eben gewählten Land= tags, um die paar an der absoluten Mehrheit fehlenden Mandate noch dazu zu erobern". Heute schlottern ihnen die Knie, wenn sie nur das Wort Auflösung hören. Sie stimmen gegen die Auflösung, die sie eben noch stürmisch gefordert haben, sie leisten Abbitte an Bracht und Papen, um noch eine Schonzeit zu erhalten!
Schneller, wahrlich, hat sich die als Heldentum verkleidete Prahlhansigkeit und Großmäuligkeit noch niemals in der Weltgeschichte demaskiert!