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2. Beilage des Vorwärts

Donnerstag, 22 September 4932

verkrunkeltes, häßliches Mäntelchen freuen, wenn das jetzt künftig neben ihm hängt" Das ist nur ein Unterkleid, Martin und meine Abendkleider! Werd' mich hüten, die zu deinen Sachen zu hängen. Damit du

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UMS

Na, nun komm her, mein kleines Un- glllckswurm." Er hebt sie vom Koffer her- unter, setzt sie sich auf den Schoß,bis mein linkes Bein wieder einschläft, kannst du so sitzen bleiben.... so ist's richtig! Hält mir da neulich einen Vortrag: wer gesund ist und keinen Hunger hat, hat einfach kein Recht, unglücklich zu sein und heult mir jetzt die Revers weich und wabblig." Ist wahr, Martin." Gilgi hebt das®e- ficht. Bucht stolz und froh, daß er sogar ihre bescheidenen Aussprüche behält.Also siehst du... und... dann..." es wird ein langer und annähernd klarer Bericht. Und was mich so bedrückt, ist eben, daß sie anständig und gut zu mir waren, aus purem, gemeinem Egoismus wünscht ich schon, ich könnt' auch mal was ganz Beson- deres für sie tun. Ich Hab' sie auch gern, aber es gibt eben keinen Weg zueinander. Offen und ehrlich kann ich mit ihnen nicht sein, und immer lügen, das ist mir zuwider. Wenn sie zweifeln, ist's peinlich, und wenn sie mir treuherzig glauben, noch peinlicher." Ach wo, traurig ist sie nicht mehr, sie ist hier bei Martin, also da, wo sie hingehört. Sie hat sich benommen wie eine kleine Bieder- meiergans, versteht's selbst nicht. Es gibt doch da sowas wie Vererbungstheorie, nur damit kann man sich den sentimentalen An- fall erklären. Die Krons werden einsehen, daß Kinder früher oder später immer ihre eigenen Wege gehen und sich damit abfin- den. Leiden werden sie nicht, Herr Krön schon gar nicht. Der leidet nur. wenn kein Rosenmontagszug ist oder eine Büttenrede nicht geklappt hat, oder wenn's Geschäft schlecht' geht. Frau Krons Leidensfähigkeit ist ebenfalls begrenzt. Und eines Tages werden sie nicht mehr böse sein, man wird sie dann öfters besuchen und sie hat Martin, hat ihre Arbeit, morgen wird sie pünktlicher denn je auf dem Büro sein es wird alles gut, ist überhaupt schon alles gut. Gilgi rutscht von Martins Knien herunter. Will jetzt nur schnell meiner Mutter einen Brief schreiben" Der in St. Moritz ?" Nein doch, der anderen." Ich finde deine Familienverhältnisse etwas kompliziert." Liebe Mutter!" schreibt Gilgisei nicht traurig. Ich wohne von jetzt an nicht mehr bei Euch, will Euch durch meine Art zu leben keinen Aerger mehr machen. Du brauchst keine Sorgen um mich zu haben, ich arbeite und weiß, wie ich mich durchbringe. Ich bin sehr traurig, daß ich Euch undankbar scheinen muß und eigentlich auch bin. Aber wenn Du mich mal brauchst ich werde immer alles für Dich tun. Versuche jetzt nicht erst, mich aufzufinden. Wiederkommen für immer will ich nicht. Das ist für Euch und für mich besser so. Ich werde von Zeit zu Zeit bei Dir anrufen, und wenn Du mich dann nicht sprechen willst, kannst Du ja ein- fach anhängen. Aber wann Du nur willst komm ich mit Dir zusammen. Sei mir nicht böse. Wenn's geht. Deine Gilgi. Wenn Du bis zum großen Osterhausputz wieder gut bist und Vater nichts dagegen hat. komm' ich dann für vier Tage und helfe Dir." Moment, Martin, bin gleich wieder da." Sie stopft den Brief in die Tasche. Rennt auf die Straße. Kauft ein halbes Pfund Mandelsplitter Frau Krons Lieblings­konfekt und eine vernickelte Kaffeekanne die alte Porzellan kanne hat gestern einen Sprung bekommen. Sie läßt im Geschäft Kanne und Konfekt zusammenpacken, den Brief obenauf legen: ja. der Bote wird's im Laufe des Vormittags hinbringen. Erleichtert und befriedigt ist sie eine Viertelstunde später wieder bei Martin. Wenn ich was zu erledigen habe, muß ich's immer gleich tun. Aufschieben macht mich krank. So und jetzt wollen wir aus- packen" Martin hat nachdenkliche Augen.Gilgi", sagt er und legt ihr die Hände auf die Schul- tern. Sie sieht so unheimlich jung aus. die Kleine, und im Gegensatz zur sonstigen über- betonten Selbständigkeit beinahe hilflos. Wie kann seine unsichere Existenz ihr jetzt die Sicherheit des Elternhauses ersetzen?Gilgi- chen, ich freue mich, wenn ich dich bei mir habe, aber hast du nicht vielleicht eine Dummheit gemacht? Um meinetwillen darf's nicht sein, hörst du? Und wenn du willst, bring' ich die Sacke bei dir zur Haus in Ordnung, ick fühle mich ja schließlich verant- wortlich für dich." Alles Weiche aus Gilgis Gesicht verschwin-

det, ihre Stimme klingt hart und hell:Meine Sachen bring' ich allein in Ordnung, und wenn ich Dummheiten mache dann auf meine eigenen Kosten. Und eins sag ich dir, Martin" beinahe heftig schüttelt sie seine Hände abich dulde es nicht, daß man sich für mich verantwortlich fühlt, es ist die schlimmste Beleidigung, die man mir an- tun kann, ich..." Na, reg' dicht nicht auf, mein kleiner Ka- narienvogel." Vergnügt trägt Martin ihren Koffer ins Schlafzimmer, freut sich mit seiner ganzen gewohnten Unbekümmertheit, daß er einen netten unterhaltenden Mitbewohner bekommt. Langsam trottet Gilgi hinter ihm her:Ich bin noch seeehr unschlüssig", meint sie und sucht vergeblich, ihre zu kurze gerade Nase länger zu ziehen,ich hatte überhaupt nicht vor ich denke gar nicht dran, hier zu wohnen schon wegen meiner Selbständig- keit Hab' da mein Zimmer" Rücksichtslos in ihre Worte hinein klappt Martin den Kofferdeckel auf:Sieh mal, das schöne rote Abendkleid! Wie wird sich mein

3>asAhendkleid" sie jedesmal vom Bügel reißt, wenn du einen Anzug rausnimmst! Hier ist noch ein Schrank da kommen sie rein" Nachmittags sitzen sie in der Bibliothek. inmitten der ausgeleerten Bücherkisten. Mit liebevollem Eifer fischt Martin immer neue

Bände aus dem Chaos, liest laut ein paar Seilen vor, findet etwas schön, erklärt Gilgi, warum er's schön findetund das wirst du lesen und das und das du bist ja gar nicht so einseitig und phantasiearm, Gilgichen, wie du dich stellst." Er versucht, sie nach der Art der ihr eigenen Logik zu über- zeugen:Was schön ist, macht Freude. Es gibt Dinge, die kann man nicht von heut' auf mor- gen schön finden, man muß sich erst ein biß- chen trainieren. Da der Gewinn Freude ist. lohnt das Training. Ge- rade die Freuden, die man sich erwirbt, sind am echtesten, unverlier- barsten, die gehören einem. Daß einem gar nicht genug Freuden ge- hören können, siehst du doch ein, nicht wahr?" Gilgi nickt und ist be- reit. Martin blind zu glauben. Ein Buch, das io zärtlich von seinen hübschen schmalen Fingern gehalten wird, muß sicher schön sein. Sie überlegt:Weißt du, vielleicht Hab' ich immer das Nützliche schön gefunden. Ich werd' aber schon lernen." (Fortsetzung folgt.)

Phot. Paramouni

Thea Jeimann: S�ßflßUtS Sfßl

Die Nacht war mondhell, als Berletti die Stalltür öffnete, um mit seinem Eselsgeschirr ins Dorf zu fahren und die Hebamme zu holen.Eh, Ronzo! aufstehen!" rief er dem Esel zuAuf- stehen! Der Erbe kommt an!" Aber Ronzo rührte sich nicht. Auch nicht, als er von derben Bauern- stiefeln einen unsanften Tritt bekam. Da gewahrte Berletti, daß der brave Esel tot war.Vergiftet", dachte der Bauer und folgerte sogleich richtig:Von den Puri." Er erinnerte sich des Streites, den er vor einigen Tagen mit den Nachbarn wegen eines von Ronzo entwur- zelten Rebstockes gehabt hotte. Zuletzt hatten die Brüder Puri noch böse Drohungen gegen das harmlose Tier ausgestoßen. Gerührt strich Ber - letti über Ronzos steifes Genick. Am andern Morgen war der heiß ersehnte Stammhalter da und Berlettis Zorn verraucht. Aber rächen wollte er sich doch! Monatelang hotte sich der Bauer auf die Geburt seines ersten Kinde- gefreut, und nun es gar ein Sohn war, sollte das Ereignis mit gebührendem Pomp ge- feiert werden. Der unverhoffte Tod Ronzos hatte seine Stimmung doch beträchtlich gedrückt. So stand Berletti etwas betrübt an der Schwelle seines Hauses, als gerade die Brüder Puri vorüberkamen Sie beglückwünschten ihn scheinheilig zum Erben. Berletti gesellte sich ihnen zu und ging ein Stück Weges mit ihnen. Er wollte sehen, ob die Gauner sich verrieten. Ja, ja", sing Berletti an,der Bub ist ge- kommen und der arme Ronzo ist gegangen." Was du nicht sagst! Tot ist er? Was hat ihm denn gefehlt?" Der Schlag wird ihn getroffen hoben. Er mar alt." Dem Bauer entging es nicht, daß die beiden Brüder sich anblinzelten. Es tut mir nur leid um das gute Tier. Sonst ist es ja mein Schaden nicht. Er war hoch ver- sichert. Da kauf' ich mir ein junges Tier und mach' noch ein schönes Geschäft dabei." Und nach einer Pause fuhr Berletti fort:Was ich noch sagen wollte: zur Taufe am Sonntag seid ihr natürlich auch eingeladen." Die letzten Worte hatte Berlettis Schwieger- mutter noch gerade gehört, die mit gefüllten Wassereimern am Tragholz vom Brunnen kam. Was", ereiferte sie sich,diese Lumpen hast du noch großartig eingeladen?" Laß nur, das ist meine Rache." In der Nacht, bei Mondschein, lud Berletti seinen toten Esel aus den Schubkorren und fuhr ihn hinab nach dem Flusse. Und wie eine mäch- tige Sturzwelle den Kadaver verschlang, rannen dem Bauern dicke Tränen über dos braune, harte Gesicht. Wieviele Jahre hatte ihm das gute Tier treu gedient, und nun sollte es nicht einmal mehr den jungen Herrn mit seinem melancholischen Gesänge begrüßen.

Am Sonntag wurde die Taufe des Stamm- Halters der Berletti gewaltig gefeiert Im Olivenhaine, der das Haus umgab, war eine lange Tafel ausgestellt, und Bratenduft mischte sich mit dem würzigen Hauch, der von der Li- monenterrasse herüberwehte Roter Wein floß in die Kehlen und über die Tischtücher, und die Unterhaltung war in Schwung Berletti ließ gefüllte Schüsseln und Platten heronschleppen: man. trank und lärmte und ließ sich's wohl gehen. Auch die Puri waren da. Und als man die

ländlich derben Toaste ausbrachte, wurde auch des armen Ronzo gedacht. Ja. ja, er war schon ein guter Kerl", sagte Berletti und, indem er sich an seine Nachborn wandte:Gut, ja aber für euch vielleicht ein bißchen Hort, wie?" Und seine Augen funkelten. Alles brüllte vor Lachen, obwohl man nicht recht verstanden hatte, was Berletti damit meinte. Aber man merkte: das ging auf die Puri. Hat er euch geschmeckt?" fragte Berletti und lachte höhnisch. Da brach nun doch eine große Erregung unter den Gästen aus. Na. na beruhigt euch! Es waren nur zwei Beefsteaks und ein Stückerl Leber, die der gute Kerl für seine beiden Freunde gelassen hat. Als Dank für einen abgefressenen Rebstock, als Schadenersatz." Die gute Laune war sogleich wiederhergestellt: man hielt Berlettis Worte für einen Witz. Nur die Puri waren bleich geworden. Sie erkannten auf einmal: das Fleisch hatte deutlich nach Kupfervitriol geschmeckt, und es wurde ihnen übel. Bei der ersten besten Gelegenheit gingen

sie heim und schwuren das Ende wäre.

sich, daß dos noch nicht

Vierzehn Tage später begab sich Berletti in die Kreisstadt, um die Versicherungssumme abzu- holen. Da kam er ober schön an! Der Beamte schrie:Wie? Sie haben noch die Unverschämt- heit, zu behaupten, Ihr Esel sei gestorben? Geschlachtet hoben Sie ihn! Jawohl!! Zur Taufe Ihres Kindes! Jawohl!! Das ist Betrug!" und krachend flog der Schalter zu. Berletti stand wie betäubt. Es dauerte eine geraume Weile, bis er kapiert hotte. Diese Lum- pen! Ganz geknickt und überwältigt von so viel Gemeinheit, versuchte er nicht einmal, sich zu verteidigen. Spät in der Nacht kehrte er heim. Er ging an Ronzos leeren Stall vorbei und schlich ins Haus, in die Kammer, wo Weib und Kind schlie- sen. Und als er leise die kleinen rosigen Fäust- chen seines Sprößlings in seine starke, harte Bauernfaust nahm und sie vorsichtig drückte, war ihm, als klänge draußen, hinten am Walde, wo der Fluß ist, der melancholische Gesang eines Esels.

S>r. 9C. Schreiher:

'Das Ende der Atlanlisfage

Atlantis, das sagenhafte Land, das zwischen Südamerika und Afrika , etwa in der Höhe der Kanarischen Inseln gelegen hoben soll, dessen Bc- wohner und dessen Kultur angeblich in den Fluten versunken seit Platons utopischer Schilderung Gegenstand unzähliger dichterischer Darstellungen und wissenschaftlicher Theorien ge- wesen ist, dieses Atlantis muß noch den neuesten Feststellungen der Wissenschaft endgültig in dos Reich der Fabel verwiesen werden. Vor kurzem hat der hervorragende Geologe Professor S a l o m o n- C a l o i in der Heidelberger Akademie der Wissenschasten in einem Vortrag sich mit dem Problem der Bewegung der Fest- länder auseinandergesetzt: In der Steinkohlenperiode müssen in Süd- amerika , Südafrika und Australien , ebenso wie in Vorderindien gewaltige Inland- e i s m a s s e n vorhanden gewesen sein, wie wir sie jetzt nur im Südpolargebiet und in Grönland kennen. Die Spuren dieser Vergletscherung sind ganz klar und eindeutig. Erst vor wenigen Wochen konnte die deutsche Anden -Expedition in Peru weitere Vergletscherungsspurcn finden. Nun kann man unmöglich annehmen, daß irgendwann einmal in der Erdgeschichte die Eiskappen des Süd- oder des Nordpols bis an den Aequator gereicht hätten. Die Geologen stellten deshalb die Theorie auf, gewaltige Brllckenkontinente hätten die vier großen Festländer Amerika , Afrika , Australien und Asien verbunden, und der Südpol habe damals im Indischen Ozean nahe Südafrika gelegen. Das war die wissenschaftliche Grundlage der alten Atlantistheorie. Es wurden aus diese Weise die ausfälligen Aehnlichkeiten der Tier- und Pflanzenwelt Brasiliens . Australiens und Südafrikas erklärt. Ein unlösbarer Widerspruch ergab sich aber aus der Notwendigkeit, den Nordpol in das Ge- biet der nordamerikanischen Kohlenlager zu ver- legen. Die Pflanzen dieser Lager deuten nämlich auf ein gleichmäßig warmes Klima hin. Also

stand diese Theorie auf sehr tönernen Füßen. In diese verworrene Lage griff vor ungefähr zwanzig Iahren der in Grönland verstorbene Alfred W e g e n e r mit seiner berühmten Theorie der Verschiebung der Kontinente ein, die unsere bisherigen Anschauungen von der Ober- fläche der Erde völlig revolutionierte. Schon vor ihm war festgestellt worden, daß die Fest- länder aus ihrem Untergrund empor- st eigen oder untertauchen können. Es mußte also unter den Festländern eine Masse vor- Händen sein, die, wenn auch äußerst langsam, solche Bewegungen der Festlandschollen gestattet und Wegener zog den genialen Schluß, daß neben der schon bewiesenen vertikalen Bewegung auch eine horizontale möglich sein müsse, und daß die Kontinente auf ihrem Untergrund treiben, wie Eisberge im Ozean. Das Problem der Vereisung in der Nähe des jetzigen Aequators erklärt Wegener in ebenso eleganter wie einleuchtender Weise daraus, daß die Südkontinente ursprünglich mit Vorderindien zusammengehangen und einen einzigen großen Kontinent gebildet hätten. Aus diesem lag der Südpol und der Nordpol fiel in den Stillen Ozean. Später seien dann die ein- zelnen Teile dieses Südkontinents langsam aus- einandergetrieben und aus diesem ursprünglichen Zusammenhang erklären sich die ausfälligen lieber- einstimmungcn zwischen Tier- und Pflanzenwelt der südlichen Festländer. Gegen die Annahme eines Brückenkontinents spricht übrigens auch die Gestalt des riesigen Unterwassergebirges, dos den NamenA t l a n- tische Schwelle" führt und das sich in einem Zug von Island bis zum Südpolarkontinent hin- zieht. Dieses Gebirge, dos nach den Feststellungen der deutschen Meteorexpedition vulkanischen Charakter hat, wird gerade durch die Ver- schiebungstheorie Wegeners besonders gut erklärt, Eine entscheidende Wendung erfährt durch die Wegenersche Theorie übrigens nach der Dar»