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Beilage

Montag, 26. September 1932

Spinoza  

Ein Mann des freien Geistes

Es geschieht nicht oft, daß Männer des freien Geistes von der ganzen Welt gefeiert werden. Die Männer des Rückschritts haben weit mehr Aussicht, daß ihnen dies zuteil wird. Unter den wenigen Vorfämpfern menschlicher Vernunft und unbestechlicher Wahrheits­liebe, denen hochstehende Wissenschaftler aus allen Ländern Ehre erweisen, ist der Philosoph Spinoza   zu nennen, dessen 300. Ge­burtstag demnächst, am 24. November, überall die Erinnerung an ihn wachrufen wird.

Spinoza   steht am Anfang der neueren Philosophie, er ist einer von denen, die die Neuzeit mit heraufgeführt haben. Viel mehr als etwa Luther   ist er daran schuld, daß die Menschen wieder an­fingen, sich ihrer Vernunft zu bedienen und, wie Kant   es ausdrückte, aus dem dogmatischen Schlummer zu erwachen. Spinoza   lehnt jede spezielle Offenbarung, die in einem heiligen Buche niedergelegt sein könnte, ab. Alles Leben und Denken ist ihm Offenbarung des Weltgeist es, des höchsten Schaffungsprinzips, und alles Denken und Erkennen dient ihm dazu, ein inneres Gleichgewicht zu finden, indem der einzelne sich im Dienst der anderen verzehrt und einen gesunden, vernünftigen Staat ins Leben ruft. Er ist einer der theoretischen Väter der Toleranz, der Demo fratie. In seinem politischen Trattat gibt er einzelne Vorschrif­ten über die beste Regierungsform, über die Justiz und Ver­waltung der Länder und Städte, er zieht die Mitte zwischen einem gesunden Egoismus und der Nächstenliebe. Meist bezeichnet man seine Weltanschauung als Pantheismus. Das ist begrifflich nicht ganz einfach zu fassen. Es bedeutet, daß Natur, Wahrheit, Tugend, Liebe gleich Gott gesetzt werden. Und hier liegt tatsächlich der Schlüssel zu seiner Lehre.

Im Haag waren alle bekannteren Spinoza  - Forscher ver­sammelt. In Deutschland   ist der unermüdliche und gelehrte Dr. Gebhardt Leiter des rhein  - mainischen Verbandes für Volks­bildung und Vorkämpfer der Spinoza  - Bewegung; er war auch der geistige Führer des Kongresses. Dann fiel der 88jährige Sir Fre= derick Pollock auf, der in England Spinoza wiedererweckte, im Lande vieler freier Denker, wie Locke, Hume   und Hobbes  . Es ist das keine leichte Aufgabe, weil die großen weitausholenden Theorien Spinozas dem englischen mehr aufs Praktische gerichteten Charakter nicht liegen. Es war auch bezeichnend, daß gerade Pollock in den tiefgreifenden Auseinandersetzungen auf dem Kongreß über die richtige Auslegung der Lehre Spinozas betonte, sie sei in erster Linie eine Lebenshaltung, eine innere Einstellung" zu den Fragen des Lebens, eine reine unbeschwerte Anschauung der Dinge, aus der eine Harmonie mit dem Schicksal von selbst folge. Andere Spinoza  - Forscher legen freilich Wert auf die Grundlinien seiner Lehre selbst: es sind da zu nennen die Franzosen Brun schwicg und Rivaud von der Sarbonne und Bachelard  . von Dijon  , ferner Holländer, Polen  , Amerikaner und der italienische Professor Ra aus Padua  , der auf dem Kongreß sehr tätig war, ohne daß ja auch nur die leiseste faschistische Propaganda durch flang. Auch aus Kapstadt   und Japan   waren Gelehrte gekommen immerhin ein Beweis, daß man der Spinoza  - Bewegung aller hand zutraut, wenn von einer Wiedererweckung und größeren Lebensnähe der reinen Philosophie die Rede ist.

Der Kongreß, der das Thema" Physik und Metaphyfit" als erstes Hauptthema behandelte, hat eine wirklich philosophische Hal­tung bewahrt: er führt in die Richtung des menschlichen Denkens, wo man sich vor den Tatsachen, die die Wissenschaft erforscht, ehr­fürchtig beugt, wo man sich aber nicht mit voreiligen Begriffen und Lösungen begnügt, sondern immer weiter fragt. Das, was Darwin   oder Haeckel, für ihre damalige Zeit sicher Pioniere des Denkens, an Resultaten gefunden hatten, genügt für das Wissen und Denken unserer Zeit nicht mehr. Es haben sich neue Per spettiven eröffnet. Und wir suchen wieder nach einem leben­digen Erfassen der Natur, wie es die Zeit Spinozas und dann später die Romantik in so hohem Maße hatte. Es war erstaunlich, wie auf dem Kongreß immer wieder hindurchklang, daß die Natur in der Retorte und Röhre eine künstliche" Natur sei, die man ab= sichtlich erzeuge, der man ihre Wege vorschreibe, nur damit gewisse Experimente gelingen. Die wirkliche Natur erschließe sich aber als Ganzes dem reinen betrachtenden Sinn, wie das in Spinoza   in einem so hervorragenden Maße der Fall war.

In hochinteressanten Ausführungen hat einer der bedeutendsten Spinoza  - Forscher, der Pater von Dunin Borkowski  , Spinoza  in das physikalische Wissen und Fragen seiner Zeit hineingestellt. Besonders ist seine Abhängigkeit von seinem Zeitgenossen Lambert van Velthuizen wichtig. Dieser wieder hat unter Verwertung der Forschungen Galileis und anderer die gesamten Fragen der Bewegung, der Qualitätsveränderungen, des Trägers" der Ver= änderungen im physikalischen Geschehen, des Aethers behandelt, und Spinoza   hatte genaue Kenntnis von allen diesen Dingen. Oft gewinnt man den Eindruck, als ob die damalige Zeit schon ganz deutlich die wichtigsten Fragen der Physik gesehen hat, nur daß ihr eben die erakte Anschauung fehlte, die die heutige Naturwissen schaft liefert. Oder man kann auch sagen: die großen Grundfragen bleiben die gleichen und jede Zeit löst sie mit den ihr eigenen Mitteln. Spinoza   nimmt keine Maße, keinen Urstoff( als ewiges unver änderliches Atom) an, sondern ein, raumbeherrschendes Kraftquan­tum". Man sieht also, daß schon ganz moderne Begriffe damals in der Luft lagen. Freilich darf man nun nicht übertreiben und sagen, die heutige Forschung sei schon vorweggenommen. Es bleiben noch genug Unterschiede.

Neben den Fragen der Physik wurden diejenigen der Reli­gion in den Mittelpunkt gestellt. Zwar kam es da nicht zu theo­retischen Auseinandersetzungen. Man hätte erwarten können, daß der Pantheismus als solcher zur Diskussion gebracht würde, und damit die Begriffe Gott  , Welt, Glaube, wie sie gerade im Goethe­Jahr aktuell geworden waren. Aber wahrscheinlich war die Mehr­heit der Kongreßredner und Teilnehmer der Meinung, daß man mit abstrakten Theorien auf diesem Wege nicht mehr weiter fommt, daß die historische Kritik schon so viel gearbeitet hat, daß faum Neues zu sagen bleibt. So haben zwar auch Katholiken als Spi­ noza  - Forscher sich beteiligt und sie scheinen auch viele seiner Ge­danken durchaus nicht abzulehnen( obwohl seine Zeitgenossen ihn immer für einen Atheisten erklärten), aber Spinoza   als Theologe wurde doch eigentlich nicht gewürdigt.

Um so mehr aber fam die praktische Seite der Religion zur Sprache. Wir erfuhren, daß Spinoza   in dem Kreise der Kolle gianten verkehrte, der besonders meitherzig denkende Bertreter der verschiedenen christlichen Konfeffionen vereinigte. Damals wurde,

0: 1 baldatu- Der Abend

Hans Prosper:

Spalausgabe des Vorwanks

Eine komische Figur

Es ist gut gegangen. Man hat über mich gelacht. Und das sei die Hauptsache, sagt der Chef und ist zufrieden.

Er hat eben vom Anfang an rechtgehabt. ,, Versuchen Sie es einmal", meinte er, probieren Sie, ehe Sie sich hinlegen und hungern." Und das Ganze sei nicht gerade schwierig: eine Melone auf den Kopf, einen langen, melancholisch baumelnden Schnurrbart auf die Lippe, eine Brille mit grünen Gläsern vor die Augen und eine mächtige, kreuzweise verschnürte Pappschachtel in die Hand: Franz von Possehl" würde in großen schwarzen Lettern auf der Schachtel geschrieben stehen. Und dann beginne die Arbeit, und auch die sei nicht eben mühevoll. Ich hätte in solchem Aufzug vor dem Eingang des Kinos auf und ab zu patrouillieren, ein wenig tappig und ein wenig verschämt, ein wenig dumm und ein wenig verlegen, immerhin aber dreist genug, um den Platz nicht zu räumen und mit großem Schweigen denn dies vor allem sei wirksam den Fragen der Neugierigen, Nörgelnden und Lachenden stand­zuhalten. Schwierigkeiten gäbe es also feine. Und das alles eine aunige Lockung für jeden, der den Film noch nicht gesehen, zugleich aber die sinnvolle Reklame für Herrn Franz von Possehl, der drinnen, auf der Leinwand, in gleicher Aufmachung sein Wesen treibt.

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Und ich mache meine Sache gut. Ja, sie macht sich geradezu von selbst. Denn wer kennt nicht Franz von Possehl? Und sieht man nun plötzlich sein halbwegs gelungenes Abbild mitten in der Nüchternheit der Straße auftauchen, so hält man eben einen Augen blick lang still, lacht auch ein wenig, geht wieder weiter, oder es entschließt sich vielleicht doch hin und wieder einer- und das sind eben meine Erfolge und tritt an die Kasse und kauft ein Billett. Vor allem aber verhungere ich dabei nicht. Franz von Possehl braucht mich wohl kaum, das ist wahr. Aber der Chef braucht mich nun doch, es hat sich eben immer noch einer gefunden, der mich zur

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Die Stempelkarte

Manche tragen ganz neu mich erst in ihrer Tasche und denken: das ist nur kurze Zeit, morgen schon... Manche kneifen Falten mir ins Antlig, malen Adressen auf mein graues Kleid und drohen: du Aas, wir werden dich doch noch in den Papierkorb zwingen! Manchen aber fraß seit Jahren ich tief ins Herzblut mich hinein die denken nichts mehr, sigen mit leerem Blick und müder Hand

Jngeborg Stier.

Kenntnis nimmt, ja fast bin ich begehrt und könnte glauben, ich habe Arbeit gefunden. Frag ich da noch, ob man als diplomierter Mensch mit Zeugnissen in der Tasche solches Geschäft überhaupt annehmen dürfe?

Sonnabend nachts. Es ist auch weiterhin gut gegangen, die ganze Woche über. Ja, man lacht mehr und mehr über mich, ich glaube, ich habe Routine bekommen. Und der Chef will aus mir gewissermaßen eine Einrichtung machen, ich könnte so ungefähr sein Angestellter werden, fig und mit angemessener Entlohnung, die tomische Figur vor seiner Tür, was eben neu ist und gewiß eine Zeitlang ziehen würde.

Aber ich habe noch nicht ja gesagt. Ich müsse noch überlegen. Und ich denke so: hier verhungerst du nicht. Ich denke: ein paar Monate geht es. Und ich denke auch: derweil läßt du dir die Sohlen flicken, zahlst die schuldige Miete und hast wieder Kredit fürs Quartier,

nichts? Merkt er denn nicht, daß mir nun langsam übel wird? Ja, aber sieht denn dieser Mensch, unser Chef, noch immer

Man steht da und die Leute lachen. Gut und schön. Aber ist Bassantenaugen schauen dir durchs Gewand durch, stöbern dich im es damit auch getan? Solche fremden Augen, solche beliebigen heimlichsten Winkel deiner Seele auf, und sie verlachen dich nicht bloß, sondern sie gehen tief und tiefer, fie langen nach dir, sie finden dich, sie packen dich und sie tun so, als stünde es ihnen zu, dich zu richten. Stellen sie nicht dich in Frage? Dich selbst, von Grund auf und im ganzen? Dein Wesen und dein Recht? Ja, du bist kaum mehr eine Kreatur, faum mehr etwas zur Welt Ge­tommenes und Lebendes, sondern ein Ding, das man bezahlt hat, ein Hanswurst, wie er in den Auslagen der Puppenläden liegt mit dem Preiszettel um den Hals. Herr Franz von Possehl? Wer denkt an ihn, wenn er mich sieht? Denn er tut es doch nicht für seinen Bauch, ihn hat man doch nicht dazu hinuntergezwungen, und fein Mensch hat den Mut, ihm ins Gesicht zu lachen, über ihn selbst nämlich, Herrn Franz von Possehl. Und über allem steht der Himmel wie immer, Wolken ziehen, manchmal regnet es auch, und die Straße lärmt und ist schön. Hin und wieder verläuft sich auch ein Kind, steht da und meint, oder ein Mädchen geht vorüber und lächelt. Und ich denke, es sei schwer, sich am Leben zu erhalten, ich hätte es noch immer nicht gelernt, müsse mich bezwingen, mich selbst ablegen, denn so will es der Chef und so auch Franz von Bossehl, dessen Schatten ich bin.

Dem Chef habe ich aber dennoch nicht zugesagt, ich will es mir eben noch überlegen. Uebrigens: steigt nicht der Preis, wenn man sich rar macht?

nicht zum mindesten durch Spinoza   selbst, die Toleranzidee lebendig. Und damit in engstem Zusammenhang die Frage nach Aufbau von menschlicher Gemeinschaft, Staat, Politik. Es ist sehr bezeichnend, daß Spinoza   außer seinem Hauptwert, der Ethik, sowohl einen theologisch- politischen Traktat, wie, furz vor seinem Tode, einen politischen Traktat geschrieben hat. Man kann bei ihm alle Haupt­fragen der politischen Philosophie abgehandelt finden. Diese Seite ist beim Kongreß zunächst noch zu kurz gekommen, wird aber wohl sicher auf späteren Kongressen behandelt werden.

Auch das Menschliche fehlte nicht. Durch die Besichtigung mehrerer Spinoza  - Stätten in dem frischen und doch so reizvollen Holland   bekamen wir die lebhaftesten Eindrücke von der Be­scheidenheit und inneren Größe, die unseren Philosophen aus­zeichneten und die ja, neben seinen großen Gedanken, auf viele andere Große so begeisternd und belebend wirften.

Hans Hartmann.

Franz von Bossehl hat Bombenerfolg. Also soll der Film noch zwei Wochen laufen.

Ob ich meine Sache immer noch gut mache, weiß ich kaum. Es ist heiß, Mitte des Sommers, man könnte am frühen Nachmittag mit dieser Melone auf dem Kopf vor Hize sterben. Dabei wünsche ich mir, es wäre Nacht und ich hätte meine Löhnung in der Tasche und könnte heimtorfeln. Aber auch Franz von Possehl spielt drinnen eine Schwitzszene, pralles Sonnenlicht auf einer Bank im Park, und er, bebrillt und mit melancholisch baumelndem Schnurrbart, sigt da und hat Blumen in der Hand und wartet und schwitzt,- und es sei seine beste Szene, sagt man, mit ihr habe er sich zur Stargage hinaufgespielt. Warum also nicht auch ich?

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Wenn nur diese Augen nicht wären, diese fremden, stöbernden, verneinenden Augen, die alles in Frage stellen. Ich glaube, ich lasse mich einmal hinreißen und schlage so einem gaffenden Kerl ins Gesicht.

Und am Abend sind die Mädchen jezt schöner als je. Ihre Kleider sind so dünn, daß man glaubt, fie gingen in duftigen Hemden spazieren. Und sie sind müde. Sie hängen den Burschen so schwer am Arm, als bäten sie, man möge fie tragen. Sie lachen auch weniger als die Männer, sie beachten mich nicht sehr. Wie oft ich es ihnen danke, wissen sie nicht. Sie sehen ein wenig faul und mitgenommen vor sich hin und manchmal auch nach oben, in den Himmel hinein. Dann denke ich, sie seien nicht unähnlich den Wölk­chen, die oben in sauberen Reihen aufgefädelt nebeneinander stehen.

Ob ich weiter bleiben wolle, hat der Chef indessen nicht mehr gefragt. Auch gut. Weiß ich denn, ob ich will? Ich glaube, ich lasse mich einmal hinreißen und schlage so einem gaffenden Kerl ins Gesicht.

Franz von Possehl wird erst nächste Woche vom Programm verschwinden. Mit mir ist es schneller gegangen.

,, Sie lassen nach", sagt der Chef.

Worauf ich schweige.

,, Sie könnten sich ein wenig anstrengen", sagt der Chef. Worauf ich wieder schweige.

,, Ueberhaupt

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es scheint, Sie wollen rebellieren."

Und ich: Was heißt das?"

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Und er: Man sagt mir, Sie stänkern die Leute an." ,, Schwägen Sie nicht", sag ich. Die Leute? Was gehen mich die Leute an?"

Jezt findet er keine Worte.

Und ich lasse nicht locker: ,, Man soll mich nicht angaffen, ver­stehen Sie? Man soll nicht lachen über mich, hören Sie? Ich will das nicht, ich..."

,, Schweigen Sie", brüllt er.. ,, Und verschwinden Sie. Und..." ,, Und ich pfeife darauf", schrei ich. Auf alles. Ich fürcht mich nicht. Aber angloßen, angaffen..."

Dann ist es zu Ende. Die Tür hinter mir ist zugeworfen. Bleibt nur die Frage, wie man es anstellt, sich nicht zu fürchten. Denn man kann sich nicht hinlegen und warten. Es muß immer weiter gehen. Ich weiß nur nicht, wie.

"

Uriel da Costa  

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Uriel Acosta  : ein Stoff, der nicht zur Ruhe kommt; gottlob nicht zur Ruhe kommt: denn es ist das Zeitgewissen, das ihn immer wieder als aktuell empfindet und aus dem siebzehnten Jahrhundert ins jeweilige Heute holt. Wenn jezt( 3ofef Kastein: Uriel da Costa  ", Rohwohlt, Berlin  ) 330 Seiten voll subtilster Geistig­keit dem Manne gewidmet werden, der aus einer aufgezwungenen Gemeinschaft ausbrach und zu seinem Volke zurückkehrte, weil er in dieser unterdrückten Judenheit die Heimat starken Glaubens und geistiger Freiheit zu finden meinte, und den dies sein Volk selbst wieder in die Fremde stieß, weil es genau so unduldsam und so reaktionär und so feindselig dem freien Geist war wie diejenigen, die es unterdrückten dann ist dies ein Zeichen dafür, wie start man den Weg des Geistes in die Freiheit heute wieder durch Nebel und Finsternis der Reaktion gefährdet fühlt. Und der souveräne Glanz des Stils, die geradezu klassische Eraktheit der Formu lierungen, die stählerne Klarheit der Darstellung könnte das Buch Josef Kasteins zu einer ausgezeichneten, scharfen Waffe im Kampf des Lichtes gegen das Dunkel machen wenn es weniger nationa liftisch wäre... Denn. bei aller Geistigkeit in der Wahl der Argu­mente, bei aller Abkehr vom Phrasenhaften: der Stolz auf das Blut", die Zuneigung zur eigenen Rasse, nicht zu ihren Großen und Auserwählten nur, die Abneigung gegen den Volksgenossen, der im Kampf um die ganze Menschheit die Grenzen des Völkischen sprengt. alle dies ist so start im Autor Kastein, daß man manch­mal den Eindruck hat, ein Buch gegen Uriel Acosta   zu lesen; daß, unter Herantragung weit hergeholter Beweise, noch der empörendste Schritt der Scharfmacher in der Judenheit des siebzehnten Jahr­hunderts entschuldigt wird, und daß als letzter Sinn des Uriel­Schicksals schließlich der Satz formuliert wird: Das Fremde kann nie gültig und schöpferisch im Judentum beharren." Solche roman­tische Lust, ein Volt in seinem Ahasverschicksal ewig verweilen zu lassen, ist nicht fern vom romantisch- geistigen Nationalismus der sublimierten Antisemiten um Jünger und Schaumeder, und es steht zu befürchten, daß sie sich zur Waffe in der Hand derer wandeln kann, die unsere Feinde sind, und die auch Feinde von Kasteins Volk sind. Denn der Nationalismus wird nicht ungefährlicher für Freiheit und Geistmenschentum, wenn er sich selbst geistig und romantisch gibt, und wenn er von derjenigen Seite kommt, die seine Brutalität wahrhaftig am fürchterlichsten zu kosten bekommen hat. So sei denn Kasteins Buch nicht als Objekt warmer Zustimmung, sondern scharfer Auseinandersetzung empfohlen wobei man finden wird, daß Kasteins beste und tiefste Formulierungen sich gegen seine These selbst kehren. Eine dieser Formulierungen sei hier angeführt:

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,, Allen expansiven Ideen wohnt eine besondere Reizbarkeit inne. Der Geltungswille ist in sie eingetan. Fehlt ihnen der Sinn dafür, die Welt nach den Maßen der Gerechtigkeit aufzubauen, so greifen fie zur Gewalt, um nur herrschen zu können. Sie machen aus der Herrschaft ein Heiligtum. Wenn einer nicht in ihm beten will... so neigen sie dazu, sich ihren seelischen Ausgleich im Angriff, im Haß, im übersteigerten Selbstbewußtsein zu verschaffen."

Sehr schön! Und also hüte sich Kastein, solchen ,, expansiven Ideen", die mir jetzt alle am eigenen Leibe zu spüren bekommen, mit der Schärfe seines Geistes noch Waffen zu schmieden. G. H. M.