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Morgenausgabe

Nr. 455

A 222

49. Jahrgang

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Teils

Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Dienstag

27. September 1932 Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlan

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Die Umgestaltung Berlins . Papens Kontingente.

Verwaltungsreform vom Magistrat beschlossen.- Nur noch neun Bezirke?

die am

Die abgedroffelte Anfurbelung.

In einer außerordentlichen Sikung verabschiedete| Pressebesprechung bekanntgeben und erläutern, der Magistrat der Stadt Berlin gestern zwei Vor- vorher sollen die Fraktionsführer informiert werden. lagen über die Neugestaltung der Berliner Verwaltung und die Neueinteilung der Ver: Stadtverordnetenversammlung zu, Die Magistratsvorlagen gehen nunmehr sofort der waltungsbezirke. Einzelheiten über die Beschlüsse Dienstag, dem 4. Oktober zu den Beschlüssen Stellung Mitgliedern des Magistrats war vielmehr strengste nehmen wird. Nach dem Ultimatum des Herrn Bracht dieses Programm vieles von dem wieder einreißt, was man soll das gesamte Reformwerk bis zum 15. Oktober ab­geschlossen sein. Innerhalb der verbleibenden zehn Tage müssen auch die Bezirksversammlungen ihre Zustimmung gegeben haben.

wurden gestern abend noch nicht bekanntgegeben. Allen

Geheimhaltung zur Pflicht gemacht worden.

Die Zahl der Berliner Verwaltungsbezirke soll nach dem Willen des Magistrats erheblich vermindert werden. Es werden zukünftig voraussichtlich nur noch neun Bezirke innerhalb der Riesengemeinde Groß- In den neuen Bezirken soll die besonders in Bayern Berlin bestehen. Der Oberbürgermeister will übliche Stadtratsverfassung mit ihrem Ein heute nachmittag die Beschlüsse des Magistrats in einer kammersystem durchgeführt werden.

Ghandis Hungerstreiferfolg.

Kompromiß über die Parias Frage erzwungen.

Condon, 26. September. ( Eigenbericht.) Gandhi hat am Montag feinen Hungerstreit mit einem Glas Zitronensaft beendet. Der Grund: die englische Regierung

ist einverstanden mit dem durch Gandhis Hungerstreik er­zwungenen kompromiß zwischen den Hindus der höheren kasten und den unberührbaren"( Parias). Die Parias werden jogar statt 71 Site, wie es die englische Re­gierung vorschlug, 148 Sige in der Kommunalvertretung erhalten. England macht lediglich Borbehalte für das Wahlsystem.

Gandhi hatte seinen Hungerstreit als Preffionsmittel gegen die englische Regierung begonnen. Für die künftigen indischen Kom­munalvertretungen hatte London den Parias einen gewissen Prozentsatz von Bertretern gesichert sowie eine angemessene Be teiligung der unterdrückten Klasse an der Verwaltung. Hiergegen

empörten sich die Hindus der oberen Klassen, die den ,, Un berührbaren" keinerlei Rechte zugestehen wollten. Auf der anderen Seite fürchtete die allgemeine indische Freiheitsbewegung, daß die Engländer ihren Willen durchsetzen, die Freiheitsbewegung dadurch Spalten und einen neuen Stüßpunkt ihrer Macht in den Parias

erobern würden.

Der Hungerstreik Gandhis gegen England war jedoch gleich zeitig und in höherem Maße ein Streit gegen die Hindus der höheren Klassen. Er hat sie zur Einigung und zu einem Kompromiß

mit den Parias gezwungen. Um England den Wind aus den Segeln zu nehmen, sind die höheren Kasten jogar weit über den er.glischen Vorschlag hinausgegangen. Gandhi hat sein großes politisches Spiel nach beiden Seiten gewonnen. Zum erstenmal in der Geschichte des indischen Volfes find die Parias als gleich berechtigte Menschen anerkannt. Eine Tatsache von größter und weitfragendster Bedeutung.

Teilfrise im englischen Kabinett

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Liberale Minister zurückgetreten. Wechsel im Außen­minifterium?

London , 26. September. ( Eigenbericht.) Der englische König kehrt am Donnerstag nach Lon. don zurück, um am Freitagvormittag die Rüdtritts erklärungen der liberalen Minister ent­entgegenzunehmen. Gleichzeitig wird er die Nach. folger zu ernennen haben.

Der Umbau des Kabinetts ist nicht frei von Schwierig teiten für den Premierminister, der den überparteilichen Cha rafter der Regierung wahren möchte. Als Nachfolger Snowdens möchte er Lord Clifford Allen, den früheren Vorsitzenden der unabhängigen Labour Party , in das Kabinett aufnehmen, eine Wahl, die jedoch den Konservativen wenig gefällt. Wahrscheinlich wird im Zuge des Kabinettsumbaues auch ein Wechsel im Aus­ wärtigen Amt stattfinden. Sir John Simon, der am Dienstag nach London zurückkehrt, wird möglicherweise das Auswärtige Amt, wo er auch nach englischer Meinung keine sehr glüdliche Rolle ge­spielt hat, mit dem Sicherheitsministerium vertauschen, das durch den Abgang von Samuel frei wird. Als Kandidaten für das Außenamt werden Lord Reading und Lord Lothian genannt. Es sind übrigens neuerdings wieder Bemühungen im Gange, die liberalen Minister zum Verzicht auf ihren Rücktritt zu bewegen.

Ueber die Gründe dieses Rücktrits, der seit Tagen angekündigt mar, ist hier schon berichtet worden: er ist auf die schußzöllnerischen

Beschlüsse der Reichswirtschaftsfonferenz von Ottawa zurüdzu­führen. Bisher haben nur die mehr linksstehenden Samuel Liberalen diese Konsequenz gezogen, aber auch für die Gruppe der Simon- Liberalen entsteht jetzt die Frage, ob sie den protektionisti schen Kurs mitmachen können.

Genfer Beratungen vertagt.

Wegen Abwesenheits Deutschlands .

Genf , 26. September. ( Eigenbericht. In dem Büro der Abrüstungstonferenz wurde auch am Montag wieder jede Aussprache wegen der Abwesenheit

von Deutschland vertagt.

In geheimer Sigung wurde die Beschlußfassung über die Ein­berufung der Generalkommission auf die nächste geheime Büro­sizung am 10. Oftober verschoben, mit der Begründung, daß die Kommissionen und Berichterstatter bis dahin ihre Arbeitsergeb nisse vorlegen könnten. Der englische Außenminister wurde gebeten, das Büro über die Verhandlungen der Seemächte, auf deren Berlauf und Ergebnisse die Abrüstungskonferenz feinen Einfluß hat, auf dem laufenden zu halten. In der öffentlichen Bürofizung erklärte Präsident Henderson, die Frage der Luftbombarde ments fönne noch nicht beraten werden, da Deutschland an der Zivilluftfahrt ein großes Interesse habe und die Entscheidung über Deutschlands Teilnahme noch offen stehe. Diese Aussprache müsse also auch wegen Deutschlands Fernbleiben verschoben werden. In zwischen könne Berichterstatter Madariaga bis zur Oktoberfizung des Büros seinen Bericht ausarbeiten. Henderson teilte weiter mit, daß er mit Neurath eine Unterredung wegen Deutschlands weiterer Teilnahme gehabt habe. Er denke, in zwei Tagen eine weitere Aussprache mit ihm zu haben. Ein Vorschlag Paul Boncours, den französischen Plan zur Internationalisierung der Zivilluftfahrt zusammen mit dem Berichterstatter Madariaga Zivilluftfahrt zusammen mit dem Berichterstatter Madariaga zu beraten, wurde angenommen.

Die weitere Entwidlung der Dinge hängt in erster Linie von den Verhandlungen ab, die in den nächsten Tagen zwischen Herriot , Neurath, Simon und Henderson stattfinden follen.

Freiherr v. Braun, der Vertreter der agrarischen Interessen im Bapen- Kabinett, hat am Sonntag in München vor den bayerischen Bauern das neue Wirtschafts= programm der Reichsregierung verkündet. Der stürmische Beifall, den die Regierungspresse am Schluß der Minister­rede meldet, wird niemand darüber hinwegtäuschen, daß dem Freudenrausch der agrarischen Interessenten nur allzubald binett selbst ist offenbar das flaue Gefühl vorhanden, daß ein allgemeiner Kazenjammer folgen wird. Auch im Ka­mit dem August- Programm aufbauen zu können glaubte. nicht umsonst hat es wochenlang im Kabinett einen heftigen Meinungskampf gegeben, der von leidenschaftlichen Ausein­andersetzungen in der Deffentlichkeit begleitet war. Hatten doch die Gegensätze im Kabinett zwischen dem Agrarier v. Braun und dem Industriellen Warmbold einen solchen Grad erreicht, daß der Wirtschaftsminister Warmbold mit seinem Rücktritt drohte, falls sich die agrarischen Forderungen durchsetzen sollten.

So ist das vorliegende Programm, deffen drei Kern­stücke die Kontingentierung der Einfuhr, die Senfung der Zinsen und eine Verstärkung des landwirt­schaftlichen Zwangsvollstreckungsschußes sind, ein Kompromiß geworden. Auch so wird es der gesamten Wirtschaft und der Masse der Steuerzahler teuer genug zu stehen kommen.

Allen Warnungen der Industrie zum Troß und unge­achtet des Proteststurms der Arbeitnehmerorganisationen hat die Regierung sich mit der Einführung der agrarischen Kontingente noch tiefer in die handelspolitische Ge­fahrenzone begeben. Man riskiert es, mit der Festsetzung von Einfuhrkontingenten für Schlachtrinder, Sped, Schmalz, Käse und Butter, unsere besten Kunden im Auslande, wie z. B. Holland, vor den Kopf zu stoßen. Die Kontingentierung von zwei Dritteln der gesamten deut­ schen Holzeinfuhr wird in der Sowjetunion , die in diesem Jahr mit ihren Riesenaufträgen für den deutschen Maschinen­bau und die Schwerindustrie eine starke Stüße war, sicherlich mit besonderen Gefühlen aufgenommen werden. Aber um der hemmungslosen Agitation der Nationalsozialisten auf dem Lande im kommenden Wahlkampf den Wind aus den Segeln zu nehmen, geht die Regierung den gefährlichen Weg weiterer deutscher Exportdrosselung, obwohl ihr von ihren industriellen Freunden unmißverständlich klargemacht worden ist, daß man, um den festgefahrenen Wirtschaftskarren wieder flottzumachen, nicht ein Pferd vorne und ein Pferd hinten flottzumachen, nicht ein Pferd vorne und ein Pferd hinten anspannen darf.

Das zweite Kernstück des vorliegenden Programms bildet die 3insjentung für agrarische Hypothekenschulden. Für die nächsten zwei Jahre werden die Hypothekenschulden um 2 Proz. gesenkt. Die landwirtschaftlichen Schuldner haben bei den Tilgungshypotheken die Zinsbeträge erst bei Ablauf der Tilgungszeit ohne Zins und Zinseszins nachzuzahlen. noch größer ist das Zinsgeschenk bei den Hypotheken, die feiner Tilgung unterliegen, den sogenannten Fälligkeits­hypotheken. Hier werden die in den beiden Feierjahren zahlung der Hypotheken nach 8 Jahren erfolgt. Bei einer gestundeten 2 Prozent nur dann nachgezahlt, wenn die Rück­Rückzahlung bis zum Jahre 1936 find die gestundeten Zinsen überhaupt nicht zurückzuzahlen und in den folgenden vier Jahren nur mit einer Staffelung von je 1 Prozent.

Fort mit den Zeitungsverboten! affen, den großen Gläubigern nicht wehe zu tun. Es hat

Stellt die Pressefreiheit wieder her!

Da das Kabinett von Papen eine Regierung der ,, Wirt­schaftsanfurbelung" ist, hat es sich angelegen sein daher die Zinsen für die landwirtschaftlichen Pfandbriefe nicht gesenkt und will den Instituten, deren Deckungsmasse zu mehr als 10 Proz. aus landwirtschaftlichen Hypotheken

Der Reichsausschuß des Reichsverbandes der deutschen Preise besteht, den Zinsausfall ersehen. hat einstimmig folgende Entschließung angenommen:

,, Der Reichsausschuß des Reichsverbandes der deutschen Preffe erkennt es als seine besondere Pflicht an, die Staatsbehörden vor jeder Einengung der Preffefreiheit zu warnen. Er verlangt den Abbau und die Aufhebung aller die Presse beschränkenden notverordnungen, die mit der gefehlich gewährleisteten Pressefreiheit unvereinbar sind. Die jetzige Berbotspraxis führt immer mehr zu einer Unterdrückung der fachlichen Kritik und damit zu einer ernsten Gefahr für die freie Bildung der öffentlichen Meinung."

Die Bundeszeitung des Reichsbanners erscheint am 6. Ottober nach einwöchigem Berbot wieder. Sie war auf vier Wochen ver boten worden, das Verbot ist auf eine Woche abgekürzt worden.

Herr von Braun hat in München nicht näher ausgeführt, wie diese Hilfe des Reiches für die betroffenen Realkredit­institute aussehen wird. Da das Reich aber über keine Bar­mittel verfügt, bleibt doch wohl kein anderer Weg übrig, als für die Zinsausfälle Reichsschaganweisun gen zu geben, die für die beiden Jahre die runde Summe von etwa 180 Millionen ausmachen dürften. Das Bedenk­liche dieser Konstruktion ist, daß diese Beträge letzten Endes bei der Reichsbank landen werden, und es wäre interessant, zu wissen, wie sich der Reichsbankpräsident zu der Tatsache stellt, daß in diesem Fall die Notenbank für Ver­Pflichtungen des Reiches erneut eingespannt wird.

Außerdem wird die Notverordnung, die Herr von Braun in ihren Einzelheiten noch recht unvollkommen bekannt ge­