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Morgen- Ausgabe

Nr.477 A 233 49. Jahrg.

Redaktion und Verlag: Berlin   SW 68, Lindenstr. 3 Fernsprecher: A7 Amt Dönhoff 292 bis 297 Telegrammadresse: Sozialdemokrat Berlin  

Vorwärts

BERLINER

VOLKSBLATT

SONNTAG

9. Oktober 1932

Jn Groß Berlin   15 Pf. Auswärts....... 20 Pf. Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise siehe am Schluß des redaktionellen Teils

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Kampfbereit für den Sozialismus

Unsere Kandidaten zur Reichstagswahl

Der Bezirksverband Berlin   der Sozial­demokratischen Partei stellte gestern auf seinem Bezirksparteitag die Kandidaten der Partei für die Reichstagswahl auf.

Wahlkreis Berlin  

1. Arthur Crispien  2. S. Aufhäuser

3. Clara Bohm- Schuch  

4. Carl Litke

5. Erich Lübbe  

6. Dr. Julius Moses

7. Franz Rooch

8. Lorenz Breunig

9. Otto Theuner  10. Anna Bormann

11. Willi Hanke 12. Willi Riese

13. Arthur Richter 14. August Gruse

15. J. Mühlmann 16. Arthur Petzold 17. Dr. Th. Haubach

Wahlkreis Potsdam II

1. Franz Künstler  

2. Dr. Kurt Löwenstein  

3. Kurt Heinig  

4. Marie Kunert  

5. Fritz Schröder

6. Richard Hille

7. Dr. Wilhelm Kroner 8. Arthur Neidhardt 9. Dr. Otto Friedländer  10. Willy Schneider  11. Luise Sydow

12. Max Liese

13. Max Krause

14. Paul Amhoff

15. Albert Hofmann  

16. Max Gillmeister

17. Max Meiwald

18. Ludwig Diederich

19. Otto Fröhlich  

20. Polizeimajor a. D. Heinrich 21. Gustav Kreutlein

Kampf der Reaktion!

Der Bezirksparteitag nahm die folgende Ent­schließung an:

,, Der Kampf der deutschen   Arbeiterklasse gegen Reaktion und Faschismus ist in ein neues Stadium getreten. Das werktätige Bolk ist restlos aus dem Staatsapparat herausgedrängt, und Feudalismus  und Monopolkapitalismus sind auf dem Rücken der Nationalsozialistischen   Arbeiterpartei zur Staatsmacht gelangt. Unter dem Namen einer autoritären Staatsführung haben sie die demo­tratischen Unterlagen der Verfassung durch eine offene Klassendiktatur ersetzt und die Demokratie im Reich und in Preußen zu einem Fremdförper gemacht. Auf wirtschaftlichem Gebiet versuchten sie das kapitalistische System durch Steuergeschenke an die Besitzenden, durch Lohnabbau und Zer­schlagung des Arbeitsschutzes auf Kosten der brei­ten Massen zu retten.

Die Reichsregierung zerreißt durch ihre vom ostelbischen Junkertum diftierte Handels- und Außenpolitik, insbesondere durch die Kontingen­tierung der landwirtschaftlichen Einfuhr, die für Volk und Land lebensnotwendigen internationalen Wirtschaftsbeziehungen. Der sozialreaktionäre Wirtschaftsplan des Reichskabinetts wird an seinen inneren Widersprüchen und am Widerstand der organisierten Arbeiterklasse scheitern. Der politisch und kulturell eindeutig reaktionäre Kurs im Reich muß die Arbeiterflaffe zu einer einheitlichen Kampfstellung bringen.

Der Bezirksparteitag der SPD  . Berlin   erachtet es als die historische Aufgabe der Sozialdemo fratie, im schärfsten Kampfe gegen die Staats­

macht und die Bourgeoisie die ganze Kraft der Arbeiterklasse auf die Ueberwindung der Reaktion, auf die Eroberung der politischen Macht und die fonstruktive Gestaltung sozialistischer Planwirt­schaft zu konzentrieren. Der Bezirksparteitag pro­testiert gegen die Politik der kapitalistischen   Re­gierungen und ihrer Generäle, die Völker durch militaristische Erziehung der Jugend und neues Wettrüsten in unabsehbares Unglüd zu stürzen. Nur eine Außenpolitik, die auf. Verständigung und internationale Abrüstung gerichtet ist, kann den Frieden der Völker gewährleisten.

Um die Partei einheitlich auf die ihr erwachsen­den neuen Aufgaben geistig und organisatorisch einzustellen, beantragt der Bezirksparteitag beim Parteivorstand die baldige Einberufung eines Reichsparteitages.

Der Bezirksparteitag ruft die Massen auf, bei der bevorstehenden Reichstags­wahl dem Banner der SPD  . zu folgen,

um durch die Stimmabgabe ein arbeits­fähiges und sozial aktives Parlament zu schaffen, das in engster Verbindung mit außerparlamentarischer Machtent­faltung durch die Erfüllung des gewerk­schaftlichen Arbeitsbeschaffungsplanes und ausreichende Erwerbslosenhilfe Not und Elend wirksam bekämpft.

Der Bezirksparteitag wendet sich mit Ent­schiedenheit gegen die Verzögerung der Entschei­dung der Reichsregierung über die Zulassung des sozialdemokratischen Volksbegehrens. Das Volks begehren hat die Aufgabe, jene breite Klassenfront der gesamten proletarischen Kräfte herbeizuführen, die zur Aufhebung der Notverordnung über Lohn­und Sozialabbau erforderlich ist. Darüber hinaus müssen Reichstagswahl und Volksbegehren die große Armee aller Hand- und Kopfarbeiter für den Kampf gegen Kapitalismus und Unterdrückung, für Sozialismus und Freiheit mobilisieren!

Dänemarks   ernste Worte des Paris Soir" erklärt, daß die Behauptung

,, Lage noch nie so ernst gewesen"

Kopenhagen  , 8. Oktober.

Der dänische Außenminister Dr. Munch, der gerade aus Gens wieder eingetroffen ist, hat sich in Aarhus   über die handelspolitische Lage Däne­ marks   und über die politische Lage im allgemei­nen geäußert. Er erklärte Dänemark   verhandle mit Deutschland   wegen der Butter. Eine deutsche   Abordnung tomme in den nächsten Tagen nach Kopenhagen  , um wegen der Kontingentie­rung zu verhandeln. Er mage es aber nicht, irgendein Ergebnis zu ver sprechen. Wörtlich sagte er: ,, Wir stehen vor entscheidenden Verhandlungen mit England. Wir werden versuchen, neue Zollerhöhungen zu vermeiden, und falls die Kontingentierung tommt, müssen wir versuchen, so gute Bedingun­gen wie möglich zu bekommen."

Ueber die Spannung zwischen Deutschland   und Frankreich   sagte Dr. Munch.

nie sei die Spannung vielleicht so ernst ge­wesen seit Jahren wie im Augenblid.

Die Schwierigkeiten seien sehr groß, vielleicht un­überwindlich. Alsdann wies der Minister darauf hin, daß die acht Oslo  - Mächte( d. h. die neu­tralen skandinavischen und niederländischen Staaten. Red.) sich daran gemacht hätten, even­tuell einen Vermittlungsvorschlag zu machen. Es sei bekannt, daß entsprechende Ver handlungen zwischen den acht Staaten stattfinden. Aber diese Staaten würden erst dann mit ihrem Vorschlag hervortreten, wenn es klar sei, daß die Notvendigkeit dazu vorhanden sei. Es sei von fundamentaler Bedeutung, daß die Abrüstungs­konferenz gelinge. Breche sie zusammen, so stän­den wir vor der Gefahr eines neuen Wett­rüstens. Aber es sei auch von entscheidender Bedeutung, daß in der Abrüstungsfrage bald ein Ergebnis erreicht wird. Würden die Gegen­säge noch brennender, so würde die Kriegs= furcht verhindern, daß das Geld wieder ins Rollen käme.

Der Pariser Luftroman

Eigener Bericht des Vorwärts" Paris  , 8. Oktober.

Der Skandal in der französischen  Luftschiffahrt wächst sich immer mehr zu einem wahren Kriminalroman aus. Durch die Enthüllungen des Journalisten Collin ist die Affäre so verwirrt worden, daß sich überhaupt niemand mehr zurecht findet.

Der Direktor der Aero Postale, Bouilloug Lafont, hat die Behauptung Collins, daß er der Urheber der falschen Dokumente sei, natürlich energisch bestritten. Er hat einem Bertreter

schon deswegen falsch sei, weil Collin überhaupt feinen Beweis für seine Anschuldigungen habe erbringen können. Außerdem wäre es flar, daß, menn er, Bouillour- Lafont, die Fälschungen diftiert hätte, er das so getan haben würde, daß sie un­fontrollierbar wären. Collins weitere Behaup­tung, er habe für seine Tätigkeit nur das Ver= sprechen erhalten, bei der Aero Postale später angestellt zu werden, beweise allein schon den Wert seiner Aussage. Collin habe im ganzen etma 50 000 Franken von ihm erhalten. Unter diesen Bedingungen werde die Angelegenheit für ihn immer schleierhafter und er begreife nicht das Ziel, das Collin verfolge.

Die nationalistische Liberté" hält gegenüber den Ansichten verschiedener Linkszeitungen die Glaubwürdigkeit Bouillour- Lafonts für erwiesen und stellt daher auch die Beteiligung des zweiten Büros des Generalstabs in einem ganz anderen Lichte dar. Nach Ansicht dieser Zeitung ist auch der Generalstab dem Schwindel Collins auf den Leim gekrochen. Es sei leider nicht zu vermeiden, erklärt das Blatt, daß Spionagebüros zu ge= missen Zwecken die Mitteilungen zweifelhafter Personen benugen, aber daß es in einem der= artigen Falle gelungen ist, übersteige alle Ein­bildungskraft". Diese Affäre erinnere in zah!= reichen Einzelheiten an die Dreyfus- Affäre. Es sei daher nicht ausgeschlossen, daß man unter diesen Machinationen eines Tages die Geheim­tätigkeit der deutschen   Spionage entdecke. Jedes­mal, so fügt das Blatt hinzu, wenn Deutschland  den Krieg gewollt hat, habe es damit angefangen, die französische   Verteidigung zu unterminieren und vor allem den Nachrichtendienst zu treffen.

Michel, wach auf!

Von Philipp Scheidemann  

In unserer schnellebigen Zeit, in der die politischen Geschehnisse sich überſtürzen, wer­den selbst Vorgänge von weltgeschichtlicher Bedeutung erstaunlich schnell vergessen. Da allmählich der neue Reichstagswahlkampf be­ginnt, werden selbstverständlich auch die hun­dert Märchen über die Novemberver­brecher" wieder erzählt werden. Deshalb soll hier an Vorgänge erinnert werden, die gerade jetzt von besonderem Interesse sein dürften, nämlich an die Bedingungen, die Präsident Wilson stellte, bevor er seine Bereitwillig­feit zur Vermittlung des Waffenstillstandes und Friedens erklärte, und an die erstaun­liche Eile, mit der zwei Kaisersöhne bereit waren, ihrem Vater den blauen Brief zu bringen.

Nachdem die obersten Heerführer Hinden­ burg   und Ludendorff   se chs Wochen vor dem 9. November von der Reichs= regierung in ultimativer Form verlangt hatten, daß sie sofort den Präsidenten Wilson um Vermittlung eines Waffenstill­standes bitten sollte, weil das Heer nicht mehr 48 Stunden warten könne, mußte die Reichsregierung diesem er­schütternden Hilferuf Folge leisten. Freilich hätte es auch eine andere Antwort an Hinden­ burg   gegeben, nämlich diese: die Oberste Heeresleitung, bisher allen rechtzeitigen Ver­ständigungsbestrebungen abhold, möge nun selbst mit der weißen Fahne zu dem französischen   Generalissimus Foch   gehen! Diese Anregung, ganz ernsthaft von den ein­wandfreiesten Patrioten an die Reichsregie­rung gebracht, ist im Kabinett auch besprochen worden. Die Regierung wollte jedoch die Oberste Heeresleitung vor dem schweren Gang bewahren und übernahm die furchtbare Auf­gabe selbst. Am 3. Oktober 1918 ging die erste Bittnote des Reichskanzlers Prinzen Mar von Baden an den amerikanischen   Prä­sidenten ab. Er wurde gebeten ,,, die Her­stellung des Friedens in die Hand zu nehmen und, um weiteres Blutvergießen zu ver­meiden, den sofortigen Abschluß eines Waffen­stillstandes zu Lande, zu Wasser und in der Luft herbeizuführen.

Diese deutsche Note rief, wie zu erwarten ge­wesen war, den tollsten Jubel in den Entente­staaten hervor: Die Verbrecher strecken uns flehend die bluttriefenden Hände entgegen." Eine Antwort Wilsons traf erst am 9. Of­tober in Berlin   ein, sie stellte wieder recht peinliche Fragen, z. B. diese: Ob der Kanzler nur für diejenigen Gewalten des Reiches spreche, die bisher den Krieg geführt haben?

Heute in 4 Wochenist Wahltag!

Warum?

Zum 5. Male geht es an die Urne!

Nazi und Kommunisten haben den Reichstag   arbeitsunfähig gemacht.

Papen und Schleicher haben sich der Gewalt bemächtigt. Nachdem die Demokratie gefallen, fiel jeder Schutz für Löhne, Tarife, Unterstützungen und Renten.

Am 6. november gilt es

mit den Volksrechten die soziale Existenz zurückzuerobern, den Vorstoß für praktischen Sozialismus zu führen.

Deutsche   Wähler stürmt vor

gegen Diktatur in jeder Gestalt, gegen Nutznießer der Gewalt.

Für die Sozialdemokratie, für Liste 2