Abend- Ausgabe
Nr. 478 B 231 49. Jahrg.
Redaktion und Verlag: Berlin SW 68, Lindenstr. 3
Fernsprecher: A7 Amt Dönhoff 292 bis 297
Telegrammabresse: Sozialbemotrat Berlin
Vorwärts
BERLINER
VOLKSBLATT
MONTAG
10. Oktober 1932
Jn Groß Berlin 10 Pf. Auswärts....... 10 Pf. Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß des redaktionellen Teils
Der Bezirksparteitag
Eine Enttäuschung für die Gegner
Seit Wochen treibt die gegnerische Presse ein absonderliches Spiel. Durch Schwindelnachrichten über angebliche Konflikte in der Sozialdemokratischen Partei sucht sie Unruhe in die Reihen unserer Anhänger zu tragen und Konflikte wirklich hervorzurufen. Der
Hugo Heimann
will nicht mehr zum Reichstag kandidieren, sondern feine Kraft ausschließlich der Stadt Berlin widmen, deren Ehrenbürger er ist. Der Bezirksparteitag bereitete dem bewährten Kämpfer und Menschen freund lebhafte Ovationen.
Verlauf des Berliner Bezirksparteitags hat bewiesen, daß dieser plumpen Taktik keine Aussicht auf Erfolg winkt. Die Partei ist vollkommen einig in der Erkenntnis, daß mit den Ereignissen des Juni und Juli ein Kapitel ihrer Geschichte abgeschlossen ist und ein neues begonnen hat. Sie ist einig in dem Willen, die regierende feudale Reaktion mie die zur Macht drängende faschistische gleichermaßen aufs allerschärfste zu be= fämpfen und ihren Kampf gegen das kapitalistische System mit betont sozialistischer Zielsetzung fortzuführen.
So hat auch der Berliner Bezirksparteitag das Gesicht nach vorne gewandt und es abgelehnt, in einer Zeit drängender Zukunftsprobleme im Vergangenen zu framen. Er hat nicht daran gedacht, die Gründe für die augenblickliche Macht der Reaktion bei der eigenen Partei zu suchen, wo doch die Schuld unserer Gegner, der Nationalsozialisten und der Kommunisten, an den gegenwärtigen Zustanden vor aller Augen liegt. Diese Schuld unserer Gegner an der Vernichtung oder Gefährdung wertvollster Bolksrechte wird im Wahlkampf flar aufgezeigt werden. Kein Ablenkungsmanöver wird ihnen helfen!
Einig und geschlossen tritt die Sozialdemofratische Partei in den neuen Kampfabschnitt ein. Im Gegensatz zu allen nationalsozialistischen und kommunistischen Klopffechtereien wird sie zeigen, wie ein wirklicher Oppofitionskampf zu führen ist. Ihre Ziele bleiben aber bie alten: Demokratie und Sozialismus!
Heil Dingelden!
Sie sind schon längst gestorben..
Die Deutsche Volkspartei hat ihren ParteiDorstand wiedergewählt, Herrn Dingelden an der Spize. Dariiber berichtet die Nationalliberale Correspondenz Sodann wurde die Wahl des Parteiführers vorgenommen. Abg. Dr. Hugo beantragte unter großem Beifall die Wahl durch Zuruf. Abg. Dingelden wurde bei seinem Wiedererscheinen im Saale durch eine stürmische Ovation begrüßt.
Heil Dingelden!
Preußen kämpft um sein Recht
Beginn des großen Verfassungsstreits vor dem Staatsgerichtshof
Eigener Bericht des„ Vormärts"
Leipzig , 10. Oftober. Der große Saal des Reichsgerichts, in dem heute der Staatsgerichtshof des Deutschen Reiches zur Entscheidung über die Klage der Länder Preußen, Bayern und Baden gegen die Diktatur des Rechtskabinetts der Barone zusammentritt, ist ein ,, Schmuckstück" aus der wilhelminischen Zeit. Die Wände sind in brauner Holztäfelung zum Teil mit Goldverzierung gehalten. Schnitzereien und Schnörkel überall. Diese halten den Schall des ge= sprochenen Wortes auf. Die an sich schon unzweckmäßige Anlage des Saales wird durch die schlechte Akustik noch unangenehmer.
Wer von diesem Saal eine besondere Feierlichkeit erwartet, ist stark enttäuscht. Er macht eher einen verträumten Eindruck, als sei er peinlich davon berührt, daß hier innerhalb seiner verträumten vier Wände Staatspolitik in großem Maßstabe verhandelt wird.
Hier standen vor rund einem Dugend von Jahren Mitglieder einer adligen Putschregierung wegen Hochverrats vor den Schranken, die Jagow und Wangenheim, Schiele Naumburg und ihre Konsorten, die mit ihren Butschgenossen Kapp und Ehrhardt versucht Putschgenossen Kapp und Ehrhardt versucht hatten, die junge republikanische Reichsverfassung umzustürzen. Damals waren die Richter in roter Robe erschienen, aber sie waren milde. Nur der Berliner Polizeipräsident Traugott von Jagow wurde mit einigen Jahren Festung bedacht. Alle übrigen Hochverräter wurden freigesprochen. Heute erscheinen die Richter nicht in roter Robe,
sondern in schlichtem Zivil. Es ist nicht das, Reichsgericht, das heute verhandelt, sondern der Staatsgerichtshof für das Deutsch e Reich, ein Verwaltungsgericht, das als Verfassungsgericht amtieren muß. Hier steht eine Regierung der Barone als Beklagte.
-
Aber die Erörterungen gehen diesmal nicht nach strafrechtlichen, sondern nach der staats= rechtlichen Seite. Das Staatsgericht, dem außer dem Präsidenten des Reichsgerichts Bumke noch zwei Reichsgerichtsräte und zwei Verwaltungsgerichtsräte die legten aus Dresden und aus München angehören, sollen über die Frage entscheiden, ob die Diktaturverordnungen des Reichspräsidenten und die Ausführungsverordnungen des Herrn von Papen und seines Beauftragten Bracht in Preußen mit den Bestimmun= gen der Reichsverfassung auch nur irgendwie in Einklang zu bringen sind.
-
Es sind also für den Politiker flare Tatbestände und flare Fragen, durch die Rechtsauslegung aber werden erst neue Komplere von Problemen geschaffen. Schon die Tatsache, daß die bedeutendsten Staatsrechts= lehrer der Gegenwart sich vor dem Staatsgerichtshof als Vertreter der Parteien versammeln und sozusagen ein kleines Rechtskollegium für sich bilden, zeugt dafür, wie schwierig und wie in die Zukunftsfolgen wirkend diese Berhandlungen und die zu erwartenden Entscheidungen sein werden.
Der Saal des Reichsgerichts ist heute überfüllt. Außer den offiziellen Vertretern der streitenden Parteien sind zahlreiche Vertreter der Länder
Eigener Bericht des ,, Vorwärts"
Brüffel, 10. Oftober. Die Gemeindewahlen, die am Sonntag in ganz Belgien stattfanden, haben den Sozialisten einen ffarten Sieg gebracht.
Es nahmen über 5 Millionen Männer und Frauen von einer Gesamtbevölkerung von 8 Millionen an der Abstimmung teil. In Belgien besteht Wahlpflicht. Die endgültigen Ergebnisse werden erst am Montagabend bekannt sein, aber schon jetzt haben die
Sozialisten etwa 60 neue Gemeinden erobert
Den Wahlen kommt besondere Bedeutung zu insbesondere wegen der Nähe der Parla= mentswahlen, die spätestens im Mai nächsten Jahres stattfinden müssen, und wegen der fortschreitenden Zersetzung der fatholisch- liberalen Regierung und ihrer Mehrheit. Es ist nicht ausgeschlossen, daß der sozialistische Wahlsieg bei den Gemeindewahlen die Regierungsfrise beschleunigt und die Auflösung des Parlaments zur Folge hat.
Schwere Geburt
regierungen und sonstige Interessenten als Hörer erschienen. Viele Duzende von Pressevertretern nehmen lange Reihen von Tischen in Anspruch. Der übrigbleibende Raum für die Zuhörer ist bis auf das letzte Steh- und Sitzplätzchen gefüllt. Vor allem scheint es, als wenn die Studierenden der Leipziger Universität sich besonders für diese strittigen Rechtsfragen, die gleichzeitig politische Fragen sind, interessieren. Die Verhandlung be= gann mit einer Verspätung kurz vor 11 Uhr vormittags. Der Präsident des Reichsgerichts, der dem Staatsgerichtshof vorsigt, ersucht darum, daß möglichst die Verhandlungen konzentriert würden. Trozdem rechnet er mit einer Verhand lungsdauer von mehreren Tagen.
Nach etwa einstündiger Darlegung des Akteninhaltes durch den Berichterstatter gab dann der Präsident einen Ueberblick über die Verhandlungen, die er zu führen gedenkt. Dabei richtete er an sämtliche Beteiligten das Ersuchen, sich möglichst konzentriert zu fassen, weil sämtliche Mitglieder des Staatsgerichtshofs den vollen Schriftwechsel bereits kennen und, wie er in bezug auf die anwesenden Universitätsprofessoren hinzufügte, auch über die Literatur des Ver= faffungsrechts vollkommen im Bilde seien.
Die Parteien einigten sich über den Vorschlag des Präsidenten in bezug auf die Stoffeinteilung einzuschränken, wobei der Vertreter Preußens, Ministerialdirektor Dr. Brecht, Wert darauf legte, festzustellen, daß die Beschwerde der preußischen Regierung sich nicht gegen den Reichspräsidenten wende, dessen Wähler die sämtlichen Staatsminister ja seien, sondern gegen die Reichsa regierung, die die Notverordnungen vorgeschlagen und über deren Rechtmäßigkeit jetzt der Staatsgerichtshof entscheiden müsse.
Die Verhandlungen werden bis 2 Uhr mittags fortgesetzt, dann wird eine längere Pause eintreten und am Nachmittag etwa gegen 25 Uhr wieder begonnen werden, während an den fol= genden Tagen etwa um 10 Uhr die Berhandlungen beginnen sollen.
*
Schon längere Zeit vor dem auf 11 Uhr angesezten Berhandlungsbeginn waren die Zuhörer plätze des Hauptsaales des Reichsgerichts, in dem der Prozeß durchgeführt wird, völlig besetzt. Das uniformierte Polizeikommando, das an Stelle der Justizwachtmeister ausnahmsweise den Saalschutz übernehmen mußte, sah sich gezwungen, sehr bald den weiteren Zugang zu verwehren. Unter dem Auditorium bemerkte man neben führenden Juristen und Staatsrechtlern aus allen Teilen des Reiches besonders viele Studenten der Staatswissenschaft von der Leipziger Universität.
Es war bereits nach 411 Uhr, als der höchste deutsche Richter, Reichsgerichtspräsident Dr. Bumfe, mit dem Gerichtshof den Verhand
und nur in vier kleinen Gemeinden die Noch keine französische Entscheidung lungsfaal betrat. Bis dahin waren auch die Preſſe
Mehrheit verloren. Ihr Sieg erstreckt sich auf alle Teile des Landes, Großstädte, Industriegebiete sowie auch das flache Land. Der sozialistische Fortschritt in vielen landwirtschaftlichen Gebieten ist eines der hervorragendsten Kennzeichen der Wahlen. In der großen Mehrzahl der Städte erfolgte der sozialistische Sieg auf Kosten der Katholiken. Die Libera len konnten sich etwas besser verteidigen. Besonders auffällig ist das
völlige Mißlingen des kommunistischen Borstoßes. Die Kommunisten hofften insbesondere in den am legten Streit beteiligten Kohlengebieten auf Kosten der Sozialisten Boden gewinnen zu fönnen. Es ist ihnen überall mißlungen. In dem am schärfsten umstrittenen Hennegau in Charleroi und in dem Borinage haben die Sozialisten ihre Stellungen im Gegenteil noch weiter verstärken können. Nur in einigen Lütticher Vorstädten haben die Kommunisten einen ganz unwesentlichen Erfolg verzeichnen tönnen. Ferner hatten die Kommunisten ihre Hauptbemühungen auf einige größere Städte gerichtet, wo die Sozia listen entweder eine schwache Mehrheit zu verteidigen hatten oder eine schwache bürgerliche Mehrheit abstoßen wollten. Aber überall ist der kommunistische Vorstoß fehlgeschlagen, ein Beweis der unerschütterlichen Einigkeit und Disziplin der Sozialistischen Partei.
Das Intrigenspiel um die von Macdonald angeregte Fünfmächtekonferenz geht weiter. Seine Einzelheiten sind für den gewöhnlichen Sterblichen höchst gleichgültig, nur die Zunftdiplomaten mögen es spannend finden.
Durch die plögliche Annahme der Einladung durch die Reichsregierung ist die französische Re gierung in Verlegenheit geraten. Sie hatte fest auf Berlins Ablehnung spekuliert und wollte Deutschland die Schuld an dem Scheitern des Macdonaldschen Vorschlages zuschieben. Inoffiziell Macdonaldschen Vorschlages zuschieben. Inoffiziell hatte Herriot bereits vor drei Tagen die Teilnahme abgesagt.
Jetzt soll die Sache dadurch wieder eingerenkt werden, daß Herriot zu Macdonald fährt, um zunächst zu zweien eine Einigung über die deutschen Gleichberechtigungsforderungen zu erzielen und dann erst die Konferenz zu fünf ab= zuhalten. Das liegt allerdings durchaus nicht gerade im Sinne Deutschlands , das eine englisch - französische Einheitsfront auf einer solchen Konferenz vermieden wissen mollte.
Im übrigen arbeitet Frankreich einen neuen Abrüstungsplan aus, der Ende des Monats dem Konferenzbüro überreicht werden soll.
Die kleinen Staaten sehen dem Räuberspiel um die Konferenz der Großmächte mit wachsendem Unbehagen zu.
pläge von deutschen und ausländischen Journaliſten sowie von Photographen überfüllt. Die Prozeßparteien selbst sind durch regelrechte Delegationen vertreten. Dabei hat es der Zufall gefügt, daß die Vertretung der preußischen Staatsregierung Braun mit ihrem technischen Stab und ihren Aktenbündeln in der umfriedeten Anklagebank Platz ge= funden hat, während die Vertretung des Reichs auf der gegenüberliegenden Seite ihre Pläge einnimmt. Die fünf Repräsentanten des beklagten Reiches mit Ministerialdirektor Dr. Gottheiner an der Spize haben sich nicht nur den Pressechef der tommissarischen preußischen Regierung, Oberregierungsrat von Carlowig, mitgebracht, sondern
19 Grubenopfer
Förderkorbunglück auf englischer
Grube