ZWEITE BEILAGE
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Vorwärts
Gilgi
eine von uns
Und Gilgi zieht den Trenchcoat über- vergißt, den Hut aufzusehen- rennt durch rennt durch die Straßen zur Sparkasse. So- sieben hundert Mark hat sie fehlen noch fünfhundert. Woher fünfhundert Mark befommen? Ich hab' es versprochen, ich muß es halten. Zu Pit vielleicht weiß Pit einen Rat. Und Gilgi rennt mit fliegendem Mantel -hat rote Backen und durcheinander geflattertes Haar vergißt für Augenblicke ganz den traurigen 3wed, für den sie das Geld braucht. Bergißt Hertha , die kleinen Kinder vergißt ihre eigenen Sorgen und Kümmernisse vergißt selbst Martin hat nur ein Ziel vor Augen: bis heute abend muß ich das Geld haben. Das ist eine schwierige Aufgabe, deren Lösung eine geradezu be freiende sportliche Freude bereitet. Plötzlich ist sie für Augenblicke wieder die smarte kleine Gilgi von früher, die gut und gern die halsbrecherischsten Wetten einging, und der es
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und macht große vielwissende Augen... ist doch ein wunderbarer Genuß, sich selbst schlecht zu machen, nicht wahr, Pit? Wie oft wollen Menschen denn geboren werden? Da glaubt einer, er macht sich neu, wenn er sich noch um einiges schlechter macht, als er in Wirklichkeit ist. Urewiges Erbleid, daß keiner sich selbst Absolution erteilen kann und Gott fann's auch nicht. Gott - dieses Stückchen überanstrengtes Vorstellungsvermögen, Gott diese blasse Verlegenheitslüge- Gott jagt man- und Mensch meint man. Wahr
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ist die Sehnsucht nach Mensch Mensch ist mehr als Gott Mensch ist Vieh und Gott. Sehnsucht nach Gott verdammte Bequemlichkeit, die nichts toſtet. Blutleere Schwärmerei. Sehnsucht nach Mensch die bezahlt man mit seinem Blut und mit seinem Ich und mit seinem Fleisch- Sehnsucht nach Gott fann man mit Assignaten begleichen Lumpen- Papier - Ein Tropfen rotes Blut ist mehr wert als drei Gebete. ,, Ja, Gilgi , ich hab' mich benommen wie ein Schwein du mußt mich verachten."
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,, Erst veracht' ich dreimal mich selbst, eh' ich einen andern verachte", sagt Gilgi mit hoher heller Stimme. ,, Quatsch nicht so dummes Zeug, Pit was dich quält und was dich ungerecht macht, das quält alle und macht
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alle ungerecht ich glaub's jetzt wenigstens
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fann mich ja irren."
,, Willst du einen Rognat, Gilgi ?" In ungewohnter Gastgebereifrigkeit stolpert Pit durchs Zimmer- stellt ein Zahnpuzglas und einen Eierbecher auf den Tisch.
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,, Schenk man ein, Pit", sagt Gilgi und nimmt dann das halbgefüllte Odolglas- sezt sich Pit gegenüber- ,, du bist ein anständiger Junge, Pit zuweilen. Immer anständig ist kein Mensch- wenn einer überhaupt die Möglichkeit hat, hin und wieder anständig zu sein, so ist das schon viel- na, und du hast diese Möglichkeit. Und daß du im übrigen dieselbe natürliche, gesunde Krankheit im Blut hast wie ich das kann ich dir doch weiß Gott nicht übelnehmen."
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Gilgis Worte machen Bit betrunkener als der Kognat. Da fann man Selbstsicherheit und Weltverachtung suppenterrinenweise gefressen haben von Zeit zu Zeit braucht von Zeit zu Zeit braucht man eine Instanz die Instanz, die das ,, Du bist gut" oder„ Du bist böse"- ,, Du sagt- die Instanz, die den weißen oder bist da" oder ,, Du bist nicht da" zu einem den schwarzen Orden geben kann. Man braucht eine Instanz, also schafft man sich eine und die kleine Not- Instanz Gilgi heftet dem nach Bestätigung verlangenden Freunde bereitwilligst den weißen Orden an die selbstzweifelsüchtige Brust. ,, Na, kommst schon wieder in Ordnung, Pit- eher und leichter als ich, paß auf." Das hört nun feiner gern, daß er's leichter haben soll als andere. Sind ja nicht gerade schön und restlos be= glückend, die eignen Konflikte, aber dafür sollen sie wenigstens sehr einmalig und unter allen Umständen am schwersten sein. Pit faßt nach Gilgis Hand, legt sein hartes Jungengesicht in die weiche, fühle Fläche- ,, kleiner Dedipuskomplex, Bit? Männersehnsucht nach Frauenüberlegenheit? Na, Pit" die
SONNABEND, 15. OKT. 1932
weiche Handfläche unter seinem Gesicht rollt sich zur Faust, schlägt ihm leicht gegen's Kinn
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- ,, es geht jetzt gar nicht um uns beide, Pit, es geht um dritte. Weißt du, wo ich jetzt sofort fünfhundert Mark herbekommen kann?" Aufmerksam hört Pit zu, wie Gilgi von Hans und Hertha erzählt.
... und zwei kleine Kinder, und ein drittes ist unterwegs..."
,, Unverantwortlich, diese faninchenhafte Fruchtbarkeit. Warum bekommen sie andauernd Kinder?
,, Sie haben nur ein Bett, Pit." ,, Sie sollten die Kinder nicht zur Welt tommen lassen..."
,, Sie haben kein Geld, Pit."
,, Es gibt Menschen, die zu schwach sind fürs Leben und die man darum ruhig krepieren lassen sollte..."
,, Schwäche und Stärke machen noch längst nicht den Wert eines Menschen aus, Pit. Aber ihre Lebensfähigkeit."
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,, Aber nicht ihre Lebensberechtigung." ,, Die muß jeder sich selbst erwerben." ,, Die erwirbt man selbst nur, indem man anderen dazu verhilft."
,, Man muß ökonomisch sein, wenn man ,, Man geizt sich arm, wenn man mit Hilfe spart..."
,, Man soll nur denen helfen, für die Hilfe auch wirklich Hilfe ist."
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,, Man soll jedem helfen." ,, Das ist nicht wahr." ,, Das ist wahr." ,, Humanitätsduselei." ,, Verpflichtung. Hör' auf, Pit, es fönnte sein, daß deine Dialektik meiner überlegen ist. Dialektik! Wie jämmerlich- wo's um vier lebendige Menschen geht. Zuweilen sollten einem einzelne Menschen wichtiger sein als die Masse..."
( Fortsetzung folgt.)
Pit
nicht im Traume einfiel, sich den sicheren Ge= winn durch irgendwelche Empfindsamkeit gefährden zu lassen.
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Immer im Dauerlauf durch die Straßenoh, man tommt nicht so schnell außer Atem. Macht ordentlich Spaß, eine Aufgabe zu haben, die ein bißchen schwer ist. Vielleicht breche ich irgendwo ein mit vierzehn Jahren hatte ich mir mal vorgenommen, die Geliebte von' nem Fassadenkletterer zu werden stellte mir das sehr reizvoll vor so an ner dunklen Straßenede Schmiere zu stehn und auf zwei Fingern zu pfeifen,
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wenn...
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,, Tag, Gilgi ", sagt Bit und macht glückliche, überraschte Augen, als sie ins Zimmer stürmt. ,, Tag, Pit", sagt Gilgi - und braucht nur stillzustehn, braucht nur ihre eigne Stimme zu hören, um aus der flüchtigen Leichtigkeit vergangener Minuten der kurz - geträumten Gilgi - Reminiszenz wieder in die Dunkle, unerkannte, erlebnisschwere Jehtwelt zu fallen. Ach, Unbekümmertheit ist zu Selbsttäuschung geworden. Das schmale Grenzband hat man überschritten, das die Nur- Gegenwartsverhafteten von den Vergangenheits- und Zukunfts- Verbundenen trennt. Da hat's einen herausgerissen aus dem dünnblütig behaglichen Bettbegriff: Leute herausgerissen zum Menschsein. Mensch sein das heißt was da gibt's fein Unterfriechen in Gesamtheit mehr da heißt's allein sein. Das muß man lernen- Mensch zu sein, das muß man lernen wissen, daß ein Lachen tausend Tränen kostet, das muß man lernen zu wissen, daß eine Stunde Glück mit tausend Stunden Weh bezahlt wird.... Ja, und jetzt muß ich erst mal fünfhundert Mart haben.
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one
Was gibt es Neues?
Vor 75 Jahren wurden in Neandertal , einem Ausflugsort bei Düsseldorf , eine Schädeldecke und ein paar Knochenrefte gefunden. Große Auf regung bemächtigte sich der wissenschaftlichen Welt. Man glaubte, den Urmenschen entdeckt zu haben, das Bindeglied Affe- Mensch. Aber das Rätselraten sollte erst anfangen. Die nächsten Jahrzehnte brachten neue überraschende Funde, viel ältere, und bald war der Neandertaler nicht mehr der Urenkel, sondern nur noch der Enkel. Die Spuren von Heidelberg , Java, Peking usw. zeig= ten, daß der Mensch viel früher da war, als man bisher annahm, und wahrscheinlich, wie jetzt vielfach behauptet wird schon im Tertiär, also vor ungefähr 500 000 Jahren existierte.
In noch jüngere Erdperioden verlegt Eugen Georg in einer bemerkenswerten Arbeit im Schlüssel zum Weltgeschehen" das Erscheinen des homo sapiens. Er meint, wie auch der Anthropologe Corvin, daß wir beim Suchen nach vorzeitlichen Knochenresten von falschen Voraus= fegungen ausgingen, wenn wir nur nach einem Wesen fahnden, das unserem Ebenbild entspricht. Es besteht aber die Möglichkeit, daß die Menschen einmal anders aussahen, vielleicht Zwerge waren und uns nicht höher als bis zum Knie reichten. Das mag zu jener Zeit gewesen sein, als die Natur alles klein gestaltete und der Ahn unseres Pferdes nicht größer als ein Kaninchen war. Daß eine solche Epoche wirklich existierte, ist sicher, jedoch unsere Vorfahren als Gnome und Wichtelmänner kann heute nur
Ein Blick in die Forschung
Brauch, den Vornehmen ihre Leibeigenen mit ins Grab zu geben, folgte man also nicht nur in den füdlichen Kulturen der Vorzeit, jondern auch in Germanien .
Die Meteore, jene winzigen Weltenbummler, bereiten der Forschung noch arges Kopfzerbrechen. Vielleicht sind sie nur für die Abergläubischen bestimmt, die sich beim Aufleuchten eines Meteors etwas wünschen, das auch nicht" in Erfüllung geht. Wir konnten bis heute nur feststellen, daß die Meteorschwärme in ziemlich gleichmäßigen Perioden auftreten. Um ein Bild von der Dichte eines solchen Meteorregens zu erhalten, wurde im August von dem Flower Observatorium die Beobachtung organisiert. An 150 verschiedenen Plätzen wurden die Meteore gezählt. In drei Nächten waren es nicht weni= ger als 28 000, die am Horizont aufflamm
ten.
Man sieht daraus, daß es im Weltraum recht lebhaft zugeht, daß die Geschosse hin- und herfliegen und auch die Mutter Erde ihren breiten Rücken herhalten muß.
Daß es dabei nicht immer sanft zugeht, wissen wir von den gewaltigen Meteorfratern in Si birien , Arizona und( nach einer neuen Entdeckung) in Arabien . Eine englische Expedition fand hier in einem unbekannten Teil Krater von einer
Größe, die alles übertreffen soll. Näheres bleibt abzuwarten.
In Arizona hat man fürzlich die Grabungen nach dem eigentlichen Meteortern wieder aufgenommen. Der Bohrer blieb 225 Meter tief in einem harten nickelhaltigen Metall stecken, und die Optimisten glauben, endlich auf das gesuchte Objekt gestoßen zu sein. Aber Zweifel find angebracht, denn der Meteorit mit seiner Endgeschwindigkeit von mehr als 30 Kilometer in der Sekunde und seinem auf 360 000 Tonnen geschätz-. ten Gewicht mag viel tiefer eingedrungen sein- falls er nicht vorher völlig zerborsten ist, was die vielen kleinen Stücke, die man im Krater fand, denkbar macht.
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Aus dem großen Gebiet der Strahlenexperimente, worüber hier schon öfter berichtet wurde, sei ein letzter Versuch erwähnt, der fast an das indische Mangobaumwunder erinnert. Samen von der Grapefrucht wurde zwei Minuten lang Röntgenstrahlen von 200 000 Volt ausgesetzt. Acht Tage später wurde der Samen in einem elektrisch geheizten Treibhaus einge= pflanzt, und zwei Monate später trug die etwa 5 Zentimeter hohe Pflanze die erst e Blüte. Unter normalen Bedingungen muß die Grapefruchtpflanze mindestens fünf, meistens zehn Jahre alt und wenigstens einen Meter hoch sein, bevor die erste Blüte zu sehen ist. Also ein recht beträchtlicher Unterschied! Aber mehr als ein interessantes Experiment ist dies nicht, denn diese per Expreß entwickelten Blüten
als reizvolle Spothese gelten, solange greifbare Stimme aus dem Grabe bleiben unfruchtbar.
Beweise fehlen.
Aber die Entdeckungen überſtürzen sich, und alles, was wir über die Vorgeschichte des Menschen wissen, sind nur dürftige, dauernd umstrittene Bruchstücke. Auch um die afrikanischen Funde von Oldoway ist jetzt ein Gelehrtenstreit aus=
gebrochen. Die englischen Fachleute behaupten, es handle sich hier um einen neuzeitlichen Menschen, der nur durch Beerdigung in die tieferen geologischen Schichten gelangte, wogegen Professor Red, der Entdecker, an seiner Meinung festhält, zu daß wir im Oldowanmenschen den ältesten Vertreter unserer Gattung vor uns haben, der bis heute ans Tageslicht kam.
,, Willst du dich nicht sehen, Gilgi ?" ,, Doch." Gilgi fällt auf Pits Bett.„ Ich glaube, ich habe den Verstand verloren, Pit - ich werde irrsinnig
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Soll sie man reden. Was geht einen das schon an, was ein anderer redet! Pit hat eigene Last auf dem Buckel runter damit. Ich hab' mich benommen wie ein Schwein, Gilgi damals..." Wieder löst Gilgi sich aus sich selbst heraus sieht ẞit an- hört ihm zu versteht sehr gut, was
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er will und meint. Sie lächelt ein bißchen
Ueber das kürzlich ausgegrabene Germanenmädchen in Jütland bringt der„ Kosmos" einige interessante Einzelheiten. Holzsarg und Leiche hat der moorige Boden trotz der 3500 Jahre ( nur eine Schägung!) vorzüglich erhalten. Die Bekleidung aus grobem Stoff macht im Schnitt einen durchaus modernen Eindruck. Kniefreies Röckchen und Bubikopf! Was will man mehr. Nur der Lippenstift fehlt. Als Grabbeigabe fanden sich Geräte für die Nagelpflege, woraus man schließen fann, daß die germanischen Jünglinge Sinn für schöne Frauenhände hatten. Aber eine weniger sympathische Grabbeigabe bildet die Leiche einer verbrannten Sklavin. Diesem schrecklichen
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Gebildete Völker können durch Bekriegen viel= leicht einige flimatische Eigenheiten der Bildung gegeneinander auswechseln; ob aber Handel, Bücher, Reisen und jetzige Allgemeinschaft nicht das kriegerische Bilderstürmen der göttlichen Ebenbilder der Menschen bloß um sie neu anzumalen entbehrlich sei, spreche die Frage felber aus: Wiegen einzelne Entwicklungen die Berwicklung des Ganzen auf? Oder der Flor friegerischer Kräfte den Fall aller friedlichen? Uebrigens find' ich der großen Menschen nach Ver. hältnis mehr im furzlebenden Griechenland als im langtriegenden Rom , und wir hätten vom Glüc im Unglüd zu sagen, wäre seit der französischen Revolution nur jede Schlacht die Mutterzwiebel oder die Wehmutter eines neuen großen Mannes geworden, und hätte man für die gefüllte Schädelstätte eines Schlachtfeldes stets einen großen Kopf erfauft. Aber die Zeit ist jetzt größer als ihre Menschen. Große Männer haben sich meistens an dem Freiheit- Forum, in Kreuzschulen, in wiffenschaftlichen Friedens-, nicht Kriegsschulen entfaltet; und Sokrates lernte nicht erst von seinem Feldzuge den dreißig Tyrannen und dem Giftbecher widerstehen. Jean Paul ,
Ein aktuelles Thema der Technik bilden die Umgestaltungen in der Brennstoffversor= gung. Die wachsende Zahl der Schiffe mit reiner Delfeuerung bilden bekanntlich eine große Gefahr für den Kohlenabsay. Man hat einen Ausweg gefunden, um beiden Barteien gerecht zu werden, indem man dem Del pulverisierte Kohle, sechs zu vier Teilen, zumischt. diesem neuen Brennstoff hat jetzt die„ Scythia" ihre Probefahrt beendet, und in England herrscht große Freude. Durch diese Aenderung hofft allein die Cunard- Linie ihren Kohlenbedarf um 400 000 Tonnen steigern zu können.
In Oberhausen verkehren jetzt die ersten Autos, die anstatt Benzin Methangas als Antriebsmittel benutzen. Methan, auch Sumpf gas genannt, wird bei der Kokszerlegung ge= wonnen und wurde früher als unverwertbar mitverbrannt. Es entpuppte sich als guter Explosivstoff, mit dem man Autos antreiben kann, ohne deren Konstruktion ändern zu müssen. Das Gas wird in Stahlflaschen mitgefüinrt Es gibt aber auch natürliche Sumpfgasquellen, z. B. bei Mün ster i. W., die man auch zu diesem Zwed nutzbar machen will. Gog.