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Abend- Ausgabe

Nr. 488 B 236 49. Jahrg.

Redaktion und Verlag: Berlin   SW 68, Lindenstr. 3 Fernsprecher: 7 Amt Dönhoff 292 bis 297

Telegrammadresse: Sozialdemokrat Berlin  

Vorwärts

BERLINER

VOLKSBLATT

SONNABEND

15. Oktober 1932

Jn Groß Berlin   10 Pf. Auswärts....... 10 Bf.

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß des redaktionellen Teils

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Papen   wankt

Auf dem Weg zur Regierungskrise

Die Bombe des Reichsbankbriefs hat ein geschlagen. Die Deutsche Zeitung" heult nach Luthers   Kopf. Es ist klar, es gibt nur ein Entweder- Oder: entweder Luther  oder die Kontingentierung.

Die Agrarier rufen: ,, Her mit der Kon­tingentierung, fort mit Luther  ." Die Indu­striellen protestieren: Die Kontingente müssen verschwinden. Luther   muß bleiben."

Die Regierung der Konzentration droht an diesem Gegensatz der Interessentenhaufen auseinanderzubrechen. In dem Wunsche, die Sozialdemokratie niederzu­halten, die Gewerkschaften zu entrechten, die politischen und sozialen Rechte des Volkes zu

Herriot   und Macdonald

schmälern, darin sind die beiden großen Gruppen der Herrenkaste, die Kraut- und die Schlotbarone, einig. In der Frage der Wirtschaftspolitik bestehen scharfe Gegensätze. Da steht Kraut wider Schlot!

Die sogenannte Tomatenfommis sion", die beauftragt ist, mit den fremden Regierungen über die Kontingentierung der deutschen   Einfuhr zu verhandeln, fährt in der Welt herum und sammelt Körbe. In­zwischen wird durch die Entwicklung in Deutschland   selbst ihr Auftrag gegenstandslos!

Es scheint somit, als ob der Machtkampf, der innerhalb der regierenden Kreise tobt, zunächst im Sinne der Industrie entschieden werden sollte. Man wird ja, drei Wochen vor den Wahlen, nicht öffentlich zugeben, daß die Kontingentierungspoli tif ein tot geborenes Kind war, später fann mitgeteilt werden, daß die Be­erdigung schon längst in aller Stille statt­gefunden hat.

Die Regierung Papen   ist in einer fri­tischen Situation. Nicht nur wegen der Handelspolitik. Sie hat sich mit ihrer Methode des unbefümmerten Drauflos­regierens so ziemlich auf allen Gebieten feft­gefahren. Ihre Außenpolitik hat Deutschland   noch vollständiger isoliert, als es vor 1914 war. Ihre Innenpolitik fann nach der Auffassung der ihr nahe­stehenden Presse nur auf dem Wege des Staatsstreichs und des Bürgerkriegs zum Ziel gebracht werden! Ihre Sozial­politit hat auf allen Gebieten der Sozial­versicherung mie des Arbeitsrechts ein Durcheinander geschaffen, vor dem nicht nur die Arbeiter, sondern auch die Unternehmer topfschüttelnd stehen.

Das kann nicht lange dauern, und das fann nicht gut enden. Der November 1932 wird noch mehr politische Ereignisse zeitigen als die Reichstagswahlen. Bitter not tut eine starke Sozialdemokratie, um in fommenden Stürmen die Sache des arbeitenden Boltes vorwärtszubringen!

Der Erkronprinz an Groener

Unverschämte Einmischungsversuche der Hohenzollern  

Eigener Bericht des Vorwärts"

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Köln  , 15. Oftober.

Unter der Ueberschrift: Wie lange noch, Herr Reichskanzler? Wilhelm als Reichsverweser". Ein hochpolitischer Brief des Protektors der Nationalsozialisten an den Reichswehrminister" veröffentlicht die Rheinische Zeitung  " in Köln  heute folgenden Artikel:

,, Die Reichsregierung dementiert eifrig, daß der Egkronprinz Friedrich Wilhelm als Reichsverweser" in Aussicht genommen sei. Herr Friedrich Wilhelm, Prinz von Preußen, aber schweigt sich aus. Er weiß darum. Die Pläne, diesen Herrn als Reichsverweser einzusetzen, sind sehr weit gediehen. Wenn die Reichsregierung, was möglich ist, darüber weniger wissen sollte als wir, so dürfte sie wohl auffallend schlecht unter­richtet sein.

Erkronprinz Wilhelm selbst fühlt sich seit langem als eine Art Reichsverweser" und glaubt, sich als Oberkontrolleur der Reichs­minister betätigen zu können. Der Beweis dafür liegt uns u. a. in einem Briefe vor, den Er­fronprinz Wilhelm am 14. April 1932 aus Cäcilienhof an den Reichswehrminister Groener geschrieben hat.

In diesem inhaltlich ungeheuerlichen Schriftstüd nimmt sich der Erfronprinz heraus, sich in das Verbot der S. und SS. durch den Herrn Reichs­ präsidenten   einzumischen. Der Brief charat­terisiert den Verfasser als einen ganz gewissenlosen und verantwortungslosen Schwäger, der ganz in der Art des Herrn Papa die schwersten außenpolitischen Gefahren für Deutschland   heraufbeschwören tann, wenn ihm nicht schleunigst das Mundwerk gestopft wird. Aus nationalpolitischen Gründen lehnen wir ab, den Brief in vollem Wortlaut zu ver­öffentlichen.

Sowohl der Herr Reichskanzler wie der Herr Reichspräsident follten aber von dem Herrn Friedrich Wilhelm, Prinz von Preußen, den Brief einfordern und den geistig knabenhaften Schreiber darauf aufmerksam machen, welch europäischer Skandal entstehen kann, wenn er als Kronprätendant einflußreicher Kreise Pläne niederschreibt und versendet, wie sie in dem erwähnten Brief enthalten sind.

Wie majestätisch und als künftiger ,, Reichs­

verweser" sich der Erkronprinz fühlt, geht schon aus dem Einleitungssatz des Schriftstücks hervor: ,, Es ist mir ein Bedürfnis, mit diesen Zeilen Ihnen meine ernste Sorge für die Zukunft unseres Vaterlandes auszusprechen...

Er als Vater des Vaterlandes!

Die künftige Majestät begönnert dann Herrn Groener und Herrn Schleicher gleichermaßen und offenbart fich flar als Protektor der Hitlerschen ,, Arbeiterpartei".

,, Sie wissen, daß Sie seit dem November 1918 von den nationalen Kreisen häufig sehr scharf angegriffen worden sind, und daß ein großes Mißtrauen gegen Ihre Person gerade in diesen Kreisen bestanden hat. Ich persönlich habe, weil ich mich im Leben immer bestrebe, objektiv zu bleiben, in vielen Fällen für Sie gerade in diesen Kreisen eine Lanze gebrochen, ebenso wie für meinen Freund Schleicher. Gerade deswegen ist es mir besonders schmerz

lich, daß Sie den Erlaß, der zur Auflösung der SA. und SS. geführt hat, mit Ihrem Namen gedeckt haben. Ich kann diesen Erlaß nur als einen schweren Fehler ansehen und für eine außerordentliche Gefahr für den inneren Frieden. Es ist mir auch unverständ­lich, wie gerade Sie als Reichswehrminister das wunderbare Menschenmaterial, das in der SA. und SS. vereinigt ist und dort eine wertvolle Erziehung genießt, zerschlagen helfen."

Die entscheidenden Teile des Briefes entziehen sich der Veröffentlichung, zumal in der jetzigen schweren außenpolitischen Lage. Nur soviel sei gesagt, daß das Schreiben auch die unver schämtesten Verdächtigungen und Berleumdungen des Reichsbanners und der Sozialdemokratie enthält, die uns je zu Gesicht gekommen sind.

Der Brief ist ein Hohenzollerndokument ersten Ranges.

Vorwärts mit der Abrüstung!

Die Konferenz muß rasch arbeiten

Eigener Bericht des Vorwärts"

Paris  , 15. Oktober. Léon Blum   schreibt im Populaire" zu dem Ergebnis der Londoner   Besprechungen: Die Lage ist jetzt klar. Die Reichsregierung weigert sich, an der vorbereitenden Biermächtekonferenz und der Abrüstungskonferenz teilzunehmen. Sie möge nach ihrem Belieben weiter schmollen und schelten. Die einzig passende Antwort ist der schnelle Zu sammentritt der Abrüstungskonferenz. Aus den Arbeiten der Konferenz muß endlich ein Be schluß hervorgehen, der der Hoffnung der Welt entspricht, ein Beschluß, der die Zusicherung Deutschlands   erzwingt oder der im Falle einer neuen Weigerung die öffentliche Meinung der Welt gegen die deutsche   Regierung zusammen­schließt. Das ist das wahre Problem. Man möchte glauben, daß die Unterredungen Herriots mit Macdonald seine Lösung oder auch nur seine Prüfung etwas vormärts gebracht haben. Leider

Entlassungen statt Einstellungen!

Bei den Oderwerken in Stettin  

Steffin, 15. Oftober.

Die Oder- Werke haben den größten Teil ihrer Stammbelegschaft entlassen, weil der Auftrag auf die Verlängerung des Fahrgast- Motorschiffes ..Hansestadt Danzig" ausgeblieben ist. Die Schwie­rigkeit soll in der Art der Geldbeschaffung für diese Arbeit liegen. Es sei beabsichtigt gewesen, die Mittel über das Arbeitsbeschaffungsprogramm zur Verfügung zu stellen. Die hierfür ausgegebenen Richtlinien seien jedoch für die vorliegenden Auf­gaben unanwendbar, da es sich um eine hoch­wertige Qualitätsarbeit handele und eine solche Arbeit nur mit erfahrenen Facharbeitern aus­geführt werden könnte.

Soll das Arbeitsbeschaffungsprogramm in der bestehenden Form Anwendung finden, so müßten tüchtige Qualitätsarbeiter entlassen und Hilfs= fräfte hinzugezogen werden, mit denen eine Ga­rantie für die Sorgfalt und Zuverlässigkeit der Arbeiten nicht übernommen werden könnte.

Diese Meldung läßt den Berdacht aufkommen,

als ob auf dem Rücken der Arbeiter Geschäfts­interessen ausgefochten werden sollen.

Notverordnungsstreik

In der Steingutfabrit Sörnemiz A.-G. in Sörnewitz   bei Meißen   sind am Freitag­früh 460 Arbeiter und Arbeiterinnen in den Streit getreten, weil die Firma die Notverordnung auf ihre Weise angewandt hat. Die Firma hat schon eine 11prozentige Lohnkürzung dadurch er­reicht, daß sie von einer höheren tariflichen Orts­klasse, die sie etwa 10 Jahre lang freiwillig bezahlt hat, auf die niedrigere Ortsklasse zurüd­gegangen ist.

Die Betriebsleitung dieser Firma war es, die zu allererst den Plan faßte, ein paar Dugend junge Mädchen einzustellen und diesen 11 bis 15% Pf. Stundenlohn zu zahlen und dafür die Steuergutscheine, die mehr als der Lohn für diese Mädchen betragen hätte, in Emp­fang zu nehmen und obendrein noch den allge­meinen Lohnabzug vorzunehmen.

scheint tein merklicher Fortschritt in dieser Richtung erzielt worden zu sein. Das iſt der Grund für unsere Beunruhigung. Die hart nädige Haltung der Barone zwingt die Kon­ferenz, ohne sie zu einem Erfolg zu gelangen. Sie zwingt zu einem Erfolg, bevor die gegen wärtige Reichsregierung die Mächte vor eine vollendete Tatsache gestellt hat, und sie zwingt zu einem Erfolg unter derartigen Bedingungen, daß jeder Versuch der Wiederaufrüstung Deutschlands  die einstimmige Verurteilung der Völker findet."

*

Herriot   ist am frühen Morgen wieder in Paris  eingetroffen. Gegenüber Freunden, die ihn ab= holten, gab er seiner Befriedigung über das Er­gebnis der Londoner   Besprechungen Ausdruck. Er erfundigte sich bei den Ministern, ob die Weigerung Deutschlands  , an der ge­planten Konferenz teilzunehmen, endgültig sei. Es wurden ihm daraufhin Telegramme vor­gelesen, aus denen hervorging, daß Deutschland  für den Augenblid an seiner Weigerung feft= halte. Nach dem Matin" haben diese Mit­teilungen teinen großen Eindruck auf Herriot   gemacht.

Die Sonnabendmorgenblätter sind weniger auf das Ergebnis der Konferenz selbst eingestellt, als auf die Weigerung Deutschlands  , nach Genf   zu gehen. Die Zeitungen betonen, daß daß eine Einigung zwischen England und Frankreich   im Sinne der französi fchen Wünsche erfolgt ist und die Ver­antwortung für ein Scheitern der Konferenz Deutschland   zufallen würde. England halte die deutsche   Weigerung nicht für endgültig, sondern hoffe, Deutschland   noch umstimmen zu können. In mehreren Zeitungen wird erklärt, daß Macdonald zu diesem Zweck vielleicht Papen   und Neurath   im Laufe der nächsten Woche nach London   ein laden werde.

Frankreichs   Vorstoß gegen die Schupo Eigener Bericht des Vorwärts" Genf  , 15. Oktober. Das Spezialkomitee der Abrüstungs. konferenz für die Berechnung der Heeresstärken hat am Freitagnachmittag unter dem Vorsitz von de Broudère- Belgien  seine Aussprache fortgesetzt. Dabei fam es zu einem heftigen Angriff des französischen  Delegierten Massigli auf Deutschland  , der in­dessen von der großen Mehrheit des Komitees